blick-ins-heft_No_8
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Es ist die Liebe<br />
Von Karl Gamper<br />
Es gibt eine alte Geschichte: Ein Kaiser aus Japan tat einmal unter allen<br />
Malern seines Landes kund, er wolle ein Gemälde haben, das wie echt<br />
aussehen sollte: „Wenn ihr eine Tür malt, sollte sie nicht wie ein Gemälde<br />
aussehen. Jeder sollte sie für so echt halten, dass er versucht, durch<br />
sie einzutreten. Wer so etwas malen kann, was immer sein Begehr – und<br />
selbst wenn es mein ganzes Kaiserreich wäre – er soll es zur Belohnung<br />
erhalten.“ Maler strömten aus allen Teilen des Inselreiches in den Palast,<br />
um es zu versuchen. Doch keinem gelang es. Doch ein Maler sagte,<br />
er könne es malen, allerdings nur unter diesen Bedingungen: Solange er<br />
malt, darf ihn niemand dabei stören. Und es darf keine zeitliche Begrenzung<br />
geben. Zudem wird er nicht auf Leinwand malen, sondern auf einer<br />
großen Wand im Palast. Niemand darf hereinkommen und der Kaiser<br />
soll es als erster fertig zu sehen bekommen. Diese Bedingungen wurden<br />
angenommen. Es dauerte mehr als sechs Jahre. Der Kaiser wurde schon<br />
alt. Doch er hatte versprochen, nicht zu stören, und er hielt sein Wort.<br />
Nach fast sieben Jahren kam der Maler zum Kaiser und sagte: „Ihr könnt<br />
kommen.“ Er führte den Kaiser in den Raum. Der Kaiser konnte es nicht<br />
fassen. Es sah absolut echt aus. Da waren blühende Bäume, wundersame<br />
Blumen, frische Gräser und ein kleiner, gewundener Fußweg. Der Kaiser<br />
fragte: „Wohin führt dieser Weg?“ Der Maler sagte: „Ihr könnt ihn betreten<br />
…“ Und ob ihr es glaubt oder nicht – ich glaube es, es ist zu schön!<br />
Der Kaiser betrat mit dem Maler das Kunstwerk – und beide wurden nie<br />
wieder gesehen. Beide kamen nie zurück.<br />
ES IST DIE LIEBE<br />
Wenn wir diese Geschichte für ein faktisches Ereignis halten, gehen wir an<br />
der Sache vorbei. Es ist ein Gleichnis. Und als solches wunderschön. Denn<br />
so ist es mit der Liebe. Wenn wir der Liebe folgen, so geht etwas in uns verloren.<br />
Und kommt nie wieder.<br />
Doch ich spreche hier nicht von der emotionalen Liebe, sondern von jener<br />
Liebe, die Jeshua Gott nannte. „Gott ist Liebe – Liebe ist Gott,“ predigte der<br />
Meister aus der Wüste. Er war damit der erste, der den rächenden Gott des<br />
Alten Testaments aus den Köpfen der Menschen vertrieb und einen Gott<br />
der Liebe in die Herzen pflanzte. In dieser Liebe verbrennt die trennende<br />
Angst des Egos. Das Ego selbst – der Kaiser – verliert seine Herrschaft. Er<br />
geht verloren. Und kommt in dieser Gestalt nie wieder.<br />
Und aus „AngstLand“ wird ein Land der Liebe. Ich nenne es „NeuLand“, weil<br />
wir es als Menschheit noch niemals betreten haben. Einzelne – ja. Doch in der<br />
gesamten Geschichte gibt es kein Volk, das im Licht der Liebe lebte. Seit Kain<br />
und Abel schlagen wir einander die Köpfe ein und die menschliche Geschichte<br />
ist – nicht nur, doch auch – eine<br />
Blutspur aus Kriegen. Aus Kriegen<br />
aller Art. Vom Krieg gegen uns selbst<br />
bis zum Krieg in der Familie, an<br />
unseren Arbeitsplätzen, mit unseren<br />
Nachbarn, mit anderen Völkern und<br />
anderen Glaubensgeme<strong>ins</strong>chaften.<br />
Doch es ist die Liebe, die uns ruft.<br />
Dich. Mich. Uns alle.<br />
Es ist die Liebe. Diese Spur führt uns<br />
alle direkt zum nächsten Sprung in<br />
der menschlichen Evolution. Es ist<br />
die Liebe, in die hinein wir erwachen<br />
können. Es ist die Liebe, die jeden<br />
Einzelnen und uns als Menschheit<br />
zu unserem höchsten Potential<br />
erblühen lässt. Es ist die Liebe, die<br />
uns einen göttlichen Schimmer<br />
schenkt im menschlichen Gewand.<br />
Es ist die Liebe.<br />
DIE LIEBE IST DAS<br />
UNBEKANNTE<br />
Daher lautet aus meiner Sicht der<br />
menschliche Auftrag: Das Unbekannte<br />
bekannt zu machen. Das ist<br />
zentral! Anders gesagt: Uns einzulassen<br />
auf das Mysterium der Liebe<br />
und deren Unbegrenztheit. Dies ist<br />
kein finaler Weg mit einem klaren<br />
Ziel. Es ist das genaue Gegenteil. Es<br />
ist ein Werden-Werden. Es ist ein<br />
Prozess des endlosen Erwachens.<br />
Der nie erlahmenden Annäherung.<br />
Und je näher wir der Liebe kommen,<br />
desto weiter wird ihr Feld, desto<br />
größer ihre Dimensionen, desto<br />
ozeanischer unser Sein und Werden.<br />
„Ozeanisch“ ist eine Beschreibung<br />
maaS | 29