E_1948_Zeitung_Nr.028
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AUTOMOBIL.REVUE MITTWOCH. 2.I. JIM<br />
Aus dem Jahresbericht des Autogewerbeverbandes der Schweiz<br />
In einem fast 150 Seiten umlassenden Jahresbericht<br />
legt der Autogewerbeverband der Schweiz<br />
Rechenschaft über seine vielseitige Tätigkeit, über<br />
die Probleme und Aufgaben ab, die ihn 1947, im<br />
20. Jahre 6eines Bestehens, beschäftigt haben.<br />
Treffend umschreibt dabei im Geleitwort der Zentralpräsident,<br />
O. Moosmann, das Wesen der Zielsetzung<br />
des Verbandes, wenn er feststellt, es seien<br />
ihr nach innen und aussen bestimmte Grenzen gezogen.<br />
Als demokratische Organisation in einem<br />
demokratiechen Staat muss der Verband seine berufspolitischen<br />
Begehren nach dem ausrichten, was<br />
Verfassung und Gesetzen entspricht; diese selbstverständliche<br />
Beschränkung findet aber ihr Korrelat<br />
im Recht der freien Meinungsäusserun/g. Das<br />
Berichtsjahr selbst kennzeichnet der Zentralpräsident<br />
mit den Worten, es sei auch für das Autogewerbe<br />
einmalig fruchtbar gewesen, und man<br />
werde 6ioh langsam wieder an andere, normalere<br />
Zeiten gewöhnen müssen.<br />
Den eigentlichen Geschäftsbericht eröffnet das<br />
Kapitel Treibstoffmarkt, worin die Schweiz. Benzinunion<br />
den Sinn und die Neuerugen der im Sommer<br />
1947 eingeführten vereinfachten<br />
Treibstoff-Marktordnung<br />
darlegt und dabei auch einige grundsätzliche, wirtschaftspolitische<br />
Betrachtungen anstellt. Auf die<br />
Ersetzung der jahrelangen Importkontingentierung<br />
durch ein Lizenzsystem hinweisend, betont sie,<br />
dass der Staatsinterventionismus nur verhütet werden<br />
könne, wenn sich ein jeder einer freiwilligen<br />
Preis- und Marktordnung unterwerfe und sein ganzes<br />
Interesse auf deren Festigung richte.<br />
An die von der Benzinunion gegebene Darstellung<br />
der Entwicklung auf dem schweizerischen<br />
Treibstoffmarkt knüpft der Autogewerbeverband<br />
eigene Betrachtungen, in denen sich die Feststellung<br />
eingeflochten findet, es lasse sich heute noch<br />
nicht abschliessend beurteilen, ob sich das Werk,<br />
wozu er einen gewaltigen Verständigungsbeitrag<br />
geleistet, seines Entgegenkommens als würdig erweise.<br />
Vor allem ist es die Frage der Finanzierung<br />
der Marktordnung, worüber sich die Geister scheiden.<br />
« Margen und Tarife » heisst ein weiterer Abschnitt,<br />
an dessen erster Stelle der Bericht das<br />
neue, vom Verband herausgegebene Tarifwerk für<br />
Autoreparaturen und Servicearbeiten erwähnt,<br />
dessen Vorteile er u.a. mit folgenden Worten<br />
schildert: «Den meist unangenehmen Reklamationen,<br />
die man oft nicht weiss mit was für Gegenargumenten<br />
sie zurückgewiesen werden sollen<br />
(denn gibt man ihnen nach, so bedeutet dies eine<br />
Gewinneinbusse und oft sogar einen Verlust für<br />
das Geschäft), kann man nur das Tarifwerk entgegenhalten;<br />
man kann 6ich also gewissermassen<br />
hinter der Verbandsannonymität verbergen! Dann<br />
verschwinden aber auch die oft unverantwortlich<br />
grossen Differenzen zwischen Kostenvoranschlag<br />
und Schlussabrechnung, die in vielen Fällen auf<br />
eine nicht sehr gewissenhafte Geschäfsführung<br />
schliessen lassen und die fast immer Anlass zu unangenehmen<br />
Auseinandersetzungen mit dem Auftraggeber<br />
und zu Kundeaverlust führen. »<br />
Ueber die detaillierte Wiedergabe einer Reihe<br />
von Höchstpreisen und Tarifen, welche durch Verfügung<br />
der eidg Preiskontrollstelle festgelegt wurden,<br />
leitet der Bericht über zu weiteren Kapiteln,<br />
worunter das dem<br />
Beruisbüdungswesen<br />
gewidmete allgemeines Interesse beanspruchen<br />
darf, zumal diese Fragen den Automobilisten unmittelbar<br />
berühren.<br />
Die Durchführung des umfassenden Programms<br />
da* der Verband für den Auf- und Ausbau des Berufsbildungswesens<br />
im Autogewerbe aufgestellt,<br />
setzte u. a. auch die Schaffung eines hauptamtlichen<br />
Sekretariates für Berufsbildung voraus. In<br />
Herrn A. Werner, der zuvor als Inspektor für das<br />
berufliche Bildungswesen des Kantons Zürich tätig<br />
gewesen war, konnte dafür eine qualifizierte Kraft<br />
gewonnen werden. In seinem Bericht entwickelt er<br />
ein aufschlussreiches Bild über den Stand der Bemühungen<br />
zur Hebung des Leistungsniveaus in dieser<br />
Branche. Bei der beträchtlichen Steigerung der<br />
Lehrlingszahl seit Kriegsende liegt das Problem<br />
nicht in der Richtung einer zahlenmäßigen Förderung<br />
der Lehrverhältnisse, sondern in der Sicherung<br />
einer gründlichen Berufsbildung.<br />
Nach wie vor steht die Ausbildung der Lehrlinge<br />
in den Lehrbetrieben im Mittelpunkt, doch<br />
fordert die Entwicklung des Automobilbaues auch<br />
eine eingehendere theoretische Ausbildung des<br />
Lehrlings durch das Mittel der Berufsschulen. Zusammen<br />
mit den zuständigen Stellen arbeitet der<br />
Verband an der Bereinigung eines Lehrplanentwurfs<br />
für Automechaniker-Fachklassen. Auch die Frag*<br />
der Weiterbildung von Fachlehrern sowie die Be<br />
Schaffung geeigneter Lehrmittel wird in nächste<br />
Zukunft in Angriff genommen. Weitere Massnah<br />
men zur Hebung der Berufsbildung im Auto<br />
gewerbe bilden die Vereinheitlichung und der Aus<br />
bau der Lehrabschlussprüfungen.<br />
Im übrigen stellt die Revision des Lehrlings<br />
reglementes, die sich im Gang befindet, eine de<br />
entscheidenden Fragen für die Heranbildung de6<br />
Berufsarbeiternachwuchses dar. Eine andere wichtige<br />
Aufgabe erblickt der Verband darin, die plan<br />
massige Fortsetzung der Ausbildung nach de<br />
Lehrzeit sowohl in theoretischer als auch in prak<br />
tischer Beziehung zu fördern, denn nur unter die<br />
ser Voraussetzung vermag das Garagenpersona<br />
den Anforderungen der Praxis zu genügen. Des<br />
halb befindet sich ein Weiterhildunifsprogramm i<br />
Vorbereitung.<br />
Im starken Zudrang zu den Meisterprüfungen<br />
chliesslich, der sich letztes Jahr und jetzt wieder<br />
>emerkbar macht, verrät sich ein gesundes Streben<br />
der jungen Generation nach beruflicher Vervollkommnung.<br />
Die an diesen Prüfungen gestellten<br />
Anforderungen sowie die strenge, aber gerechte<br />
Durchführung müssen Gewähr dafür bieten, dass<br />
die diplomierten Automechaniker, die allein Lehringe<br />
ausbilden und das Benzinverkaufsrecht durch<br />
lie Schweiz. Benzinunion erlangen können, sich<br />
,uch in der Praxis ihres Titels als würdig erweisen.<br />
Eine neue Paßstrasse im Kanton Schwyz<br />
dem Verkehr geöffnet<br />
Während des Krieges hatte die Armee zwischen<br />
em Tal von Einsiedeln und dem Wäggital eine<br />
Militärstrasse erstellt, welche über die Sattelegg<br />
führt und daher auf den Namen Satteleggtrasse<br />
getauft wurde. Als Verbindung zwischen<br />
en beiden Tälern erschliesst sie eine malerische<br />
egend. Bisher blieb sie dem zivilen Verkehr gesperrt,<br />
wenn 6ie auch « verbotenerweise » trotzdem<br />
befahren wurde. Vom letzten Samstag an nun<br />
ist sie durch einen Entscheid des Chefs des Eidg.<br />
Militärdepartements freigegeben und damit einem<br />
fom Kanton Schwyz 6eit Jahren immer wieder geiusserten<br />
Wunsch entsprochen worden. Er wollte<br />
ich damit die Möglichkeit verschaffen, Erfahrunen<br />
zu sammeln, um ein Bild davon gewinnen zu<br />
können, wie sich die Strasse bei der Oeffnungfür<br />
den allgemeinen Verkehr bewährt. Vorläufig kommt<br />
jedoch eine Uebernahme durch die Bezirke Einsiedeln<br />
und March nicht in Betracht, und die<br />
Strecke bleibt einstweilen militärisches Eigentum.<br />
Bei 10,5 km Länge und 4,5 m nutzbarer Breite<br />
weist die Satteleggstrasse eine Maximalsteigung<br />
on 10 % auf. Ihr Charakter als Bergstrasse wird<br />
unterstrichen durch die vielen und grossen Kunstauten,<br />
wie Bogenbrücken, Wendeplatten usw. Nur<br />
— ein Belag fehlt noch. Um die Stauhplage während<br />
der trockenen Jahreszeit auf ein erträgliches<br />
Mass zu reduzieren, sei deshalb den Motorfahrzeugführern,<br />
nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse,<br />
nahegelegt, die Strasse zahm zu befahren.<br />
Sich und andern erwiesen 6ie damit einen Dienst.<br />
Briafe über allgemein interessierende Fragen werden gerne<br />
zur Veröffentlichung entgegengenommen. Sie sind möglichst<br />
kurz zu fassen und an die Redaktion der < Automobil-Revue >,<br />
Breitenrainstr. 97, Bern, zu senden. Die Verwendung eines<br />
Pseudonyms ist gestattet, wenn der Redaktion Name und<br />
Adresse des Absenders bekanntgegeben werden.<br />
Scherereien am italienischen Zoll in Tubre<br />
(Sta. Maria)<br />
Für eine Einreise nach Italien besass ich kein<br />
Zolldokument, doch erklärte man mir auf zwei<br />
Touring-Club-Geschäftsstellen, dass ich mir an der<br />
Grenze ohne weiteres einen für zehn Taige gültigen<br />
Passierschein zu Fr. 2.40 ausstellen lassen und damit<br />
die italienische Grenze passieren könne. Wie<br />
wir dann am italienischen Zollamt Tubre im Münstertal<br />
nach Erledigung der Pass- und Zollkontrolle<br />
die Ausstellung dieses Scheins verlangten, weigerte<br />
sich der Kommandant mit'der Begründung,<br />
er besitze die Papiere und den Stempel dafür nicht,<br />
worauf wir den Beamten des Automobil-Club6 von<br />
Italien, Signor C, aus dem Cafe holten. « Va bene,<br />
va bene» sprach er und verschwand wieder. E6<br />
folgte ein langes Palaver mit dem Kommandanten,<br />
der mir, als er merkte, dass ich auf meinem Recht<br />
beharrte, den Vorschlag machte, für den Wagenden<br />
Zoll von 400 000 Lire zu hinterlegen. Eine Quittung<br />
dafür wollte er mir aber nicht ausstellen, weil<br />
er weder Papier noch Stempel habe (!). Im übrigen,<br />
fügte er hinzu, wäre es besser, den Zollbetrag<br />
in Schweizer Franken zu erlegen. Empört forderte<br />
ich darauf meine Papiere zurück, wandte mich<br />
nochmals an den Beamten des Automobil-Clubs<br />
und ersuchte ihn, in Gegenwart des Kommandanten<br />
das Zollamt Meran anzurufen, um mich dort<br />
für die Ausstellung und Abstempelung des Passierscheins<br />
anzumelden. «Non posso », war kurz<br />
und bündig die Antwort darauf.<br />
Zwei Tage später erzählte ich den Zwischenfall<br />
dem Kommandanten des italienischen Zolls in<br />
Campocologno. Nun, auch sie beeässen diese Papiere<br />
und den Stempel nicht, erwiderte «r mir,<br />
aber ich könne in zehn Minuten passieren. Er wolle<br />
nämlich das Zollamt in Tirano benachrichtigen, damit<br />
es orientiert sei. Im übrigen entschuldigte er<br />
sich, nicht ohne zu bemerken, das unliebsame Vorkommnis<br />
am Zollposten in Tubre sei dem dortigen<br />
Kommandanten und Signor C. zuzuschreiben, denn<br />
sie hätten die Angelegenheit ohne weiteres in Ordnung<br />
bringen können, F. F.<br />
Der Motorfahrzeugführer als Gegenstand der<br />
Tatbestandsaufnahme bei Verkehrsunfällen<br />
Der Tausendunderste jedoch verursacht, durSh'<br />
genau dasselbe Manöver einen Unfall und<br />
wird prompt bestraft, und diese Bestrafung steht<br />
zur Straflösigkeit der tausend übrigen in um 60<br />
krasserem Widerspruch, als sie sich ja in erster<br />
Linie nach dem angerichteten Schaden und gar<br />
nicht nach dem Grade des Verschuldens richtet,<br />
das vielleicht weit kleiner ist als jenes der tausend<br />
« Glücklichen», denen einfach nichts passierte.<br />
Daraus erwächst nun aber dem veräntwortungsbewussten<br />
Juristen das unbefriedigende Gefühl<br />
einer ungleichen Ahndung gleicher Fahrlässigkeit.<br />
Eben dieses Missverhältnis zwischen Schuld und<br />
Sühne im Verkehrsstrafrecht deckt nun aber die<br />
öffentliche' Meinung- durch ihre gewöhnliche Reaktion<br />
auf Verkehrsunfälle und deren gerichtliche<br />
Erledigung. Sie ist e6, die ihr Urteil normalerweise<br />
auf Grund, des «Erfolges » eines solchen Ereignisses<br />
fällt. In Wirklichkeit liegen aber die Dinge<br />
doch in unzähligen Fällen so, dass Schuld und « Erjfolg»<br />
in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen,<br />
indem gerade die schlimmsten Stra66enwildlinge<br />
gerade noch « Glück haben» und durchschlüpfen,<br />
ohne einen Unfall zu verursachen, während<br />
sie in Tat und Wahrheit die bedenklichsten<br />
Schädlinge des Strassenverkehrs sind. .<br />
4. Der Motorfahrzeugführer als Objekt der<br />
Tatbestandsaufnahme,<br />
(Schluss von'« Seite 1.)<br />
Zeigen die bisherigen Darlegungen, welch wichtige<br />
Rolle die Persönlichkeit der an einem Unfall<br />
beteiligten Strassenbenützer und insbesondere der<br />
in ihn verwickelten Motorfahrzeugführer bei der<br />
Abklärung der Kausalzusammenhänge und Schuldverhältnisse<br />
spielen, so ist leider festzustellen,<br />
dass diese subjektiven Momente bei der polizeilichen<br />
Tatbestandsaufnahme allzu leicht übersehen<br />
oder doch vernachlässigt werden. Um 60 dringlicher<br />
ist eine Aufnahme der subjektiven Tatbestände an<br />
Ort und Stelle, die an Gründlichkeit jener der modernen<br />
Methoden bei der Fixierung der äusseren,<br />
mechanischen Unfalkpuren ebenbürtig ist.<br />
Allerdings stellen sich, wie Dr. Früh darlegte,<br />
der Verwirklichung dieser Forderung sehr grosse<br />
Schwierigkeiten entgegen. Sie liegen zu allererst in<br />
der Erscheinung begründet, dass zwischen zwei<br />
sich gegenüberstehenden Menschen sofort eine<br />
psychologische Beziehung entsteht, die es unter<br />
Umständen beiden bis zur Unmöglichkeit erschweren<br />
kann, sich objektiv zu verstehen und zu verständigen.<br />
Der Polizist, der auf dem Schauplatz<br />
eines Verkehrsunfalles angesichts eines tödlich verletzten<br />
Radfahrers einen scheinbar fröhlich lächelnden<br />
Automobilisten vorfindet, bedarf schon reicher<br />
Erfahrung im Umgang mit Menschen, um hinter<br />
der Maske dieses Zwangslächelns das Entsetzen<br />
des Motorfahrzeugführers zu erkennen und unbefangen<br />
dessen Erklärungen entgegenzunehmen,<br />
BRIEFE DER LESER AN DIE A.-R.<br />
d.ie^.seine Schuldlpsigkeit dartun sollen und nach<br />
allseitiger objektiver Ueberprüfung auch wirklich<br />
dartun. -Der—Polizeikommissär, dem neben der<br />
entstellten Leiche eines zweiten Radfahrers ein<br />
Autobesitzer mit einem Stück Kaugummi im Munde<br />
gegenübertritt, muss alle seine Selbstbeherrschung<br />
zusammennehmen, um trotz des anfänglichen Widerwillens<br />
gegen ein auf den ersten Blick so zynisches<br />
Verhalten in aller Sachlichkeit seine Erhebungen<br />
durchzuführen und sich nicht aus purem<br />
Rachegefühl gegen eine solche « Gefühllosigkeit ><br />
der zwingenden Erkenntnis zu verschliessen, das«<br />
der Betreffende an dem Unfall vollkommen unschuldig<br />
ist.<br />
Nur eine strenge Erziehung zu unbedingter<br />
Sachlichkeit setzt den Polizisten instand, derartigen<br />
Versuchungen zu rein gefühlsmässiger negativer<br />
Einstellung gegenüber den Unfallbeteiligten zu<br />
widerstehen. Beim Strassenbenützer bedarf es umgekehrt<br />
der Einsicht, das6 der Polizist den festen<br />
Willen zur Hilfe bei der Abklärung des Unfalles<br />
besitzt,<br />
5. Unfallursachen in der Person des Motorfahrzeugführers.<br />
Diese mehr allgemeinen Betrachtungen mögen<br />
manchem Leser eher etwas abstrakt vorkommen.<br />
Mit gespanntem Interesse wird er aber wohl zur<br />
Kenntnis nehmen, was der Chef der Zürcher Kriminalpolizei<br />
zu dem in vorstehender Ueberschrift<br />
umrissenen Thema ausführte. Hier nämlich bekundete<br />
Dr. Früh tiefes Verständnis für die ganze verwickelte<br />
Situation etwa eines Automobilisten im<br />
Strom des Strassenverkehrs. Wohl noch nie 6ind<br />
bei uns diese für den Verkehrsablauf so entscheidenden<br />
Faktoren derart klar, ja man muss beinahe<br />
sagen kühn dargestellt worden wie in diesem<br />
Vortrag, dem man die grösste Verbreitung vor<br />
allem auch in den Kreisen der Justiz wünschen<br />
möchte. Denn die Rechtsprechung über Verkehrsdelikte<br />
ist ja bei uns noch weitgehend durch eine<br />
erschreckende Unkenntnis der Richter über die<br />
sehr komplizierten «Kräfte » gekennzeichnet, die<br />
das Verkehrsgetriebe auf der Strasse bestimmen.<br />
Vor allem die « niedere » Verkehrsjustiz in Gestalt<br />
der Polizeistrafrechtspflege krankt vielerorts an<br />
einem Dilettantismus, der eher Verheerungen anrichtet,<br />
statt Segen zu stiften, weil er die wirklichen<br />
Ursachen der Verkehrsgefahren mehr verwischt<br />
denn klarstellt.<br />
6. Ortskenntnis und Verkehrssicherheit.<br />
Einen der allerwichtigsten Abschnitte des spannenden<br />
Referates stellen zweifellos die Ausführungen<br />
von Dr. Früh über die Bedeutung der Ortskenntnis<br />
für die sichere Verkehrsabwicklung dar.<br />
«Wo der ortskundige Fahrer einzig und allein<br />
auf den Verkehr achten muss und bezüglich<br />
Fahrweise, Geschwindigkeit, Abbicgesignal usw.<br />
vorausdisponieren kann, muss sich der Orlsremde<br />
von Markierung zu Markierung, von<br />
Signal zu Signal stufenweise durchwinden und<br />
dabei auf viele Einzelheiten achten, ja diese<br />
geradezu suchen. Dass daneben die Achtung<br />
auf die sich ständig verändernden Verkehrssituaionen<br />
selbst eine sehr grosse Belastung darstellt,<br />
dass die ganze Situation im allgemeinen ein Unsicherheitsgefühl<br />
schafft, braucht nicht begründet<br />
zu werden. » Im weiteren Verlauf seiner Darlegungen<br />
kam Dr. Früh zu der sehr mutigen Schluss-<br />
'olgerung: « Wenn wir bei Verkehrsunfällen schon<br />
nach einem strafrechtlichen Verschulden suchen,<br />
60 hat der Beschuldigte das Recht, dass seine für<br />
den Unfall in Betracht kommende Ortskenntnis in<br />
die Ueberlegungen {des Gerichtes) einbezogen<br />
wird. »<br />
Geradezu sensationell -waren dann aber die<br />
Ausführungen über die Bedeutung der Fahrgeschwindigkeit<br />
für die Tatbestandsaufnahme und<br />
Schuldbemessung bei Verkehrsunfällen, Man weiss,<br />
welche Rolle das Tempo eines Autofahrers in solchen<br />
Prozessen zu spielen pflegt. Ebenso bekannt<br />
ist aber, dass es in der weit überwiegenden Mehrzahl<br />
der Fälle völlig losgelöst von der Geschwindigkeit<br />
des allgemeinen Verkehrsstrom« in der betreffenden<br />
Strasse gewertet wird. Da ist es nun<br />
von allergrösster Bedeutung, dass Dr. Früh wohl<br />
zum ersten Male da« kollektive Verkehrstempo «J«<br />
Richtmass für die Zulässigkeit oder UnzuJässigkeit<br />
der Geschwindigkeit eines einzelnen Fahrer« bezeichnet<br />
hat, und zwar ausdrücklich im Interesse<br />
der Gerechtigkeit! Er kleidete diese wegweisenden<br />
Darlegungen in die folgenden, von grosser Zrvilcourage<br />
zeugenden Worte: « Wenn auch das subjektiv«<br />
Verschulden nach den Umständen des Einzelfalles<br />
bemessen wird, so darf... sicher nicht<br />
ausser acht gelassen werden, wie weit sich der betreffende<br />
Motorfahrzeugführer von der an diesem<br />
Unfallort überhaupt üblichen Fahrweise entfernt<br />
hat... und ob auf dem betreffenden Strassenstück<br />
üblicherweise gerast wird oder ob das Schnellfahren<br />
des Unfallverursachers eine unverantwortliche<br />
Abweichung von der sonst durch alle Fahrer erkannten<br />
und berücksichtigten Pflicht zu vorsichtigem<br />
Fahren bedeutet. »<br />
Die eigentliche Quintessenz dieser Ueberiegungen<br />
lag aber in dem folgenden Satz, denen wir<br />
kein Wort mehr beizufügen brauchen:<br />
«Es geht m. E. nicht an, dase man<br />
nicht vorher gegen diese Raserei<br />
an und für sich einschreitet, wenn<br />
man diese dann beim Unfall 6elb6t<br />
als ausschlaggebendes Merkmal<br />
für die strafrechtlich belangbare<br />
Fahrlässigkeit annehmen will.»<br />
7. Ablenkende Einflüsse.<br />
Es ißt eine bekannte Tatsache, dass der Autofahrer<br />
einer Ueberfülle von äusseren Einwirkungen<br />
ausgesetzt ist, die seine Aufmerksamkeit von<br />
der Fahrbahn abzulenken geeignet sind. Teils handelt<br />
es sich dabei um Vorgänge in seinem Wagen<br />
selbst, wie etwa die Manipulation an all den verschiedenen<br />
Betätigungsgriffen, "das Schliessen einer<br />
nicht ganz geschlossenen Tür und was derlei Dinge<br />
mehr sind. Zum andern Teil aber dringen diese Einflüsse<br />
von ausserhalb des Fahrzeugs her auf den<br />
Fahrer ein, 6ei es, dass Schaufenster oder andere<br />
Blickfänge seine Augen auf sich ziehen, sei es, dass<br />
vorübergehende Personen, aussergewöhnliche Vorgänge<br />
am Straeeenrand sein Interesse erregen, sei<br />
es endlich, dass er durch die Effekte der Strassenbeleuchtung<br />
oder anderer Lichtquellen geblendet<br />
oder doch in Anspruch genommen wird. Auch hier<br />
wartet der Polizei bei der Tatbestandsaufnahme<br />
eine sehr wichtige Aufgabe im Dienst der Testlosen<br />
Abklärung der Unfallursachen und der<br />
Schuldverhältnisse. Vielfach nämlich 6ind die Momente,<br />
die ihn von der Beachtung von Strasse und<br />
Verkehr abgelenkt haben, dem Fahrzeugführer<br />
selber gar nicht bewusst, so da&s er ausserstande<br />
ist, 6ie geltend zu machen.<br />
8. Rechtspolitische Schlussfolgerungen.<br />
Unterstützung aber verdienen die allgemeine«<br />
Schlussfolgerungen mit Bezug auf die Verkehrsrechtspflege,<br />
in welche die Betrachtungen des Leiters<br />
der Zürcher Kriminalpolizei ausmündeten. Dr.<br />
Früh sagte nämlich, es könnte übertrieben und unrentabel<br />
erscheinen, nur um der Bestrafung des<br />
einzelnen Schuldigen willen so viele Momente in<br />
die polizeiliche Tatbestandsaufnahme bei einem<br />
Unfall einzubeziehen. Beim heutigen noch sehr unvollkommenen<br />
Stand der Unfallverhütung sei aber<br />
keine Massnahme zuviel, die irgendwie mithelfen<br />
könne, eine ernsthafte Forschung und eine tatkräftige<br />
Auswertung im Interesse der Volksgesundheit<br />
zu unterstützen. Seine Darlegungen schloss der<br />
Referent mit einem Blick auf den gegenwärtigen<br />
Verfall der Rechtsprechung in Unfallsachen infolge<br />
der Ueberlastung von Verwaltung und Justiz.<br />
« Man wird » — darin klangen seine tiefschürfenden<br />
und klaren Gedankengänge aus — « nicht darum<br />
herumkommen, das Problem grosszügig und<br />
energisch zu lösen. Persönlich sehe ich eine Lösungsmöglichkeit<br />
nur darin, das heutige System der<br />
Strafrechtspflege und der administrativen Massnahmen<br />
in ein neues, auch auf die modernen Verkehrsdelikte<br />
zugeschnittenes Verfahren zu bringen,<br />
ein Verfahren, bei dem wirkliche Schuld in jedem<br />
Falle zur richtigen Bestrafung führt und welche«<br />
festgestellte Unfallursachen nicht nur theoretisch<br />
sondern auch in der Praxis zu beseitigen vermag. ><br />
H.W.Thommen.