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der Seele mil dem Körper al)liängig , sondern beruht allein nnt den<br />
durch die sinnliche Wahrnehnuing percipirten Vorsteünngen. Die<br />
sinnliche Wahrnehmung ist gemeinsiim der Seele und dem Körper;<br />
die Seele übernimmt dabei die Rolle <strong>des</strong> Künstlers, der Körper die<br />
<strong>des</strong> Instruments; er empfängt einen Eindruck, die Seele lallt darüber<br />
ein Urtheil. Das Gedächtniss in<strong>des</strong>sen bewahrt allein, die von<br />
der sinnlichen Wahrnehmung bereits aufgefassten Eindrücke. Es<br />
gehört also nur der Seele , nicht gemeinsam dem Körper und der<br />
Seele zu. Die Erscheinung, dass die Güte <strong>des</strong> Gedächtnisses von<br />
der Leibesbeschaffenheit abzuhängen scheint, ist kein Beweis dagegen,<br />
insofern hier der Körper nur als hindernd oder nicht hindernd,<br />
nicht aber als fördernd oder nöthig eintritt. Auch giebt es<br />
Dinge, die der Körper nicht erkennen kann, und an die sich die<br />
Seele erinnert, so dass also das Gedächtniss nicht vom Körper abhängig<br />
sein kann. Es giebt demnach Affectionen und Thätigkeiten,<br />
welche die Seele ohne Mitwirkung <strong>des</strong> Körpers nicht haben kann;<br />
sie besitzt aber auch Kräfte, deren Wirksamkeit allein von ihr abhängt,<br />
z.B. orvalodrjoig, TcaQaTcolovd^rjGig ^ owd-ioig, ovreaig.<br />
Zu ihnen gehört auch das Gedächtniss. Durch Vereinigung mit dem<br />
Körper kommt die Seele zum Verlust dieses Gedächtnisses, durch<br />
Sonderung und Reinigung findet sie es wieder. Nicht Gott also,<br />
nicht der Vernunft, nicht dem Körper, nicht der dem Körj)er vereinigten<br />
Seele (dem ^coov) , der menschlichen Seele einzig und allein<br />
kommt das Gedächtniss zu.<br />
Es giebt aber zwei Arten von Seelen, die sinnliche Seele und<br />
die göttliche vernünftige Seele, und es entsteht die Frage, welcher<br />
Seele und welcher Seelenkraft das Gedächtniss zugehört?<br />
Mit Empfindung, mit Begierde und Zorn hat das Gedächtniss<br />
nichts zu schaffen, denn nicht dieselben Kräfte und Thätigkeiten<br />
empfinden und erinnern sich der Empfindung, Begehren und erinnern<br />
sich der Begierde. Zur sinnlichen Wahrnehmung ist das<br />
Verhältniss <strong>des</strong> Gedächtnisses folgen<strong>des</strong>: Der Act der sinnlichen<br />
Wahrnehmung ruft in der Seele ein Bild hervor. Die Einbildungskraft,<br />
die von der sinnhchen Wahrnehmung verschieden ist, besitzt<br />
das Vermögen, diese Bilder aufzubewahren und sich zurückzurufen.<br />
So bedient sich also die Einbildungskraft der Sinnlichkeit und behält<br />
die Vorstellungen davon zurück. Erhält diese Kraft das Bild <strong>des</strong><br />
abwesenden Objects, so macht sie das Gedächtniss aus, und jenachdem<br />
das Bild längere oder kürzere Zeit bleibt, das Gedächtniss