Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
6 KÖLN<br />
Omar<br />
Jalal<br />
FLÜCHTLINGE<br />
„Ich will nicht zurück dahin, da werde ich umgebracht.“<br />
Wenn ein Mensch flüchtet, lässt er<br />
vieles hinter sich: Teile seiner Kultur,<br />
seiner Identität und nicht zuletzt die Zukunft,<br />
die sich der Mensch in seiner Heimat<br />
aufgebaut hatte. Hier im Exil wird neu<br />
gestartet, mit neuen Regeln, neuer Kultur<br />
und gänzlich neuem Umfeld.<br />
DER GEDECKTE TISCH<br />
Sofra: Das Wort stammt aus dem<br />
Arabischen und bedeutet „Esstisch“. Ein<br />
gedeckter Tisch, an dem die Familie zusammenkommt.<br />
Wer geflohen ist, hat oft<br />
keine Familie. Oder musste fliehen, weil die<br />
Familie ihn oder sie verstoßen hat. Umso<br />
wichtiger ist zum Beispiel dieses monatliche<br />
Projekt in Köln, das im Jugendzentrum<br />
anyway von Ibrahim Mokdad und Ina Wolf<br />
ins Leben gerufen wurde, denn es gibt den<br />
jungen Menschen für ein Essen lang „ein<br />
Gefühl von Familie“. Junge Geflüchtete, die<br />
auch im Exil ihre wahre Identität verstecken<br />
müssen, die in ihrer Heimat als unnatürlich<br />
gilt und abgelehnt wird. Ablehnung, die<br />
ihnen auch hier jeden Tag in den Unterkünften<br />
begegnet, wo sie mit Menschen<br />
zusammenleben, die kein Verständnis dafür<br />
haben, dass sie so sind, wie sie sind. Umso<br />
wichtiger ist das „Sofra Dinner“ für die<br />
jungen Menschen, das weit mehr ist als ein<br />
einfaches Essen. Verständlich, dass einige<br />
sogar aus Kassel oder Stuttgart angereist<br />
kommen und das Dinner für sie den<br />
Höhepunkt des Monats darstellt, denn<br />
neben dem Essen gibt es die Möglichkeit,<br />
sich mit anderen Menschen der LGBTIQ*-<br />
Community auszutauschen, Filme zu<br />
schauen, gemeinsam Musik zu hören (und<br />
zu tanzen) oder an kleinen Workshops teilzunehmen.<br />
Vor allem auch endlich mal man<br />
selbst zu sein, ohne die Angst, der eigenen<br />
Identität wegen diskriminiert oder sozial<br />
geächtet zu werden. Bessere Integration<br />
und ein schnelleres Erlernen der deutschen<br />
Sprache sind positive Nebeneffekte,<br />
die der interkulturelle Austausch mit sich<br />
bringt. – Wir unterhalten uns mit drei jungen<br />
Menschen über ihre Erfahrungen und<br />
Erwartungen.<br />
Omar kam vor fünf Monaten nach<br />
Deutschland. Er ist wegen seiner Homosexualität<br />
aus Tadschikistan geflohen,<br />
einem autoritär regierten Staat, der zu den<br />
repressivsten der Erde zählt. Ehemals Teil<br />
der Sowjetunion, haben sich die Einwohner<br />
nach deren Zusammenbruch zunehmend<br />
dem Islam zugewandt. Entsprechend ablehnend<br />
ist die konservative Gesellschaft gegenüber<br />
LGBTIQ*-Menschen. „Ich lebe seit<br />
sechs Jahren offen, ich hatte mein Comingout<br />
zu einer sehr unpassenden Zeit: als ich<br />
noch zur Schule ging. Ich konnte es auch<br />
nicht verstecken. Die Gerüchte nahmen<br />
ihren Lauf, das war gegen die religiösen<br />
Gepflogenheiten. Es war ein großer Schock<br />
für meine Eltern. Mein Vater und mein Bruder<br />
waren sehr grob zu mir, sie haben mich oft<br />
geschlagen.“ Und die Gewalt beschränkte<br />
sich nicht auf sein Zuhause. „Gangs in den<br />
Straßen, die mich kannten, verprügelten<br />
mich auf das Brutalste, seitdem habe ich<br />
Kopfschmerzen. Es ist eine große Schande,<br />
schwul zu sein. Als Schwuler wird man dort<br />
wie ein Tier behandelt.“ Der einzige Ausweg<br />
war die Flucht. „Ich bin mit dem Flugzeug<br />
von Duschanbe nach Frankfurt geflogen<br />
und habe hier Asyl beantragt.“ Als Asylant<br />
lebt er mit vielen anderen Geflüchteten in<br />
einem Flüchtlingsheim. Deutsch hatte er<br />
schon in der Schule. Vorkenntnisse, die es<br />
ihm einfacher machen, die Sprache so gut<br />
zu lernen, dass er bald Wirtschaft studieren<br />
kann. Sein erstes Fazit nach der Ankunft:<br />
„Für mich war es eine große Überraschung,<br />
dass Menschen dich hier nicht danach beurteilen,<br />
wer du bist. Du bist hier frei, kannst<br />
unbehelligt über die Straße gehen. Ich bin so<br />
glücklich, hier als schwuler Mensch leben zu<br />
können.“ Und wie sieht es mit der Mentalität<br />
aus? „Die Menschen hier sind sehr<br />
offen, freundlich und hilfsbereit. Wenn man<br />
fragt, helfen sie einem. Aber ich habe kleine<br />
Unterschiede festgestellt, dass die Menschen<br />
hier sehr streng sind mit Arbeit, Zeit,<br />
Gründlichkeit. Sie machen sich viele Sorgen<br />
um das Gesetz, um Vorschriften. Wenn in<br />
meinem Land zum Beispiel jemand stürzt,<br />
helfen die Menschen demjenigen sofort und<br />
bringen ihn ins Krankenhaus. Hier ruft man<br />
den Rettungswagen und wartet.“<br />
Igor kommt aus Mazedonien und lebt seit<br />
2013 hier. „Ich bin geflohen, weil ich in<br />
Mazedonien Probleme damit habe, dass ich<br />
schwul bin. Ich habe Probleme mit Polizisten,<br />
mit der Familie, der Gesellschaft. Ich habe<br />
sogar geheiratet und zwei Kinder, um in<br />
Ruhe gelassen zu werden, aber ich musste<br />
weg.“ Irgendwann war der Druck zu groß,<br />
das Versteckspiel zu gefährlich. Ähnlich wie<br />
in Tadschikistan erfährt man Ablehnung<br />
und Ächtung – und das mitten in Europa.<br />
Er ist froh, dass das hinter ihm liegt, und<br />
nimmt, wann immer sich die Gelegenheit<br />
bietet, aktiv an vielen CSDs teil. „Das Gute<br />
an Deutschland ist, dass niemand einen