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rik April 2018

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6 KÖLN<br />

Omar<br />

Jalal<br />

FLÜCHTLINGE<br />

„Ich will nicht zurück dahin, da werde ich umgebracht.“<br />

Wenn ein Mensch flüchtet, lässt er<br />

vieles hinter sich: Teile seiner Kultur,<br />

seiner Identität und nicht zuletzt die Zukunft,<br />

die sich der Mensch in seiner Heimat<br />

aufgebaut hatte. Hier im Exil wird neu<br />

gestartet, mit neuen Regeln, neuer Kultur<br />

und gänzlich neuem Umfeld.<br />

DER GEDECKTE TISCH<br />

Sofra: Das Wort stammt aus dem<br />

Arabischen und bedeutet „Esstisch“. Ein<br />

gedeckter Tisch, an dem die Familie zusammenkommt.<br />

Wer geflohen ist, hat oft<br />

keine Familie. Oder musste fliehen, weil die<br />

Familie ihn oder sie verstoßen hat. Umso<br />

wichtiger ist zum Beispiel dieses monatliche<br />

Projekt in Köln, das im Jugendzentrum<br />

anyway von Ibrahim Mokdad und Ina Wolf<br />

ins Leben gerufen wurde, denn es gibt den<br />

jungen Menschen für ein Essen lang „ein<br />

Gefühl von Familie“. Junge Geflüchtete, die<br />

auch im Exil ihre wahre Identität verstecken<br />

müssen, die in ihrer Heimat als unnatürlich<br />

gilt und abgelehnt wird. Ablehnung, die<br />

ihnen auch hier jeden Tag in den Unterkünften<br />

begegnet, wo sie mit Menschen<br />

zusammenleben, die kein Verständnis dafür<br />

haben, dass sie so sind, wie sie sind. Umso<br />

wichtiger ist das „Sofra Dinner“ für die<br />

jungen Menschen, das weit mehr ist als ein<br />

einfaches Essen. Verständlich, dass einige<br />

sogar aus Kassel oder Stuttgart angereist<br />

kommen und das Dinner für sie den<br />

Höhepunkt des Monats darstellt, denn<br />

neben dem Essen gibt es die Möglichkeit,<br />

sich mit anderen Menschen der LGBTIQ*-<br />

Community auszutauschen, Filme zu<br />

schauen, gemeinsam Musik zu hören (und<br />

zu tanzen) oder an kleinen Workshops teilzunehmen.<br />

Vor allem auch endlich mal man<br />

selbst zu sein, ohne die Angst, der eigenen<br />

Identität wegen diskriminiert oder sozial<br />

geächtet zu werden. Bessere Integration<br />

und ein schnelleres Erlernen der deutschen<br />

Sprache sind positive Nebeneffekte,<br />

die der interkulturelle Austausch mit sich<br />

bringt. – Wir unterhalten uns mit drei jungen<br />

Menschen über ihre Erfahrungen und<br />

Erwartungen.<br />

Omar kam vor fünf Monaten nach<br />

Deutschland. Er ist wegen seiner Homosexualität<br />

aus Tadschikistan geflohen,<br />

einem autoritär regierten Staat, der zu den<br />

repressivsten der Erde zählt. Ehemals Teil<br />

der Sowjetunion, haben sich die Einwohner<br />

nach deren Zusammenbruch zunehmend<br />

dem Islam zugewandt. Entsprechend ablehnend<br />

ist die konservative Gesellschaft gegenüber<br />

LGBTIQ*-Menschen. „Ich lebe seit<br />

sechs Jahren offen, ich hatte mein Comingout<br />

zu einer sehr unpassenden Zeit: als ich<br />

noch zur Schule ging. Ich konnte es auch<br />

nicht verstecken. Die Gerüchte nahmen<br />

ihren Lauf, das war gegen die religiösen<br />

Gepflogenheiten. Es war ein großer Schock<br />

für meine Eltern. Mein Vater und mein Bruder<br />

waren sehr grob zu mir, sie haben mich oft<br />

geschlagen.“ Und die Gewalt beschränkte<br />

sich nicht auf sein Zuhause. „Gangs in den<br />

Straßen, die mich kannten, verprügelten<br />

mich auf das Brutalste, seitdem habe ich<br />

Kopfschmerzen. Es ist eine große Schande,<br />

schwul zu sein. Als Schwuler wird man dort<br />

wie ein Tier behandelt.“ Der einzige Ausweg<br />

war die Flucht. „Ich bin mit dem Flugzeug<br />

von Duschanbe nach Frankfurt geflogen<br />

und habe hier Asyl beantragt.“ Als Asylant<br />

lebt er mit vielen anderen Geflüchteten in<br />

einem Flüchtlingsheim. Deutsch hatte er<br />

schon in der Schule. Vorkenntnisse, die es<br />

ihm einfacher machen, die Sprache so gut<br />

zu lernen, dass er bald Wirtschaft studieren<br />

kann. Sein erstes Fazit nach der Ankunft:<br />

„Für mich war es eine große Überraschung,<br />

dass Menschen dich hier nicht danach beurteilen,<br />

wer du bist. Du bist hier frei, kannst<br />

unbehelligt über die Straße gehen. Ich bin so<br />

glücklich, hier als schwuler Mensch leben zu<br />

können.“ Und wie sieht es mit der Mentalität<br />

aus? „Die Menschen hier sind sehr<br />

offen, freundlich und hilfsbereit. Wenn man<br />

fragt, helfen sie einem. Aber ich habe kleine<br />

Unterschiede festgestellt, dass die Menschen<br />

hier sehr streng sind mit Arbeit, Zeit,<br />

Gründlichkeit. Sie machen sich viele Sorgen<br />

um das Gesetz, um Vorschriften. Wenn in<br />

meinem Land zum Beispiel jemand stürzt,<br />

helfen die Menschen demjenigen sofort und<br />

bringen ihn ins Krankenhaus. Hier ruft man<br />

den Rettungswagen und wartet.“<br />

Igor kommt aus Mazedonien und lebt seit<br />

2013 hier. „Ich bin geflohen, weil ich in<br />

Mazedonien Probleme damit habe, dass ich<br />

schwul bin. Ich habe Probleme mit Polizisten,<br />

mit der Familie, der Gesellschaft. Ich habe<br />

sogar geheiratet und zwei Kinder, um in<br />

Ruhe gelassen zu werden, aber ich musste<br />

weg.“ Irgendwann war der Druck zu groß,<br />

das Versteckspiel zu gefährlich. Ähnlich wie<br />

in Tadschikistan erfährt man Ablehnung<br />

und Ächtung – und das mitten in Europa.<br />

Er ist froh, dass das hinter ihm liegt, und<br />

nimmt, wann immer sich die Gelegenheit<br />

bietet, aktiv an vielen CSDs teil. „Das Gute<br />

an Deutschland ist, dass niemand einen

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