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Dietrich Klinge – Orte

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Raum, Zeit und Ort<br />

22<br />

Diese Ausgangsbemerkungen waren notwendig, um die Eigentümlichkeit und auch die<br />

Radikalität kennzeichnen zu können, mit der wir heute von einer „Philosophie des Ortes“<br />

sprechen. 2 Damit ist etwas anderes und viel mehr gemeint als das, was man seit<br />

jeher mit dem klassischen Topos des genius loci verbunden hat. 3 Es geht nicht darum,<br />

dass bestimmte Orte für einen Sinn, eine Bedeutung oder eine Anziehungskraft stehen,<br />

die sie gegenüber anderen Orten unverwechselbar und faszinierend macht. Es geht auch<br />

hier wieder nicht um irgend eine „Botschaft“, die sich an einem bestimmten Ort aus historischen<br />

oder sonstigen Gründen finden ließe und durch Philosophie oder auch durch<br />

Kunst an ihre potentiellen Empfänger zu vermitteln wäre. Sondern es geht um die Bedeutung,<br />

die wir für unser ganzes menschliches Dasein dem entnehmen können, was den<br />

Ort überhaupt ausmacht; also nicht um irgend einen bestimmten Ort, nicht um das, was<br />

dieser oder jener Ort an sich hat oder was es mit ihm auf sich hat, sondern um das, was<br />

das Wort „Ort“ überhaupt bedeutet, es geht um das Sein des Ortes. Wer so spricht, fährt<br />

natürlich schweres philosophisches Geschütz auf und erweckt den Verdacht, auf etwas<br />

sehr Abstraktes hinauszuwollen, das gerade dem konkreten, anschaulichen Anspruch des<br />

Kunstwerks entgegen gerichtet sein müsse. Und in der Gefahr solcher abgehobenen Abstraktheit<br />

steht die Philosophie ja durchaus und immer wieder. Es gibt aber gegen diese<br />

Gefahr kein besseres Abwehrmittel, als mit einem künstlerischen Werk in Dialog zu treten,<br />

dem gerade der Anspruch innewohnt, Antwort auf den Ort zu sein, an dem es ihn erhebt.<br />

Das eben tut, wenn und soweit mein bescheidenes Maß an Verständnis von ihm richtig ist,<br />

das Werk von <strong>Dietrich</strong> <strong>Klinge</strong>.<br />

Den entscheidenden Punkt hat mit Blick auf den Ort der hier dokumentierten Ausstellung,<br />

also auf die Stadt Ansbach, Alfred Meyerhuber in seinem Vorwort zu diesem Band ganz<br />

klar markiert: „Die Stadt hat Skulpturen gezeigt. Das war gut und in Ordnung. Jetzt aber<br />

werden der Stadt Skulpturen gezeigt!“ Und dies wiederum nicht, um die Stadt über irgend<br />

etwas zu belehren, sondern im Gegenteil: um den Anspruch, der aus den Orten spricht, an<br />

die sich die Werke stellen, in ihnen, in ihrer Antwort auf ihn selbst zum Sprechen zu bringen.<br />

Das ist der eigentlich philosophische Schritt im Weg der hier versammelten Kunst,<br />

der eine weitere Schritt, mit dem nun auch noch das Werk nicht nur seinen Besucher einlädt,<br />

sondern sich selbst noch einmal als den Besucher dessen darstellt, zu dem es hier<br />

gekommen ist: seines Ortes. Dieser wird damit nun selbst noch in das Spiel einbezogen,<br />

als das sich das Werk, sein Betrachter und der, der ihn durch es betrachtet, in einander<br />

verschieben.<br />

So bekommt hier der Ort, an den es tritt und an den es führt, eine für das Kunstwerk konstitutive<br />

Bedeutung. Das ist ein Topos originär philosophischer Kunst, wie er etwa als die<br />

„geborgte Landschaft“ im japanischen Garten, unüberboten im Shugakuin-Tempel in Kyoto,<br />

Berühmtheit erlangt hat. Man wird durch den Garten an den Ort geführt, an dem der Blick in<br />

die ihn umgebende, also zu ihm als Kunstwerk gerade nicht gehörende Naturlandschaft, die<br />

Szenerie erst vervollständigt, die durch die zu ihm gestaltete Kunstlandschaft gebildet werden<br />

sollte. Und auch diese klassische Wechselbestimmung von Ort und Kunst hat schon eine<br />

2<br />

Vgl. dazu den aus dem gleichnamigen Eichstätter<br />

Graduiertenkolleg hervorgegangenen<br />

Band von Annika Schlitte/Joost van Loon/<br />

Thomas Hünefeldt/Daniel Romic (Hrsg.): Philosophie<br />

des Ortes. Reflexionen zum Satial<br />

Turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften,<br />

Bielefeld 2014.<br />

3<br />

Obwohl auch dieser alte Begriff heute, insbesondere<br />

in der Architekturphilosophie, in neuer<br />

Aktualität gebraucht und weiterentwickelt<br />

wird; vgl. dazu Tomás Valena: Beziehungen.<br />

Über den Ortsbezug in der Architektur, Aachen/Berlin<br />

1994, insbes. Kapitel 5, 75 ff.

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