der axis mundi, als Weltachse, als Verbindung von Himmel und Erde, Gott und Mensch. Und dieser Pfeiler trägt dienend die Last der Fragmente der Arme und das Haupt. Aus dem waagrechten Balken, also den Schultern und Stücken der Oberarme, wächst der, ebenso wie eine Säule wirkende, Hals und auf diesem sitzt - unverrückbar will man meinen - der Kopf des Figurenfragmentes. Alles scheint stark und fest gefügt in dieser, unseren Augen vorgeführten, Wirklichkeitsform. Doch dieser Eindruck täuscht! Wer lässt sich nicht allzu oft und allzu bereitwillig von dem, was wir sehen, besser was wir zu sehen meinen oder gar (nur?) glauben, täuschen? Denn der männlich-starke Torso ist im Grunde schwach, schwach wie die Figur aus dem Traum des Nebukadnezar, der „ein großes und hohes und sehr glänzendes Bild“ 7 „vor sich sah, das gleichwohl auf einem tönernen Fuß stand. Und das Standbild, „des Bildes Haupt... von feinem Golde“ 8 war, 7 wurde durch einen einzigen Stein, der den Tonfuß zerschlug, es an seiner schwächsten Stelle Bibel, Daniel, Kapitel 2, Vers 31 8 also traf und ihm die Standfestigkeit raubte, zermalmt, „wie eine Spreu auf der Sommertenne Bibel, Daniel, Kapitel 2, Vers 32 und der Wind verwehte sie, dass man sie nirgends mehr finden konnte.“ 9 9 Bibel, Daniel, Kapitel 2, Vers 35 44
Ein gleichwertig tiefes Bild zeigt <strong>Dietrich</strong> <strong>Klinge</strong>. Der ausdrucksstarke Kopf, überlebensgroß, neigt sich über seine Armstümpfe hinunter zu den Menschen. Das Antlitz zeigt keine Spuren von Gewalt. Furchen, Schnitte, Risse im Holz eingegraben, zeigen Nachdenklichkeit. Die Lippen formulieren eher das zu Erleidende, als das Erlittene, eher Trauer, als Schmerz. Das schwere Haupt mit den mächtigen Stücken der Schultern und Arme, die eine dem „sehenden Betrachter“ offenkundige Fortsetzung abverlangen - im Nichts - , droht jedoch zu stürzen. Drei Keile sind die einzige Verbindung zwischen Figurenfragment und Pfeiler, der zugleich Sockel und Erhöhung hierfür ist. Keile, eigentlich nicht geeignet, wesentliche Bausteine einer Skulptur zu sein, die kleinsten jedoch nur vermeintlich unbedeutendsten Teile von ‘Gordian IX‘. Denn sie sind es, die das Haupt vor seinem tiefen Sturz retten . Hinter der Wirklichkeitsform dieser Skulptur verbirgt sich also eine existenzielle Möglichkeitsform. Wenn nämlich nur ein einziger der Keile (zwei im vorderen Bereich, einer rückseitig) entfernt, ja wenn dieser lediglich ein wenig, ein wenig zu viel freilich , bewegt werden würde, dann wäre dem Fragment jeglicher Halt entzogen, genommen, geraubt. Die Möglichkeit des Sturzes wäre zur Wirklichkeit geworden, es würde stürzen. Hinab, unabänderlich! Gordian IX <strong>Dietrich</strong> <strong>Klinge</strong> zeigt mit ‘Gordian IX‘, wie sich in unserer Zeit - und zu allen Zeiten - der Mensch selbst erhöht, sich selbst Denkmale setzt, stark und mächtig wirkt, wirken will, als wäre er ein Monument der Ewigkeit und doch auf tönernen Füßen steht. Und er zeigt weiter vor St. Johannes, wie sich in unserer Zeit das in der gotischen Hallenkirche ablesbare damalige Bild verändert hat, wonach die Säulen den Weg der Menschen hinauf symbolisierten und das Gewölbe die Ankunft im Himmlischen darstellte. Der Kämpfer aber, die Deckplatte auf den Kapitellen schied den Menschen und den Himmel, das Gute von dem Bösen. Die Struktur von ‘Gordian IX‘ zeigt nun, dass der Mensch anmaßend sich an die Stelle des Himmels, des Gottes also, setzt und sich Gott ähnlich in unseren Zeiten geriert. Dies obwohl - und auch das wird von <strong>Dietrich</strong> <strong>Klinge</strong> eindrücklich dargestellt - der Kämpfer, der Abakus, der in den Armstümpfen zu sehen ist, sich und damit auch der Kopf, ja das ganze Wesen in einem äußerst fragilen Gleichgewicht befindet. Ständig bedroht, wie es in Nebukadnezars Traum formuliert ist, in sich zusammenzustürzen. Wie eben unsere Welt! 45 Noch eines: Keine Aura, kein Nimbus wird durch den Künstler bei ‘Gordian IX‘ gezeigt und doch hat diese Skulptur eine spannungsgeladene Ausstrahlung. Die Größe der Figur, die übermenschliche Größe des Hauptes und die bange Frage - antwortlos - nach dem möglichen Scheitern, dem Sturz in das Ende, den Vollzug der Endlichkeit gewissermaßen, verleiht dem Werk solch eine Präsenz, die es wie einen eigenen Raum umgibt. Einen Raum, der sich in seiner Umgebung, also dem universellen Raum, wie selbständig macht. Eine Sphäre, die wahrnehmbar ist, abgekoppelt davon, wo auch immer ‘Gordian IX‘ stand, wie etwa vor dem Kreuzgang des Basler Münsters, oder steht, wie vor St. Johannes in Ansbach, oder künftig noch stehen wird.
- Seite 1 und 2: Dietrich Klinge 1 Orte Skulpturenme
- Seite 3 und 4: 3
- Seite 5 und 6: Für D.B. 5
- Seite 7 und 8: Vorwort Die Ansbacher Skulpturenmei
- Seite 9 und 10: 9
- Seite 11 und 12: Kurze Zeit später waren es seine S
- Seite 13 und 14: 13
- Seite 15 und 16: Post-Warhol-Ära üblichen Übertra
- Seite 17 und 18: Die Folgen aus dem soeben Gesagten
- Seite 19 und 20: Beziehung und der Verpflichtung geg
- Seite 21 und 22: Walter Schweidler Dietrich Klinge u
- Seite 23 und 24: lange Geschichte, die ihr vorausgin
- Seite 25 und 26: als solches sich organisch aus sich
- Seite 27 und 28: orie die Leistung zugeschrieben hat
- Seite 29 und 30: Innersten eines Anderen, der eins m
- Seite 31 und 32: 31
- Seite 33 und 34: ln der Krypta unter St. Gumbertus D
- Seite 35 und 36: 35
- Seite 37 und 38: 37
- Seite 39 und 40: 39
- Seite 41 und 42: Gordian V Gordian V Die Krypta roma
- Seite 43: Um St. Johannis herum Gordian IX Wa
- Seite 47 und 48: Vor St. Ludwig Gifur Weha ,Gifur Ma
- Seite 49 und 50: 49
- Seite 51 und 52: Auf dem Heilig-Kreuz-Friedhof Von d
- Seite 53 und 54: Durch den ihm notwendigerweise inne
- Seite 55 und 56: durch gestörte, zerstörte Mauerfl
- Seite 57 und 58: atisch anwesend sein zu lassen, den
- Seite 59 und 60: Im Hofgarten Leonhart Fuchs bericht
- Seite 61 und 62: Äinschl Alba 61
- Seite 63 und 64: 63
- Seite 65 und 66: Äinschl Alba 65
- Seite 67 und 68: 67
- Seite 69 und 70: Entwurf für eine große Figur I 69
- Seite 71 und 72: 71
- Seite 73 und 74: Entwurf für eine große Figur IV 7
- Seite 75 und 76: 75
- Seite 77 und 78: Enopie III, Sol (im Hintergrund) 77
- Seite 79 und 80: Sol 79
- Seite 81 und 82: 81
- Seite 83 und 84: 83
- Seite 85 und 86: Gordian VI Ailanthya (im Hintergrun
- Seite 87 und 88: echte Seite Bachelie WD, Gordian VI
- Seite 89 und 90: 89
- Seite 91 und 92: 91
- Seite 93 und 94: 93
- Seite 95 und 96:
Entwurf für eine große Figur III
- Seite 97 und 98:
97
- Seite 99 und 100:
In Topia 99
- Seite 101 und 102:
101
- Seite 103 und 104:
Das Palais des Leopoldo Retti Die A
- Seite 105:
105
- Seite 113 und 114:
113
- Seite 115:
115
- Seite 121 und 122:
121
- Seite 123 und 124:
123
- Seite 125 und 126:
Andere konterkariert und in Frage s
- Seite 127 und 128:
127
- Seite 129 und 130:
129
- Seite 131 und 132:
Vor und hinter dem Landgericht Ansb
- Seite 133 und 134:
133
- Seite 135 und 136:
Konznow Cogitar, Gordian VIII, AmIa
- Seite 137 und 138:
er neben der Skulptur steht. Diese
- Seite 139 und 140:
139
- Seite 141 und 142:
141
- Seite 143 und 144:
143
- Seite 145 und 146:
145
- Seite 147 und 148:
Zitrushaus Ein Glashaus stand seit
- Seite 149 und 150:
149 Zentus, Metamorph Seraphisch, G
- Seite 151 und 152:
151
- Seite 153 und 154:
153
- Seite 155 und 156:
Gordian XI (im Vordergrund), Gordia
- Seite 157 und 158:
157
- Seite 159 und 160:
159 Metamorph V, Zentus, Gordian II
- Seite 161 und 162:
161
- Seite 163 und 164:
Stele Garuge Stele Garuge! Stele Ga
- Seite 165 und 166:
Gordian IV 1 freundliche Mitteilung
- Seite 167 und 168:
Diego Velázquez, Las Hilanderas, L
- Seite 169 und 170:
Schlusswort Über den Menschen hat
- Seite 171 und 172:
Abgebildete Werke Bachelie WD, 2000
- Seite 173 und 174:
Gifur Weha, 2001, Bronze, 248 x 91
- Seite 175 und 176:
Nighthart II, 2008, Bronze, 187 x 1
- Seite 177 und 178:
Biographie 1989 Dietrich Klinge, Ho
- Seite 179 und 180:
Brusberg in Basel, Katalog der Edit
- Seite 181 und 182:
181
- Seite 183 und 184:
Biografie 1954 geboren in Heiligens
- Seite 185 und 186:
Nachbemerkung Ich möchte mich an d