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durch gestörte, zerstörte Mauerfläche wieder verputzt. Der Putz roh und schnell aufgetragen, kaum geglättet. Eine hastige und lästige Arbeit. Für wen auch? Wer der letzte Gast dieser Begräbnisstätte war? Aus Kirchenbüchern sicher feststellbar. Hier am Ort des Todes: Nichts und das meint alles. Denn alles ist in diesem Nichts entschwunden, das Leben freilich , das Lachen und Weinen, die Freude und der Streit, der Sinn. Und das Werk Der Schrei‘ schreit auch an gegen diese Vergänglichkeit, gegen dieses Dahinschwinden des Lebenssinnes, gegen das Nichts. Sitzend ! ‘Der Schrei‘ ist, so will mir scheinen, die mächtigste der verblockten Sitzfiguren <strong>Dietrich</strong> <strong>Klinge</strong>s. Anders als bei den Skulpturen ‘Der Kult‘, ‘Lust‘ und ‘Frau‘ etwa sind keine le ichter machenden Schwünge oder Bewegungen zu sehen, zu spüren. Anders als bei ‘Teifame‘ 12 sind die übereinander geschichteten Sockel, die den Körper bilden, unbeweglich, starr, eher aufeinander getürmt, schroff und unnahbar. Bei ‘Teifame‘ spielen die einzelnen Ebenen in sich und mit ihrer Formgebung, springen vor und zurück, zeigen Körperliches, Körperhaftes. Wohingegen ‘Der Schrei‘ all dieses in sich, in die Kuben, hineingedrängt zu haben scheint. Selbst die ebenfalls stark verblockte Arbeit ‘Große Herren haben lange Arme‘ 13 wirkt leichter, viel lebendiger als diese. Wenn auch, dass darf nicht übersehen werden, subtile Bewegungen in den Ebenen klar erkennbar sind, für den der sieht.So fällt die Plinthe, der Kubus der Füße also, nach links ab, ebenso wie die dritte Blockstufe, die Hände. Aufgefangen werden diese Abweichungen von der Geradlinigkeit in der Horizontalen durch die wie rechts hochgezogen wirkende Schulter. Der nach links verschobene und leicht nach dorthin gewendete Kopf, auf einer Halsplatte, sozusagen einer Plinthe des Kopfes, die wiederum nach rechts weist, verstärkt dieses kraftvolle Schieben und Drängen der Ebenen und Stufen, beschließt es aber auch ebenso deutlich. Der Kopf ist offenkundig über den fünf Blockebenen der einzige nach menschlichem Bild geformte Körperteil, wobei auch er in seiner Kantigkeit und schroffen, nahezu glatten oberen Schädelfläche und dem geradlinigen Hinterkopf die Assoziation des Kubus abruft. Doch welch ein Kopf. Ecce, ist man versucht zu rufen, zu schreien: Seht, geht hin, seht ihn euch an! Verwüstet das Gesicht. Das linke Auge zerstört. Stattdessen, wie von einem gewaltigen und brutalen kriegerischen Schlag oder einer Blendung (gar einer Verblendung?), nicht wie Polyphems einzigem Auge durch Trug und List, sondern dem gezielten, schmerzhaftesten Ausbrennen des linken Auges, der linken Hälfte des gleichwohl erhobenen Hauptes, eine dunkle Höhlung. Das Augenlicht nicht wieder hergestellt, geheilt, wie bei dem ägyptischen Horus, sondern finster bleibend. Nicht hergegeben, um der Weisheit willen, wie bei dem nordischen Göttervater Odin, sondern genommen, geraubt, vernichtet. Müsste ein solchermaßen, im wahren Wortsinne malträtiertes Wesen, nicht gebrochen, zerbrochen sein. Gerade in seiner äußeren Gestalt? Nichts davon ist bei ‚Der Schrei‘ zu finden. Wohl „Opferbereitschaft“ und „Leid-Annahme“, wie zutreffend geschrieben wurde. 14 Auch das „Warten“, 15 das zeitlose, ja ewige Warten und Harren. Was ist es also, was ‘Der Schrei‘ sagen, zurufen, zubrüllen will? 55 14 Christa Lichtenstern in Werkstattbuch, aaO, S. 54 15 Christa Lichtenstern in Werkstattbuch, aaO, S. 54 Will er sagen, dass es „zum Schreien“ ist, wenn Unheil, Unfrieden, Ungerechtigkeit in dieser Welt der Menschen tagtäglich gehört, gesehen, erfahren werden? Will er sagen, dass die ungeheuere Sprachlosigkeit der Menschen angesichts all dieser Ungeheuerlichkeiten gerade niemandem geheuer sein kann und darf? Ist somit ‘Der Schrei‘ nicht eigentlich Zuhörerall der von außen kommenden, auf und über ihn stürzenden, immerwährenden Aufschreie? Sind diese Schreie in
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