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Dietrich Klinge – Orte

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Innersten eines Anderen, der eins mit mir ist und doch, wenn wir uns nicht beide auflösen<br />

sollen, an seinem Ort so ist wie ich an meinem.<br />

Diese hier nur kurz skizzierten Gedanken sind, wie gesagt, nicht ein Ergebnis, sondern eine<br />

Voraussetzung der Philosophie des Ortes. Ihr Ursprung reicht in die christliche Trinitätsspekulation<br />

zurück, also in den Gedanken eines Gottes, der in sich Beziehung ist, deren Glieder mit<br />

einander eins und doch mehrere sind, definiert allein durch ihre Beziehung zu einander. Wer<br />

diesen Gedanken scheut, etwa weil er ein religiös induzierter Gedanke ist, der wird zumindest<br />

eine der intensivsten Manifestationen philosophischer Kunst nicht begreifen können,<br />

nämlich die Ikonenkunst, die genau auf diesem Paradox eines Seins, das im vollständigen<br />

29<br />

Heilig-Kreuz-Friedhof,<br />

Der Moment I<br />

Abbild seiner selbst besteht, beruht. 15 Er wird aber, so behaupte ich, auch den philosophischen<br />

Aspekt nicht zu fassen vermögen, unter dem sich als künstlerische Antwort auf „die<br />

Frage nach der Unendlichkeit im Gegenüber“ 16 im Werk von <strong>Dietrich</strong> <strong>Klinge</strong> eine Lösung des<br />

Paradoxes abzeichnet, das ich anfangs als das Spiel der Verschiebung zwischen Betrachter,<br />

Künstler, Werk und Ort markiert habe. Es ist nicht die christliche Theologie, sondern es ist das<br />

Werk des großen jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas, in dem die „Spur des Anderen“ 17<br />

zum Grundbegriff der Identität der Person gemacht worden ist. Ohne die Erfahrung, die wir<br />

alle von diesem Urphänomen des Sichfindens in einer anderen Person haben, könnten wir<br />

uns gar nicht vorstellen, dass eine Person für ein Kunstwerk wirklich wichtig sein könnte, außer<br />

vielleicht durch den Reiz, den ihre Abbildung auf uns ausübt. Im Werk uns an den Ort zu<br />

versetzen, an dem wir durch es als wir selbst erblickt sind: das ist der eigentliche Anspruch,<br />

mit dem uns die Erkenntnis konfrontiert, die im Leben von <strong>Klinge</strong>s Skulpturen bewahrt ist.

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