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Landshuter Mama Ausgabe 12

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Entlassung, mit der Hoffnung, dass er nun vielleicht weniger weint und schreit.<br />

Schnell sollte sich das als Wunschdenken entpuppen. Emil schrie, schlief,<br />

schrie, schlief, trank, schrie, schlief, schrie, schrie und schrie. Manchmal fielen<br />

mir kleine Zuckungen auf, die aber jeder mit sogenannten Reflexen erklärte. Am<br />

letzten Schultag vor den Weihnachtsferien war meine kleine Familie zusammen<br />

im Bad. Meine Tochter bereitete sich auch die Schule vor, der Schreihals lag auf<br />

der Wickelkommode, ich putze mir die Zähne. Eine entspannte Situation, die jäh<br />

unterbrochen wurde. Meine Tochter brüllte laut los, was das sei. Was passiert da<br />

mit ihrem Bruder. Mein Blick auf ihn gerichtet war ich wie in einer Schockstarre.<br />

Er krampfte. Aus dem Nichts. Minutenlang.<br />

Der Anblick war furchtbar und ich wählte den Notruf. Bis wir in der Kinderklinik<br />

waren schlief er. Friedlich, Tief. Keinen Mucks, Kein Schreien. Er schlief und<br />

ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass er von jetzt an sehr viel schlafen<br />

würde. Weil er Narkosen und Sedierungen vor sich haben würde, Infusionen,<br />

Medikamente und Nährlösungen. Es ging los mit der Diagnostik, unzählige Untersuchungen,<br />

EEGs, Nervenwasser-Entnahme. Ein MRT in Vollnarkose. Ständige<br />

Sättigungsabfälle, Krampfanfälle. Irgendwann standen immer mehr Leute an<br />

diesem Bett, jeder bemühte sich. Nach ein paar Wochen wurden wir entlassen,<br />

mit vielen Ängsten im Gepäck. Emil wurde medikamentös eingestellt, bekam<br />

täglich Barbiturate, dazu ständige Kontrollen. In der Zeit wollte ich unseren Ärzten<br />

schon fast das Du anbieten – ich sah sie öfter wie meine Freunde.<br />

Freunde hatte ich bis dahin immer weniger.<br />

Dieses ständige Auf und Ab, meine Kinder, Angst mit der Situation umzugehen<br />

– daran sind viele Kontakte zerbrochen, Freundschaften auf Eis gelegen.<br />

Bis heute ist nur ein kleiner, aber sehr verlässlicher Teil geblieben.<br />

Die vorläufige Diagnose für Emil: Frühkindliche Epilepsie, dazu Regulationsstörungen.<br />

Die Verdauung funktionierte nicht so, wie es sein sollte. Wir waren<br />

Dauerpatienten im SPZ, beim Kinderarzt. Die Therapeuten der Kinderhilfe<br />

kamen zwei Mal pro Woche zu uns heim. Es folgten vier Jahre lang Heilpädagogik,<br />

Physiotherapie, Ärzte. Die Medikamente wurden immer wieder angepasst,<br />

ausgeglichen, ausprobiert.<br />

Je älter er wurde, desto mehr fiel auf,<br />

dass Emil anders war. Besonders.<br />

Sehr sensibel, er scheute Menschen, brauchte sehr viel Struktur, Lautstärke und<br />

schnelle Bilder ließen ihn nervös werden. Ein einfacher Stadtbummel im Kinderwagen<br />

wurde oft schon nach hundert Metern im Keim erstickt. Er weinte, wollte<br />

heim. Seine Entwicklung war eine so ganz andere, als die meiner Tochter. Alles<br />

anstrengender, nichts war selbstverständlich, viele Gespräche mit meiner Tochter,<br />

die auch immer mehr merkte, dass unser Leben ziemlich eingeschränkt war.<br />

Als Emil in das Kindergartenalter kam, unternahmen wir einen Versuch ihn in<br />

eine Betreuungseinrichtung zu geben. Ich suchte zusammen mit unserem Arzt<br />

eine Einrichtung aus, die ihm einen Integrativplatz bieten konnte. Schnell aber<br />

war klar, dass es nicht funktionierte. Er weigerte sich täglich vehement dort<br />

hinzugehen.<br />

Die vielen Kinder, die Strukturen, Geräusche –<br />

ihm war das alles nicht geheuer.<br />

Wir brachen nach etwas sechs Wochen ab, Emil war wieder daheim. Und es<br />

ging so weiter wie zuvor. Jede Nacht mehrmals aufstehen, noch immer Vollwickelkind,<br />

war tagsüber viel los, bekam ich nachts die Quittung. Emil ist oft in seiner<br />

eigenen Welt, am liebsten daheim. Struktur und Wiederholungen sind seine<br />

Welt. Manchmal, auch heute noch, hab ich das Gefühl, er hat einen Schalter, der<br />

sich umlegt. Im Frühjahr letzten Jahres dann ein erneuter Termin im SPZ.<br />

Und wieder eine Diagnose:<br />

Autismus-Spektrum-Störung.<br />

Man legte mir das BKH nahe. Mit vielen Vorbehalten und Klischees im Gepäck<br />

vereinbarte ich einen Termin zu einem Vorgespräch. Für mich war das BKH<br />

befremdlich. Was sollte mein Kind in einer Klinik für psychische Erkrankungen?<br />

Ich wusste natürlich nichts von dem Angebot, den Möglichkeiten. Wir bekamen<br />

im September das Okay für einen Therapieplatz und es war bis heute die beste<br />

Entscheidung in Emils Krankheitsgeschichte.<br />

So viele Dinge sind inzwischen passiert, positive Veränderungen. Für Eltern<br />

„gesunder“ Kinder vielleicht nichts Besonderes. Für uns riesige Meilensteine. Es<br />

ist nicht so, dass alles plötzlich ganz anders wäre. Die körperlichen Baustellen<br />

gibt es nach wie vor. Aber sein Verhalten, seine Ängste, die Kommunikation mit<br />

anderen Kindern – da hat sich einiges getan. Nach sechs Monaten täglicher<br />

Therapie und mit vielen Gesprächen kann mein kleiner Mann auch mal spontan<br />

sein. Er mag es immer noch am liebsten daheim zu sein, steigt aber inzwischen<br />

auch mal problemlos aus dem Auto, verlässt die Wohnung. Wir können Ausflüge<br />

machen.<br />

Seine Schwester, zu der er eine unglaublich enge Bindung hat, kann sich wieder<br />

etwas in ihrer eigenen Persönlichkeit entfalten. Es gibt ein bisschen mehr Raum<br />

für jeden von uns. Nur der tägliche Kampf mit Behörden und Ämtern zermürbt<br />

immer wieder. Pflegegrad, Anträge etc.<br />

Aber ich sehe Licht am Ende des Tunnels.<br />

Wir haben wieder Ziele. Nun gehen wir langsam den Weg eine passende Einrichtung<br />

zu finden, damit Emil im Herbst in den Kindergarten gehen kann.<br />

<br />

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