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Festspielzeit Sommer 2018

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

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Als langjähriger Begleiter<br />

meiner Großmutter<br />

Margot Rosenkranz, die<br />

ich fast jedes Wochenende sah,<br />

war Berthold Goldschmidt eine<br />

feste Größe in meinem Leben. Er<br />

füllte die Rolle eines Großvaters<br />

weder aus noch strebte er sie an;<br />

sich mit Kindern auf deren Niveau<br />

zu unterhalten, war für ihn nicht<br />

selbstverständlich. Es war mein Vater<br />

Stephen – dem er in allem außer<br />

der Bezeichnung ein Stiefvater war<br />

–, dem er sich für den nötigen intellektuellen<br />

Stimulus zuwandte. Aber<br />

Berthold war im Hintergrund immer<br />

anwesend, mit seinem begeisterten,<br />

beinahe wissenschaftlichen Interesse<br />

an Margots Enkeln und deren<br />

Entwicklung.<br />

Wir, ihre Familie, waren eine<br />

notwendige Ablenkung und ein<br />

Publikum für Berthold, besonders<br />

in der dunkelsten Periode seines<br />

Lebens in den 1970er-Jahren, als<br />

er und seine Kompositionen von<br />

der Musikwelt komplett ignoriert<br />

wurden und er von persönlichen<br />

Problemen geplagt war. Als Kind<br />

unternahm ich mit Margot und<br />

Berthold lange Spaziergänge durch<br />

Londons Park Hampstead Heath,<br />

wo er es liebte, sein umfangreiches<br />

Wissen über die Flora und Fauna<br />

zur Schau zu stellen. Darauf folgten<br />

Kaffee und Kuchen im Louis, einem<br />

nahe gelegenen Café, weitgehend<br />

für mitteleuropäische Kundschaft.<br />

Anders als die meisten Geflohenen<br />

aus Nazi-Deutschland bestand Berthold<br />

darauf, in seiner Wahlheimat<br />

nur Englisch zu sprechen. Sein Blick<br />

wurde zornig, wenn Margot in einem<br />

Gespräch auch nur ein unnötiges<br />

Wort auf Deutsch erwähnt hätte.<br />

(Wie genoss sie die Gelegenheit,<br />

in ihrer Muttersprache zu reden,<br />

wenn er nicht zugegen war!) Weit<br />

Berthold Goldschmidt mit seiner Partnerin Margot und Familie.<br />

Rechts hinten: Nicholas Rose.<br />

voneinander entfernt in Interessen,<br />

Temperament und intellektueller<br />

Neugier, zogen sich bei ihnen<br />

wirklich die Gegensätze an. Die tiefe<br />

Liebe, die sie füreinander empfanden,<br />

war berührend anzusehen<br />

und entscheidend, um Bertholds<br />

künstlerischen Geist am Leben zu<br />

erhalten, wie er in seiner Widmung<br />

zu Beatrice Cenci anerkannte.<br />

Berthold und ich waren uns in den<br />

letzten Jahren seines Lebens am<br />

nächsten, als das Alter ihn abgeklärter<br />

gemacht hatte und ich alt<br />

genug war, um seine Weisheit und<br />

tiefe Menschlichkeit voll zu schätzen.<br />

Seit der Wiederentdeckung<br />

seiner Musik in den 1980er-Jahren<br />

und seiner Erhebung in den Status<br />

eines »elder statesman« wurde er<br />

zu neuem Leben und einer kreativen<br />

Energie erweckt. Obwohl er so<br />

prinzipientreu wie gewohnt blieb,<br />

war sein Verhalten weniger streng<br />

und es gab nun ein Funkeln in seinen<br />

Augen. Und endlich konnten wir auf<br />

einem erwachsenen Niveau über Musik<br />

sprechen; was er zu sagen hatte,<br />

war selbstverständlich faszinierend<br />

und äußerst anregend. Es bleibt das<br />

Bedauern, dass ich als Kind nicht<br />

stärker von seinen Einblicken profitieren<br />

konnte.<br />

11<br />

Nach Margots plötzlichem Tod im<br />

Jahr 1993, der ihn am Boden zerstört<br />

zurückließ, brauchte er mehr als<br />

je zuvor ein Publikum. Er bestand<br />

darauf, uns die neuesten Aufnahmen<br />

seiner Werke vorzuspielen (in strikten<br />

Konzertsaalbedingungen ohne<br />

Geräusch und Gezappel, auch nicht<br />

von meinen kleinen Kindern). Und<br />

nie kam er ohne eine gefüllte Tasche<br />

mit ausgeschnittenen Zeitungsbeiträgen<br />

wie Interviews, die er gegeben<br />

hatte, oder Konzertkritiken von<br />

seiner Musik – Fehler wie immer rot<br />

angestrichen. Aber es war herzerwärmend,<br />

Berthold jeden Moment<br />

seines noch andauernden Lebens<br />

genießen zu sehen, und ich bin stolz<br />

darauf, Zeuge gewesen zu sein, wie<br />

sein langes und unausgeglichenes<br />

Leben auf einer triumphalen hohen<br />

Note endete.<br />

NICHOLAS ROSE<br />

wuchs in London auf. Seine<br />

Eltern waren in den<br />

1930er-Jahren aus dem<br />

nationalsozialistischen<br />

Deutschland emigriert. Im<br />

Finanzgewerbe tätig, spielt<br />

Musik in seinem Leben eine<br />

bedeutende Rolle. Er ist<br />

Vater von zwei erwachsenen<br />

Kindern.<br />

BEATRICE CENCI

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