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03/02 - Fakultät 6 - TU Bergakademie Freiberg

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These von der starken Wissenschaftsorientierung des deutschen Innovationssystems aus der<br />

Sicht der Verfahrenstechnik nicht uneingeschränkt unterstützt werden. Die von Wieland genannte<br />

„hohe Bewertung formalen Wissens“ (Wieland 20<strong>02</strong>: 7) - als eine Konsequenz der<br />

Wissenschaftsorientierung und somit als ein Charakteristikum des deutschen Innovationssystems<br />

- impliziert unter anderem eine Priorität der Grundlagenforschung gegenüber der angewandten<br />

Forschung, was für die Verfahrenstechnik in der Anfangsphase eindeutig nicht nachgewiesen<br />

werden kann. Die in Aachen und Braunschweig von der GVT gegründeten Industrieforschungsinstitute<br />

für Verfahrenstechnik hatten laut Satzung die wesentliche Aufgabe,<br />

industrienahe Forschung zu betreiben beziehungsweise spezielle Aufgaben für die Mitgliedsfirmen<br />

im Rahmen der Vertragsforschung zu bearbeiten. Um es noch prägnanter zu formulieren,<br />

die Verfahrenstechnik war zumindest in den fünfziger Jahren - ähnlich wie die Elektrotechnik<br />

im Deutschen Kaiserreich - eine von der Industrie abhängige und ihr zuarbeitende<br />

Wissenschaft, die sich erst Mitte der sechziger Jahre vor allem in der BRD „emanzipierte“,<br />

verstärkt auch Grundlagenforschung betrieb und die Ausbildung der Studenten im Vordergrund<br />

sah.<br />

Obwohl die Autoren den Wandlungsprozeß der Verfahrenstechnik erkennen, meinen wir, daß<br />

der von den Akteuren selbst konzipierte Bezug zur technischen und ökonomischen Praxis den<br />

Disziplinbildungsprozeß äußerst nachhaltig geprägt hat. Wenn wir von der Annahme ausgehen,<br />

daß die Akteure der Verfahrenstechnik eine gewisse disziplinare Eigenständigkeit - vor<br />

allem in bezug auf die Chemie und den Maschinenbau - darin zum Ausdruck brachten, daß sie<br />

Technik als eigenständiges Wissens- und Praxisfeld begriffen, könnte man die These formulieren,<br />

daß bei den Kollektivmitgliedern zumindest in der Anfangsphase kaum lineare Fortschrittsvorstellungen<br />

zu finden sind. Die von Wieland benannten linearen Vorstellungen über<br />

das Verhältnis von Wissenschaft und Technik - als ein wesentliches Charakteristikum deutscher<br />

Innovationskultur - mögen für die spätere Entwicklung der Verfahrenstechnik, vor allem<br />

mit dem Ausbau wissenschaftlicher Grundlagenforschung, handlungsleitend gewesen<br />

sein. Sie können aber für die Anfangszeit des Disziplinbildungsprozesses in Ost- und Westdeutschland<br />

nicht nachgewiesen werden - es sei denn, man würde die gesamte Disziplin Verfahrenstechnik<br />

als das Ergebnis eines linearen Fortschrittsmodells ansehen mit der Begründung,<br />

ein wesentliches Ziel sei die Umsetzung von (wissenschaftlichen) Laborergebnissen in<br />

eine technische-wirtschaftliche Produktion. Die Autoren sind der Meinung, daß eine solche<br />

Interpretation überzogen ist und verweisen auf die frühe Verfahrenstechnik, in der es vor allem<br />

darum ging, die in der Praxis erprobten Konzepte und Verfahren mit Hilfe der „unit operations“<br />

verständlich und unterrichtbar zu machen. Die Akteure der Verfahrenstechnik verfolgten<br />

in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit eher eigenständige Ziele<br />

und bemühten sich darum, das amerikanische Chemical Engineering umzuformen, das maschinenbauliche<br />

beziehungsweise ingenieurwissenschaftliche Profil der deutschen Verfahrenstechnik<br />

stärker zu betonen und Verfahrensingenieure mit vertieften technischphysikalischen<br />

Kenntnissen auszubilden. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Betrachtungsebene<br />

des deutsch-deutschen Vergleichs eine hohe Relevanz, vor allem hinsichtlich<br />

eines unterschiedlichen Wissenschaftsverständnisses zwischen maschinenbaulich und chemisch<br />

sozialisierten Verfahrenstechnikern ab 1949. Die Frage, ob sich zwischen 1949 und<br />

1990 zwei unterschiedliche deutsche Innovationskulturen herausgebildet haben, kann für die<br />

Verfahrenstechnik tendenziell bejaht werden - die oben herausgearbeiteten Unterschiede zwischen<br />

ost- und westdeutscher Verfahrenstechnik machen dies deutlich.

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