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Nicht nur einfach draufhauen - fraulich Online

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Saturn-Verlag wurde über die Wappenkunde, die<br />

Heraldik, und das Erstellen von Familienstammbäumen<br />

gelegt. „Ich dringe durch einen Stammbaum<br />

tief in die Geschichte einer Familie ein. Das<br />

Verlegen von Biografien lag da nahe.“<br />

Heilende Wirkung<br />

Trotzdem erstaunlich: Wie kam sie als Betriebswirtin<br />

zum Schreiben? Klug blitzen die Augen<br />

durch die Brille: „Die Menschen selbst schreiben<br />

ihr Leben, nicht ich.“ Manchmal wörtlich, indem<br />

sie schriftliche Skizzen zur Durchsicht abgeben<br />

oder eben in dem sie aufs Diktiergerät sprechen.<br />

Die Aufgabe der Verlagsleiterin: nachfragen, zuhören,<br />

Daten sortieren, Ereignisse auf ihre historische<br />

Genauigkeit abstimmen, Fotos aussuchen,<br />

Sprache glätten. Ihr stehen zwei Lektoren und ein<br />

Grafiker zur Seite. Und, ja, manchmal hakt<br />

Dagmar Rodler nach, ob der Klient etwas genau<br />

so stehen lassen möchte, wie er es gesagt hat.<br />

„Reden in einer vertraulichen Atmosphäre ist das<br />

eine. Geschriebenes das andere. Bevor der Text<br />

zum Druck geht, markiere ich kritische Stellen<br />

gelb.“ Ein liebevolles Lächeln: „Das sind meine<br />

‚Gelben Seiten’. Über diese Stellen rede ich mit<br />

meinen Kunden.“ Die Bücher gehen an Ehepartner,<br />

an Familienangehörige. Oft beginnt das<br />

Verstehen für Entscheidungen im Leben der<br />

Eltern erst während der Lektüre. Die Biografien<br />

entfalten über die persönlichen Erzählungen eine<br />

heilende Wirkung bei Tochter oder Sohn – und<br />

für den Klienten selbst. Ihr Beweggrund, Biografien<br />

zu verlegen, ist <strong>einfach</strong>: „Ich liebe es, der älteren<br />

Generation zuzuhören. Immer wieder bewegen<br />

mich die Erzählungen aus dem Krieg. Der<br />

Mut, die Traurigkeit, aber auch das Glück. Das<br />

können wir uns doch gar nicht mehr vorstellen.<br />

Oder, können Sie das?“ Sie hat Recht, es geht<br />

nicht. Deshalb ist es so wichtig, Geschichten zu<br />

hören, zu sammeln, aufzuschreiben. Damit wir<br />

wissen, woher wir kommen, damit wir wissen,<br />

wohin wir gehen.<br />

Mensch sein<br />

Es scheint, als bräuchte das Verlegen von Biografien<br />

mehr als gute Kenntnis in neuer Rechtschreibung.<br />

Dagmar Rodler lehnt sich zurück:<br />

„Liebe zum Menschen, Einfühlungsvermögen,<br />

wirklich zuhören, genau hinsehen – diese Eigen-<br />

schaften sind nötig.“ Genau hinsehen? Die Menschen<br />

erzählen doch von selbst?! „Die Durchsicht<br />

der Fotos ist wichtig. Welche sollen ins Buch?<br />

Welche Anhaltspunkte laden zu weiteren Fragen<br />

ein? Meine Tätigkeit ist mit einer hohen Verantwortung<br />

verbunden. Die Menschen erzählen mir<br />

ihr Leben!“ Ein Ausrufezeichen. Zu recht, denn:<br />

„Sie erleben Situationen erneut. Gefühle kommen<br />

zurück.“ Wie reagiert sie, wenn ein Klient<br />

überwältigt ist von der Erinnerung? „Wir sind alle<br />

Menschen. Das Weinen gehört dazu. Ich lasse es<br />

fließen und passe den richtigen Moment ab, um<br />

auf andere Themen zu kommen.“<br />

Bei allem Einfühlungsvermögen, aber Distanz<br />

muss sein. Abschalten kann sie mit Mann und<br />

Hund und einem guten Glas Rotwein. Dann lässt<br />

sie die Geschichten Revue passieren.Verinnerlicht<br />

hat sie, einen Streit nie über Stunden schwelen zu<br />

lassen. „Es kann zu schnell vorbei sein. Dann gibt<br />

es keine Chance mehr, sich beim anderen zu entschuldigen.“<br />

Zum Schluss bitte ihr größter<br />

Wunsch: „Ich möchte gerne das Leben einer Frau<br />

aufzeichnen, die ganz unten angekommen ist.<br />

Damit Menschen sehen können, wie andere tragischer<br />

Spielball ihres Schicksals wurden.“ Da ist<br />

sie wieder, die Liebe zum Menschen, die Liebe<br />

zum Leben.<br />

Es ist spät geworden. Der herbstliche Himmel<br />

verdunkelt sich, auf dem Flur kehrt Ruhe ein. Der<br />

Fahrstuhl gleitet zurück nach unten. Wieder auf<br />

der Straße. Ein Mann mit grauem Haar und kleinen<br />

Lachfältchen eilt vorbei:Was mag er wohl für<br />

eine Geschichte haben?<br />

Dagmar Rodler

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