GAB September 2018
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MUSIK<br />
TROYE SIVAN:<br />
AUFGEBLÜHT<br />
NACHGEFRAGT<br />
FOTO: HEDI SLIMANE<br />
Ein Mainstreampop-Song<br />
über Analsex? „Meine Fresse,<br />
was hat das Spaß gemacht, dieses<br />
Lied zu schreiben“, sagt Troye Sivan,<br />
der übrigens eine verblüffend tief und<br />
erwachsen klingende Sprechstimme<br />
hat, am anderen Ende der Telefonleitung<br />
in Los Angeles.<br />
„‚Bloom‘ ist der sexuell eindeutigste<br />
Song des Albums, aber ich verkleide<br />
die Krassheit in reinen, unschuldigen<br />
Sprachbildern. Dazu kommt dann dieser<br />
glockenhelle Pop-Sound, der auch auf<br />
ein Katy-Perry-Album passen würde.<br />
Diese Kombination hat mich wirklich zum<br />
Kichern gebracht.“ In seinem Kern sei<br />
„Bloom“ außerdem einfach ein Liebeslied,<br />
das von „zärtlichem und einvernehmlichem<br />
Sex zwischen zwei Jungs handelt“.<br />
„Bloom“ – im Deutschen am besten mit<br />
„Erblühen“ zu übersetzen – ist der Titelsong<br />
von Troye Sivans zweitem Album.<br />
Wer den Pop-Jungen bis dato nicht auf<br />
der Rechnung hatte, für den wird es nun<br />
wirklich Zeit. In Australien war er schon<br />
als Kind dank seiner Teilnahme bei „Star<br />
Search“ und einer Rolle in „X-Men Origins:<br />
Wolverine“ ein Star, inzwischen begeistert<br />
Sivan, der in Perth aufgewachsen ist, mit<br />
seinem cleveren Synthie-Electro-Pop<br />
auch den Rest der Welt. Im Vergleich zu<br />
seinem jugendlich-verträumten Debüt<br />
„Blue Neighbourhood“ (2015) klingt Troye<br />
auf „Bloom“ klar kerniger. Bei Liedern wie<br />
„My My My!“ hat er das Tempo tüchtig<br />
angezogen und kommt richtig aus sich<br />
raus. „Ich bin extrovertierter und mutiger<br />
geworden. In meinen Liedern und auch<br />
sonst als Mensch. Bei meinem ersten Album<br />
war ich noch vorsichtiger, tastender,<br />
ich wusste noch nicht wirklich, wie das<br />
alles funktioniert. Jetzt habe ich mich im<br />
Studio fokussierter und sicherer gefühlt.<br />
Ich wusste genauer, was ich wollte, war<br />
kommunikativer und habe sehr viel ausprobiert<br />
und auch meine Meinung gesagt.<br />
Das Resultat ist leichtfüßiger, lustiger<br />
und insgesamt weniger melancholisch als<br />
mein erstes Album.“<br />
In Troyes Leben hat sich manches geändert<br />
in den vergangenen Jahren. Er ist von<br />
Perth nach Los Angeles gezogen, musste<br />
Familie und Freunde zurücklassen, was<br />
ihm zu Anfang alles andere als leichtgefallen<br />
sei. Auch ging seine erste richtige<br />
Beziehung in die Brüche, im nachdenklich-akustischen<br />
„The Good Side“<br />
versucht er, die Trennung musikalisch zu<br />
verarbeiten. Und dennoch: „Heute fühle<br />
ich mich ein gutes Stück wohler in meiner<br />
Haut. Die meisten Dinge in meinem Leben<br />
haben sich positiv verändert. Ich bin<br />
weit glücklicher, als ich es als Jugendlicher<br />
war. Dieses Gefühl wollte ich auf ‚Bloom‘<br />
betrachten und ausforschen.“ Neu liiert<br />
ist er außerdem, mit dem Model Jacob Bixenman<br />
(„Wir erleben gerade eine Menge<br />
schöner Sachen zusammen“) teilt er sich<br />
eine Wohnung in LA und einen Tesla, „den<br />
ich mir ein bisschen vom Verkäufer habe<br />
aufschwatzen lassen“.<br />
Ein weiterer Grund für Sivans Wohlbefinden:<br />
Er hat sich locker gemacht. „Ich<br />
verbrachte die meiste Zeit meiner Kindheit<br />
und meiner Jugend gestresst wegen<br />
meiner Sexualität. Und ich wollte Sänger<br />
werden und nach Amerika ziehen, die<br />
Welt erobern. Ich habe mich selbst krass<br />
unter Druck gesetzt.“ Sein Coming-out<br />
war dann alles in allem unkompliziert, die<br />
Karriere floriert, und mit „Dance To This“<br />
gibt es auf „Bloom“ sogar ein Duett mit<br />
Superstar Ariana Grande, einer Freundin<br />
von Troye. „Ich hatte so viel Glück, für<br />
mich ist nun besonders wichtig, anderen<br />
zu helfen. Ich will für die Jugendlichen ein<br />
Zufluchtsort sein. Jungen Menschen zu<br />
sagen, dass ihr Leben besser wird, ist eine<br />
große Antriebskraft für mich.“<br />
Auch „Boy Erased“, der Kinofilm, in dem<br />
Sivan ab November zu sehen sein wird,<br />
sei ein wichtiges Mittel zur Aufklärung.<br />
Der Film handelt von einem schwulen<br />
Jungen in Arkansas im erzkonservativen<br />
amerikanischen „Bible Belt“, der in einem<br />
Jugendcamp eine Therapie machen soll,<br />
die ihn von seiner Homosexualität befreit.<br />
„Ich spiele einen der Jungs in diesem<br />
Camp. Der Gedanke, dass es solche Lager<br />
gab und in vielen Ländern immer noch<br />
gibt, ist krank und extrem gefährlich. Und<br />
ganz bestimmt ist es nicht die richtige<br />
Art, damit umzugehen, wenn dein Kind<br />
zu dir kommt und sagt, dass es schwul<br />
oder lesbisch ist. Mein großer Wunsch ist<br />
es, dass so etwas wie ein Coming-out in<br />
einigen Jahren gar nicht mehr notwendig<br />
sein wird.“<br />
*Steffen Rüth