MODENSEE | HERSTELLER DAS TEXTILE SILICON VALLEY A – Vorarlberg | Es ist der südöstlichste Zipfel unserer Modensee-Region, das zweitkleinste Bundesland Österreichs mit knapp 390 000 Einwohnern auf 2.600 km² und beherbergt rund stolze 180 Unternehmen der Textilindustrie, deren Niedergang andernorts stetig beklagt wird: das „Ländle“ Vorarlberg. Ein Streifzug durch kleine und große Marken, durch Traditionsbetriebe und Newcomer. 2 20
HERSTELLER | MODENSEE Eingebettet zwischen St. Gallen (CH), Graubünden (CH), Liechtenstein, Bayern (D) und Tirol (A) gilt Vorarlberg schon seit Beginn der Industriealisierung in Europa als Textilland. Die Bewohner der damals von Landwirtschaft geprägten Region übernahmen neben dem bäuerlichen Haushalt Lohnarbeiten für Betriebe in Süddeutschland und der früh industrialisierten Schweiz. Das Klima im Rheintal und vorderen Bregenzerwald ließ es zu, dass auch vermehrt Flachs angebaut wurde. Der Grundstoff für Leinengarn. In vielen Vorarlberger Bauernstuben waren ständig „Schweitzerräder“ (Spinnräder) in Bewegung, mit denen feine Garne hergestellt wurden, zudem perfektionierten die Heimarbeiter ihre Fähigkeiten im Sticken. Ihre jahrelang entwickelten Kompetenzen führten so zu drei Textilzweigen: die Spinnerei, die Weberei und die Stickerei. Um 1850 dominierte dann schließlich die Textilindustrie das Ländle mit 90 Betrieben von insgesamt 107. ZUKUNFTSFÄHIG Obwohl die Textilindustrie heute nur noch der viertstärkste Sektor in der Vorarlberger Industrieproduktion ist, zählt sie dennoch zu den größten Arbeitgebern in der Region. Von etwa 360 Industrieunternehmen gehören rund 180 zur Textilbranche. Im Dreieck Bregenz, Feldkirch, Bludenz ballen sich auf relativ kleinem Raum sämtliche textile Produktionstechniken. Ein absoluter Pluspunkt des „Textilclusters Vorarlberg“. Mit einer geschlossenen Wertschöpfungskette, von der Spinnerei bis zum fertigen Textilprodukt, verfügt die Region auch über sämtliche Kompetenzen für die Konzeption und die Herstellung innovativer textiler Produkte. Das macht zukunftsfähig. Erkannt hat das auch die Universität Innsbruck, die bereits seit 1982 ein Institut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn unterhält, welches die Unternehmen bei der Erforschung und Umsetzung von neuen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen unterstützt. Rund 20 Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Zukunft von „Stoffen“. Industrienahe Forschung zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes. So wird unter anderem daran gearbeitet, Sensoren in Textilien zu verarbeiten. Mit diesen Sensoren kann zum Beispiel die Herzfrequenz gemessen werden. Neben der Entwicklung neuer Technologien geht es um die Herstellung neuer zukunftsweisender Werkstoffe. Beispielsweise werden Stoffe weiterentwickelt, die im Profisport verwendet werden, um zum Beispiel den Luftwiderstand von Rennradtrikots zu verringern. Solche hochinnovativen Ideen, mit denen sich Unternehmen in High-Tech-Nischen positioniert haben und damit auf internationalen Märkten erfolgreich sind, haben der Region den Beinamen „textiles Silicon Valley“ eingebracht. Die Entwicklungen beschränken sich dabei auch nicht auf Bekleidung. Die „smart textiles“ kommen auch im Auto- oder Flugzeugbau zum Einsatz. Eine, die seit über 30 Jahren die Nase vorn hat im Bereich Smart Textiles, ist die Lenz GmbH in Schwarzach. Lenz steht für innovative Produkte, die auf der Haut getragen werden, und gilt als Marktführer in Europa und Nordamerika mit seinen beheizbaren Produkten. So lassen sich nicht nur Socken via Akku und App auf Wohlfühltemperatur bringen, sondern auch Westen und Bandagen. Daneben hat Lenz eine sogenannte S.E.P.-Serie entwickelt. Die „Support Energy Point“-Produkte, wie Wäsche oder Socken, sollen Gelenke stabilisieren und so Ermüdung und Verschleiß vorbeugen. Trotz aller Neuheiten achtet Lenz darauf, technische Garne mit Naturgarnen zu verbinden, um so die positiven Eigenschaften beider zu nutzen. Rund 20 Kilometer weiter südwestlich, nahe des Rheins, hält sich mit der Bolter Sockenmanufaktur in Koblach 1 die letzte Sockenstrickerei Österreichs. Seit 40 Jahren wird im Familienbetrieb maschinell gestrickt, was das Zeug hält. Für Bolter zählt zu den „13 Handgriffen für jedes Sockenpaar“ nicht nur die Bestückung der Strickmaschine und die Qualitätskontrolle, sondern auch schlichtweg das Freudebereiten. Über 20 000 Paar Socken gehen jährlich über den Ladentisch. Als Alexander Bolter den Betrieb 2016 von seinem Vater Kurt übernahm, hat er der Marke einen neuen Auftritt verpasst: modern, aber dennoch die wahren Werte im Blick. Verarbeitet wird ausschließlich Ökotex-zertifizierte Merinowolle, die bis zu 30% ihres Eigengewichtes an Feuchtigkeit aufnehmen kann, ohne sich feucht anzufühlen. Zudem hat sie temperaturregulierende Eigenschaften: wärmend im Winter, kühl im Sommer. Die Schafswolle baut außerdem geruchsbildende Bakterien ab. 2017 hat Bolter, ganz silicon-valley-like, das Hightech-Gewebe Coprotex auf den Markt gebracht. Hier werden feinste Kupferfäden mit Merinowolle verstrickt. Kupfer gilt am Körper als wärmespeichernd, durchblutungsfördernd, antibakteriell und desinfizierend. Die Kupfersocken halten auch hohen Minustemperaturen stand, etwa beim Skifahren. 1 INNOVATIV 1 21