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FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL

FINE DAS MAGAZIN FÜR GENUSS UND LEBENSSTIL - 1|2018 - Sonderbeilage in der Süddeutschen Zeitung

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Man kann es sich auch einfach machen: Eine Flasche Schnaps im Haus ist Vorrat, zwei Flaschen sind eine<br />

Hausbar. Seit der Erfindung der Alkoholdestillation im Mittelalter wurde nicht nur öffentlich, sondern auch<br />

im privaten Rahmen getrunken und gemixt. Auch hierzulande wurden die vor Ehefrau, Kindern und Hausarzt<br />

in Bibliothek oder Schreibtisch versteckten »geistigen Erzeugnisse aller Art« sprichwörtlich. Während<br />

sich aber andernorts die private Barkultur prächtig entwickelte, hinkte man im Deutschen Reich nach: Wenn<br />

etwa Mark Twain seiner Ehefrau Olivia 1874 die Angewohnheit zu erklären suchte, sich im Badezimmer vor<br />

jedem Frühstück, Abendessen und Zubettgehen aus Scotch, Zitrone, gestoßenem Zucker und Angostura<br />

Bitter einen Cocktail zuzubereiten, so galt hierzulande die Devise: »Aber jäder nur ein winziges Schlöckchen«.<br />

GIN-GIN, CHEERIO!<br />

EIN PLÄDOYER<br />

<strong>FÜR</strong> DIE HAUSBAR<br />

DIE HAUSBAR IST KAUM H<strong>UND</strong>ERT JAHRE ALT. <strong>UND</strong> DOCH HAT SIE<br />

SCHON ZAHLREICHE KONJUNKTUREN ERLEBT: ENTSTANDEN AUS<br />

NOT WEHR GEGEN DIE AMERIKANISCHE PROHIBITION, GALT SIE JE<br />

NACH ZEITGEIST ALS SPIESSIG ODER HIP, ALS VERSTAUBT ODER<br />

STYLISH. DABEI IST DIE HAUSBAR EIN EINZIGARTIGES REFUGIUM <strong>FÜR</strong><br />

STÜRMISCHE ZEITEN – DERZEIT IST SIE WIEDER MÄCHTIG ANGESAGT.<br />

Von STEFAN PEGATZKY<br />

Fotos GUIDO BITTNER<br />

Foto: AMC, Carin Baer<br />

Grafik: artofmanliness.com<br />

Tatsächlich kam die Hausbar erst auf ihren Begriff, als die Bar, die<br />

sich im 19. Jahrhundert aus dem amerikanischen Saloon entwickelt<br />

hatte, in die Krise geraten war. Als öffentlicher Ort, an<br />

dem vornehmlich Alkohol angeboten wird, war die Bar Hauptangriffspunkt<br />

der Abstinenzler-Bewegung in den Vereinigten Staaten: Frauen<br />

wie Carrie Nation zerstörten um 1900 mit dem Hackebeil bewaffnet<br />

Dutzende von Bareinrichtungen im ganzen Land. Als dann 1919 die<br />

Prohibition in Kraft trat, waren es Bundesbeamte, die landesweit den<br />

öffentlichen Alkoholkonsum unterbanden und ihn damit in den Untergrund<br />

zwangen: in die illegalen Blind Pigs und Speakeasies (Flüsterkneipen),<br />

oft genug gut getarnt in Privathäusern.<br />

Für Abstinenz gibt es gute Gründe – aber gar kein Alkohol ist auch<br />

keine Lösung. Kaum war die Prohibition vorbei, wurde der private<br />

Alkoholkonsum in geselligem Rahmen modern. In den Staaten kam<br />

keine Cocktail Party mehr ohne Bar Cart aus, einem zum Spirituosentrolley<br />

umfunktionierten Teewagen, wie er in der viktorianischen Zeit<br />

populär geworden war. Zur gleichen Zeit wurde in Europa intensiv<br />

über die Hausbar als eigenes Möbelstück nachgedacht – 1932 widmete<br />

die Darmstädter Zeitschrift »Innendekoration« dieser »Erfindung<br />

der Neuzeit« einen eigenen Artikel, illustriert mit einer Reihe äußerst<br />

geschmackvoller Hausbar-Designs.<br />

Der kryptische Satz in seiner Einleitung, über die Hausbar lasse<br />

sich »auch sagen, dass sie aus einer ›physisch-metaphysischen Notwendigkeit<br />

der Zeit‹ hervorgegangen ist«, verweist auf die Gewitterwolken,<br />

die sich über der Weimarer Republik zusammengezogen hatten.<br />

Dass Menschen lieber zu Hause gesellig sind als in der Öffentlichkeit,<br />

kann eben auch politische Gründe haben. Mit der Machtergreifung<br />

der Nationalsozialisten zog sich das ausschweifende Nachtleben der<br />

Zwanziger Jahre in die innere Emigration zurück. Kein Wunder, dass in<br />

vielen Romanen der Dreißiger- und frühen Vierzigerjahre wie nebenbei<br />

die Hausbar Erwähnung findet.<br />

Nach ausgefeilter Spirituosenkultur stand in der unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit keinem sonderlich der Sinn. Alkohol war zu einem<br />

elementaren Grundnahrungsmittel geworden, nicht wegen der Kalorien,<br />

sondern gegen Erinnerung und Schmerz. Das änderte sich mit dem ökonomischen<br />

Aufschwung. Drüben in den Staaten hatten Frank Sinatra<br />

und das legendäre Rat Pack um Dean Martin und Sammy Davis Jr. den<br />

Drinks mixenden Mann als Ikone des »New Cool« der fünfziger Jahre<br />

entworfen und »The Great Home Bar Craze« begründet, das Goldene<br />

Zeitalter der Hausbar von 1950 bis 1975. Der Trend schwappte schnell<br />

über den großen Teich – bis in die DDR, in der die Hausbar ein probates<br />

Mittel war, sich die politischen Verhältnisse schönzutrinken.<br />

In der Bundesrepublik wurde die mit einer Minibar kombinierte<br />

Musiktruhe zum typischen Wirtschaftswundermöbel. Die legendäre<br />

Hausbar der Firma Wiemann, die zugleich Fernsehschrank, Bücherregal<br />

und Hausbar war, wurde bis Ende der sechziger Jahre eine halbe Million<br />

mal produziert. Die war freilich noch ein dezentes Möbelstück im Vergleich<br />

zu all den pfiffgen Lösungen,<br />

zu denen das Thema die Industrie<br />

animierte: Die Westdeutschen<br />

liebten es, ihre Alkoholvorräte<br />

hinter zersägten Rumfässern,<br />

Globen oder Toilettentischchen zu<br />

horten, was den Kulturjournalisten<br />

Jan Herchenröder schon 1960 zu<br />

einer bissigen Abrechnung mit der<br />

Stillosigkeit der jungen Bundesrepublik<br />

animierte. Titel: »Die<br />

Hausbar im Barockaltar«.<br />

Das Verdikt ist heute umso<br />

nachvollziehbarer, als es mit<br />

dem Inhalt der damaligen Hausbars<br />

nicht weit her war – auch<br />

wenn »Der Spiegel« damals<br />

Die Mad Men Don<br />

Draper und Roger<br />

Sterling nahmen<br />

ihre harten Drinks in<br />

den schummrigen<br />

Bars von Downtown<br />

Manhattan –<br />

heute hat die Hausbar<br />

wieder Konjunktur,<br />

fest platziert im<br />

eleganten Heim oder<br />

im mobilen Bar-Koffer<br />

von Moët & Chandon.<br />

28 <strong>FINE</strong> 1 | 2018 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 1 | 2018 29

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