Berliner Kurier 13.10.2018
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
*<br />
POLITIK<br />
Erbe der CSU<br />
verzockt<br />
Nicht übermächtige<br />
Rechtspopulisten machen<br />
der CSU das Leben<br />
schwer. In Bayern dümpelt<br />
die AfD nämlich bei zehn<br />
Prozent. Und es gibt auch<br />
keine grüne Welle, die global<br />
über den Planeten<br />
schwappt und jetzt Bayern<br />
erreicht –sonötig das vielleicht<br />
wäre. Nein, die CSU<br />
wird die Verantwortung für<br />
das Wähler-Votum am<br />
Sonntag nicht wegschieben<br />
können. Horst Seehofer,<br />
Markus Söder, Alexander<br />
Dobrindt heißen die Männer,<br />
die das Image der Partei<br />
seit Jahren prägen. Und<br />
die das Erbe der einstigen<br />
„50 plus X“-Partei verzockt<br />
haben.<br />
Bayern geht es gut –nicht<br />
wegen, sondern trotz der<br />
CSU. Laptop und Lederhose<br />
–solautete einst die griffige<br />
CSU-Kurzumschreibung.<br />
Heute steht sie indes<br />
für so weltfremde und<br />
rückwärtsgewandte Ideen<br />
wie Herdprämie und Pkw-<br />
Maut, zudem für Brückenschläge<br />
zu Europas Autokraten.<br />
Vor allem hat sich<br />
die CSU einen Ruf als politischer<br />
Störenfried in Berlin<br />
erarbeitet. Mit Verlässlichkeit<br />
–einem Wert, mit dem<br />
Markus Söder gern hausiert<br />
–hat das alles nichts zu tun.<br />
Melania Trump<br />
MEINE<br />
MEINUNG<br />
FRAU DES TAGES<br />
Gegen Cyber-Mobbing und<br />
für gepflegtere Umgangsformen<br />
in sozialen Medien<br />
setzt sich die US-Präsidentengattin<br />
Melania<br />
Trump<br />
mit ihrer<br />
Initiative<br />
„Be Best“<br />
ein –erstaunlich<br />
angesichts<br />
der Tatsache,<br />
dass ihr Gatte einer der<br />
wüstesten Twitter-Pöbler<br />
ist. Ebenfalls Erstaunen löste<br />
die First Lady mit der<br />
Aussage aus, sie selbst sei<br />
„der am meisten gemobbte<br />
Mensch der Welt“.<br />
Foto: dpa<br />
Von<br />
Harald<br />
Stutte<br />
Das<br />
Bayern-<br />
Beben<br />
Ade CSU-Alleinherrschaft: Deutschlands letzter<br />
Volkspartei droht Ungemach. Fünf Gründe dafür<br />
München – Dunkle Gewitterwolken<br />
verdunkeln die blauweiße<br />
Herrlichkeit: Schon<br />
jetzt steht fest, dass die<br />
Landtagswahl Bayern und<br />
wohl auch Deutschland nachhaltig<br />
verändern wird. Denn<br />
nicht nur die CSU-Alleinherrschaft<br />
wird wahrscheinlich<br />
verloren gehen, auch die<br />
Partnersuche wird für die<br />
einstige Volkspartei zum<br />
Drahtseilakt –weil eine historische<br />
Schwäche droht.<br />
Wer hat es verbockt?<br />
Lächeln, egal was passiert: Bayerns<br />
Ministerpräsident Markus<br />
Söder wirkt bei Wahlkampfauftritten<br />
oder in Interviews wie<br />
jenem im gestrigen ZDF-Frühstücksfernsehen<br />
derzeit so gelassen,<br />
dass es schon wieder<br />
auffällt. Und ignoriert alles, was<br />
mit Blick auf den morgigen<br />
Wahltag nach Katastrophe<br />
klingt. Wie die gestrige Umfrage<br />
des ZDF-Politbarometers:<br />
Bei 34 Prozent liegt Söders CSU<br />
da derzeit, fast 14 Prozent weniger<br />
als noch 2013. Die Grünen<br />
kämen demnach auf 19 Prozent,<br />
nach 8,6 Prozent 2013. Die SPD<br />
fiele um über acht Prozent auf<br />
kaum noch wahrnehmbare<br />
zwölf Prozent. Freie Wähler<br />
und AfD liegen bei jeweils zehn<br />
Prozent, die Linke bei 4,4, die<br />
FDP bei 5,5. Es sind vor allem<br />
fünf Gründe, die für das<br />
schlechte Image und den drohenden<br />
historischen Abstieg<br />
der CSU verantwortlich sind.<br />
1. Störenfried Seehofer<br />
Er selbst sieht sich als mutigen,<br />
prinzipienfesten Streiter.<br />
Doch Horst Seehofers<br />
dauernde Störmanöver in der<br />
Koalition, seine Attacken gegen<br />
Angela Merkel und seine<br />
Quengelei in der Asylfrage<br />
haben dazu geführt, dass er<br />
selbst in der eigenen Partei<br />
von 46 Prozent als „Störenfried“<br />
wahrgenommen wird –<br />
in der Gesamtbevölkerung sehen<br />
das 62 Prozent so.<br />
2. Missglückte Stabübergabe<br />
Der eine (Markus Söder)<br />
wollte unbedingt die Macht im<br />
Freistaat –und demonstrierte<br />
Ungeduld. Der andere (Amtsinhaber<br />
Horst Seehofer) wollte<br />
nicht loslassen –und schon gar<br />
nicht dem ungeliebten „Kronprinzen“<br />
Söder Platz machen.<br />
Es kam zu einem würdelosen<br />
Gezerre um die Macht –und zu<br />
34%<br />
... für die CSU ergibt das ZDF-<br />
Politbarometer –eine historische<br />
Zäsur.Unter 40 Prozent lag die<br />
Partei zuletzt 1954.<br />
einer „Machtteilung“: Söder<br />
wurde „Landesvater“, Seehofer<br />
blieb CSU-Chef. Beide, charakterlich<br />
schwierig, arbeiten gegeneinander.<br />
3. Der Rücktritt vom Rücktritt<br />
Seehofers Tiefpunkt: Anfang<br />
Juli 2018 kündigte er überraschend<br />
an, den Parteivorsitz<br />
und sein Ministeramt in Berlin<br />
aufzugeben. Später ruderte er<br />
zurück –und gilt seitdem als<br />
„politisch Untoter“.<br />
4. Die CSU als billige AfD-<br />
Kopie „Asyltourismus“ (Söder),<br />
der „Spaß“ mit den 69<br />
Abschiebungen am 69. Geburtstag<br />
(Seehofer) –rhetorisch<br />
hat sich die CSU der<br />
AfD bereits angenähert. Doch<br />
wie so oft bevorzugt der<br />
Wähler dann doch das Original.<br />
5. Die magere CSU-Bilanz<br />
in der <strong>Berliner</strong> Koalition<br />
Die gescheiterte Pkw-Maut,<br />
die Herdprämie (Betreuungsgeld,<br />
vom Verfassungsgericht<br />
kassiert), dazu die politische<br />
Nähe zu Autokraten wie Wladimir<br />
Putin oder Viktor Orbán –<br />
es sind nur einige Beispiele für<br />
politisch fragwürdige Projekte,<br />
für die sich die CSU im Bund<br />
starkgemacht hat. Die meisten<br />
Bürger irritiert das. STU