Berliner Zeitung 15.10.2018
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2* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 240 · M ontag, 15. Oktober 2018<br />
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Landtagswahl in Bayern<br />
Konfetti und Jubel bei den Grünen in München –RobertHabeck, Parteichef aus dem hohen Norden, freut sich erst einmal still, Anton Hofreiter,gebürtiger Münchener und Vorsitzender der Bundestagsfraktion, wirkt entfesselt.<br />
AP/KERSTIN JOENSSON<br />
KURZE<br />
München.<br />
In der bayerischen Landeshauptstadt lösen<br />
die Grünen die CSU voraussichtlich<br />
als stärkste Kraft bei einer Landtagswahl<br />
ab.Nach Auszählung von554 von954<br />
Wahlbüros lagen die Grünen in München<br />
mit 31 Prozent deutlich vorder CSU, die<br />
auf nur noch 24,5 Prozent kam. Damit<br />
konnten die Grünen gegenüber der Landtagswahl<br />
2013 um 18,9 Prozentpunkte zulegen,<br />
während die CSU 12,2 Prozentpunkte<br />
verlor.Auch bei den Direktmandaten<br />
zeichnete sich ein mehrheitlicher<br />
Erfolg der Grünen-Bewerber ab.<br />
Wichtige Themen für die<br />
Wahlentscheidung<br />
Schul- und Bildungspolitik<br />
Schaffung bezahlbaren Wohnraums<br />
Umwelt- und Klimapolitik<br />
Asyl- und Flüchtlingspolitik<br />
33%<br />
52%<br />
51%<br />
49%<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: INFRATEST<br />
Städte.<br />
DieSPD bricht dramatisch in Städten mit<br />
über 100 000 Einwohnernauf 13 Prozent<br />
(minus 17) ein, analysiertdie Forschungsgruppe<br />
Wahlen, wogegen die Grünen mit<br />
30 Prozent (plus 17) hier jetzt die CSU<br />
überholen (25 Prozent; minus 13). In Gemeinden<br />
mit unter 5000 Einwohnern<br />
bleibt die CSU mit 41 Prozent (minus elf)<br />
konkurrenzlos.Freie Wähler (15 Prozent;<br />
plus vier) und Grüne (14 Prozent; plus sieben)<br />
liegen dortnahe beieinander.<br />
AfD-Image.<br />
DieAfD hat mit minus 3,2 in Bayern ein<br />
miserables Image –wohl auch, weil 78<br />
Prozent in dieser Partei rechtsextremes<br />
Gedankengut weit verbreitet sehen, so<br />
die Forschungsgruppe Wahlen. Für 49<br />
Prozent trifft der Vorwurfzu, wonach<br />
die CSU partiell AfD-Inhalte übernommen<br />
hat, was der AfD nach Ansicht der<br />
Befragten eher genutzt und der CSU klar<br />
geschadet hat. 44 Prozent meinen, eine<br />
zuletzt „weit nach rechts gerückte CSU<br />
ist für viele Bürger in der politischen<br />
Mitte nicht mehr wählbar“.<br />
Wählerwanderung Grüne<br />
CSU<br />
SPD<br />
FDP<br />
AfD<br />
abgegeben<br />
an ...<br />
Freie Wähler<br />
Nichtwähler<br />
Sonstige<br />
–10 000<br />
±0<br />
bekommen von ...<br />
10 000<br />
20 000<br />
120 000<br />
180 000<br />
210 000<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: INFRATEST<br />
Der grüne Balken steigt und steigt,<br />
und als er jenseits der Markevon<br />
18 Prozent haltmacht, erfüllt triumphaler<br />
Jubel Saal eins im Bayerischen<br />
Landtag. Es knallt, und glitzerndgrüner<br />
Konfettiregen flattert andiesem frühen<br />
Sonntagabend im Maximilianeum umher.<br />
Wenige Minuten später sagt die<br />
Grünen-Spitzenkandidatin Katharina<br />
Schulze: „Dieses Wahlergebnis hat Bayern<br />
jetzt schon verändert.“<br />
Drei Ziele hatten sich die bayerischen<br />
Grünen gesetzt: Sie wollten endlich einmal<br />
zweistellig abschneiden. Sie wollten zweitstärkste<br />
Kraft im Land werden. Undsie wollten<br />
die absolute Mehrheit der CSU brechen.<br />
Alle drei Ziele haben sie am Sonntagabend<br />
erreicht. „Liebe ist stärker als Hass“, das sei<br />
ihr Fazit des Abends,sagt Schulze.<br />
VomNutzen der Politik<br />
VonJan Sternberg<br />
Der Jubel war verhalten bei der<br />
AfD-Wahlparty im niederbayerischen<br />
Mamming. Das Ergebnis<br />
der Bundestagswahl 2017 sollte<br />
übertroffen werden, das hat die Partei nun<br />
nicht geschafft.Warum? Es gab zu viele Alternativen<br />
zur AfD. „Die Freien Wähler haben<br />
nicht geschwächelt“, sagte Parteichef Alexander<br />
Gauland am Sonntagabend im ARD-<br />
Interview. „Viele enttäuschte CSU-Wähler<br />
haben erst einmal dort Halt gemacht.“ Und<br />
auch BayernsLandesvorsitzender Martin Sichert<br />
machte die „bürgerliche Konkurrenz“<br />
der Freien Wähler als Schuldige aus.<br />
Dennoch: Die AfD zieht in Bayern sicher<br />
in ihr 15. Landesparlament ein, etwas besser<br />
als zuletzt erwartet. Auch in den letzten<br />
Da war aber auch noch ein viertes, sozusagen<br />
inoffizielles Wahlziel: die Regierungsbeteiligung.<br />
Auch dieses scheint am Sonntagabend<br />
in greifbarer Nähe. Er werde sein<br />
Handy jetzt erst mal abschalten und feiern,<br />
sagt Ko-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann.<br />
Ab Montagmorgen aber sei er wieder erreichbar.Und<br />
die Handballerin Schulzewiederholt<br />
den Satz, den sie in den vergangenen<br />
Wochen oft geäußerthat:„Ich bin nicht in die<br />
Politik gegangen, um in aller Schönheit am<br />
Spielfeldrand zu sterben.“<br />
Die Wahlkampfstrategie der Grünen ist<br />
aufgegangen. Eine Strategie, die sich vor allem<br />
aus einem Lebensgefühl gespeist hat.<br />
„Leidenschaft, Mutund Zuversicht“ habe sie<br />
den Bürgern vermitteln wollen, erzählt<br />
Schulze Abend strahlend. Man habe sich<br />
nicht am Versagen der Mitbewerber abarbeiten,<br />
sondern den Nutzen der Politik für die<br />
Bürger in den Mittelpunkt rücken wollen.<br />
Lange Zeit war es der CSU vorbehalten, das<br />
„Bayern-Gefühl“ zu verkörpern–diese besondereMischung<br />
aus Tradition und Fortschrittsgeist,<br />
gebündelt in dem Motto„Laptop und Lederhose“.<br />
DieGrünen haben den Christsozialen<br />
dieses Alleinstellungsmerkmal streitig gemacht.<br />
Hartmann, 40, gab den Verteidiger der<br />
hübschen bayerischen Landschaft, als er vor<br />
„Flächenfraß“ und „Betonflut“ warnte.<br />
Schulze, 33, forderte im Dirndl mehr Stellen für<br />
die Polizei. In Bayern ist während des Sommers<br />
ein Wettbewerb um Heimatverbundenheit<br />
und Staatstreue entbrannt. Undausgerechnet<br />
die Grünen, von CSU-Urgestein Franz Josef<br />
Strauß einst als„trojanische Sowjet-Kavallerie“<br />
Mit Liebe<br />
und Mut<br />
Die Grünen sind nach einem lebensfrohen Wahlkampf<br />
die Gewinner des Abends –aber reicht es auch<br />
zum Regieren?<br />
VonMarina Kormbaki und Markus Decker,München<br />
Gute-Laune-Wahlkämpferin Katharina Schulze genießt den Abend.<br />
AFP/CHRISTOF STACHE<br />
Zu viele Alternativen<br />
Die intern zerstrittene AfD hat es in den bayerischen Landtag geschafft –und ist doch nicht zufrieden<br />
Landtag in Hessen in zwei Wochen wird ihr<br />
das wohl gelingen. Daszweistellige Ergebnis<br />
in Bayern beschert der AfD ihr bisher drittbestes<br />
Resultat bei einer westdeutschen<br />
Landtagswahl. 2016 erhielten die Rechtspopulisten<br />
in Baden-Württemberg 15,1 und in<br />
Rheinland-Pfalz 12,6 Prozent der Wählerstimmen.<br />
Am bislang stärksten schnitt die<br />
Partei 2016 bei der Landtagswahl im ostdeutschen<br />
Sachsen-Anhalt ab.Dortwurde sie mit<br />
24,3 Prozent zweitstärkste Kraft –ebenso wie<br />
später in Mecklenburg-Vorpommern (20,8<br />
Prozent). In Berlin bekam sie 14,2 Prozent.<br />
2017 war die AfD in den Westländern<br />
nicht ganz so erfolgreich: In Niedersachsen<br />
holte sie 6,2 Prozent, in Nordrhein-Westfalen<br />
7,4, im Saarland 6,2 und in Schleswig-Holstein<br />
5,9 Prozent. Allerdings konnte die Partei<br />
mit 12,6 Prozent bei der Bundestagswahl<br />
beschimpft, sind daraus als Sieger hervorgegangen.<br />
IhrFeel-Good-Wahlkampf traf einen Nerv<br />
bei vielen Wählern –besonders unter jenen<br />
in den Großstädten. Dort sind die Grünen<br />
die stärkste Kraft. Fast jeder dritte bayerische<br />
Städter wählte grün. DieBeliebtheit der bayerischen<br />
Ökos hat Höhen erreicht, die diese<br />
nie zuvor erklommen haben. Ihr bisher bestes<br />
Wahlergebnis –9,4 Prozent im Jahr 2008 –<br />
war gerade einmal halb so starkwie das vom<br />
Sonntagabend.<br />
Einen Anteil daran hat auch die Bundespartei.<br />
In den Jamaika-Verhandlungen haben<br />
sich die Grünen Respekt erarbeitet. Annalena<br />
Baerbock und RobertHabeck, die Parteichefs,<br />
haben zuletzt viel Zeit in bayerischen Bierzelten<br />
und Marktplätzen verbracht. Beide sind<br />
auch für Bürger wählbar, die nicht auf Demonstrationen<br />
inWackersdorfoder imWendland<br />
politisch sozialisiert wurden. Sie sind<br />
Vertreter einer neuen Generation von Grünen-Politikern,<br />
die weit über das umweltbewegte<br />
Kernmilieu hinaus überzeugen können.<br />
In Berlin rühmt Baerbock am Sonntagabend,<br />
dass die Grünen ihr Ergebnis mehr als<br />
verdoppelt hätten und findet das„einfach nur<br />
Wow“. Baerbock ist so euphorisch, dass sie<br />
den bayerischen Spitzenkandidaten Ludwig<br />
Hartmann als Ludwig Erhard tituliert –was<br />
für allgemeine Heiterkeit sorgt.<br />
Dasliberale Korrektiv<br />
Die neuen Grünen fremdeln nicht mit der<br />
Macht, sie streben sie an –zur Not auch an<br />
der Seite der CSU. DieBayernsind da besonders<br />
pragmatisch. Flügelkämpfe zwischen<br />
Parteilinken und Realos sind ihnen fremd.<br />
Die Vorstellung, Aufpasser der CSU zu sein,<br />
ein liberales Korrektiv zu nationalkonservativer<br />
Politik, behagt vielen Grünen im Süden.<br />
Im Ganzen aber brächte eine bayerische<br />
Regierungsoption die Grünen in eine<br />
schwierige Lage. Einerseits würde die Ökopartei,<br />
die ja längst an der Mehrzahl der 16<br />
Landesregierungen beteiligt ist, noch einmal<br />
an Bedeutung gewinnen. Die Aussicht mitzugestalten<br />
lockt. Andererseits ist die Spreizung<br />
zwischen rot-rot-grünen Regierungen<br />
wie in Berlin und Thüringen und einer<br />
schwarz-rot-grünen Koalition wie in Sachsen-Anhalt<br />
mit einer CDU, die in Teilen der<br />
AfD zuneigt, schon heute enorm. Und die<br />
CSU gilt als schwierigster Partner. Eine<br />
schwarz-grüne Koalition, so heißt es in grünen<br />
Führungskreisen, könne es deshalb nur<br />
im Fall eines harten Politikwechsels geben.<br />
im September wieder an ihreErfolgsserie der<br />
vorangegangenen Jahreanknüpfen.<br />
Nunhat die Partei erneut ein zweistelliges<br />
Resultat eingefahren. Doch eines kann das<br />
Ergebnis nicht verdecken: Der Landesverband<br />
ist intern zerstritten, die Arbeit in der<br />
Fraktion wird schwierig. Vorallem aber sind<br />
viele in der Partei enttäuscht, dass die AfD<br />
nicht noch mehr vom Niedergang der CSU<br />
profitieren konnte.<br />
„Wir halten, was die CSU verspricht“, war<br />
der Slogan der AfD, die sich als „bessere<br />
CSU“ zu inszenieren versuchte. Der bayerische<br />
Defiliermarsch erklang bei ihren Veranstaltungen,<br />
die niederbayerische Spitzenkandidatin<br />
Katrin Ebner-Steiner trat im<br />
Dirndl auf. Alles konzentrierte sich auf Ebner-Steiner,<br />
die Björn Höcke, den Anführer<br />
des rechtsextremen Flügels in der Partei, einen<br />
„Nationalromantiker“ nennt und „einen<br />
der wenigen Politiker, die ehrlich und aufrichtig<br />
sind“. Schwierig war nur,dass die AfD<br />
forderte,die staatliche Unterstützung für die<br />
Amtskirchen einzustellen.<br />
Im Sommer schien der Wahlerfolg ein<br />
Selbstläufer zu werden. Dann kam Chemnitz.<br />
Der bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete<br />
Gerold Otten lief beim Trauermarsch für den<br />
mutmaßlich von einem Flüchtling getöteten<br />
Chemnitzer Daniel H. neben Höcke und Pegida-Chef<br />
Lutz Bachmann, neben Hooligans<br />
und Rechtsextremen. CSU-Ministerpräsident<br />
Markus Söder nutzte die Bilder:Die AfD marschiere<br />
„Seit an Seit mit NPD, Pegida und<br />
Hooligans“, warnte er.AfD-Wahlkämpfer berichteten<br />
seitdem vonBürgern, die ihnen sagten:<br />
„Die CSU kann ich nicht mehr wählen.<br />
Euch aber auch nicht.“