Berliner Zeitung 15.10.2018
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 240 · M ontag, 15. Oktober 2018 3 **<br />
·························································································································································································································································································<br />
Landtagswahl in Bayern<br />
So sehen Enttäuschte aus –CSU-Unterstützer verfolgen die Bekanntgabe der ersten Prognose in München.<br />
AFP/CHRISTOF STACHE<br />
Esist 18.24 Uhr, als Markus Söder vor<br />
den Kameras im Fraktionssaal der<br />
CSU im Münchener Landtag steht.<br />
Es gibt –das ist vielleicht überraschend<br />
bei diesem historisch schlechten Ergebnis<br />
–kräftigen Applaus. Seine Partei, ruft<br />
Söder,habe den klaren Auftrag erhalten, eine<br />
stabile Regierung zu bilden. „Diesen Auftrag<br />
nehmen wir an.“ Wieder brandet Beifall auf.<br />
Es ist wohl auch die Erleichterung darüber,<br />
dass es für die CSU nicht noch schlimmer gekommen<br />
ist an diesem Abend.<br />
„Kein schönes Ergebnis“ sei es,räumt Söder<br />
ein. „Über die Ursachen können wir in<br />
den nächsten Tagen viel reden.“ Aber es sei<br />
eben nicht völlig leicht gewesen, sich vom<br />
Bundestrend abzukoppeln. Und erwiederholt,<br />
was er schon oft in den vergangen Wochen<br />
gesagt hat: dass es keinen Rückenwind<br />
aus Berlin gegeben habe. Und dass der andauernde<br />
Streit in der Großen Koalition<br />
nicht hilfreich gewesen sei.„Wir müssen jetzt<br />
vorallem nach vorneschauen“, rät Söder.Jedenfalls<br />
sei es möglich und nötig, eine stabile<br />
Regierung zu bilden.<br />
Kein böses Wort<br />
Quasi im Vorbeigehen antwortet Horst Seehofer<br />
auf den Landtagsfluren die Frage,ober<br />
denn nach diesem Ergebnis CSU-Chef und<br />
Bundesinnenminister bleiben werde. Kurz<br />
zieht er die Augenbrauen hoch, lächelt süffisant.<br />
„Ich werde meinen Auftrag weiterhin<br />
wahrnehmen“, antwortet er dann. Es ist<br />
auch eine Kampfansage an diejenigen in der<br />
Partei, die es anders sehen, die schon auf seinen<br />
Abgang gesetzt hatten. Etwa an Ex-CSU-<br />
Chef Erwin Huber, der an diesem Abend im<br />
TV-Studio an das Jahr 2008 erinnert. Undan<br />
den Verlust der absoluten Mehrheit, nachdem<br />
Huber damals gehen musste.<br />
Söder verliert allerdings kein böses Wort<br />
über Seehofer. Und Seehofer nicht über Söder.<br />
Die beiden langjährigen Kontrahenten<br />
treten zwar nicht gemeinsam auf, aber sie<br />
haben eine Absprache miteinander, einen<br />
Nichtangriffspakt, der sie beide retten soll.<br />
„Das Ergebnis ist immerhin so gut, dass niemand<br />
zu Verzweiflungstaten aufgelegt ist“,<br />
meint ein CSU-Stratege.Die ganz große Konfrontation,<br />
der ultimative Machtkampf, mit<br />
dem viele gerechnet hatten – das alles<br />
scheint abgeblasen zu sein.<br />
Seehofer dankt für den„famosen Einsatz“<br />
im Wahlkampf. „Ganz besonders unseren<br />
Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten<br />
Markus Söder“, sagt Seehofer.Ersei zwar betrübt<br />
über das„nicht gute“ Ergebnis.„Aufder<br />
anderen Seite müssen wir jetzt unsere Verantwortung<br />
wahrnehmen“, mahnt Seehofer<br />
zur Geschlossenheit. Das scheint die abgesprochene<br />
Linie zu sein: Augen zu und<br />
durch, zusammenbleiben und am besten<br />
nicht gleich Personaldebatten anzetteln,<br />
weil dann alles ins Wanken geraten könnte.<br />
„Ein schwieriges Ergebnis“, sagt Ilse Aigner,<br />
die einflussreiche CSU-Chefin von<br />
Oberbayern. Ob es denn daran liege, dass<br />
das Zusammenspiel zwischen Söder und<br />
Seehofer nicht funktioniert habe? „Wir werden<br />
auch darüber reden“, entgegnet Bayerns<br />
Innenminister Joachim Herrmann. Wasgenau<br />
man sich darunter vorzustellen hat,<br />
bleibt offen.<br />
EinCSU-Kenner äußertandiesem Abend<br />
in München eine Theorie: „Der Söder wird,<br />
wenn es denn rechnerisch am Ende reicht,<br />
Augen zu<br />
und durch<br />
Die CSU redet sich das schlechte Ergebnis so schön<br />
wie möglich. Markus Söder sagt, man wolle nach vorne schauen.<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
Horst Seehofer lächelt und gibt sich ungerührt.<br />
Doch so mancher fragt sich: Kommt es noch zu einem Putsch?<br />
47,5<br />
35,3<br />
48,1<br />
35,8<br />
56,4<br />
33,3<br />
62,1<br />
30,2<br />
VonRasmus Buchsteiner,München<br />
Landtagswahlen in Bayern<br />
an 100 %fehlend =andere Parteien, ARD-Hochrechnung 22.47 Uhr<br />
59,1 58,3<br />
31,4<br />
31,9<br />
55,8<br />
27,5<br />
54,9<br />
52,9<br />
52,8<br />
26,0 30,0<br />
28,7<br />
60,7<br />
10<br />
7,5<br />
4,6 6,4 6,1 5,7 7,7 10,2<br />
5,9 5,1 5,6 5,2 6,2<br />
4,9<br />
0<br />
3,7 4,4<br />
1962 ’66 ’70 ’74 ’78 ’82 ’86 ’90 ’94 ’98 ’03 ’08 ’13 2018<br />
43,4<br />
30,0<br />
19,6 18,6<br />
47,7<br />
20,6<br />
37,4 %<br />
17,7 %<br />
11,5 %<br />
10,2 %<br />
9,6 %<br />
5,0 %<br />
3,2 %<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: LANDESWAHLLEITER<br />
rasch mit den Freien Wählern eine Koalitionsregierung<br />
zimmern –und dann so tun,<br />
als sei nichts gewesen.“<br />
Ob diese Rechnung aufgeht? Wieder einmal<br />
jedenfalls wirkt Söder wie einer,der dem<br />
Rest seiner Partei ein paar Schritte voraus ist:<br />
immer ein bisschen schneller, höher, weiter<br />
als die CSU.<br />
DiePartei indessen erlebt jetzt einen Moment<br />
tiefer Depression. Erst nach und nach<br />
wirdder Blick frei auf eine völlig neu sortierte<br />
politische Landschaft im Freistaat. Wasbedeutet<br />
dieses Beben für die Frage,wie es weitergehen<br />
soll an der CSU-Spitze, in der bayerischen<br />
Regierung und nicht zuletzt in der<br />
großen Koalition in Berlin? „Das wird ganz,<br />
ganz schwierig“, sagt einer aus dem Parteivorstand<br />
mit sorgenvollem Gesicht.<br />
Tatsächlich ist nichts mehr gewiss. Soll<br />
Horst Seehofer Parteivorsitzender bleiben?<br />
Welche Koalition empfiehlt sich in München?<br />
Und ist Söder nach diesem heillosen<br />
Absturz als Ministerpräsident eigentlich<br />
noch zu halten?<br />
Fest steht nur: Die jetzt anstehende Debatte<br />
wird sehr tief gehen und sehr grundsätzlich<br />
werden. „Es wirdein langer Abend“,<br />
orakelt ein Christsozialer, der lange für die<br />
CSU im Bundestag war.<br />
Vieles fühlt sich auf einmal neu an in der<br />
CSU. Plötzlich spielt es eine Rolle, wie die<br />
Freien Wähler abgeschnitten haben. Ist die<br />
FDP drin oder nicht? Früher waren deren<br />
Werte der CSU egal. Plötzlich haben die „Alten“<br />
in der eigenen Partei wieder mehr Gewicht<br />
in den internen Debatten. Was wird<br />
Edmund Stoiber raten? WasTheo Waigel?<br />
Trotzig hatte Söder auf seinen Fleiß und<br />
seine Unermüdlichkeit im Wahlkampf verwiesen.<br />
Keinen Bierzelttermin zwischen<br />
Nürnberg und Berchtesgaden ließ er aus.<br />
„Ich biete 100 Prozent Einsatz“, hatte Söder<br />
dem Lederhosen- und Dirndl-Publikum auf<br />
den Volksfesten zugerufen. Wieder und wieder.<br />
Mangelndes Engagement wollte er sich<br />
nicht vorwerfenlassen.<br />
Mehr als 250 000 Menschen habe er mit<br />
seinen Auftritten in allen Regionen des Freistaats<br />
erreicht, rechnete er neulich hinter<br />
verschlossenen Türen im Franz-Josef-<br />
Strauß-Haus vor, der CSU-Zentrale im<br />
Münchner Norden.<br />
Doch jetzt wiegen viele in der CSU die<br />
Köpfe.Dass Söder sehr aktiv war,bestreitet ja<br />
niemand. Aber hat der Mann nicht einfach<br />
überdreht? Stets fanden sich an der Parteispitze<br />
Leute mit Zweifeln an Söders Einschätzungen,<br />
an seinemVorgehen im Einzelnen,<br />
sogar an seiner generellen Eignung fürs<br />
höchste Amt im Freistaat. Anfang August ließ<br />
eine Umfrage aufhorchen, wonach Söder der<br />
unbeliebteste Ministerpräsident der Republik<br />
ist. Spitzenreiter auf den Plätzen eins,<br />
zwei und drei sind Winfried Kretschmann<br />
(Grüne) in Stuttgart, Daniel Günther (CDU)<br />
in Kiel undStephanWeil (SPD) in Hannover.<br />
Zerknirscht grüßte Söder vonPlatz 16.<br />
Sogar Wohlmeinende empfanden Söders<br />
Wahlkampf als verkorkst. Mal gab er den jovialen<br />
Landesvater, mal den düster drohenden<br />
Mann vom rechten Rand. Söder hat<br />
seine Rolle nie gefunden.<br />
Im Frühsommer probierte es Söder als<br />
Scharfmacher, erklärte den Flüchtlingsstreit<br />
in der Union zum „Endspiel um die Glaubwürdigkeit“.<br />
Wenige Tage später saß er in der<br />
entscheidenden Runde im Konrad-Adenauer-Haus<br />
in Berlin dabei, als die CSU in einen<br />
Formelkompromiss einwilligte. Kleinlaut<br />
entschuldigte sich Söder dafür, von<br />
„Asyltourismus“ gesprochen zu haben, und<br />
versprach, auf diesen Begriff zu verzichten.<br />
Kruzifix und Raumfahrt<br />
Erfolglos blieb auch Söders Versuch, sich als<br />
Sozialpolitiker zu positionieren. Oft sprach<br />
er über Heimat, Zusammenhalt und den<br />
Wert der Familie. Doch auch milliardenschwereneue<br />
Leistungen wie Familien- und<br />
Pflegegeld oder die bayerische Eigenheimzulage<br />
konnten den Niedergang der CSU in<br />
den Umfragen nicht aufhalten.<br />
Auch Söders Vorhaben, sich als Vorkämpfer<br />
des Christentums zu positionieren,<br />
ging gründlich schief. Als er in seiner<br />
Staatskanzlei vor einem Pulk von Kameras<br />
stolz ein Kreuz anbrachte und eine Kruzifix-Pflicht<br />
für alle bayerischen Amtsstuben<br />
verkündete, gingen die christlichen Kirchen<br />
selbst auf Distanz: Söders Erlass bewirke<br />
nur „Spaltung und Unruhe“, rügte<br />
Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der<br />
katholischen Deutschen Bischofskonferenz.<br />
Generell stehe es dem Staat nicht zu<br />
zu erklären, was das Kreuz bedeutet.<br />
Zuletzt, vorwenigen Tagen erst, verpatzte<br />
Söder auch noch die Präsentation des bayerischen<br />
Raumfahrtprogramms. Statt über die<br />
ehrgeizigen wissenschaftspolitischen Pläne<br />
der Staatsregierung redete die Republik nur<br />
über das„BavariaOne“-Logo mit einem großen<br />
Söder-Konterfei, das der Ministerpräsident<br />
hatte entwerfen lassen –als wäreerder<br />
Held einer neuen Science-Fiction-Serie.<br />
Kommt es an diesem Montag doch noch<br />
zur großen Abrechnung in der CSU? Die<br />
Rede ist von geheimen Bündnissen, auch<br />
von einem möglichen Putsch. Seehofer und<br />
Söder können sich ihrer CSU nicht ganz sicher<br />
sein. Beide wissen aus Erfahrung: Die<br />
CSU ist eine Partei, die den Erfolg liebt. Und<br />
sie geht brutal mit denen um, die als Schuldige<br />
ausgemacht werden, wenn er ausbleibt.<br />
Rasmus Buchsteiner beobachtet die<br />
CSU seit Jahren und findet: Die Partei<br />
ist ein Schatten ihrer selbst.<br />
KURZE<br />
Asylpolitik.<br />
DieSchlappe der CSU bei der bayerischen<br />
Landtagswahl führen Wahlforscher maßgeblich<br />
auf den Streit innerhalb der Union<br />
zurück. 81 Prozent der Wähler seien der<br />
Meinung, der Konflikt der letzten Monate<br />
vorallem um die Asylpolitik habe der Partei<br />
vonMinisterpräsident Markus Söder<br />
geschadet, wie aus einer Analyse der Forschungsgruppe<br />
Wahlen hervorgeht.<br />
Wählerwanderung CSU<br />
SPD<br />
Freie<br />
Wähler<br />
–170 000<br />
Grüne –180 000<br />
xxxx<br />
FDP<br />
AfD –180 000<br />
22 000<br />
Nichtwähler<br />
Sonstige<br />
abgegeben an ...<br />
–40 000<br />
bekommen<br />
von ...<br />
10 000<br />
100 000<br />
200 000<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: INFRATEST<br />
Linke.<br />
Obwohl die Linke es bei der Landtagswahl<br />
in Bayern laut Hochrechnungen nicht ins<br />
Parlament schafft, sieht Bundespartei-<br />
Chef BerndRiexinger das Ergebnis positiv.„Wirhaben<br />
ein Plus von1,4 Prozent,<br />
wir sind eine der wenigen Parteien, wo die<br />
Balken nach oben weisen“, sagte Riexinger<br />
am Sonntagabend in der ARD.„Ich<br />
finde,das ist für die bayerischen Linken<br />
kein Grund, in Sack undAsche zu gehen.“<br />
DieLinke sei dorteine junge,wachsende<br />
Partei, „aber eben in der ganzen Fläche<br />
noch nicht überall präsent“.<br />
Stimmanteile der Parteien nach Bildung<br />
Einfache Bildung Hohe Bildung<br />
CSU<br />
AfD<br />
Freie Wähler<br />
SPD<br />
Grüne<br />
Linke<br />
FDP<br />
3%<br />
3%<br />
7%<br />
16%<br />
13%<br />
9%<br />
11%<br />
10%<br />
8%<br />
2%<br />
8%<br />
29%<br />
28%<br />
42%<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: INFRATEST<br />
Salvinis Salve.<br />
Italiens rechtspopulistischer Innenminister<br />
Matteo Salvini sieht mit der Bayern-<br />
Wahl das „alte System“inEuropa abgewählt.<br />
„InBayernhat der Wandel gewonnen<br />
und die EU hat verloren“, erklärte der<br />
Vize-Premier und Chef der rechtenLega.<br />
Es sei eine „historische Niederlage für die<br />
Christdemokraten und Sozialisten, während<br />
das erste Maldie Freunde der AfD in<br />
das regionale Parlament einziehen“, so<br />
Salvini. „Arrivederci Merkel, Schulz und<br />
Juncker.“