Berliner Zeitung 29.10.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 252 · M ontag, 29. Oktober 2018 – S eite 20 *<br />
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Sport<br />
Einen Punkt erkämpft: Fabian Lustenberger,Davie Selke, Salomon Kalou, Arne Maier,Vladimir Darida, und Javairo Dilrosun (v.l.) bejubeln das 2:2 in der Nachspielzeit.<br />
OTTMAR WINTER<br />
„Eine Katastrophe für Hertha BSC“<br />
Manager Michael Preetz und Trainer Pal Dardai verurteilen die Ausschreitungen. Dass ihre Spieler auf dem Rasen glänzen, gerät beinahe zur Nebensache<br />
VonPatrick Berger,Dortmund<br />
Irgendwie war Pal Dardai auch<br />
am Tagdanach noch hin- und<br />
hergerissen. Einerseits war der<br />
Übungsleiter in Diensten von<br />
Hertha BSC natürlich mächtig stolz<br />
auf die Leistung seiner Mannschaft.<br />
In Dortmund, beim turmhohen Favoriten,<br />
erspielten sich die Blau-Weißen<br />
ein 2:2. Ein Resultat mit Nachhall,<br />
das die ohnehin schon breite<br />
Brust des Trainers noch mehr anschwellen<br />
ließ. „Dickes Lob an die<br />
Mannschaft! Respekt! Das war toll!“<br />
Überschwängliches Lob von Dardai<br />
für seine Profis.Doch es gab da auch<br />
diese scheußlichen Szenen, die die<br />
großartige Arbeit vonDardai und Co.<br />
an diesem leider denkwürdigen<br />
Sonnabend in den Hintergrund rücken<br />
ließen.„Ich war so glücklich vor<br />
dem Spiel“, verriet der 42-jährige<br />
Ungar,„weil so viele Fans mitgereist<br />
sind. 4000. Wow! Eine tolle Zahl.<br />
Statt aber über den großen Erfolg,<br />
lese ich leider überall nur von den<br />
Vorfällen. Dasist schade.“<br />
Kurz vordem Anpfiff hatten so genannte<br />
Fans anlässlich des 15-jährigen<br />
Bestehens der linksorientierten<br />
Ultra-Gruppierung „Hauptstadtmafia“<br />
auf der Nordtribüne des Westfalenstadions<br />
Pyrotechnik entzündet<br />
und das Stadion regelrecht vernebelt.<br />
Die Polizei schritt in der zwölften<br />
Minute des Spiels ein, um ein<br />
großes Banner mit der Aufschrift<br />
„Ultras für immer –15Jahre Hauptstadtmafia“<br />
zu entfernen. DieBeamten<br />
vermuteten, dass unter der<br />
Fahne weiteres Pyro-Material versteckt<br />
war. Eskam zu wüsten Schlägereien.<br />
Etwa 30 vermummte Chaoten<br />
gerieten in den Innenraum,<br />
schlugen mit Fahnenstangen auf die<br />
Beamten ein, wollten ihreFlagge zurückgewinnen.<br />
Pfefferspray wurde<br />
eingesetzt. Schlimmer noch: In der<br />
Halbzeitpause gingen die Auseinandersetzungen<br />
unter dem Tribünendach<br />
weiter.Dortwurden zwei große<br />
Sanitäranlagen durch maskierte<br />
Herthaner komplett zerstört und<br />
einschreitende Polizeikräfte mit abgetretenen<br />
Toilettentüren und Sanitärkeramik<br />
angegriffen.<br />
Insgesamt ist es laut Polizei zu 45<br />
verletzten Personen gekommen, 35<br />
mussten nach Pfefferspray-Einsatz<br />
behandelt werden. Einige Personen<br />
wurden zur Behandlung ins Krankenhaus<br />
gebracht.<br />
Manager Michael Preetz wurde<br />
wohltuend deutlich, verurteilte die<br />
Exzesse zutiefst. Der 51-Jährige<br />
sprach von einer „Katastrophe für<br />
den Fußball und für Hertha BSC“.<br />
Man wolle nun dazu beitragen, gemeinsam<br />
mit einer extra einberufenen<br />
Ermittlungskommission die Täter<br />
zu identifizieren.<br />
„Gewalt gehört nicht ins Stadion“,<br />
betonte auch Dardai. „Es geht<br />
um alle Fans, esgeht um Fußball.“<br />
Bereits das Zünden vonPyrosei eine<br />
„sehr grenzwertige Sache. Wenn sie<br />
sich selbst anzünden, ist es ihre eigene<br />
Sache.Aber es gehen auch Kinder<br />
und Familien ins Stadion.“<br />
„Wenn sie sich selbst anzünden,<br />
ist es ihre eigene Sache.<br />
Aber es gehen auch Kinder und Familien<br />
ins Stadion.“<br />
Pal Dardai findet, dass Pyrotechnik und Gewalt<br />
seiner Hertha schaden<br />
Es ist schon ein Jammer aus <strong>Berliner</strong><br />
Sicht. Die Verantwortlichen des<br />
Erstligisten tun alles dafür,umihren<br />
Klub attraktiver zu machen und vor<br />
allem auch junge Fans zu gewinnen.<br />
Mehr als 53 000 Fans kamen vorige<br />
Woche gegen einen mittelklassigen<br />
Klub wie Freiburg ins Olympiasta-<br />
dion. Dank einer regelrechten Digitaloffensive<br />
hat der Hauptstadtklub<br />
seine Reichweite und Bekanntheit<br />
über die Grenzen Berlins und Brandenburghinaus<br />
gesteigert. Dazu hat<br />
freilich auch die Mannschaft ihren<br />
nicht ganz unerheblichen Teil beigetragen,<br />
spielt momentan den vielleicht<br />
attraktivsten Fußball der letzten<br />
fünfzehn Jahre. Doch Aktionen<br />
wie solche der Chaoten führen dazu,<br />
dass potenzielle Neu-Anhänger abgeschreckt<br />
werden, sich gar vonHertha<br />
distanzieren. Werwill schon zu<br />
einem Verein halten, der beinahe<br />
wöchentlich Pyrotechnik abfackelt<br />
und sich nun auch wüste Schlägereien<br />
mit der Polizei liefert?<br />
Gut, dass Hertha auch sportlich<br />
für Schlagzeilen sorgt. Miteinem leidenschaftlichen<br />
Auftritt hat das Dardai-Team<br />
am Sonnabend wieder mal<br />
einen Favoriten geärgert. Nach<br />
Schalke (2:0), Gladbach (4:2) und<br />
Bayern (2:0) war Ligaprimus Dortmund<br />
dran.<br />
Lange lag Hertha allerdings vor<br />
81 000 Fans im Ruhrgebiet nach den<br />
beiden Treffern des erst 18-jährigen<br />
Genies Jordan Sancho zurück<br />
(27./61). „Wir haben aber bis zum<br />
Ende an uns geglaubt und nicht aufgegeben“,<br />
sagte Salomon Kalou, der<br />
für Hertha zunächst den 1:1-Ausgleich<br />
machte (41.) und später per<br />
Elfmeter (90.+1), den der eingewechselte<br />
Davie Selke herausgeholt hatte,<br />
den Punktgewinn sicherte.<br />
Für Hertha geht es schon morgen<br />
um halb sieben in der zweiten Runde<br />
des DFB-Pokals bei Zweitligisten SV<br />
Darmstadt 98 weiter.Ohne PerSkjelbred<br />
allerdings. Der Norweger hat<br />
sich gegen Dortmund eine Oberschenkelprellung<br />
zugezogen.<br />
Mit 16Punkten bleibt Hertha an<br />
der Spitzengruppe der Bundesliga<br />
dran. „Für uns ist wichtig: Wirhaben<br />
bislang nur einmal verloren, das ist<br />
ein gutes Gefühl“, sagt Dardai. „Wir<br />
wollen dieses tolle Unentschieden<br />
jetzt vergolden. Das bedeutet: Am<br />
Dienstag erst mal im Pokal in Darmstadt<br />
weitergehen. Unddann hast du<br />
hier zu Hause gegen Leipzig wieder<br />
ein Topspiel. Viele Zuschauer werden<br />
da sein, die Erwartungen sind<br />
groß.“ Wäre schön, wenn Dardai<br />
dann ausschließlich über den Sport<br />
sprechen könnte.<br />
Randale in Block 61 und auf den Toiletten<br />
Während Herthas Auswärtsspiel beim BVB kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen <strong>Berliner</strong> Ultras und der Dortmunder Polizei<br />
VonChristine Dankbar,Dortmund<br />
Die mitgereisten Fans vonHertha<br />
BSC haben am Sonnabend ein<br />
denkwürdiges Auswärtsspiel in<br />
Dortmund erlebt. Leider ging es dabei<br />
nicht nur um das 2:2 auf dem Rasen.<br />
Noch vor dem Anpfiff ging es<br />
schon auf den Rängen los.Die Ultragruppe<br />
„Hauptstadtmafia“ feierte<br />
Geburtstag, den 15. –statt Geburtstagskerzengab<br />
es Bengalos.Das sind<br />
Handfackeln, die eine Menge Qualm<br />
verursachen und wegen der großen<br />
Hitze, mit der sie abbrennen, gefährlich<br />
sind. Es ist daher eine Ordnungswidrigkeit,<br />
Bengalos und<br />
sonstige Pyrotechnik mit ins Stadion<br />
zu bringen. Eigentlich werden die<br />
Fans beim Eintritt von Ordnern<br />
durchsucht, um das Einschmuggeln<br />
zu verhindern. In Dortmund zeigte<br />
sich an diesem Sonnabend, dass das<br />
wie so oft vergebliche Liebesmüh<br />
war. Esist schwer zu sagen, wieviele<br />
Bengalos zu Beginn des Spiels abgefackelt<br />
wurden, jedenfalls entwickelten<br />
sie genug Qualm, um den Anpfiff<br />
des Spiels um einige Minuten zu verhindern.<br />
Die Sichtbehinderung hat<br />
auch viele Hertha-Fans im Auswärtsblock<br />
genervt. Sie nahmen es aber<br />
hin. Es dauerte ohnehin nicht lange.<br />
Es gab weder Panik, noch Unruhe.<br />
Das Spiel wurde angepfiffen. Danach<br />
standen noch ein paar Ultras<br />
mit kleineren Fackeln herum und<br />
zündeten sie ebenfalls an. Kleinere<br />
Fackeln, weniger Qualm, keine<br />
Sichtbehinderung.<br />
In diesem Moment marschierten<br />
behelmte Bereitschaftspolizisten vor<br />
dem Fanblock auf und begannen das<br />
Banner der „Hauptstadtmafia“ wegzuzerren.<br />
Die offizielle Begründung<br />
der Polizei lautete später, dass man<br />
verhindern wollte, dass sich Ultras<br />
hinter dem Banner vermummen<br />
und weiter Pyrotechnik zünden. Dabei<br />
sei man von den Fans angriffen<br />
Mit Plastikstangen in den Händen: Hertha-Fans greifen Polizisten an.<br />
vereinzelt kleinere Fackeln brannten,<br />
marschierten sie vor dem Block<br />
auf. Sie wirkten dabei erst ziemlich<br />
unentschlossen. Einige Polizisten<br />
rückten dann doch vor, zerrten am<br />
Banner und begannen auf Fans einworden.<br />
Für die Fans im Block 61<br />
stellte sich die Situation allerdings<br />
etwas anders dar.Die Beamten standen<br />
schon länger aufgereiht neben<br />
dem Fanblock. Nachdem die Bengalos<br />
abgebrannt waren und nur noch<br />
M. KOCH/MICHAEL HUNDT<br />
zuschlagen und setzten sofort Tränengas<br />
ein. Die Fans im gesamten<br />
Fanblock reagierten mit Pfiffen.<br />
Ziemlich schnell begannen die Ultras<br />
damit, die Kunststoffstangen, an<br />
denen zuvor Fahnen befestigt waren,<br />
auf die Beamten zu werfen. Einige<br />
vermummte Ultras sprangen<br />
über den Zaun, drohten mit den<br />
Stangen, warfen sie in Richtung Polizei.<br />
Die zog sich zurück, mit dem<br />
Banner der Ultras.<br />
Vermummte Ultras rückten nach,<br />
es gab ein Handgemenge mit einem<br />
Dortmunder Ordner, der sehr aggressiv<br />
agierte. Und auch weitgehend<br />
allein: Die Polizei hatte sich zu<br />
diesem Zeitpunkt schon weiter zurückgezogen.<br />
Ausdem Fanblock flogen<br />
weiter Stangen. Es kamen weitereOrdner,aber<br />
die Situation beruhigte<br />
sich. Nach ein paar Minuten<br />
kamen Sanitäter und kümmerten<br />
sich um die Tränengas- oder Pfefferspray-Opfer.<br />
Einige hatten auch<br />
durch die Schläge der Polizei kleinere<br />
Wunden und blaue Augen davongetragen.<br />
Die Ultras zogen sich nach oben<br />
in den Fanblock zurück. In der Halbzeitpause<br />
und danach verlagerte<br />
sich die Auseinandersetzung zwischen<br />
Polizei und Ultras in die Bereiche<br />
der Herrentoiletten. Dort wurden<br />
Becken demoliert, ein Sanitärbereich<br />
komplett verwüstet.<br />
So absurd esklingt: Während der<br />
Pause standen BVB- und Hertha-<br />
Fans einträchtig an den Kiosken an<br />
und vor den (noch intakten) Toiletten<br />
Schlange. Auch nach dem Spiel<br />
gingen die Anhänger beider Vereine<br />
gemeinsam aus dem Stadion –ohne<br />
jeglichen Zwischenfall. Sowohl Hertha-Fans<br />
als auch BVB-Anhänger<br />
stellten während des Spiels die Unterstützung<br />
für ihre jeweilige Mannschaften<br />
ein. Fangesänge gab es nur<br />
vereinzelt. AufBVB-Seite wurden die<br />
Fahnen eingeholt.