Berliner Zeitung 29.10.2018
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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 252 · M ontag, 29. Oktober 2018<br />
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Feuilleton<br />
Wuttkes Perücke<br />
Auf den Hofer Filmtagen wurde in diesem Jahr viel über Budgets und Kinochancen diskutiert. Der Hauptpreis ging an die <strong>Berliner</strong> Regisseurin Luzie Loose<br />
VonChristine Dankbar<br />
Vom jungen deutschen Film<br />
gibt es eine gute und eine<br />
schlechte Nachricht. Die<br />
gute: Es gibt sie noch, die<br />
leidenschaftlichen Regisseure und<br />
Regisseurinnen, die das Publikum<br />
mit ihren Werken rühren, aufregen<br />
und gelegentlich auch mitreißen.<br />
Hof war wie in jedem Jahr ein gastlicher<br />
Ort, wenn auch mit schlechtem<br />
Wetter.Mehr als 100 neue Filme wurden<br />
hier gezeigt, viele von ihnen<br />
Erstlingswerke wie „Schwimmen“<br />
von der <strong>Berliner</strong> Regisseurin Luzie<br />
Loose, deren Debüt mit dem Hofer<br />
Goldpreis ausgezeichnet wurde.<br />
Leider kommt jetzt auch schon<br />
die schlechte Nachricht: Kaum einer<br />
dieser Filme wird den Wegins Kino<br />
finden. Oder ins Fernsehen. Oder bei<br />
Streamingdiensten ausgestrahlt<br />
werden. Denn in diesem Jahr waren<br />
mehr noch als in den Vorjahren<br />
Werkezusehen, die ohne Filmförderung,<br />
ohne Sender und ohne Verleih<br />
realisiert wurden. Manch einem<br />
Film kam der Sender auf dem Weg<br />
der Entstehung abhanden, wie etwa<br />
Matthias Wilferts Dokumentarfilm<br />
„Raus“. Was sein sperriger Heimatfilm<br />
jedoch nicht (mehr) hat, ist ein<br />
Platz beim Bayerischen Rundfunk.<br />
„Der fiel einer Programmstrukturreformzum<br />
Opfer“, erzählteWilfertbei<br />
einer Diskussion. Dennoch darf er<br />
ihn nur dreimal zeigen, weil die<br />
Rechte für fünf Jahre beim Sender<br />
verbleiben, der den preisgekrönten<br />
Film nun vermutlich archiviert. Was<br />
man hat, hat man.<br />
Völlig unklar ist, was mit Gernot<br />
Erlers Actionfilm „Der letzte Mieter“<br />
passieren wird. Erler hat den Film, in<br />
Der Schauspieler Martin Wuttkeals Familienvater Stefan Frey in Anna Miruna Lazarescus Film „Glück ist wasfür Weicheier“<br />
dem eine Wohnungsräumung völlig<br />
eskaliert, gemeinsam mit seinem<br />
Hauptdarsteller Matthias Ziesing<br />
produziert.„Wir hatten so eine große<br />
Lust auf den Dreh, dass wir uns nicht<br />
mit Förderanträgen aufhalten wollten“,<br />
erzählte Erler dem Kinopublikum.<br />
„Nun stecken wir alle in tiefroten<br />
Zahlen, aber immerhin gehört<br />
der Film uns.“<br />
Über Geld wurde sehr viel geredet<br />
in Hof. Denn auch, wer Filmförderung,<br />
Senderunterstützung und sogar<br />
schon einen Verleih für sein Werk<br />
hat, muss derart stark aufs Geld<br />
schauen, dass es auch schon mal<br />
groteske Züge annimmt. Eine solche<br />
Geschichte hatte Anna Miruna Lazarescu<br />
zu erzählen. IhrFilm „Glück ist<br />
was für Weicheier“ eröffnete die Hofer<br />
Filmtage und ermöglichte dem<br />
Premierenpublikum die Schauspielentdeckung<br />
des Jahres: Die 14-jährige<br />
Ella Freybrilliertinder Rolle der<br />
Jessica, die gegen ihre vielen Ticks<br />
ankämpfen muss und dabei auch<br />
noch versucht, das Leben ihrer<br />
schwer kranken Schwester Sabrina<br />
zu retten. Ihr Vater Stefan ist im Familienleben<br />
nur bedingt eine Hilfe.<br />
Gespielt wird ervon Martin Wuttke,<br />
dem eine auffällige Perücke verpasst<br />
wurde .Die allerdings war ein echter<br />
Kostenfaktor und musste als solcher<br />
erst mal genehmigt werden, eröffnete<br />
Lazarescu dem Hofer Publikum<br />
CONCORDE<br />
im Klubgespräch. 4000 Euro sind<br />
selbst in einer 1,2 Millionen-Euro-<br />
Produktion kein geringer Posten.<br />
Über derartige Summen kann das<br />
Regiekollektiv Lisa Ossowski, Julia<br />
Rabe, Yann Larry und Vincent Lenk<br />
nur staunen. Ihrgesamter Episodenfilm<br />
„Zweisam. Gemeinsam. Einsam“<br />
hat nicht viel mehr gekostet als<br />
die Perücke für Martin Wuttke. Die<br />
vier Autodidakten haben 3300 Euro<br />
per Crowdfunding bei Familie und<br />
Freunden eingeworben und dann<br />
noch eine Preisprämie draufgelegt,<br />
die sie für einen ihrer Kurzfilme erhielten,<br />
mit denen sie sich bisher auf<br />
Festivals vorstellten. Dann hatten sie<br />
um die 5000 Euro zusammen, um<br />
ihren ersten Langspielfilm zu drehen,<br />
für den sie sich mit ihrer Crew<br />
für zwei Wochen in ein altes Haus in<br />
Brandenburg einquartierten. „Sieben<br />
Drehtage,mehr war nicht drin“,<br />
erzählt Vincent Lenk, der als einziger<br />
der vier sein Studium an der Hochschule<br />
der Medien in Stuttgart bereits<br />
abgeschlossen hat. Dieanderen<br />
vier studieren noch –alle irgendwas<br />
mit Medien, aber keiner an einer<br />
Filmhochschule.<br />
„Dort muss man sich schon mit<br />
einem Filmprojekt bewerben“, sagt<br />
Lisa Ossowski. „Wir aber haben erst<br />
mit dem Filmen angefangen, als<br />
wir schon studierten.“ Und nun<br />
habe keiner Lust, noch einmal fünf<br />
Jahre dranzuhängen. Dass im Zeitalter<br />
digitaler Technik auch Autodidakten<br />
professionelle Filme realisieren,<br />
beweisen die vier mit„Zweisam.<br />
Gemeinsam. Einsam“, in dem<br />
erzählt wird, wie unterschiedlich<br />
Geschichten enden können, wenn<br />
es sich jeweils nur kleine Details<br />
ändern. Das ist effektvoll in Szene<br />
gesetzt, dennoch staunt das Quartett<br />
noch immer, dass sein Film in<br />
Hof angenommen wurde. Wo sie<br />
ihren Film noch zeigen können,<br />
wissen die vier noch nicht.<br />
Da hat Anna Miruna Lazarescu<br />
mehr Glück. „Glück ist was für Weicheier“<br />
kommt voraussichtlich im<br />
Februar in die Kinos.Immerhin, ein<br />
Erstling kam durch.<br />
Wemdas nicht reicht, der kommt<br />
nächstes Jahr wieder nach Hof.<br />
Die Diener des Luxushotels „Grand Busch“<br />
Bei der Eröffnung des neuen Gebäudes der Schauspielschule „Ernst Busch“ sparen die Studenten nicht mit harten Ansagen an die Politik<br />
VonBirgit Walter<br />
Zur Eröffnung der neuen Schauspielschule<br />
„Ernst Busch“ am<br />
Freitag gab es Performances jeder<br />
Couleur in zahllosen Räumen, auf allen<br />
Etagen, mit Tausenden Besuchern,<br />
alle gut gelaunt. Im Nu war<br />
das Haus in der Zinnowitzer Straße<br />
in Berlin-Mitte überfüllt. Aber den<br />
Auftakt mit Reden von Politik und<br />
Hochschule, den konnte man sich<br />
doch schenken, oder?<br />
Nein. Falscher Impuls. Das war<br />
gerade keine Wohlfühlveranstaltung<br />
mit lieblichen Danksagungen. Studenten<br />
und Lehrer nahmen das Gebäude<br />
mit Selbstverständlichkeit in<br />
Betrieb, neigten aber zu keinerlei<br />
Ehrerbietung. Höchstens für die Architekten<br />
Ortner &Ortner, die hier<br />
einen wunderbar kommunikativen<br />
Ortaus der alten Opernwerkstatt gemacht<br />
haben – schroff, einladend,<br />
großzügig. Aber sonst?<br />
Sonst läuft die Eröffnung auf eine<br />
harte Abrechnung mit der Politik<br />
hinaus. Rektor Holger Zebu Kluth<br />
verweist darauf, dass heutige Studenten<br />
gerade geboren waren, als<br />
den sollte, wonach es zeitweilig aussah?<br />
Die ersten Gäste empfingen sie<br />
wie Diener eines Luxushotels:<br />
„Grand Busch“. Denn die Leistung<br />
ihrer Vorgänger haben sie verinnerlicht.<br />
Die sorgten 2012 mit einem<br />
Streik dafür, dass die Schule heute<br />
steht, wo sie steht. Dass Politiker den<br />
Baunach 15 Jahren Planung nicht in<br />
einem selbstherrlichen Piratenakt<br />
für ein Hotel kippen konnten. Und<br />
sie erinnern daran, dass der Protest<br />
damals als „illegal“ verunglimpft<br />
wurde.Aber was,wenn sie die Grenzen<br />
des Legalen nicht überschritten<br />
die Planung für einen gemeinsamen<br />
Standort der dezentralen Hochschule<br />
begann. Dazu zeichnet er das<br />
Bild von einer Gesellschaft, die in<br />
den Abgrund eilt, während die<br />
Schule Ensemblespieler für eine Ich-<br />
Gesellschaft ausbildet.<br />
Die Empörung der Studenten ist<br />
noch unverbraucht, doch auch sie<br />
fragen nach Grundsätzlichem, nach<br />
der übergriffigen Ökonomisierung<br />
des Lebens: Wem gehört die Stadt,<br />
wenn der teuerste Boden Berlins<br />
nicht einer Kulturstätte, sondern einem<br />
Hotel-Investor überlassen werhätten?<br />
DasMachtgehabe der Politik<br />
erlebte Widerstand. Dem lässt sich<br />
nicht mit der Replik von Bausenatorin<br />
Katrin Lompscher begegnen, es<br />
gebe nicht „die Politik“, sondernnur<br />
Politiker verschiedener Ambitionen.<br />
Politiker wechseln, schlechte Politik<br />
bleibt. Es war ihre Bauverwaltung,<br />
die wieder so plante,dass die Kosten<br />
für die „Ernst Busch“ galoppierten.<br />
Lompscher sagt: „Aber die 45 Millionen<br />
Euro sind gut angelegtes Geld.“<br />
Nicht, wenn man dasselbe billiger<br />
bekommen hätte. ImFoyer steht Stefan<br />
Rosinski, damals Generaldirektor<br />
der Opernstiftung, von dem die Idee<br />
des Schauspielstandorts in der Opernwerkstatt<br />
stammt. Er hält ein Gutachten<br />
von 2009 in der Hand. Die Schule<br />
sollte ein Campus werden, 24 Millionen<br />
kosten, bezahlt vomVerkauf weniger<br />
Randgrundstücke. Das Konzept<br />
überzeugte, bis Investoren mit anderen<br />
Vorschlägen kamen. Heute fehlt<br />
der Schule nicht nur der Campus.<br />
Sie ist trotzdem toll. Undauf Studenten<br />
mit diesem politischen Verstand<br />
kann man setzen, auf ihreKreativität<br />
sowieso.Die will keinesfalls nur<br />
Unterhaltung oder Erbauung.<br />
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