08.11.2018 Aufrufe

Essays zu egalitärer Vielfalt

Im Rahmen der Lehrveranstaltung Bildung: Egalitäre Vielfalt und Differenz. SCHRIFTEN ZU DISABILITY & DIVERSITY | Vol. 3 | 09/2018

Im Rahmen der Lehrveranstaltung Bildung: Egalitäre Vielfalt und Differenz.
SCHRIFTEN ZU DISABILITY & DIVERSITY | Vol. 3 | 09/2018

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Gesamtschule als Beitrag <strong>zu</strong>r egalitären<br />

<strong>Vielfalt</strong> in der Schulbildung<br />

Uta Kofler<br />

Bildung ist eine der zentralen Ressourcen für die Realisierung von Lebenschancen. Laut der UN-Menschenrechtscharta steht jedem<br />

Menschen das Recht auf Bildung <strong>zu</strong>. Und doch ist der Zugang <strong>zu</strong> Schulbildung nicht für alle Kinder in der gleichen Art und Weise<br />

gegeben. Österreich setzt nach wie vor auf ein gegliedertes Schulsystem. Nach dem Besuch der Volksschule müssen die Eltern die<br />

Entscheidung treffen, welchen Schultyp, Gymnasium oder HS/NMS, ihr Kind besuchen wird. Somit erfolgt die Selektion weniger nach<br />

Begabungen und Leistung, sondern viel mehr aufgrund sozialer, ethnischer und regionaler Herkunft der Eltern, elterlicher Bildungsniveaus<br />

und ökonomischer Hintergründe. Daher wird in diesem Essay folgender Frage nachgegangen: Welche positiven Aspekte kann<br />

ein Gesamtschulkonzept für die Schulbildung unserer Kinder erzielen und wie könnte „die Schule der Zukunft“ aussehen?<br />

Kinder aus bildungsferneren Elternhäusern der unteren Schicht werden oftmals guter Schulbildungschancen beraubt (Kriechhammer,<br />

2012, S. 12). Lohmann (1969) bemerkt in diesem Zusammenhang, dass „die Ungleichheit der Bildungschancen darin liegt, dass die<br />

Elternhäuser in verschiedenem Maße bildungswillig sind“ (Lohmann, 1969, S. 135, zit. nach Bucher & Schnider, 2004, S. 36). Die Einführung<br />

einer Gesamtschule für alle 10-14Jährigen wäre ein Schritt in Richtung Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit.<br />

Ein Blick in (Deutschlands) Gesamtschulen zeigt, dass ein Gesamtschulkonzept gegenüber der gegliederten Variante Vorteile aufweist.<br />

Wulf (2014) spricht von deutlich weniger Schulabbrecher*innen, einer „höheren Übergangsquote in die gymnasiale Oberstufe“<br />

(Wulf, 2014, S. 89), mehr mittleren Abschlüssen und weniger Repetent*innen. Zudem konstatiert sie eine „deutliche Abschwächung<br />

des Zusammenhangs der sozialen Herkunft und der eingeschlagenen Schullaufbahn“ (ebd.) und verweist auf das positivere<br />

Schulklima, das den Kindern ein Lernen ohne Angst ermöglicht (ebd.).<br />

Pädagoge und Hochschulprofessor Rupert Vierlinger (2009) postuliert die Bedeutung des Lernens von Vorbildern, das durch die<br />

Heterogenität einer Gesamtschulklasse gegeben sei (Vierlinger, 2009, S. 129ff). Gesamtschule müsse allerdings so konzipiert sein,<br />

dass alle Kinder gemeinsam lernen und nicht in einzelnen Gegenständen je nach Begabung in Leistungsgruppen getrennt werden.<br />

In der Schule geht es neben Wissenserwerb auch um Anerkennung und Akzeptanz in der Gemeinschaft. Leistungsgruppen leisten<br />

Ausgren<strong>zu</strong>ng Vorschub und haben somit negativen Einfluss auf die Selbstachtung und den Selbstwert eines Kindes (ebd., 2009, S.<br />

219ff). Alle Kinder sollen gemeinsam ein Thema er- und bearbeiten, und dabei je nach Begabungsniveau von den Pädagog*innen<br />

begleitet werden: Förderung von Schwächeren, Forderung der Begabten. Gemeinsames Lernen von Kindern unterschiedlicher<br />

Herkunft und unterschiedlicher Begabungen fördert und stärkt die sozialen Kompetenzen. Die Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit <strong>Vielfalt</strong><br />

und Differenz trägt <strong>zu</strong> einer positiven Persönlichkeitsentwicklung bei (Schratz, 2009, S. 238ff).<br />

Gesamtschule alleine als äußeres Konstrukt ist jedoch für einen Erfolg <strong>zu</strong> wenig. Für ein erfolgversprechendes gemeinsames Lernen<br />

aller Schüler*innen müssen pädagogische Konzepte adaptiert, ergänzt und die Ausbildung der Lehrer*innen entsprechend<br />

angeglichen und ausgebaut werden, um der <strong>Vielfalt</strong> Rechnung <strong>zu</strong> tragen (Bosse & Posch, 2009, S. 14). Eine ideale Ergän<strong>zu</strong>ng fände<br />

eine Gesamtschule dahingehend, wenn sie als Ganztagsschule konzipiert wäre. Lernen benötigt Zeit. Zeit, die in Halbtagsschulen<br />

nicht ausreichend <strong>zu</strong>r Verfügung steht. Ein Ganztagsschulkonzept könnte dieser Massierung des Unterrichtsstoffes entgegenwirken,<br />

sich eher dem Biorhythmus der Schüler*innen anpassen und adäquater auf die Entwicklung und die unterschiedlichen Lerntempi<br />

einzelner Schüler*innen eingehen (Appel, 2009, S. 81ff). Das gemeinsame, informelle Miteinander über den Tag verteilt trüge<br />

<strong>zu</strong>r Stärkung des Gemeinschaftsgefühls bei, was sich positiv auf das Klima im Sozial- und Lebensraum Schule auswirken würde.<br />

Die unterrichtsfreien Zeiten, vornehmlich am Nachmittag, könnten <strong>zu</strong>r Erledigung der Hausaufgaben genutzt werden, wobei den<br />

Schüler*innen die entsprechend geschulten Pädagog*innen unterstützend <strong>zu</strong>r Seite stünden, was den Lernerfolg erheblich mehren<br />

würde. Bucher (2004) erwähnt in diesem Zusammenhang Wurzwallner, der nachweisen konnte, dass Kinder aus Arbeiter- und<br />

Bauernfamilien, die in Internatsschulen lebten, bessere Leistungen erzielen konnten als jene Kinder, die <strong>zu</strong> Hause wohnten (Bucher<br />

& Schnider, 2004, S. 34 ff). Durch das soziale Lernen, d.h. durch die Befähigung u.a. Konflikte lösen und Einstellungen ändern <strong>zu</strong><br />

können, würden zwei soziale Systeme (Schule und Familie) <strong>zu</strong>m erzieherischen Wohl der Schüler*innen ineinandergreifen, sich<br />

positiv ergänzen und somit nachhaltig <strong>zu</strong>r Entwicklung der Persönlichkeit, also Bildung, beitragen (ebd, 2004, S. 36).<br />

Eine Gesamtschule in Form einer Ganztagschule trägt <strong>zu</strong>r Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit bei. Eröffnet sie doch allen<br />

Kindern, unabhängig von deren Herkunft, den Zugang <strong>zu</strong> gleicher Bildung. Sie ermöglicht durch angepasste Lehr- und Lernmethoden<br />

und durch die Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit <strong>Vielfalt</strong> und Differenz in einem kindgerechten Schulklima die Entfaltung von Begabungen<br />

und sozialen Kompetenzen und bewirkt auf diese Weise nicht nur Aneignung von Wissen, sondern fördert eine positive<br />

Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder. „Chancengleichheit bedeutet nicht, dass jeder einen Apfel pflücken darf, sondern dass<br />

man dem Zwerg eine Leiter gibt“ (Pierre Bourdieu, zit. nach Maas, 2009, S. 105)<br />

18

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!