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Berliner Kurier 11.11.2018

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14 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 11. November 2018<br />

Die Leiche<br />

aus dem<br />

Rollkoffer<br />

Acht Tage brauchte<br />

Steffi Burrath, um<br />

dem unbekannten<br />

Toten ein Gesicht<br />

zu geben. Anfangs<br />

ging die Kripo<br />

voneinem Mord<br />

aus. Ein Irrtum.<br />

Durch einen eigenartigen Geruch angelockt,<br />

öffnen zwei Spaziergänger einen<br />

schwarzen Rollkoffer, abgestellt in einer<br />

Ruine des alten Güterbahnhofs Spandau.<br />

Der Gestank und der Anblick der zusammengekrümmten<br />

Leiche waren ein Schock,<br />

den sie ihr Leben lang nicht vergessen werden,<br />

sagen sie später bei der Zeugenvernehmung.<br />

Die alarmierte Bundespolizei lässt die<br />

stark verweste Leiche vom Bahnbetriebsgelände<br />

am Brunsbütteler Damm in die Rechtsmedizin<br />

bringen. Bei der Obduktion finden<br />

die Rechtsmediziner ein Implantat im Becken<br />

sowie verheilte Frakturen am linken<br />

Unterarm und dem linken Oberschenkel.<br />

Weitere verwertbare Spuren gibt es nicht.<br />

Besonders makaber erscheint den Kripoleuten,<br />

dass die Leiche mit einem weiß-blau<br />

gestreiften Schlafanzug bekleidet war. Wie<br />

kam der Tote in den Koffer? Wer hat ihn auf<br />

dem Bahngelände abgestellt?<br />

Nach einem Jahr erfolgloser Fahndung, im<br />

Sommer 2015, bittet die <strong>Berliner</strong> Kripo Steffi<br />

Burrath um Hilfe. Acht Tage später hat sie<br />

ein Bild vom unbekannten Toten angefertigt;<br />

deutschlandweit wird es veröffentlicht.<br />

Als sich erste Zeugen melden, nimmt der<br />

Fall eine überraschende Wende. Ging die<br />

Kripo zunächst von einem Mord aus, stellte<br />

sich nun heraus, dass der 72-jährige Mann<br />

eines natürlichen Todes gestorben war. Um<br />

die Rente zu kassieren, hatte der Sohn die<br />

Leiche seines Vaters im Koffer entsorgt.<br />

Dicke der Weichteilstärken des<br />

Gesichts aus und klebe sie auf<br />

die 34 Punkte des gesäuberten<br />

Schädels.“<br />

Die Grundlagen schuf Richard<br />

Helmer (79); der Anthropologe<br />

ist der führende Experte<br />

in der forensischen Gesichtsrekonstruktion<br />

in Deutschland.<br />

Seine Identifizierungspunkte<br />

gelten für alle Altersgruppen<br />

und für Frauen<br />

und Männer.<br />

Der mit Radiergummistiften<br />

versehene Schädel<br />

wird fotografiert<br />

und am<br />

Computer bearbeitet.<br />

„Den Kopf<br />

rekonstruiere ich<br />

anhand der ermittelten<br />

Maße<br />

und Proportionen“,<br />

erklärt Burrath.<br />

„Ich suche<br />

mir die Stellen der Augenlideransätze<br />

und des Tränenkanals<br />

und den Nasenstachel. Jeder<br />

Mensch trägt unter seinem Gesicht<br />

immer auch den passenden<br />

Schädel. Alles beruht auf<br />

den Gesetzmäßigkeiten der<br />

Ich wollte<br />

den Fall<br />

so schnell<br />

wie möglich<br />

lösen.<br />

Anatomie. Danach mache ich<br />

mich an die Feinheiten.“ Ist der<br />

oder die Tote identifiziert, lässt<br />

sich die Expertin Fotos von den<br />

Personen zu Lebzeiten schicken.<br />

„Ich möchte wissen, wie<br />

nah meine Rekonstruktion an<br />

der Wirklichkeit ist.“<br />

Einen Fall nahm sie sogar mit<br />

nach Hause. Als ihr Mann und<br />

die beiden Töchter den Totenkopf<br />

im Bügelzimmer<br />

fanden, waren<br />

sie nicht sonderlich<br />

begeistert.<br />

„Ich wollte den<br />

Fall so schnell wie<br />

möglich lösen“,<br />

rechtfertigt sie<br />

sich. Der Gedanke,<br />

dass irgendwo jemand<br />

auf diesen<br />

Menschen wartet,<br />

ließ sie nicht los.<br />

Nach Veröffentlichung<br />

der Fotos<br />

hatte die Tote, die vier Jahre<br />

zuvor in einem Wald gefunden<br />

worden war, einen Namen.<br />

Und die Angehörigen und<br />

Freunde der Ermordeten konnten<br />

trauern. „Es war ein gutes<br />

Gefühl für mich.“<br />

Eine besondere Herausforderung<br />

für Steffi Burrath war eine<br />

Tote, die in einer Jauchegrube<br />

abgelegt worden war. Ein paar<br />

Kleidungsstücke konnten gesichert<br />

werden. Die Expertin<br />

suchte im Internet nach Fotos,<br />

auf denen die Frauen ähnlich<br />

angezogen und frisiert waren.<br />

„Der Rest war Routine“, sagt<br />

sie. „Aufgrund des in den Zeitungen<br />

veröffentlichten Phantombildes<br />

meldeten sich mehrere<br />

Zeugen, die sie kannten.“<br />

Steffi Burrath<br />

sitzt in ihrem<br />

Bürobeim LKA.<br />

Bislang hat sie<br />

41 Fälle gehabt.<br />

Die Quote ihres<br />

Erfolgs liegt bei<br />

40 Prozent.<br />

Die Aufträge erhält sie von<br />

der Polizei aus dem gesamten<br />

Bundesgebiet. Sie liebt ihre Arbeit,<br />

selbst unter Zeitdruck<br />

bleibt sie ruhig und gelassen.<br />

Ein noch so kleiner Fehler –<br />

und das Ergebnis ist unbrauch-

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