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Berliner Kurier 06.01.2019

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15<br />

„Wollen wir das wissen<br />

müssen?“ Wolfgang<br />

Jordan denkt manchmal<br />

an Annett Louisans<br />

Liedtext,wenn er bei<br />

einerVerhandlung mal<br />

wieder mit sehr intimen<br />

Lebensumständen<br />

konfrontiertwird.<br />

verhängen. „Aber warum muss<br />

ich solche Klimmzüge machen?“,<br />

fragt Sandra Kaiser. „Da<br />

stellt sich der Justizminister<br />

großspurig hin und verschärft<br />

irgendwelche Strafen. Schöner<br />

wäre es, wenn beim Landeskriminalamt<br />

mehr medizinischtechnische<br />

Assistenten eingestellt<br />

werden, die zeitnah DNA-<br />

Proben aufbereiten. Dann<br />

könnten die Täter schneller<br />

identifiziert werden.“<br />

Auch den Straftatbestand der<br />

Vergewaltigung findet die Richterin<br />

nicht immer praxistauglich.<br />

„Beim Gesetzgeber besteht<br />

die Tendenz, jeden Furz regeln<br />

zu wollen. Aber man kann einfach<br />

nicht so irre denken wie<br />

unsere Kundschaft ist. Wenn etwa<br />

A- und B-Hörnchen etwas<br />

trinken und sich näherkommen,<br />

das A-Hörnchen aber keinen<br />

Zungenkuss mag und das B-<br />

Hörnchen sofort aufhört. Die<br />

Anzeige von A-Hörnchen wird<br />

zur Anklage wegen Vergewaltigung<br />

in einem besonders<br />

schweren Fall. Dem B-Hörnchen<br />

drohen zwei Jahre Mindeststrafe,<br />

weil ein Körperteil<br />

eingeführt wurde. Meinen<br />

Schöffen habe ich erklärt:<br />

Wenn ich mit meinem Finger in<br />

Ihrem Ohr herumpule, brauche<br />

ich einen Anwalt.“<br />

Nach einer verschobenen und<br />

drei abgeschlossenen Verhandlungen<br />

ist der Sitzungstag von<br />

Ildiko Szabados zu Ende. Solche<br />

Tage können sehr anstrengend<br />

sein, findet die Richterin.<br />

„Das Verhandeln verlangt volle<br />

Präsenz. Als Richterin ist man ja<br />

die Person, die durchgehend<br />

die Fäden in der Hand hält.“<br />

Fünf, sechs, zuweilen sogar<br />

acht Stunden lang, manchmal<br />

ohne Pause.<br />

„Wenn ich merke, dassmeine<br />

Kraft nachlässt, gebe ich<br />

mein Fragerecht schon mal<br />

früher an die Staatsanwaltschaft<br />

ab. Dann muss ich<br />

nur noch mitschreiben,<br />

nicht mehr Blickkontakt<br />

halten und mir Fragen<br />

überlegen. Das ist meine<br />

Taktik, um Kraft zu<br />

schöpfen.“<br />

Ist man es irgendwann<br />

leid, jede Woche, Jahr<br />

für Jahr, Straftaten zu<br />

ahnden?<br />

„Es wird nie ausbleiben,<br />

dass Menschen<br />

Straftaten begehen“,<br />

sagt die Richterin.<br />

„Ich mache mir da<br />

keine Illusionen, ich<br />

bin auch nicht resigniert.<br />

Aber es gibt<br />

Verfahren, wo ich<br />

denke, dass die<br />

Sanktionsformen,<br />

die uns zur Verfügung<br />

stehen,<br />

nicht die richtige<br />

Form der Bestrafung<br />

sind, zum<br />

Beispiel bei der<br />

Beschaffungskriminalität.<br />

Unser Umgang damit<br />

ist nicht mehr zeitgemäß. Es<br />

wird immer Menschen geben,<br />

die es nicht schaffen, aus der<br />

Sucht herauszukommen. Die<br />

Junkies schädigen ja nur sich<br />

selbst: Die führen sich Gift zu<br />

und sterben irgendwann. Das<br />

darf jeder selbst entscheiden, ob<br />

er das machen will oder nicht.<br />

Es sollte geprüft werden, ob<br />

man Betäubungsmittel legalisieren<br />

kann. Dann würde auch<br />

die Beschaffungskriminalität<br />

wegfallen.“<br />

Im Laufe der Jahre sei er demütiger<br />

vor sich selbst geworden,<br />

sagt Wolfgang Jordan: „Ich<br />

kann mir heute leichter vorstellen,<br />

dass jemand mal versagt.“<br />

Kritisch sieht er, dass die Justiz<br />

den kleinen Straftäter, der etwas<br />

leicht Nachzuweisendes<br />

tut, viel härter bestraft als denjenigen,<br />

der raffinierter vorgeht:<br />

„Als Richter diene ich der<br />

Gerechtigkeit. Da muss man<br />

aufpassen, dass man die Kleinen<br />

nicht zu hart anfasst.“<br />

Sandra Kaiser stimmt ihm zu.<br />

Das neue Wertabschöpfungsgesetz<br />

etwa schreibt vor, dass die<br />

Staatsanwaltschaft dem Täter<br />

das Geld oder den geldwerten<br />

Vorteil aus einer Straftat abnehmen<br />

soll.<br />

„Aber dort, wo wirklich Asche<br />

ist, bei Drogen und Immobilien,<br />

da ist es kompliziert. Wie wollen<br />

Sie herausfinden, von welchem<br />

Geld was bezahlt worden<br />

ist? Bei Hartz IV geht das. Aber<br />

der Profi-Steuerhinterzieher<br />

kommt mit 37 Anwälten und<br />

sagt: ‚Moment mal! Weist mir<br />

das mal nach!‘ Bei den Kleinen<br />

werden 3,37 Euro als Wertersatz<br />

ermittelt, den die nicht zahlen<br />

können und bei den Großen<br />

ist es immer noch schwierig.“<br />

Problematisch findet die<br />

Amtsrichterin auch die vielen<br />

ausländischen Straftäter. „Früher<br />

habe ich gedacht, das seien<br />

Vorurteile. Heute nehme ich es<br />

als Lebenserfahrung.“ Bei Teodora<br />

V. etwa, die mit ihrer minderjährigen<br />

Tochter auf Klautour<br />

erwischt wurde und nicht<br />

zur Gerichtsverhandlung erschienen<br />

ist, ahnt sie jetzt<br />

schon, wie die Erklärung lauten<br />

wird: Sie sei nach Roma-Sitte<br />

verheiratet und habe fünf Kinder.<br />

Sie könne nicht lesen und<br />

nicht schreiben. „Das kann<br />

doch aber kein Grund sein, die<br />

deutsche Omi zu beklauen! Die<br />

kann auch nichts dafür. Warum<br />

nutzen die Roma-Familien<br />

nicht die Bildungsmöglichkeiten,<br />

wenigstens für ihre Kinder?“<br />

Nur einmal habe sie von einer<br />

Roma-Frau eine andere Geschichte<br />

gehört. Die hatte sich<br />

gemeinsam mit ihrem Mann ein<br />

Haus gekauft, direkt neben einem<br />

tyrannischen Nachbarn,<br />

der sich über ihre Verwandten<br />

und ihre Kinder aufregte.<br />

Die Bälle, die über seinen<br />

Zaun flogen, zerstörte er. Als er<br />

sich wieder mal bei ihr beschwerte,<br />

nahm sie ein paar<br />

Kieselsteine aus der Rabatte<br />

und warf damit nach dem Stänkerer.<br />

„DasBittere ist, dasssie bislang<br />

die Einzige aus dieser Volksgruppe<br />

war, die ich verstehen konnte“,sagt<br />

Sandra Kaiser. „Da ist es<br />

schwierig, nicht zynisch zuwerden.<br />

Man muss sich immer wieder<br />

bewusst machen: Ich sehe<br />

nur einen Ausschnitt. Es gibt<br />

auchandere.“<br />

Uta Eisenhardt

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