RegioBusiness 02/2019
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Februar <strong>2019</strong> I Jahrgang 18 I Nr. 199<br />
Politik & Wirtschaft 09<br />
„Skeptische Neugier“<br />
BusinessForum: Innovationsforscher Sascha Friesike spricht in Niederstetten.<br />
Die meisten Unternehmen<br />
wollen digital und innovativ<br />
sein, um aktiv ihre Zukunft<br />
zu gestalten, doch nur wenigen<br />
gelingt es. Innovationsforscher<br />
Prof. Dr. Sascha Friesike beschäftigt<br />
sich mit Fragen der digitalen<br />
Zukunft: Wie wir arbeiten werden,<br />
wie Wissen im Speziellen und<br />
Neues allgemein entsteht. Dabei<br />
hinterfragt er Annahmen und entlarvt<br />
immer wieder digitale Mythen.<br />
Der Forscher tritt als Referent<br />
beim nächsten BusinessForum<br />
am Donnerstag, 21. Februar,<br />
auf. Die Organisatoren des BusinessForums,<br />
die Sparkasse Tauberfranken,<br />
die Wirtschaftszeitung<br />
<strong>RegioBusiness</strong> und der HR-<br />
Spezialist Bera, laden interessierte<br />
Unternehmensentscheider<br />
der regionalen Wirtschaft ab<br />
18.30 Uhr in die Räume der Bass<br />
GmbH in Niederstetten ein. Der<br />
Eintritt ist frei, es wird jedoch um<br />
vorherige Anmeldung unter anmeldung@bera.eu<br />
gebeten.<br />
REGIOBUSINESS Herr Friesike,<br />
Sie sind Wirtschaftsingenieur, forschen<br />
als Professor am KIN Center<br />
der VU Universität Amsterdam<br />
und befassen Sie sich mit digitalen<br />
Innovationen. Beschäftigen Sie<br />
sich privat auch mit Neuem?<br />
SASCHA FRIESIKE Die Vielfalt<br />
an Technologien, die wir heute so<br />
zur Auswahl haben, führt bei uns<br />
allen dazu, dass wir uns auf einen<br />
Teilaspekt konzentrieren müssen.<br />
Wer sich nur damit beschäftigt,<br />
was es Neues gibt, kommt ja sonst<br />
zu nichts mehr. Ich versuche bei<br />
bestimmten Themen am Ball zu<br />
bleiben, um zu sehen, wie neue<br />
Werkzeuge mir helfen können.<br />
Bei anderen Themen bin ich ziemlich<br />
gut darin zu ignorieren. Soziale<br />
Medien zum Beispiel.<br />
REGIOBUSINESS Welche Innovationen<br />
werden in den nächsten<br />
Jahren Fortschritte für die Wirtschaft<br />
bringen?<br />
SASCHA FRIESIKE Prognosen<br />
sind nicht einfach. Meine große<br />
Hoffnung ist, dass wir in Zukunft<br />
mal eine bessere Interoperabilität<br />
zwischen Diensten hinbekommen<br />
könnten. Um jemandem eine<br />
Rechnung zu schicken, öffne ich<br />
fünf verschiedene Programme<br />
und kopiere Werte und Dateien<br />
umher, das ist alles andere als ein<br />
„integrierter Prozess“. Ansonsten<br />
glaube ich gar nicht, dass die großen<br />
Veränderungen zwangsläufig<br />
von neuen Technologien kommen,<br />
sondern daher, dass wir<br />
diese clever kombinieren.<br />
REGIOBUSINESS Was wird am<br />
meisten unterschätzt?<br />
SASCHA FRIESIKE Der Mensch.<br />
Ständig wird von „Lösungen“ gesprochen,<br />
als ob digitale Werkzeuge<br />
von alleine arbeiten würden.<br />
Fast immer geht es jedoch<br />
um Probleme, die einen sozialen<br />
Ursprung haben. Irgendwer hat<br />
zu viel zu tun oder kommt einer<br />
Aufgabe nicht nach oder Ähnliches.<br />
Dann wird eine digitale Lösung<br />
gekauft, die eigentlich nur<br />
ein Werkzeug ist und ein Werkzeug<br />
ist immer nur so gut, wie die<br />
Person, die es einsetzt.<br />
REGIOBUSINESS Was raten Sie<br />
Unternehmen, um von der Digitalisierung<br />
zu profitieren?<br />
SASCHA FRIESIKE Skeptische<br />
Neugier. Wenn ich mit Organisationen<br />
über die Digitalisierung spreche,<br />
dann kommen die Reaktionen<br />
gerne aus zwei Lagern. Auf<br />
der einen Seite eine blinde Euphorie,<br />
Vorstellungen von utopischen<br />
Landschaften und eine Umsetzung<br />
so schnell wie möglich und auf<br />
der anderen Seite Verweigerer,<br />
die die Sache gerne aussitzen würden.<br />
Beide Ansätze verfehlen in<br />
meinen Augen das Ziel. Daher die<br />
skeptische Neugier. Neugier, weil<br />
wir Entscheidungen über die Digitalisierung<br />
nur dann treffen können,<br />
wenn wir uns mit dem<br />
Thema wirklich beschäftigt haben.<br />
Und Skepsis, weil eine<br />
Menge Menschen unterwegs sind,<br />
die zum Thema Versprechungen<br />
und Verheißungen von sich geben,<br />
die man erstmal ordentlich<br />
abklopfen sollte, ehe man sie<br />
glaubt.<br />
REGIOBUSINESS Welches sind<br />
die größten Irrtümer in Bezug auf<br />
den Nutzen der Digitalisierung für<br />
Unternehmen?<br />
SASCHA FRIESIKE Der größte<br />
Irrtum ist vermutlich der, dass die<br />
Digitalisierung es einfacher<br />
macht, auf Wissen zuzugreifen.<br />
Tatsächlich sehen wir eine Explosion<br />
an Informationen, die nur<br />
mit dem richtigen Kontextwissen<br />
vernünftig gedeutet werden können.<br />
Es wird im Digitalen also<br />
nicht jeder zum Experten, sondern<br />
die Experten werden immer<br />
seltener. Experten sind in Unternehmen<br />
leichter aufzuspüren und<br />
zu kontaktieren, was dazu führt,<br />
dass sie immer mehr Zeit für Andere<br />
aufwenden müssen, statt ihren<br />
eigenen Tätigkeiten nachzukommen.<br />
Das führt zum Teil zu regelrechten<br />
organisationalen<br />
Thrombosen, wo wichtige Unter-<br />
Sascha Friesike: „Ein Werkzeug ist immer nur so gut, wie die<br />
Person, die es einsetzt.“<br />
Foto: Agentur<br />
nehmensfunktionen lahmgelegt<br />
werden, weil die Experten den Anfragen<br />
hinterher arbeiten.<br />
REGIOBUSINESS In einer digitalen<br />
Welt hat Kreativität für Sie einen<br />
großen Stellenwert. Warum?<br />
SASCHA FRIESIKE Nun, eine<br />
Lesart der Digitalisierung ist eine<br />
Ausweitung der Automatisierung<br />
auf die Wissensarbeit. Soll heißen,<br />
dass Routinetätigkeiten vermehrt<br />
digitalisiert werden. Wenn<br />
Sie eine schnelle Übersetzung für<br />
einen Text brauchen, gehen Sie zu<br />
„DeepL“, wo das in Sekunden bearbeitet<br />
ist. Kreativität kann man<br />
als Gegenteil von Routine verstehen.<br />
Es ist der absichtliche Ausbruch<br />
aus der Routine. Algorithmen<br />
können das zwar unterstützen,<br />
aber nur zu einem gewissen<br />
Grad. Daher wird es für Wissensarbeiter<br />
immer wesentlicher, kreativ<br />
tätig zu sein, sonst kann unsere<br />
Tätigkeit vermutlich bald ein Rechner<br />
übernehmen.<br />
REGIOBUSINESS Sie sagen<br />
„Empathie kann man nicht digitalisieren“.<br />
Was bedeutet dies?<br />
SASCHA FRIESIKE Auch in Zukunft<br />
brauchen wir Menschen,<br />
um mit Menschen zu arbeiten.<br />
Tatsächlich können wir empathische<br />
Tätigkeiten in gewisser<br />
Weise digitalisieren. Chatbots versuchen<br />
genau das zu tun. Und sie<br />
können das auch ganz gut, so<br />
lange man eben nicht aus der<br />
Routine ausbricht. Menschen<br />
fällt es sehr leicht den Kontext zu<br />
wechseln. Algorithmen haben damit<br />
riesige Probleme. Zu verstehen,<br />
dass jemand einen schlechten<br />
Tag hat, warum und wie man<br />
damit umgehen sollte, ist für einen<br />
Algorithmus schwer und<br />
wird es auch auf absehbare Zeit<br />
bleiben. Interview nach Vorlage<br />
Gastkommentar<br />
Eine „Insel der Glückseligen“<br />
Walter Döring: Gute Aussichten für das Jahr <strong>2019</strong> – denn auch 2018 ist „für uns hier in Deutschland“ sehr gut gelaufen.<br />
Das vergangene Jahr 2018<br />
war ziemlich, nein: sogar<br />
sehr gut für uns hier in<br />
Deutschland; so gut, dass einige<br />
in- und auch ausländische Korrespondenten<br />
angesichts der Vorgänge<br />
in unseren Nachbarländern<br />
Frankreich, Italien, Großbritannien<br />
und vor allem auch darüber<br />
hinaus – weite Teile Afrikas, Indonesien,<br />
Mexiko – von unserem<br />
Land von einer „Insel der Glückseligen“<br />
sprachen und schrieben.<br />
Hier die niedrigsten Arbeitslosenzahlen<br />
seit mehr als drei Jahrzehnten,<br />
so viele sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte wie noch nie<br />
in unserer bundesrepublikanischen<br />
Geschichte, und damit auch<br />
insgesamt ein respektabler Wohlstand<br />
für (fast) alle.<br />
Trotzdem neigen wir Umfragen<br />
zum Jahreswechsel zufolge mehrheitlich<br />
zu Unzufriedenheit und<br />
teilweise auch zu Zukunftsangst,<br />
weil sich (zu) viele von uns von<br />
(Diesel-) Fahrverboten, anhaltender<br />
Zuwanderung, Altersarmut,<br />
Klimawandel, Handelskriegen, äußerer<br />
Bedrohung, Digitalisierung,<br />
von der „neuen sozialen Frage“<br />
Wohnungsnot, von Arbeits- und<br />
Wohlstandsverlust sowie von einem<br />
Auseinanderdriften der Gesellschaft<br />
bedroht fühlen.<br />
Nicht jede Sorge ist übertrieben,<br />
nicht jede scheint unberechtigt.<br />
Aber so klar und eindeutig wie sie<br />
„auf der Hand liegen“, so klar<br />
Anpacken: Wählen gehen ist die Devise. Nur so können die<br />
pro-europäischen Parteien gestärkt werden.<br />
liegt es doch auch zu einem guten<br />
Teil an uns, wie wir <strong>2019</strong> angehen<br />
und was wir daraus machen. Hier<br />
nur mal ein paar Vorschläge, deren<br />
Realisierung zu einem guten<br />
Jahr <strong>2019</strong> führen könnten:<br />
Erstens stärken wir Europa,<br />
konkret die Europäische Union,<br />
indem wir die Europa-Wahlen im<br />
Mai dieses Jahres als das nehmen,<br />
was sie sind: Mindestens so wichtig<br />
wie die Bundestagswahlen, für<br />
unser aller Zukunft sogar noch relevanter.<br />
Also wählen gehen und<br />
Foto: DPA<br />
die proeuropäischen Parteien<br />
und Fraktionen stärken. Unsere<br />
Zukunft heißt und ist Europa.<br />
Zweitens müssen die Ministerpräsidenten<br />
der Länder dafür sorgen,<br />
dass möglichst schnell in<br />
<strong>2019</strong> die vom Bund nicht nur in<br />
Aussicht, sondern schon bereitgestellten<br />
fünf Milliarden Euro für<br />
die „Digitalisierung“ der Schulen<br />
abfließen können. Nichts ist wichtiger,<br />
als die Schüler auf die gestiegenen<br />
„digitalen Herausforderungen“<br />
so früh wie möglich vorzubereiten;<br />
der Abstand zu anderen<br />
Ländern ist jetzt schon riesig; die<br />
Zeit eilt.<br />
Drittens: Wir müssen der drohenden<br />
weiteren Spaltung der Gesellschaft<br />
entgegenwirken. Nicht mit<br />
dem ebenso reichlich weltfremden<br />
wie realitätsfernen Vorschlag,<br />
alle sollten jetzt an die Börse und<br />
Aktien kaufen. Verehrter Herr<br />
Merz, das wird nicht jeder können.<br />
Was aber ohne „große Verrenkungen“<br />
machbar wäre, das<br />
wäre das Modell des „Volks von Eigentümern“<br />
zu schaffen, das Ludwig<br />
Erhard vor Jahrzehnten als<br />
Zielvorgabe ausgab: Macht Mitarbeiter<br />
zu Mitinhabern, beteiligt sie<br />
am Erfolg des Unternehmens; sie<br />
werden es Euch mit noch mehr<br />
Einsatz und Firmentreue lohnen,<br />
die dringend benötigten Fachkräfte<br />
ans „eigene“ Unternehmen<br />
binden.<br />
Viertens: Um die drohende Klimakatastrophe,<br />
die weltweit nur<br />
noch Donald Trump leugnet, abzuwenden,<br />
kann jeder einen Beitrag<br />
leisten. Wie, das zeigt ausgerechnet<br />
die einstige Kohlestadt Bottrop,<br />
die, wie die ZEIT am 27. Dezember<br />
2018 berichtete, ihren<br />
CO 2<br />
-Ausstoß bis 2<strong>02</strong>0 halbieren<br />
wird: Im Jahr 2010 hat sich die<br />
Stadt dazu verpflichtet, innerhalb<br />
von zehn Jahren den Ausstoß von<br />
CO 2<br />
um 50 Prozent zu drücken.<br />
Fünftens: Die rasant gestiegenen<br />
Mieten und Immobilienpreise<br />
Dr. Walter Döring<br />
Der gebürtige Stuttgarter war lange eine<br />
der Galionsfiguren der FDP. Er war Gemeinderat<br />
in Schwäbisch Hall, Vorsitzender der<br />
Landtagsfraktion und Wirtschaftsminister<br />
von Baden-Württemberg. Heute arbeitet<br />
der 64-Jährige als Consultant und hält Vorlesungen<br />
an Hochschulen. Im Kreistag ist er<br />
für die Freien Demokraten politisch aktiv.<br />
Döring ist Initiator und Mitorganisator des<br />
Kongresses „Gipfel der Weltmarktführer“<br />
in Schwäbisch Hall und gründete die Akademie<br />
Deutscher Weltmarktführer.<br />
sind für viele Menschen in unserem<br />
Lande zu einem ernsthaften<br />
Problem geworden, das dringend<br />
angepackt werden muss. Beispiel:<br />
Der aktuelle am 28.12.2018 veröffentlichte<br />
Immobilienatlas zeigte<br />
für Stuttgart auf: Im Schnitt kostete<br />
2018 eine neue Wohnung<br />
6347 Euro pro Quadratmeter und<br />
damit 126 000 Euro mehr als vor<br />
drei Jahren. Gleichzeitig war ein<br />
Rückgang im Neubau um 57 Prozent<br />
in fünf Jahren zu verzeichnen.<br />
Es muss mehr, es muss<br />
schneller und es muss günstiger<br />
gebaut werden können.<br />
Sechstens:Wer die Zuwanderung<br />
nach Europa/Deutschland steuern<br />
möchte, muss ein wirkliches<br />
Zuwanderungsgesetz auf den Weg<br />
bringen, das unseren Unternehmen<br />
die Fachkräfteeinwanderung<br />
ermöglicht, die diese dringend benötigen.<br />
Wer darüber hinaus die<br />
Zuwanderung reduzieren möchte,<br />
der muss den Menschen in ihren<br />
Herkunftsländern Perspektiven eröffnen<br />
Siebtens: Mehr Beitragszahler<br />
ermöglichen mehr – nicht gleich:<br />
höhere Rentenzahlungen. Ohne<br />
eine generelle Verpflichtung zu einer<br />
für alle, egal ob Selbstständige<br />
oder Politiker, verbindlichen Altersvorsorge<br />
wird eine gesicherte<br />
Altersversorgung und somit die<br />
Verhinderung von Altersarmut<br />
nicht machbar sein. Alles keine<br />
„utopischen“ Vorschläge, sondern<br />
alle machbar, also deshalb nochmals:<br />
Es liegt (auch) an uns allen,<br />
ob, nein, dass <strong>2019</strong> gut wird.