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1 ANWALT FÜR<br />

66.382 FÄLLE<br />

Mit seiner erfolgreichen Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof<br />

hat sich der Vorarlberger Anwalt Kazim Yilmaz in den medialen Fokus<br />

gespielt – und hat damit die Ausbürgerung Tausender Austro-Türken<br />

verhindert, die auf einer ominösen Wählerliste standen.<br />

Von Amar Rajković, Naila Baldwin (Mitarbeit) Foto: Soza Almohammad<br />

Wien, Innere Stadt. Zwischen<br />

Justizpalast und Volkstheater<br />

liegen die Räumlichkeiten der<br />

Anwaltskanzlei „Kazim Yilmaz“. Minimalistisches<br />

Interieur, großzügige, helle<br />

Räume und moderne Möbel erwarten die<br />

Klienten, die sich hier vertreten lassen.<br />

An diesem Abend geht es etwas lockerer<br />

zu. Promis und Fotografen stehen sich<br />

gegenseitig auf den Füßen, die Blitzgeräusche<br />

hallen durch die Prunkräume,<br />

es wird ausgelassen Sekt getrunken und<br />

Finger Food gesnackt. Der Gastgeber,<br />

Kazim Yilmaz, bittet seine illustren Gäste<br />

mit aufs Foto: Rechts außen steht der<br />

Teppichhändler Ali Rahimi, daneben der<br />

Designer Atıl Kutoģlu, in der Mitte der<br />

Gastgeber und links außen der damalige<br />

Außen- und Integrationsminister Sebastian<br />

Kurz. Dieser spart bei seiner Eröffnungsrede<br />

nicht mit Komplimenten: „Ich<br />

habe Dr. Kazim Yilmaz als verlässlichen,<br />

kompetenten, service- und leistungsorientierten<br />

Partner und Integrationsbotschafter<br />

kennengelernt, der über soziale<br />

Verantwortung nicht nur spricht, sondern<br />

sie auch wirklich lebt.“<br />

„MIR KANN NIEMAND<br />

WAS VORMACHEN.“<br />

Das war der Abend des 14. Oktober<br />

2014. Laut der damals anwesenden<br />

Gäste ein rundum gelungener Abend.<br />

Mittlerweile ist Kurz Kanzler und Yilmaz<br />

Staranwalt. Staranwalt, das wäre<br />

sicher nicht die Eigenbeschreibung des<br />

37-Jährigen. Das ist jedoch einzig seiner<br />

Bescheidenheit geschuldet. Das von<br />

Yilmaz erwirkte Urteil des Verfassungsgerichtshofes<br />

trägt überall Sternenstaub<br />

auf den Papierrändern. Immerhin können<br />

zehntausende Betroffene aufatmen. Was<br />

war passiert?<br />

Am 17.12.2018 gab der Verfassungsgerichtshof<br />

bekannt, dass die<br />

nicht authentische „Wählerevidenzliste<br />

kein taugliches Beweismittel“ sei. Auf<br />

der Liste standen Personen, die angeblich<br />

noch ihren türkischen neben ihrem<br />

österreichischen Pass besitzen, was<br />

illegal ist und zum Verlust der österreichischen<br />

Staatsbürgerschaft geführt<br />

hätte. Es war ein Knalleffekt in der emotional<br />

geführten Debatte, die der Klub der<br />

Wiener Freiheitlichen mit der ominösen<br />

Liste angestoßen hatte. Insgesamt<br />

befanden sich darauf Daten von 66.382<br />

Personen. Die meisten von ihnen können<br />

dank Yilmaz‘ Beharrlichkeit nun aufatmen.<br />

Der Sohn von Gastarbeitern behält<br />

vor dem Verfassungsgerichtshof recht.<br />

Eine Schlagzeile mit Symbolcharakter,<br />

angesichts des Bildes, das einige Medien<br />

von Austrotürken zeichnen. Rückwärtsgewandt,<br />

frauenfeindlich, islamistisch<br />

und Erdogan-hörig. Eigenschaften, die<br />

beim Tête-à-Tête mit dem 37-jährigen<br />

Vorarlberger absurd erscheinen.<br />

KINDHEIT IN VORARLBERG<br />

Irgendwann mal in den späten 80ern<br />

muss es gewesen sein als der Grundstein<br />

für Yilmaz‘ Karriere gelegt wurde.<br />

Die Familie lebte in einer kleinen<br />

Gemeinde Vorarlbergs, unweit von Dornbirn,<br />

wo er geboren wurde. Sein Vater<br />

kam in den 70ern aus der Türkei, um am<br />

Bau zu arbeiten. Die Mutter war Hausfrau<br />

und passte auf die sieben Kinder<br />

auf. „Ich wusste, ich möchte einen Beruf<br />

ausüben, in welchem ich so viel Wissen<br />

in mir trage, dass mir und meiner Familie<br />

niemand was vormachen kann“, schildert<br />

Yilmaz, während er aus dem Fenster<br />

seiner Kanzlei in Richtung Justizpalast<br />

blickt. „Ich weiß nicht ganz genau wann,<br />

aber ich habe irgendwann erkannt, dass<br />

der Anwaltsberuf ein solcher Beruf ist“,<br />

so Yilmaz. Seine Augen fangen in diesem<br />

Moment zu leuchten an. Der kleine<br />

Kazim, dem die soziale Herkunft eher<br />

eine Lehre oder Schichtarbeit suggeriert,<br />

war beeindruckt und kam zum Entschluss:<br />

Ich werde Anwalt! Gerade weil<br />

seine Eltern zwar Teil der Gesellschaft<br />

waren, aber kein vollwertiger Teil. „Mir<br />

Der Anwalt Kazim Yilmaz hat<br />

mit seiner Beschwerde beim<br />

Verfassungsgericht über 60.000<br />

Menschen vor einer möglichen<br />

Ausbürgerung gerettet.<br />

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