ADAC Motorwelt März 2019
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SICHER & MOBIL<br />
„Fahrverbote ständig überprüfen“<br />
<strong>ADAC</strong> Chef-Jurist Christian Reinicke über die Grenzwert-Diskussion für Fahrverbote,<br />
ungenaue Messungen und die Wut der Dieselfahrer auf die Politik<br />
Klare Kante: <strong>ADAC</strong> Generalsyndikus Christian Reinicke im <strong>Motorwelt</strong>-Interview<br />
Der Stickstoffdioxid-Grenzwert von<br />
40 mg ist umstritten, die EU erklärte<br />
gerade, Fahrverbote seien bei geringen<br />
Überschreitungen nicht erforderlich.<br />
Was heißt das für die Autofahrer?<br />
Diese Klarstellung durch die EU begrüßen<br />
wir. Die Grenzwerte beruhen auf<br />
zehn Jahre alten Vorgaben, von ihnen<br />
hängt alles ab. Deshalb müssen sie über<br />
jeden Zweifel erhaben und der politischen<br />
Diskussion entzogen sein. Die aktuelle<br />
Debatte sollte Anlass sein, sie zu<br />
überprüfen und ihre Akzeptanz wieder<br />
herzustellen. Denn die ist nicht gegeben.<br />
Auch über die korrekte Aufstellung der<br />
Messstationen wird immer wieder<br />
diskutiert. Sind die Regeln genau genug?<br />
Die Position dieser Stationen entscheidet<br />
über die Messergebnisse. Ein paar Meter<br />
hin oder her können zu signifikanten<br />
Veränderungen führen. Die geltenden<br />
Vorgaben lassen, auch aus Sicht des Deutschen<br />
Verkehrsgerichtstags in Goslar, zu<br />
viele Freiheiten. Dort wurden genauere<br />
Regeln gefordert, damit in der EU gleichmäßig<br />
gemessen wird. Nur so können die<br />
Zweifel an Kontrollen beseitigt werden.<br />
Können auf dieser ungenauen Basis<br />
Fahrverbote verhängt werden?<br />
Aus rein juristischer Sicht schon – solange<br />
die geltenden EU-Vorgaben eingehal-<br />
Dieselkrisengebiet: Messstation für<br />
Luftqualität am Stuttgarter Neckartor<br />
ten werden. Aber angesichts der einschneidenden<br />
Folgen von Fahrverboten<br />
sollten die Gerichte die uneinheitliche<br />
Aufstellung und die daraus folgenden<br />
Ungenauigkeiten in Betracht ziehen.<br />
Müssen die Fahrverbote also nochmals<br />
überprüft werden?<br />
Die Gerichte sind an den EU-Grenzwert<br />
gebunden. Und den Kommunen bleibt<br />
nach entsprechenden Urteilen nichts<br />
anderes übrig, als Fahrverbote zu verhängen.<br />
Aber der Verkehrsgerichtstag hat<br />
festgehalten, dass sie nur das letzte Mittel<br />
sein können. Wenn es Zweifel an der<br />
Aufstellung der Stationen gibt, müssen<br />
die Gerichte Nachmessungen fordern.<br />
Sollten Fahrverbote zeitlich befristet<br />
angeordnet werden?<br />
Ja. Sie müssen regelmäßig überprüft werden,<br />
um Dieselfahrer nicht zu benachteiligen.<br />
Außerdem sind alle Möglichkeiten<br />
auszuschöpfen, um die Luft besser zu<br />
machen. Das ist nicht überall geschehen.<br />
Welche Maßnahmen sind das?<br />
Wir brauchen einen attraktiveren ÖPNV,<br />
Hardware-Nachrüstungen, wo sie sinnvoll<br />
sind, und eine bessere Verkehrsführung.<br />
Die fordert der <strong>ADAC</strong> seit Jahren.<br />
Stau ist schlecht für die Luft.<br />
Können Sie die Wut der von Fahrverboten<br />
betroffenen Dieselfahrer verstehen?<br />
Absolut. Niemandem ist begreiflich zu<br />
machen, warum er mit einem Fahrzeug,<br />
das zum Kaufzeitpunkt allen gesetzlichen<br />
Normen entsprach, nicht mehr in<br />
die Stadt fahren darf. Die Verantwortlichen<br />
in Autoindustrie und Politik sollten<br />
zugeben, dass sie Fehler gemacht haben.<br />
Und endlich eine Lösung erarbeiten, die<br />
dem Umweltschutz und der individuellen<br />
Mobilität dient.<br />
Interview: Christof Henn, Thomas Paulsen<br />
Fotos: <strong>ADAC</strong>/Peter Neusser, dpa Picture-Alliance/Bernd Weissbrod<br />
36 <strong>ADAC</strong> motorwelt 3/<strong>2019</strong>