Berliner Zeitung 13.03.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 60 · M ittwoch, 13. März 2019 17<br />
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Wissenschaft<br />
Viel fernsehen<br />
macht<br />
vergesslich<br />
Das zeigt eine Studie mit<br />
über 50-Jährigen<br />
Zu viel fernsehen schadet dem<br />
Gedächtnis älterer Menschen:<br />
Wermit 50 plus mehr als 3,5 Stunden<br />
pro Tag in die Röhre schaut, muss<br />
mit einem nachlassenden Gedächtnis<br />
rechnen. Insbesondere die Fähigkeit,<br />
sich an Wörter zu erinnern–<br />
das verbale Gedächtnis –verschlechtert<br />
sich einer Studie britischer Forscher<br />
zufolge bei hohem Fernsehkonsum.Worandas<br />
genau liegt, können<br />
die Wissenschaftler nicht sagen.<br />
Sie stellen ihre Untersuchung im<br />
Fachmagazin Scientific Reports vor.<br />
Welche Auswirkungen Fernsehen<br />
auf die geistige Leistungsfähigkeit<br />
hat, werde gemeinhin mit Blick auf<br />
Kinder untersucht, schreiben Daisy<br />
Fancourt und Andrew Steptoe vom<br />
University College London in ihrer<br />
Studie.Das andereEnde der Lebensspanne<br />
werde viel seltener berücksichtigt.<br />
Die wenigen Studien dazu<br />
seien zu teils widersprüchlichen Ergebnissen<br />
gekommen. Die Forscher<br />
werteten nun Daten von 3662 Erwachsenen<br />
über 50 Jahren aus, die<br />
an einer britischen Langzeitstudie<br />
teilgenommen hatten.<br />
In den Jahren 2008 und 2009 gaben<br />
die Probanden an, wie viel Fernsehen<br />
sie täglich schauen. Außerdem<br />
absolvierten sie verschiedene<br />
Tests. Beim verbalen Gedächtnistest<br />
etwa mussten sie sich zehn vorgeleseneWörter<br />
merken und diese gleich<br />
oder nach einer kurzen Unterbrechung<br />
durch andereTests wiedergeben.<br />
In den Jahren 2014 und 2015<br />
wurde dieser Test wiederholt.<br />
Lesen wärebesser<br />
Diejenigen Teilnehmer, die mehr als<br />
3,5 Stunden täglich Fernsehen geschaut<br />
hatten, zeigten über die<br />
nachfolgenden sechs Jahre eine<br />
nachlassende geistige Leistungsfähigkeit:<br />
Sie schnitten in dem Gedächtnistest<br />
schlechter ab als die<br />
Teilnehmer mit einer geringeren<br />
Fernsehdauer.<br />
Die Forscher stellen drei mögliche<br />
Erklärungen vor. Zumeinen weisen<br />
sie darauf hin, dass beim Fernsehen<br />
permanent Reize auf den Zuschauer<br />
einprasseln. Das Gehirn sei<br />
deshalb ständig wach, aber gleichzeitig<br />
wenig fokussiert, weil vomZuschauer<br />
–und dessen Gehirn–sogut<br />
wie keine Aktivität verlangt werde.<br />
Dies sei beim Videospielen oder<br />
beim Nutzen des Internets anders.<br />
Solche Aktivitäten könnten sich sogar<br />
positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit<br />
auswirken.<br />
Denkbar sei aber auch, dass die<br />
Programme selbst Stress verursachen<br />
und dies dem Gehirn schade.<br />
Eine Untersuchung britischer Seifenopern<br />
habe ergeben, dass pro<br />
Stunde zwischen 2,1 und 11,5 Szenen<br />
gezeigt werden, in denen es um<br />
Gewalt geht. Schlussendlich könne<br />
Fernsehen auch dadurch schaden,<br />
dass es vongeistig anregenderen Tätigkeiten<br />
abhält, etwa vomLesen.<br />
Welcher Grund oder welche<br />
Gründe zutreffen, müsse in weiteren<br />
Studien geklärtwerden, schreiben die<br />
Forscher. Offen sei auch, inwieweit<br />
unterschiedliche Programme die<br />
Leistungsfähigkeit unterschiedlich<br />
beeinflussen und ob Fernsehen als<br />
Risikofaktor für die Entwicklung von<br />
Demenz zu betrachten ist. (dpa/fwt)<br />
Stundenlanger TV-Konsum macht den<br />
Geist träge, warnen Forscher. GETTY IMAGES<br />
Verschmutzte Luft ist für die<br />
Gesundheit offenbar gefährlicher<br />
als bislang angenommen.<br />
Das geht aus einer<br />
am Dienstag in Mainz vorgestellten<br />
Studie hervor, die im European<br />
Heart Journal erscheint. Demnach<br />
verringern Feinstaub, Stickoxide,<br />
Ozon und Co. die durchschnittliche<br />
Lebenserwartung der Europäer um<br />
rund zwei Jahre, denn sie führen statistisch<br />
betrachtet jährlich zu<br />
800 000 vorzeitigen Todesfällen. Bisherige<br />
Studien kamen nur auf halb<br />
so große Zahlen. Die europäische<br />
Umweltagentur zum Beispiel geht<br />
von 400 000 vorzeitigen Todesfällen<br />
proJahr in Europa aus.<br />
Seit derartigen Berechnungen sei<br />
die Datenbasis deutlich solider und<br />
umfangreicher geworden, sagt Thomas<br />
Münzel, Kardiologie-Professor<br />
an der Universitätsmedizin Mainz,<br />
der zusammen mit JosLelieveld, Direktor<br />
am Max-Planck-Institut für<br />
Chemie, und weiteren Kollegen Autor<br />
der Studie ist. Die Mainzer Forscher<br />
nutzten ein neues Modell, Global<br />
Exposure Mortality Model<br />
(GEMM) genannt, mit dem sich die<br />
Auswirkung der Luftverschmutzung<br />
auf die Sterblichkeit genauer berechnen<br />
lässt. Das Modell basiert auf 41<br />
aufwendigen Studien aus 16 Ländern.<br />
Die Forscher ermittelten zunächst<br />
die regionale Belastung mit<br />
Schadstoffen wie Feinstaub und<br />
Ozon mit Hilfe eines Atmosphärenchemiemodells.<br />
Diese Werte verknüpften<br />
sie mit krankheitsspezifischen<br />
Gefährdungsraten sowie der<br />
Bevölkerungsdichte und den Todesursachen<br />
in einzelnen Ländern.<br />
Die inder Studie ermittelte deutlich<br />
höhereZahl vermuteter vorzeitiger<br />
Todesfälle führen die Experten<br />
auch darauf zurück, dass weitere<br />
Krankheiten miteinbezogen wurden,<br />
die zwar nicht von Feinstaub<br />
verursacht, aber vonihm beeinflusst<br />
würden –etwa Diabetes und Hypercholesterinämie,<br />
ein zu hoher Cholesterinspiegel.<br />
Luftverschmutzung sei das Umweltgesundheitsrisiko<br />
Nummer<br />
eins, betont Lelieveld. Sie sei bisher<br />
unterschätzt worden. Dabei gehöre<br />
sie zu den gravierendsten Gesundheitsrisiken<br />
neben Bluthochdruck,<br />
Diabetes, Übergewicht und Rauchen.<br />
Vorallem Herzerkrankungen<br />
„Luftschadstoffe führen zu mehr<br />
vorzeitigen Todesfällen als das Rauchen“,<br />
gibt Münzel zu bedenken. Die<br />
Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) schätzt die Zahl der auf das<br />
Rauchen zurückgehenden Todesfälle<br />
–inklusivedes Passivrauchens –<br />
auf weltweit 7,2 Millionen jährlich.<br />
Luftschadstoffe führen den Berechnungen<br />
der Mainzer Forscher zufolge<br />
weltweit zu 8,8 Millionen vorzeitigen<br />
Todesfällen, bisher war man<br />
von4,5 Millionen ausgegangen.<br />
Die Todesfälle gehen den Forschern<br />
zufolge vor allem auf Herzkreislauf-<br />
und Atemwegserkrankungen<br />
zurück. Dabei sei der Beitrag der<br />
Luftschadstoffe zu Herz-Kreislauf-<br />
Erkrankungen besonders groß. In<br />
mindestens der Hälfte der vorzeitigen<br />
Todesfälle seien Herzinfarkte,<br />
Schlaganfall und ähnliche Erkrankungen<br />
die Todesursache.Der Anteil<br />
von Atemwegserkrankungen wie<br />
Lungenkrebs, Lungenentzündungen<br />
und COPD,eine chronische Verengung<br />
der Atemwege, liege bei 20<br />
Prozent.<br />
Die Menschen in Deutschland<br />
haben den Studienergebnissen zufolge<br />
eher überdurchschnittlich unter<br />
Luftverschmutzung zu leiden.<br />
„Von den 800 000 vorzeitigen Todesfällen<br />
in Europa entfallen 124 000 auf<br />
Deutschland“, berichtet Münzel.<br />
Noch besser lassen sich einzelne<br />
Länder vergleichen, wenn man die<br />
Zahl der vorzeitigen Todesfälle pro<br />
100 000 Einwohner betrachtet. Europa<br />
kommt dabei im Schnitt auf<br />
133, Deutschland auf 154. Im globalen<br />
Durchschnitt sind es 120 Menschen<br />
pro 100 000 Einwohner, die<br />
vorzeitig an den Folgen verschmutzter<br />
Luft sterben.<br />
„Dass die Zahlen für Europa relativ<br />
hoch sind, hat mit der Kombination<br />
aus schlechter Luftqualität und<br />
hoher Bevölkerungsdichte zu tun“,<br />
sagt Jos Lelieveld. In osteuropäi-<br />
Vorzeitige Todesfälle<br />
durch Luftverschmutzung<br />
in Europa, Anzahl je 1000 km 2<br />
unter 0,1 1 10 100 über 1000<br />
Feinstaub<br />
Wo sich der Staub<br />
im Körper absetzt<br />
Gröbere Partikel<br />
(3 –10µmund größer)<br />
gelangen in der Regel<br />
nur bis zum Kehlkopf<br />
Feine Partikel<br />
(1 –3µm)<br />
gelangen bis zu den<br />
Bronchien und den<br />
Lungenbläschen<br />
Ultrafeine Partikel<br />
(0,1 –1µm)<br />
gelangen über die<br />
Lungenbläschen<br />
in die Blutbahn und<br />
verteilen sich im<br />
Körper<br />
Feinstaubquellen feine Partikel (weniger als 2,5 µm), in Tausend Tonnen<br />
250<br />
Abfall<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
197<br />
Deutschland<br />
Größenvergleich in Mikrometer (µm)<br />
Feines Sandkorn<br />
90 µm Durchmesser<br />
Der Preis der<br />
dreckigen Luft<br />
Feinstaub und andere Schadstoffe kosten die<br />
Europäer im Mittel rund zwei Jahre Lebenszeit,<br />
Feinstaub<br />