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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 62 · F reitag, 15. März 2019 17 *<br />
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Gesundheit<br />
Gesundheitsprophylaxe muss sehr früh ansetzen. Kitas und Schulen sind hier gefragt, unter anderem mit Ernährungs- und Bewegungsprogrammen. Aber das reicht nicht aus, wenn es nicht bis in die Familien hineingeht.<br />
DPA<br />
Arme Kinder sind weniger fit<br />
Ein Kongress an der TU beschäftigt sich mit dem Zusammenhangvon sozialem Status und Gesundheit von Heranwachsenden<br />
VonTorsten Harmsen<br />
An einem Treppenaufgang<br />
der Technischen Universität<br />
(TU) Berlin steht ein<br />
Schild: „A Treppe a day<br />
keeps the doctor away“ –Eine Treppe<br />
am Taghält den Arzt vom Leibe. Der<br />
Spruch passt zum Thema des Tages:<br />
Gesundheit. Etwa 1500 Besucher<br />
sind am Donnerstag zur Eröffnung<br />
des 24. Kongresses Armut und Gesundheit<br />
ins Hauptgebäude der TU<br />
an der Straße des 17. Juni gekommen,<br />
wie die Veranstalter von Gesundheit<br />
Berlin-Brandenburg e.V. mitteilen. In<br />
128 Veranstaltungen diskutieren Vertreter<br />
aus Politik, Wissenschaft und<br />
Praxis vor allem über den Zusammenhang<br />
von sozialer Lage und Gesundheitszustand.<br />
Kurz gesagt: Wie oft jemand Treppen<br />
läuft, sich insgesamt bewegt, gesund<br />
ernährt und Gesundheitsprophylaxe<br />
betreibt, hängt starkvon seinem<br />
sozialen Status ab. Diese bekannte<br />
These wird von einer neuen<br />
Untersuchung erhärtet, die Thomas<br />
Lampert vom Robert-Koch-Institut<br />
(RKI) Berlin vorstellte. Die Studie zur<br />
Gesundheit vonKindernund Jugendlichen<br />
in Deutschland (KiGGS) zeigt,<br />
dass Heranwachsende aus Familien<br />
mit niedrigem Sozialstatus –mit weniger<br />
als 60 Prozent des mittleren Einkommens<br />
–häufiger gesundheitliche<br />
Nachteile haben als Gleichaltrige aus<br />
der Statusgruppe mit überdurchschnittlichem<br />
Einkommen. Bei 7,7<br />
Prozent dieser Kinder ist laut Studie<br />
ein mittelmäßiger bis schlechter Gesundheitszustand<br />
zu konstatieren –<br />
gegenüber 1,5 Prozent aus der hohen<br />
Statusgruppe. 26 Prozent von Kindern<br />
aus der niedrigen Statusgruppe<br />
zeigen psychische Auffälligkeiten, in<br />
der hohen Statusgruppe sind es nur<br />
9,7 Prozent. 15,4 Prozent bewegen<br />
sich wenig (5,9 Prozent), 17,9 Prozent<br />
konsumieren häufig zuckerhaltige<br />
Getränke (2,2 Prozent), 8Prozent rauchen<br />
(4 Prozent).<br />
DieZahlen stammen aus den Jahren2014<br />
bis 2017. Für die RKI-Studie<br />
wurden bundesweit 15 023 Kinder<br />
und Jugendliche befragt und getestet.<br />
Eine Auswertung von Daten des<br />
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW)durch das RKI zeigt<br />
wiederum, dass Männer und Frauen<br />
mit niedrigem Einkommen häufiger<br />
vor dem 65. Lebensjahr sterben. Bei<br />
Frauen sind es 13 Prozent, bei Männernsogar<br />
27 Prozent.<br />
Erste Lebensjahresind wichtig<br />
Die Teilnehmer des Kongresses sind<br />
sich einig, dass dem entgegengesteuertwerden<br />
muss,und zwar möglichst<br />
früh. „Die Förderung vonGesundheit<br />
wurde lange Zeit mit der Verhinderung<br />
von Krankheit gleichgesetzt“,<br />
sagte Susanne Borkowski, Geschäftsführerin<br />
des Vereins KinderStärken<br />
und selbst erfahrene Kita-Leiterin.<br />
DerBlickwinkel habe sich in den vergangenen<br />
Jahren geändert. Zum gesunden<br />
Aufwachsen gehörten viele<br />
Bereiche: neben der Gesundheitsversorgung<br />
auch Bildung, Wohnen, Ernährung,<br />
Kleidung und soziale Sicherung.<br />
Wenig nachhaltig seien kurzfristige<br />
Kita- und Schulprogramme:<br />
für gute Ernährung, für sportliche Be-<br />
Gesundheitszustand nach Armutsbetroffenheit<br />
in Prozent<br />
arm nicht arm<br />
sehr gut<br />
gut<br />
zufriedenstellend<br />
weniger gut<br />
schlecht<br />
3,4<br />
Kongress. Armut und Gesundheit<br />
2019findet noch<br />
biszum heutigen Freitag an<br />
der Technischen Universität<br />
(TU) Berlin statt.Ausgerichtet<br />
wird er vomGesundheit Berlin-Brandenburg<br />
e.V., derTU,<br />
der Deutschen Gesellschaft<br />
fürPublic Health,der Berlin<br />
School of PublicHealth und<br />
anderen. Das Mottolautet<br />
„Politik Macht Gesundheit“,<br />
wobei der Begriff„Macht“bewusst<br />
großgeschrieben<br />
wurde, um diekonkurrierenden<br />
Interessen in der Politik<br />
zu betonen.<br />
7,4<br />
11,6<br />
8,9<br />
14,4<br />
21,8<br />
POLITIK MACHT GESUNDHEIT<br />
Präventionsgesetz. Im Jahre<br />
2015 wurde in Deutschland<br />
das Gesetz zur Stärkung der<br />
Gesundheitsförderung und<br />
der Prävention (Präventionsgesetz)<br />
verabschiedet. Es<br />
sorgte für eine Schwerpunktverschiebung:<br />
wegvon der<br />
reinen Betrachtung des individuellen<br />
Gesundheitsverhaltens<br />
hin zur Gestaltung<br />
gesundheitsfördernder Lebenswelten<br />
–inKita, Schule,<br />
an Arbeitsplatz, im Pflegeheim.<br />
Auch wichtigeMaßnahmen<br />
zum Impfschutz<br />
werden hier geregelt.<br />
30,1<br />
29,1<br />
33,5<br />
39,8<br />
BLZ/HECHER; QUELLE: DER PARITÄTISCHE 2018, AUF BASIS SOEP 2016<br />
Health in All Policies. Dieser<br />
Ansatz bedeutet, dass<br />
es einegesundheitsfördernde<br />
Gesamtpolitik geben<br />
muss. In vielenLändern<br />
der Welt ist die Umsetzung<br />
des vonder WHOgeförderten<br />
Konzepts weiter ausgeprägt<br />
als in Deutschland.<br />
Der Kongress Armutund Gesundheitbefasste<br />
sich bereitsinden<br />
vergangenen<br />
Jahren damit.Inder Hauptstadtist<br />
die Berlin Schoolof<br />
Public Health federführend<br />
bei Forschungen zur Gesundheitsversorgung.<br />
tätigung. Manmüsse stattdessen fragen:<br />
„Wie gelingt es,mehr Bewegung<br />
und gesündereErnährung in den Alltag<br />
zu bekommen?“, so Susanne Borkowski.<br />
Dazu müsse man die Eltern<br />
einbinden. Unddafür bräuchten die<br />
Fachkräfte in Kita und Schule auch<br />
mehr Mittel und Unterstützung.<br />
Der<strong>Berliner</strong> Senat war beim Pressegespräch<br />
zum Kongress leider nicht<br />
vertreten. Michael Müller (SPD), der<br />
Regierende Bürgermeister der „Gesundheitsstadt<br />
Berlin“, hatte stattdessen<br />
ein Grußwort geschickt, in<br />
dem er unter anderem das Ziel formulierte,<br />
allen Menschen „gleichberechtigten<br />
Zugang“ zu Gesundheitsleistungen<br />
zu verschaffen.<br />
Konkreteres erzählte dagegen<br />
Andreas Büttner (Linke), der Gesundheitsstaatssekretär<br />
des Landes Brandenburg.<br />
Unter anderem wird dort<br />
ein Projekt gefördert, in dessen Rahmen<br />
Schulgesundheitsfachkräfte an<br />
insgesamt 20 Brandenburger Schulen<br />
eingesetzt werden, um die Gesundheitsprävention<br />
zu fördern. Im Brandenburger<br />
„Netzwerk Gesunde Kinder“<br />
begleiten 1100 geschulte Paten<br />
etwa 4500 Familien – von der<br />
Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr<br />
des Kindes. Das kostenfreie<br />
Angebot soll vorallem Familien erreichen,<br />
die nicht so gesundheitsbewusst<br />
leben. Büttner sieht hier vorallem<br />
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,<br />
die ein Landes- und Gesundheitsministerium<br />
nicht allein leisten<br />
könne.<br />
Eine wirklich tiefgründige gesellschaftliche<br />
Gesundheitsprophylaxe<br />
bestehe aber in erster Linie in der Bekämpfung<br />
der Kinderarmut, lautet<br />
Büttners These. „Wir brauchen eine<br />
Kindergrundsicherung, damit wir Familien<br />
helfen können!“, sagte er. Leider<br />
aber finde sich dazu bundesweit<br />
keine politische Mehrheit. Eine Kindergrundsicherung<br />
müsse Kindergeld,<br />
Kinderzuschlag, Sozialgeld, Unterhaltsvorschuss<br />
und ähnliche Leistungen<br />
ersetzen, forderte auch Rolf<br />
Rosenbrock, der Vorsitzende vonGesundheit<br />
Berlin-Brandenburg e.V.<br />
und Vorsitzender des Paritätischen<br />
Gesamtverbandes. Nach Erhebungen<br />
von 2018 brauche es im Monat<br />
619 Euro,umein Kind großzuziehen.<br />
„Beim derzeitigen Familienlastenausgleich<br />
sind Kinder je mehr wert,<br />
desto höher das Einkommen der Elternist“,<br />
so Rosenbrock. Diesen Missstand<br />
beende die Kindergrundsicherung,<br />
da sie nach der finanziellen<br />
Leistungsfähigkeit der Eltern besteuert<br />
würde. Arme Familien kämen „in<br />
den Genuss der vollen Summe“.<br />
DasSelbstwertgefühl stärken<br />
Aber fördertdas wirklich das Gesundheitsbewusstsein<br />
in den Familien?<br />
Manmüsse„an die Familien rankommen“,<br />
sagte Staatssekretär Büttner.<br />
Viele seien arbeitslos, fühlten sich<br />
nicht gebraucht. Notwendig seien<br />
„niederschwellige Angebote, um<br />
Menschen Teilhabe zu geben in der<br />
Gesellschaft“. Erst dann könnte vielleicht<br />
auch das wachsen, was Rolf Rosenbrock<br />
als wichtige Gesundheitsressoucen<br />
bezeichnet: Selbstwertgefühl,<br />
das Gefühl, wirksam werden zu<br />
können, und die Verankerung in hilfreichen<br />
sozialen Netzen.<br />
Krankmacher Stress<br />
Werdauerhaft gestresst ist, spürt irgendwann körperliche Folgen. Deshalb: Alarmsignale rechtzeitig erkennen<br />
Stress kennt jeder. Doch wann<br />
wird er ungesund? „Stress bedeutet<br />
grundsätzlich, dass es eine<br />
unspezifische Reaktion des Körpers<br />
oder Geistes gibt, die Menschen<br />
zur Bewältigung besonderer<br />
Anforderungen befähigt“, erklärt<br />
Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende<br />
des Berufsverbands Deutscher<br />
Psychiater.<br />
Der gestresste Körper befindet<br />
sich in einem Ausnahmezustand:„Es<br />
werden körperliche und seelische<br />
Reserven mobilisiert“, erklärt die<br />
Fachärztin für Neurologie und<br />
Psychiatrie. Die Konzentration, der<br />
Blutdruck und Blutzuckerspiegel<br />
steigen –genau wie das Herzminutenvolumen.<br />
Wichtig ist es,dass dieser<br />
Zustand nicht dauerhaft anhält,<br />
denn Dauerstress macht krank. Die<br />
Folgen können dauerhaft erhöhter<br />
Blutdruck, Diabetes, Kopfschmerzen,<br />
Fettstoffwechsel-, Schlaf- und<br />
Verdauungsstörungen sein.<br />
Damit es nicht so weit kommt,<br />
sollte jeder die ersten Warnsignale<br />
kennen: „Bei vielen Menschen<br />
kommt das Gefühl auf, nur noch zu<br />
funktionieren“, sagt Sabine Keiner,<br />
Life- und Burnout-Coach aus Köln.<br />
Vielleicht signalisieren Partner oder<br />
Familie,dass neben der Arbeit kaum<br />
Zeit für schöne Aktivitäten bleibt.<br />
Auch die Stimmung spiegelt das<br />
Stresslevel wider. Positiven Stress<br />
gibt es nach Ansicht der Expertin<br />
nicht. Manche Menschen sagen,<br />
dass sie gewissen Druck brauchen,<br />
um Aufgaben zu erledigen – hier<br />
kann Stress in gewissem Maße also<br />
förderlich sein.„Doch auch in diesen<br />
Fällen darf der Druck nicht zu stark<br />
und zu lange sein.“<br />
Welche Faktoren negativen Stress<br />
auslösen, ist individuell unterschiedlich:<br />
„Um herauszufinden,<br />
was einen wie stark belastet, ist es<br />
zunächst gut, das eigene Stressgefühl<br />
zu beschreiben“, sagt LauraLetschert,<br />
systemischer Resilienzcoach<br />
aus Höhr-Grenzhausen bei Koblenz.<br />
„Wie fühlt es sich im Körper an,<br />
wenn ich in Stress gerate?“ Im Anschluss<br />
könne man ein bis zwei Wochen<br />
lang bewusst das eigene Stressgefühl<br />
in verschiedenen Situationen<br />
wahrnehmen, auf einer Skala von 1<br />
bis 10 einordnen und in einem<br />
Stresstagebuch festhalten. „Wenn<br />
ich weiß, wie sich Stress für mich anfühlt<br />
und wie stark diese Empfindung<br />
wann auftritt, kann ich davon<br />
die größten Stressoren ableiten.“<br />
Beim Abbau vonStress hilft vieles:<br />
„Wichtig ist, sich Zeit für Bewegung<br />
zu nehmen“, sagt Burnout-Coach<br />
Sabine Keiner. „Da reicht schon ein<br />
strammer Spaziergang jeden Tag.<br />
Nur über die Bewegung ist der Körper<br />
in der Lage, die Stresshormone<br />
abzubauen.“ Auch Entspannungstechniken<br />
wie Meditation, Tai-Chi<br />
oder Progressive Muskelentspannung<br />
können helfen. „Ein weiterer<br />
wichtiger Faktor ist es, sich Zeit für<br />
sich und die eigenen Bedürfnisse zu<br />
nehmen.“ Man sollte herausfinden,<br />
was einem Spaß macht und wobei<br />
man Energie auftankt. (dpa)<br />
Mi,20. MÄRZ 2019 | 18.00 Uhr<br />
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Dr. med. Franziska Luhn<br />
Carsten Höptner<br />
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Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.<br />
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