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22 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 62 · F reitag, 15. März 2019<br />
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Feuilleton<br />
Nandalal Bose: Anleitung zur Wandmalerei, n.D.(1929/30), Freskoauf Zementwand, ca. 80 x100 cm, Kala Bhavana, Santiniketan, Indien<br />
BAUHAUS IMAGINISTA<br />
Josef Albers: Still Undead, Black Mountain College, 1940<br />
THE JOSEF AND ANNI ALBERS FOUNDATION<br />
Als Gropius chinesisch zu denken versuchte<br />
„Bauhaus Imaginista“ im Haus der Kulturen der Welt ist eine lohnende Ausstellung über die weltweite Wirkung des Bauhauses<br />
VonNikolaus Bernau<br />
Das Bauhaus-Manifest<br />
von 1919 mit dem expressionistisch<br />
zerklüfteten<br />
Bild einer gotischen<br />
Kirche darauf; Paul Klees<br />
Zeichnung einer Stadt in Form eines<br />
nordafrikanischen Teppichmusters<br />
von 1927; Marcel Breuers Collage<br />
„bauhaus film“ von 1926; Kurt<br />
Schmidtfegers Farbenreflektor von<br />
1922 –kann man aus vier Objekten<br />
eine Ausstellung über die weltweite<br />
Wirkung des Bauhauses machen? Es<br />
geht. Jetzt im Haus der Kulturen der<br />
Welt als „Bauhaus Imaginista“ zu sehen,<br />
kuratiertvon Marion vonOsten<br />
und Grand Watson.<br />
Beide sind keine Bauhaus-Experten,<br />
waren es jedenfalls nicht zu Beginn<br />
des Projekts vor vier Jahren.<br />
Doch genau dieser neugierige Zugriff,<br />
fundiert mit rationaler und genau<br />
aus den Archiven forschender<br />
Wissenschaft ist das Erfolgsrezept<br />
des Projekts. Von Sao Paolo nach<br />
Kyoto, Hangzhou nach Neu Delhi,<br />
Moskau, Casablanca und Lagos, Peking,<br />
Rabat undTokio reichen die Recherchen.<br />
Auffällig ist, dass Chicago<br />
und Harvard als amerikanische<br />
Töchter des Bauhauses kaum eine<br />
Rolle spielen. New York fehlt –<br />
ebenso wie TelAviv;dabei hätte man<br />
dort soschön die Kommerzialisierung<br />
des Bauhauses erforschen können.<br />
Man wolle anderen Ausstellungen<br />
im Bauhaus-Jahr nicht die Butter<br />
vom Brot nehmen, erklärt von<br />
Osten diese Lücken.<br />
Vier Säle sind in Berlin zu sehen,<br />
in denen es flimmert und schimmert,<br />
echte Kunstwerke,Kopien, Fotografien<br />
und Textkopien, Modelle,<br />
Möbel, Bücher und Installationen.<br />
Ruckelnde Dia-Apparate bringen<br />
den Klang vonHandwerklichkeit ins<br />
glatte Digitalzeitalter, knappe Texte<br />
versuchen, überaus komplexe Thesen<br />
zu erläutern. Am besten nimmt<br />
man sich einen Audioguide, denn<br />
die didaktische Aufarbeitung des reichen<br />
Materials ist, pardon, lausig.<br />
Um die hier gespannten Fäden zu<br />
einem Netz zu knüpfen, bräuchte<br />
man Kenntnisse der Geschichte des<br />
Bauhauses, des Kolonialismus, der<br />
Indien- und Afrikabegeisterung, des<br />
Stalinismus, der deutschen Exilgeschichte<br />
etc. Auch der Blick in das<br />
gerade in erweiterter Form neu herausgebrachte<br />
Buch von Magdalena<br />
Droste zum Bauhaus (Taschen-Verlag,<br />
Köln, 15 Euro) ist eine gute Vorbereitung.<br />
Aber selbst so gerüstet<br />
staunt man oft nur: Eine der ersten<br />
Ausstellungen zum Bauhaus fand in<br />
Arieh Sharon, Eldar Sharon, Harlod Rubin: University of Ife, Nigeria<br />
Kalkutta statt, 1922 bereits. Überhaupt<br />
war Indien sehr offen für die<br />
deutschen Lehrexperimente, schienen<br />
sie doch einen Wegweg vonden<br />
streng auf Naturalismus geeichten<br />
Kunstakademien der britischen Kolonialmacht<br />
zu weisen. Umgekehrt<br />
war Rabindranath Tagore mit seiner<br />
an den deutschen Idealismus erinnernden<br />
Idee von der Kunst als Mittel<br />
der Persönlichkeitsbildung auch<br />
am Bauhaus überaus populär.<br />
ARIEH SHARON DIGITAL ARCHIV<br />
In Japan entstand eine nationale<br />
Bauhausnachfolge,inNigeria plante<br />
der israelische Bauhausschüler Ari<br />
Scharon eine Kunsthochschule, die<br />
afrikanische Muster aufnimmt. Die<br />
Amerikaner Charles und Ray Eames<br />
regten für das indische Ahmedabad<br />
die Gründung einer modernen<br />
Kunstschule an –inder wie am Bauhaus<br />
Kunsthandwerk und Hohe<br />
Kunst verbunden werden sollten.<br />
Walter Gropius und sein aus China<br />
stammender Schüler I. M. Peihaben<br />
in den frühen 50er-Jahren parallel<br />
Entwürfe für eine chinesische Universität<br />
gemacht. Der rationalistische<br />
Gropius schlug leichte Pavillons,<br />
schmale Ganghallen und zart<br />
komponierte Gärten vor. Pei hingegen<br />
wollte die Studierenden in klosterartig<br />
geschlossenen modernistischen<br />
Lernburgen nach dem Vorbild<br />
der Elitecolleges an der amerikanischen<br />
Ostküste unterbringen. War<br />
nun Gropius vom chinesischen Erlebnis<br />
überwältigt –oder hat sich Pei<br />
dem Westen unterworfen?<br />
Solche Irritationen, Querblicke<br />
und neuen Perspektiven sind es, die<br />
die Ausstellung spannend machen.<br />
Die Brasilianerin Lina Bo Bardi war<br />
eine Heldin der frühen Moderne<br />
Südamerikas. Sie stammte aus Italien,<br />
schuf mit dem IAC eine Kunstschule,<br />
die ausdrücklich das Vorbild<br />
der Bauhaus-Didaktik zitierte. Und<br />
hat doch mit ihren offenen Augen für<br />
die Volkskunst der schwarzen und<br />
weißen Armen im Nordosten des<br />
Landes, auch für die der indigenen<br />
Völker in Amazonien einen ganz<br />
neuen Weg hin zur Moderne versucht<br />
–der ihr sogleich die arrogante<br />
Kritik des deutschen Bauhaus-Nachfolgers<br />
Max Bill eintrug, dass so viel<br />
Heiterkeit und Schwung ja nun gar<br />
nicht gingen. Der aktuelle Streit in<br />
der Design-Gemeinde, obman traditionelle<br />
Muster für moderne Stoffe<br />
verwenden darf, wäre Bardi wohl<br />
eher abstrus erschienen – zeigte<br />
doch gerade die Übernahme solcher<br />
Formen den zutiefst antikolonialen<br />
Impetus ihrer Arbeiten.<br />
Dass Hannes Meyers Gang in die<br />
Sowjetunion 1932 auch eine Unterwerfung<br />
unter den Stalinismus bedeutet<br />
und die Massenbauten dieser<br />
Zeit auch der Unterwerfung renitenter<br />
Bauern durch die Kommunisten<br />
dienten, hätte man gerne mehr debattiertgesehen.<br />
Auch sonst bleiben<br />
Lücken bei einem Projekt, das die<br />
drei Bauhaus-Museen in Berlin, Dessau<br />
und Weimar ohne die Hilfe der<br />
Goethe-Institute und der Kulturstiftung<br />
des Bundes niemals hätten<br />
stemmen können. Undherrlich viele<br />
Fragen: Ist das neue Bauhaus-Museum<br />
in Fuyang bei Hangzhou nur<br />
eine Zutat zur von der Kommunistischen<br />
Partei nationalistisch überhöhten<br />
2000-jährigen Design-Tradition<br />
Chinas oder ein revolutionärer<br />
Akt gegen die sture akademische<br />
Lehre, die sonst an dieser Kunsthochschule<br />
noch herrscht?<br />
Auf ins Haus der Kulturen der<br />
Welt –und planen Sie Zeit ein. Es ist<br />
eine Ausstellung, die es wert ist.<br />
Alter weißer Blues, Mann<br />
John Mayall, der Erziehungsberechtigte der britischen Rockmusik, spielte mit seiner dreiköpfigen Band im Columbia-Theater<br />
VonHarry Nutt<br />
Am8.Juli 1981 –ich habe das Datum<br />
nachgeschlagen – spielte<br />
Muddy Waters ein denkwürdiges<br />
Konzert imTempodrom, das sich<br />
damals noch als Zirkuszelt unweit<br />
der Mauer auf einem Sandplatz am<br />
Potsdamer Platz befand. Der große<br />
alte Mann des schwarzen Blues,<br />
dem die Rolling Stones ihren Namen<br />
verdanken, stand in dem<br />
kaum eine Stunde dauernden Konzert<br />
gerade mal 20 Minuten auf der<br />
Bühne. Das Publikum schwankte<br />
zwischen Enttäuschung und tiefer<br />
Dankbarkeit, jene Legende, die die<br />
elektrisch verstärkte Gitarre imtraditionellen<br />
Blues etabliert hatte,<br />
noch einmal gehört zu haben.<br />
Muddy Waters starb im April1983.<br />
John Mayall lebt, im November ist<br />
er 85 Jahrealt geworden. Underließ<br />
bei seinem Auftritt am Mittwochabend<br />
im Columbia-Theater keinen<br />
Zweifel daran, dass er über etwas<br />
mehr als 90 Minuten ohne Pause gewillt<br />
war, den TonanHammondorgel,<br />
Gitarre und Mundharmonika<br />
anzugeben.<br />
Schwungvoll betrat er die Bühne,<br />
und mit seinen gestenreichen Bewegungen<br />
wirkte er dabei bisweilen wie<br />
ein heiterer Nosferatu. Einer mit<br />
Umgangsformen, der noch vor dem<br />
ersten Ton seine Mitstreiter vorstellte,<br />
die bald darauf ihre instrumentellen<br />
Fertigkeiten mit kurzen<br />
Soli unter Beweis stellten. Sage keiner,esginge<br />
beim weißen Blues,den<br />
allenfalls Alexis Korner derart nachhaltig<br />
geprägt hat wie John Mayall,<br />
nicht ordentlich und gesittet zu.<br />
Dabei mochte sich Mayall nicht<br />
lange mit der Geschichte seines<br />
Schaffens aufhalten. Gespielt wurden<br />
alte und neue Stücke, gleich<br />
mehrfach betonte Mayall, der seiner<br />
Finger,die nach Tasten suchen: John Mayall im Columbia-Theater.<br />
Band wie ein pensionierter Grammar-School-Lehrer<br />
vorstand, er<br />
wisse auch nicht, von welcher Platte<br />
das jeweilige Stück eigentlich<br />
stamme. Mit wem erdamusizierte,<br />
wusste er aber schon. Fast nach jedem<br />
Stück nannte er anerkennend<br />
ROLAND OWSNITZKI<br />
die Namen, allen voran die texanische<br />
Sängerin und Gitarristin Carolyn<br />
Wonderland, die voreinigen Jahren<br />
ihre immerwährende Tour mit<br />
den Imperial Monkeys gegen ein Engagement<br />
bei John Mayall eingetauscht<br />
hat. Der weiße Blues kann<br />
auch sehr weiblich sein. Carolyn<br />
Wonderland war denn auch das geheime<br />
Kraftzentrum dieses Abends.<br />
Mal steuerte sie schrammelnd ein<br />
paar Riffs bei und beschwor dann<br />
mit flinken Läufen über den Gitarrenhals<br />
die popmusikalische Virtuosität<br />
der frühen Jahre. Wersich der<br />
Bluesmusik verschrieben hat, agiert<br />
ja immer auch ein wenig wie sein eigener<br />
Archivar.Carolyn Wonderland<br />
überwältigte das Publikum, nachdem<br />
sie eine halbe Stunde lang eher<br />
bescheiden am Rande vor sich hin<br />
musizierthatte,mit einer gewaltigen<br />
Bluesröhre.<br />
Bassist Greg Rzab und Schlagzeuger<br />
Jay Davenport sind ebenfalls<br />
schon sehr lange mit John Mayall<br />
unterwegs, umihr im Grunde sehr<br />
einfaches, bisweilen aber furios aufblitzendes<br />
Zusammenspiel vorzutragen.<br />
Die Stücke heißen „California“,<br />
„Delta Hurricane“ oder „One<br />
More Day“, letzteres handelt vom<br />
Wunsch eines Mannes, mit dem<br />
Trinken aufzuhören –aber lieber erst<br />
morgen. Einsamkeit, Verlassenwerden<br />
(„You kissed me good night, but I<br />
knew,itmeant goodbye“), um was es<br />
eben geht im Blues.<br />
John Mayall und seine Band tragen<br />
das alles mit einer nicht enden<br />
wollenden Spielfreude vor, die die<br />
anwesenden Menschen 60 plus,<br />
mehr Männer als Frauen, beseelt<br />
nach Hause gehen ließ. Handgemachte<br />
Musik für Leute, die versuchen,<br />
mit der Generation YouTube<br />
schrittzuhalten.<br />
In der U-Bahn danach wird<br />
nicht mehr viel geredet. Man spielt<br />
sich stattdessen das in bester Qualität<br />
mitgeschnittene Handyvideo<br />
vor. Einer wie John Mayall hat es<br />
wirklich nicht mehr nötig, über die<br />
Verletzung seiner Urheberrechte<br />
zu wachen.