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Berliner Zeitung 16.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 89 · D ienstag, 16. April 2019 15<br />

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Wissenschaft<br />

Zurück ins deutsche Oxford<br />

In Dahlem veränderten Forscher die Welt –allerdings nicht immer zum Guten. Eine neue App der Max-Planck-Gesellschaft führt zu den historischen Orten<br />

VonAlice Ahlers<br />

Wer vor etwas mehr als<br />

hundert Jahren in<br />

Dahlem ankam, der<br />

sah sich von Feldern<br />

und Äckern umgeben. Von Großstadt<br />

keine Spur. Auch der preußische<br />

Wissenschaftspolitiker Friedrich<br />

Althoff kam hier hinaus und<br />

hatte eine Vision: Auf den grünen<br />

Wiesen sollte das „deutsche Oxford“<br />

entstehen. Kaiser Wilhelm II. war<br />

begeistert und gab dem Projekt seinen<br />

Namen. Dieersten Institute der<br />

Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG)<br />

entstanden ab 1911. Orte, andenen<br />

schon bald renommierte Wissenschaftler<br />

und zahlreiche Nobelpreisträger<br />

zusammentrafen, unter<br />

anderen Albert Einstein, Lise Meitner,Otto<br />

Hahn oder Fritz Haber.Sie<br />

machten in Dahlem Entdeckungen,<br />

die bahnbrechend waren –aber oft<br />

auch verhängnisvoll.<br />

Die Spuren dieser Vergangenheit<br />

kann man jetzt mit einer neuen App<br />

namens „Dahlem Tour“ der Max-<br />

Planck-Gesellschaft (MPG) erkunden.<br />

Eine GPS-geortete Karte leitet<br />

zu zehn Stationen. EinPunkt darauf<br />

zeigt an, wo man sich gerade befindet.<br />

Eine angenehme Stimme erzählt<br />

die Geschichten rund um die<br />

Forscher, die Dahlem zu einem international<br />

bedeutenden Wissenschaftsstandort<br />

machten. Im folgenden<br />

ein paar Beispiele aus der<br />

Führung. Siezeigen, welche interessanten<br />

Geschichten sich hinter den<br />

Mauern einiger der hier abgebildeten<br />

Gebäude verbergen.<br />

FARADAYWEG 4. Eine knallblaue<br />

Tür, darüber der ursprüngliche<br />

Name der ältesten noch bestehenden<br />

Forschungseinrichtung in Dahlem:<br />

„Kaiser-Wilhelm-Institut für<br />

physikalische Chemie und Elektrochemie“,<br />

heute Fritz-Haber-Institut<br />

der MPG. Der Bau sieht harmlos<br />

aus,doch hier entstanden die ersten<br />

Massenvernichtungswaffen. Fritz<br />

Haber,ein Mann mit blanker Glatze,<br />

kleiner runder Brille und schmalem<br />

Schnurrbart, leitete es ab 1911 mehr<br />

als 20 Jahre lang, bis er 1933 aufgrund<br />

seiner jüdischen Herkunft<br />

emigrieren musste. Zunächst<br />

brachte er der Welt einen Fortschritt.<br />

Er entwickelte ein Verfahren,<br />

das es ermöglichte, Dünger in<br />

großem Umfang industriell zu produzieren.<br />

Durch den Kunstdünger<br />

ließ sich die Getreideproduktion<br />

weltweit massiv steigern, viel mehr<br />

Menschen konnten ernährtwerden.<br />

Auf der anderen Seite stiftet Haber<br />

mit seiner Giftgasforschung vielfachen<br />

Tod. Als glühender Patriot<br />

stellte er im Ersten Weltkrieg seine<br />

Forschung in den Dienst des Militärs,<br />

schlug selbst vor, Giftgas zu einer<br />

tauglichen Chemiewaffe zu entwickeln.<br />

Beim ersten Chlorgasangriff<br />

an der Front im April 1915 in<br />

Belgien, den er persönlich überwachte,starben<br />

mehr als 5000 französische<br />

Soldaten. Viele folgten.<br />

Trotzdem bekam Haber 1919 den<br />

Chemienobelpreis.<br />

1 Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft,<br />

Ihnestraße 16–20 MPG/E. DANGSCHAT (10)<br />

3 Ehemaliges KWI für Biologie, Boltzmannstraße<br />

3<br />

5 Einstiges KWI für physikalische Chemie<br />

und Elektrochemie, Faradayweg 4<br />

FARADAYWEG 8. Nur ein paar<br />

Schritte musste Fritz Haber gehen,<br />

um von seinem Labor zu seinem<br />

Privathaus zu kommen. Die Fritz-<br />

Haber-Villa ist eine Villa, wie sie im<br />

Buche steht: strahlend weiß, Sprossenfenster,<br />

dunkelgrüne Fensterläden,<br />

Erker mit Wintergarten, barockes<br />

Dach. Hier empfing Fritz Haber<br />

Gäste,die Rang und Namen hatten.<br />

Zur damaligen Zeit eine reine<br />

Männerwelt.<br />

Etwas versteckt im Garten erzählt<br />

dieser Ort aber auch eine<br />

weibliche Geschichte.Das Schicksal<br />

einer Wissenschaftlerin, die zur damaligen<br />

Zeit keine werden durfte.<br />

Neben einem kleinen Teich ragt ein<br />

verwitterter Gedenkstein aus dem<br />

Rasen. Den Namen darauf kann<br />

man kaum noch lesen: Clara Immerwahr,Fritz<br />

Habers Frau, die sich<br />

an dieser Stelle im Jahr 1915 erschoss.<br />

Sie war damals erst 44 Jahre<br />

alt. Chemie zu studieren war Frauen<br />

STEGLITZ-ZEHLENDORF<br />

Dahlem<br />

Ihnestr.<br />

Garystr.<br />

2<br />

10<br />

9<br />

Leichhardtstr.<br />

Im Januar 1911 wurde die<br />

Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft<br />

(KWG) zur Förderung der<br />

Wissenschaften gegründet.<br />

15 Nobelpreise gingen bis<br />

1944 an Forscher aus den<br />

insgesamt 30 Kaiser-Wilhelm-Instituten<br />

(KWI).<br />

in Preußen eigentlich verboten. Als<br />

Gasthörerin an der Universität Breslau<br />

gelang es ihr auf Umwegen<br />

trotzdem zu promovieren. An eine<br />

anschließende Karriere konnte sie<br />

als Frau jedoch nicht denken. In ihrer<br />

Ehe mit Haber –beschränkt auf<br />

die Rolle der Ehefrau und Mutter –<br />

8<br />

1<br />

Boltzmannstr.<br />

Freie Universität<br />

3<br />

Hüninger Str.<br />

Brümmerstr.<br />

Breisacher Str.<br />

KAISER-WILHELM-INSTITUTE<br />

Die Nachfolgerin der KWG ist<br />

die Max-Planck-Gesellschaft<br />

(MPG), gegründet1948. Zu ihr<br />

gehören 84 Institute und Forschungseinrichtungen.<br />

Mit der<br />

Geschichte der KWG in der<br />

NS-Zeit befasste sich ein<br />

Projekt von1997 bis 2007.<br />

Die Dahlem-Tour-App der<br />

MPGlässt sich im App-Store<br />

fürApple und Android kostenlos<br />

herunterladen.Der Rundgang<br />

dauertungefährzwei<br />

Stunden.Mehr Informationen<br />

unter: mpg.de/12677886<br />

dahlem-app<br />

war Clara Immerwahr unglücklich.<br />

Sie wollte forschen und durfte es<br />

nicht. Undnoch schlimmer:Als entschiedene<br />

Kriegsgegnerin war ihr<br />

Habers Giftgasforschung zuwider.<br />

Kurz nachdem sich Haber für den<br />

ersten deutschen Giftgas-Angriff in<br />

Belgien feiern ließ, ging seine Frau<br />

2 Einstiges KWI für Anthropologie, heute<br />

Otto-Suhr-Institut, Ihnestraße 22<br />

4 Fritz-Haber-Villa des gleichnamigen<br />

Instituts der MPG, Faradayweg 8<br />

6 Ehemaliges KWI für Chemie, heute<br />

Hahn-Meitner-Bau der FU, Thielallee 63<br />

7 Einstiges KWI für Experimentelle Therapie,<br />

Thielallee 73<br />

heute MPG-Archiv,Boltzmannstraße 14 straße 18<br />

schaftsgeschichte, Boltzmannstraße<br />

8 Ehemaliges KWI für Zellphysiologie, 9 Früheres KWI für Physik, Boltzmann-<br />

10 Max-Planck-Institut für Wissen-<br />

22<br />

Faradayweg<br />

4<br />

Van‘t-Hoff-Str.<br />

Freie Universität Berlin<br />

Löhleinstr.<br />

Thielpark<br />

5<br />

7<br />

Thielallee<br />

6<br />

50 m<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: MPG<br />

in den Garten und erschoss sich. Ein<br />

Zusammenhang ist nicht nachgewiesen,<br />

gilt aber als wahrscheinlich.<br />

In der App gibt es ein eigenes Kapitel,<br />

das Clara Immerwahrs Geschichte<br />

erzählt.<br />

BOLTZMANNSTRASSE 14. Obstbäume<br />

auf feinem Rasen, eine<br />

kleine Allee mit Linden, die auf eine<br />

elegante Treppe zuführt, ein adeliger<br />

Landsitz mitten in Dahlem? Das<br />

fragt man sich, wenn man vor dem<br />

ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut<br />

(KWI) für Zellphysiologie steht.<br />

Hier wirkte ab 1930 ein Pionier der<br />

Biochemie und eine schillernde<br />

Persönlichkeit.<br />

Otto Warburg, genannt der „Kaiser<br />

von Dahlem“, bekam 1931 den<br />

Nobelpreis für seine Entdeckung,<br />

dass Eisen bei der Zellatmung eine<br />

wichtige Rolle spielt. Er suchte nach<br />

Ursachen von Tumoren und hatte<br />

das Ziel, ein Medikament gegen<br />

Krebs zu finden. Trotz seiner jüdischen<br />

Herkunft und seiner Homosexualität<br />

überstand er die Zeit des<br />

Nationalsozialismus unbeschadet.<br />

Während nur ein paar Meter weiter,<br />

am KWI für Anthropologie,<br />

menschliche Erblehreund Eugenik,<br />

im Dienste der NS-Rassenideologie<br />

geforscht wurde,ging er hier täglich<br />

mit seinem Königspudel spazieren,<br />

ritt jeden Morgen aus und forschte<br />

noch bis zu seinem Tod 1970 in<br />

Dahlem. Schon damals warnte er<br />

vor den Gefahren von Luftverschmutzung<br />

durch Abgase, die<br />

Krebs erzeugen könnten. Heute ist<br />

sein Schlösschen das Archiv der<br />

Max-Planck-Gesellschaft.<br />

THIELALLEE 63. In diesem großen<br />

Gebäude mit klobigem Turm und<br />

Säulenportal begann das Atomzeitalter.<br />

Hier lag das Kaiser-Wilhelm-<br />

Institut (KWI) für Chemie. Als der<br />

Chemiker Otto Hahn und die österreichische<br />

Physikerin Lise Meitner<br />

hier anfingen, das noch junge Feld<br />

der Radioaktivität zu erforschen,<br />

ahnten sie allerdings nicht, dass aus<br />

ihrer Arbeit einmal Atomwaffen<br />

und Kernkraftwerke hervorgehen<br />

würden.<br />

1938 war das erfolgreiche Forscherteam<br />

gezwungen, sich zu trennen.<br />

Meitner musste als Jüdin nach<br />

Schweden emigrieren. In Briefen<br />

tauschten sich die beiden aber weiter<br />

intensiv über ihre Arbeit aus.<br />

Hahn gelang hier gemeinsam mit<br />

seinem Kollegen Fritz Strassmann<br />

die erste Kernspaltung, die sich die<br />

beiden allerdings selbst nicht so<br />

richtig erklären konnten. Meitner<br />

half und lieferte aus dem Exil die<br />

physikalische Theorie für die überraschenden<br />

Versuchsergebnisse.<br />

DenChemienobelpreis bekam 1944<br />

aber nur Hahn. Sowohl er als auch<br />

Meitner blieben zeitlebens scharfe<br />

Kritiker vonAtomwaffen.<br />

BOLTZMANNSTRASSE 18. Anfangs<br />

war das Kaiser-Wilhelm-Institut<br />

(KWI) für Physik ein Institut ohne<br />

eigenes Gebäude. Esnahm seinen<br />

Anfang in einem kleinen Zimmer in<br />

Schöneberg: dem Arbeitszimmer<br />

von Albert Einstein. Der Physiker<br />

war der erste Direktor des KWI für<br />

Physik. Als solcher sollte er sich mit<br />

anderen Forschernaustauschen, sie<br />

zusammenbringen und fördern.<br />

Aufgrund seiner bahnbrechenden<br />

Relativitätstheorie, durch die er<br />

weltberühmt wurde, hatte Einstein<br />

aber bald so viel zu tun, dass er sich<br />

vondieser Aufgabe zurückzog.<br />

Erst 1935 wurde ein eigenes Institutsgebäude<br />

in Dahlem gebaut,<br />

in dem der erste Bau eines Uranreaktors<br />

vorangetrieben wurde. Der<br />

junge Nobelpreisträger Werner Heisenberg<br />

bekam zudem 1942 den<br />

Auftrag, eine deutsche Atombombe<br />

zu entwickeln. Trotz modernster<br />

Ausstattung konnte er Albert Speer,<br />

Hitlers Minister für Munition und<br />

Bewaffnung, die gewünschte deutsche<br />

„Wunderwaffe“ nicht präsentieren.<br />

Die ersten Atombomben<br />

wurden in den USA entwickelt.<br />

Mini-Herz aus dem 3D-Drucker<br />

Israelische Forscher experimentieren erfolgreich mit „Biotinte“ aus den Zellen von Patienten. Bis zum Einsatz des neuartigen Gewebes beim Menschen werden noch Jahre vergehen<br />

Israelische Wissenschaftler haben<br />

mit einem 3D-Drucker ein Mini-<br />

Herz aus menschlichem Gewebe erzeugt.<br />

Der Prototyp, dessen Zellen<br />

sich allerdings noch nicht synchron<br />

zusammenziehen können, habe die<br />

Größe eines Hasenherzens, sagte<br />

Studienleiter TalDvir von der Universität<br />

Tel Aviv am Montag. Das<br />

Herz bestehe aus Gewebe und Blutgefäßen<br />

und verfüge über Kammern.<br />

Es sei vergleichbar mit dem Herz eines<br />

menschlichen Fötus’. Ein deutscher<br />

Experte sprach angesichts des<br />

Mangels an Spenderorganen von<br />

„wichtiger Forschung“.<br />

„Wir entnehmen per Biopsie Fettgewebe<br />

eines Patienten“, erläuterte<br />

der Biotechnologe Dvir den Prozess.<br />

Dann würden zelluläre und nichtzelluläre<br />

Bestandteile getrennt. „Die<br />

Fettzellen werden zu Stammzellen<br />

umprogrammiert, diese differenzierensich<br />

wiederum in Herzzellen, Endothelzellen<br />

und andere.“Das extrazelluläreMaterial<br />

wie etwa Strukturproteine<br />

wurde demnach zu Hydrogelen<br />

verarbeitet, die dann mit den<br />

verschiedenen Zelltypen vermischt<br />

wurden. Aus diesen „Bio-Tinten“ erzeugte<br />

der 3D-Drucker dann das<br />

Mini-Herz.<br />

Der Forscher TalDvir mit „seinem“ Herzen, das so groß ist wie das eines Fötus’. AFP/JACK GUEZ<br />

„Das Herz ist komplett kompatibel<br />

mit dem Patienten, weil es aus<br />

seinem eigenen Gewebe geschaffen<br />

ist, und wird deshalb keine Immun-<br />

Gegenreaktion auslösen“, sagte Dvir.<br />

„Es ist das erste Mal, dass ein ganzes<br />

Herz mit Zellgewebe und Blutgefäßen<br />

gedruckt wurde.“ In ähnlichen<br />

Versuchen seien bisher nur synthetische<br />

Stoffe oder anderes natürliches<br />

Gewebe verwendet worden.<br />

Nunwollen die Forscher den Prototypen<br />

in einem speziellen Bioreaktor<br />

reifen lassen. „Die Zellen sollen<br />

lernen, besser miteinander zu interagieren,<br />

bessere elektrische Signale<br />

zu geben, so dass das Herz pumpen<br />

kann.“ Binnen eines Jahres sollen solche<br />

Herzen in Tierversuchen an Hasen<br />

oder Ratten getestet werden.<br />

Bis zueinem möglichen Einsatz<br />

beim Menschen dauereesaber noch<br />

viele Jahre, sagte Dvir. „Wir hoffen,<br />

dass wir innerhalb von zehn Jahren<br />

3D-Drucker in Krankenhäusern haben,<br />

die verschiedene Arten vonGewebe<br />

drucken können.“ Auf dem<br />

Wegdorthin gebe es noch viele Herausforderungen.<br />

Deshalb könne er<br />

nicht voraussagen, wann das erste<br />

gedruckte Herz bei einem Menschen<br />

implantiertwerde. (dpa)

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