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Sozialgruppe Kassel Gastbeitrag Interkulturelle Kompetenz ist gefragt Seit beinahe 70 Jahren lautet Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Und ergänzend sichert Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz, dass jedermann, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, den Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren erhält, also jede Bürgerin und jeder Bürger, unabhängig von Herkunft oder Sprache. Zugleich sprechen die Gerichte ihr Urteil „im Namen des Volkes“. Dies bedeutet für mich die Erinnerung und Ermahnung, dass die rechtsprechende Gewalt den Richtern ,anvertraut’ ist. Damit sind Grundlage der „im Namen des Volkes“ gesprochenen Urteile allein Recht und Gesetz, nicht dagegen des Richters persönliche Ansichten. Damit könnte das Statement eines Gerichtspräsidenten zum Thema Interkulturalität auch fast schon abgeschlossen sein. Doch tatsächlich ist der Umgang mit Verfahrensbeteiligten aus unterschiedlichen Kulturkreisen vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Selbstverständnisses, ihrer Religion, aber auch möglicher (negativer) Erfahrungen mit der Justiz in den Herkunftsländern eine Herausforderung in der täglichen Arbeit eines jeden Richters. So gilt es zu erkennen, wo eine Aussage möglicherweise aus Scham oder Angst vor dem Verlust von Anerkennung durch die Familie relativiert wird, auch wenn dies zugleich zu Nachteilen bei der Durchsetzung des geltend gemachten Anspruchs führen kann. Dies ist gerade in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen um den Zugang zu einer Rente wegen Erwerbsminderung gestritten wird, kein unbekanntes Phänomen. Interkulturelle und soziale Kompetenz des Richters sind an dieser Stelle Voraussetzung für eine offene, faire und effiziente Verfahrensgestaltung. Über alle Grenzen hinweg verstehen zu wollen, ist also nicht nur für die Arbeit der Sozialgruppe Kassel e.V. wichtig, die sich für das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung, mit und ohne Migrationshintergrund einsetzt, sondern auch für unsere richterliche Tätigkeit. Dr. Rainer Schlegel (Präsident des Bundessozialgerichts) Foto: Bundessozialgericht PicturePeople Kassel Intro Liebe Leserinnen und Leser, es ist lange her, dass mich meine Eltern lehrten: „Wer laut wird, hat Unrecht.“ Heute stimme ich dem nur noch bedingt zu. Denn manchmal muss man laut werden, zumindest muss man sich deutlich zu Wort melden, statt wegzusehen oder wegzuhören. Leider geschieht tagtäglich Unrecht gegen die Würde von Menschen, durch Worte, durch Taten oder auch schon durch eine Haltung, eine Abneigung. Ich bedanke mich bei allen, die sich in dieser Sonderausgabe der Facetten eindeutig äußern. Jeder Beitrag ist wichtig und lesenswert. Die Haltung der Sozialgruppe Kassel e. V. gegen Hass und Gewalt ist klar und nicht diskutierbar. Gerald Reißmann (Vorsitzender des Vorstands) Mai 2019 | Facetten 36 3
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