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Berliner Kurier 06.06.2019

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*<br />

HINTERGRUND<br />

Der Osten und<br />

die Rennpappe<br />

So lange darauf gewartet,<br />

so weit damit gefahren, so<br />

hingebungsvoll daran geschraubt:<br />

Dasliebevoll<br />

„Trabi“ genannte Gefährt<br />

stellt einen Mikrokosmos<br />

dar,mit dem sich die<br />

Geschichte Ostdeutschlands<br />

und seiner<br />

Menschen bis heute<br />

dokumentieren lässt.<br />

Wie sehr der Trabi Teil des<br />

Lebens in der DDR war<br />

zeigt jetzt eine Sonderschau<br />

im DDR-Museum.<br />

Von<br />

STEFANIE HILDEBRANDT<br />

Der Trabant 601, das<br />

meistgefahrene Auto<br />

der DDR, wurde nach<br />

der Wende zu einem<br />

Symbol für das Leben in der zurückgelassenen<br />

Republik.<br />

Kaum eine Ost-Familie, in deren<br />

Erinnerungsschatz das<br />

Pappgefährt nicht vorkommt.<br />

Das DDR-Museum in Mitte<br />

widmet dem Zweitakter ab<br />

dem 11. Juni eine Sonderausstellung<br />

und erzählt 26 Geschichten<br />

über den treuen Begleiter,<br />

der erst die Sehnsucht<br />

vieler war, dann überflüssig –<br />

und heute wieder als Kultauto<br />

gilt.<br />

Dabei begann das Leben mit<br />

dem Trabi in der DDR meist mit<br />

dem Ausfüllen eines Formulars.<br />

Mit 18 Jahren konnte man heiraten,<br />

wählen gehen, zur Armee<br />

eingezogen werden und am<br />

wichtigsten: sich für eine Wohnung<br />

und einen Pkw anmelden.<br />

So nutzte auch Hans-Jürgen<br />

Treder den Weihnachtsurlaub<br />

von der Armee im Jahr 1979,<br />

um sich zu Hause in Eberswalde<br />

für einen Trabi anzumelden.<br />

Damals musste man mit einer<br />

Wartezeit von über zehn Jahren<br />

rechnen. Doch die Geschichte<br />

überholte den Auslieferungsbescheid.<br />

1989 war die<br />

DDR passé –und Hans-Jürgen<br />

Treder rahmte sich seinen Lieferschein<br />

ein und stellte ihn in<br />

die Schrankwand.<br />

Trabis sah man nun immer öfter<br />

als traurige Überbleibsel<br />

herrenlos am Straßenrand verrotten.<br />

Die handgefertigten<br />

Bildbändchen der Künstlerin<br />

Gilda Bereska zeigen unzählige<br />

dieser ausgedienten und ausgeschlachteten<br />

Wagen. Dem Neuen<br />

wollten viele lieber im gebrauchten<br />

Westwagen entgegenfahren.<br />

„Wie tote Tiere lagen<br />

die Trabis zur allgemeinen<br />

Ausweidung in der <strong>Berliner</strong><br />

Stadtlandschaft. Was einst den<br />

Menschen so sehr am Herzen<br />

lag, war durch die Zeitläufe<br />

wertlos geworden. Und dies betraf<br />

weit mehr als nur die Au-<br />

Fotos: Imago, Uhlemann ,Marotz<br />

Der DDR-Bürger<br />

reist an. Im Trabi<br />

geht es über die<br />

frisch geöffnete<br />

Grenze gen Westen.<br />

tos“, heißt es dazu im Ausstellungstext.<br />

Doch im kollektiven Gedächtnis<br />

lebte das Auto, dessen Karosserie<br />

aus Baumwollmatten<br />

und Phenolharz-Granulat bei<br />

240 Grad gebacken wurde, weiter.<br />

Die Story um die Keilriemenreparatur<br />

mittels Damenstrumpfhose<br />

darf in der Ausstellung<br />

ebenso wenig fehlen<br />

wie Berichte über Missgeschicke<br />

beim Tanken. Wer kein Gemisch<br />

aus Öl und Benzin einfüllte,<br />

riskierte einen Motorschaden.<br />

Auch der Benzinhahn<br />

und die dazugehörige Fummelei<br />

zwischen Beifahrerbeinen<br />

findet Platz in einer Vitrine.<br />

Die Schau zeigt: Der Trabi<br />

oder seine Bestandteile waren<br />

in der DDR allgegenwärtig.,<br />

hielten vieles am<br />

Laufen. Selbst<br />

die Weltzeituhr<br />

auf dem Alexanderplatz<br />

drehte<br />

sich mit einem<br />

Trabi-Getriebe,<br />

Tausende Tüftler<br />

bauten sich<br />

aus Trabi-Teilen<br />

und dem, was sie<br />

noch organisieren konnten,<br />

landwirtschaftliche Maschinen,<br />

Eigenbau-Traktoren, sogenannte<br />

Benzinkühe, die auch<br />

gern zu Ausfahrten am Herrentag<br />

hervorgeholt wurden. Alle<br />

für einen, einer für alles.<br />

Dass der Trabi auch als Rennwagen<br />

nicht von Pappe war, belegt<br />

sein Erfolg bei diversen<br />

Rallyes. 1970 flitzen die Werksfahrer<br />

des VEB Sachsenring in<br />

Zwickau bei der Rallye Monte<br />

Carlo zu einem Doppelsieg in<br />

der kleinsten Klasse über die<br />

Ziellinie. Und das mit einem getunten<br />

46-PS-Trabi, dem am<br />

schwächsten motorisierten Auto<br />

des Teilnehmerfeldes. Eine<br />

„Rennpappe“ fuhr 1977 bei der<br />

internationalen Rallye Acropo-<br />

Geliebter<br />

Trabant,<br />

deine Geschichten<br />

sindnicht von Pappe<br />

DasDDR-Museum widmet dem Trabi eine Sonderausstellung<br />

und erzählt 26 Anekdoten rund um das Auto<br />

lis mit und schaffte es in der<br />

Klasse bis 1150 Kubikzentimeter<br />

– oder cc-Mücken, wie<br />

schon die Kinder lernten –als<br />

Zweiter ins Ziel im antiken<br />

Olympiastadion.<br />

Ein Denkmal hat er längst verdient,<br />

der Trabant. Der Pankower<br />

Steinmetz Carlo Wloch<br />

meißelte eines aus einem Block<br />

sächsischen Sandsteins. Das<br />

Original wiegt 650 Kilo, das<br />

Steinauto neun Tonnen. Oft<br />

blieben Leute am Zaun stehen,<br />

erzählt der Bildhauer. Sie fragten,<br />

ob man das Kunstwerk<br />

kaufen könne. „Kann man“,<br />

sagt Wloch. Mit den Preisen sei<br />

es wie beim Gebrauchtwagenhandel<br />

in der DDR. Dort stand<br />

das Autofenster einen Spalt<br />

weit offen und Interessenten<br />

konnten einen Zettel mit dem<br />

Preisangebot einwerfen.<br />

Für einen gut erhaltenen Trabant<br />

müssen Sammler heute<br />

um die 4000 Euro ausgeben.<br />

Der Trabi lebt, das belegen aktuelle<br />

Zulassungszahlen. Jedes<br />

Jahr werden 500 bis 1000 Trabis<br />

neu zugelassen. Enkel und<br />

Urenkel stöbern sie in den Garagen<br />

auf und entstauben sie.<br />

Von den 2,8 Millionen produzierten<br />

Trabant 601 waren 1989<br />

knapp zwei Millionen übrig.<br />

Heute sind 36259 zugelassen.<br />

„Mein Trabi –26Zweitakt-Geschichten“.<br />

Vom12. Juni bis zum 15.<br />

September im Foyer des DDR-Museums<br />

in der Karl-Liebknecht-Straße 1.<br />

Der Besuch ist kostenfrei.

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