Berliner Kurier 11.06.2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SPORT<br />
TEIL 11 Einmal Unioner,immer Unioner<br />
Wenn das Herz vergeben ist<br />
Wereinmal in der Alten Försterei gespielt hat,den lässt dieser Verein nicht mehr los<br />
Von<br />
ANDREASBAINGO<br />
Nicht jeder ist ein Uwe<br />
Seeler und ein Fritz<br />
Walter auch nicht.<br />
Er ist auch kein Jürgen Croy<br />
und kein Dixie Dörner. Diese<br />
vier Alt-Stars haben nämlich<br />
gemeinsam, dass sie<br />
während ihrer durchweg<br />
langen und erfolgreichen<br />
Karrieren jeweils nur für einen<br />
Verein gespielt haben,<br />
„Uns Uwe“ für den Hamburger<br />
SV, der „Große Fritz“ für<br />
den 1. FC Kaiserslautern,<br />
Zwickaus Jahrhundert-Torwart<br />
für Sachsenring und<br />
Dresdens Alleskönner für<br />
Dynamo. Mit solch einem<br />
Über-Idol können sie beim<br />
1.FC Union nicht dienen, dafür<br />
kommen in Köpenick<br />
gleich mehrere Spieler für<br />
einen Platz im Goldenen<br />
Buch der Rot-Weißen in<br />
Frage. Denn hier, das sollte<br />
niemanden wundern, läuft<br />
selbst die Geschichte mit<br />
den ganz besonderen Kämpen<br />
ein wenig anders.<br />
Hier spielt das Herz eine<br />
noch größere Rolle. Wenn<br />
das einmal vergeben ist, gibt<br />
es kaum eine Scheidung<br />
(rein ideell, versteht sich;<br />
rein körperlich schon, sonst<br />
gäbe es ja keine Wechsel),<br />
dann gibt es kein Zurück.<br />
Wer einmal in der Alten<br />
Försterei gespielt hat, den<br />
lässt dieser Verein nicht<br />
mehr los, der gibt seine Seele,<br />
seine Liebe, seine, ja,<br />
auch die, Besessenheit auf<br />
ewig. Ganz nach dem Motto:<br />
Die Namen der Helden<br />
des 1. FC Union gehen<br />
auch mit ein paar Restpromille<br />
nach der verrücktesten<br />
Aufstiegsfeier noch<br />
flüssig über die Lippen.<br />
Doch auch die Helden von<br />
1968 kennt jeder, der sich<br />
Eisern-Fan nennt, auswendig:Uli<br />
Prüfke, Ate Wruck,<br />
Mäcki Lauck, Meinhard<br />
„Uenne“ Uentz, besonders<br />
aber Jimmy Hoge, na klar.<br />
Davor und vorallem dazwischen<br />
liegen Jahrzehnte<br />
des prallsten Lebens in Köpenick<br />
von tiefen Stürzen<br />
bis zum wahr gewordenen<br />
Traum Bundesliga. Es sind,<br />
der Hauptmann von Köpenick<br />
könnte vor Neid erblassen,<br />
Geschichten aus<br />
der (Alten) Försterei. Zum<br />
Ende der elfteiligen KU-<br />
RIER-Serie zum erstmaligen<br />
Aufstieg der Eisernen<br />
in die Bundesliga: Einmal<br />
Unioner,immer Unioner<br />
Einmal Unioner, immer<br />
Unioner.<br />
Natürlich ist Michael Parensen<br />
der Vorzeige-Unioner<br />
der Gegenwart, ganz<br />
klar. Erst recht, da der „ewige<br />
Micha“ nun noch ein Jahr<br />
länger bleibt, nach Dritter<br />
und Zweiter mit den Eisernen<br />
nun auch die Erste Liga<br />
in Angriff nimmt. Ein solcher<br />
Methusalem –Parensen<br />
ist inzwischen zehneinhalb<br />
Jahre in Berlin und<br />
schon lange der letzte Aufstiegsheld<br />
von 2009 –ist in<br />
der aktuellen Zeit eher die<br />
Ausnahme. Auch deshalb ist<br />
der Defensiv-Allrounder eine<br />
ganz besondere Spezies<br />
im Profi-Fußball.<br />
Dabei weiß jeder, der sich<br />
auch nur halbwegs für die<br />
Eisernen interessiert, dass<br />
solch eine Dauer-Ehe von<br />
Parensens Seite niemals geplant<br />
gewesen ist, als er sich<br />
Union-Legenden v. l.: Wolfgang Potti<br />
Matthies, Torsten Tusche Mattuschka,<br />
Günter Jimmy Hoge, Lutz Meter<br />
Hendel, Joachim Bulle Sigusch<br />
22-jährig für einen Wechsel<br />
in die Wuhlheide entschieden<br />
hat. Doch allein<br />
der Umzug im bitterkalten<br />
Januar/Februar 2009 öffnet<br />
ihm ein klein wenig<br />
mehr die Augen. Zwei Fans<br />
fahren nach Köln, packen<br />
dort all die Habseligkeiten<br />
des damaligen Junggesellen<br />
zusammen, und in Berlin<br />
sorgen noch ein paar<br />
mehr Anhänger dafür, dass<br />
die neue Bleibe den ersten<br />
etwas unwirtlichen Eindruck<br />
auslöscht und möglichst<br />
im Handumdrehen<br />
kuschelig wird.<br />
Diese überbordende Hilfsbereitschaft<br />
und diese einmalige<br />
Herzlichkeit hinterlassen<br />
Spuren. Plötzlich<br />
strahlen Köpenick und Umgebung,<br />
obwohl sich das Stadion<br />
im Umbau befindet und<br />
die Profis sich für den Container,<br />
in dem sie sich umziehen<br />
müssen, von ihren<br />
Gegenspielern belächeln<br />
lassen müssen, wohlige<br />
Wärme aus. Die Geborgenheit<br />
kommt aus dem Innersten,<br />
sie kommt vom Herzen.<br />
„Bald habe ich gemerkt“,<br />
sagte Parensen einst, „dass<br />
dieser Verein tatsächlich etwas<br />
Besonderes hat.“<br />
Wahrscheinlich trifft auf<br />
Parensen das „Einmal Unioner,<br />
immer Unioner“ aus der<br />
jetzigen Generation am<br />
meisten zu. Inzwischen ist<br />
aus dem Junggesellen ein<br />
Familienvater mit zwei Kindern<br />
geworden und aus dem<br />
möglichen Stadtplaner ein<br />
Mann, der seine Zukunft<br />
nach der Karriere gleichfalls<br />
in der Alten Försterei sieht.<br />
Zumindest deutet rein gar<br />
nichts auf einen Abschied<br />
hin.<br />
Dass die Anhänger für ihre<br />
ganz besonderen Lieblinge –<br />
Fußball-Götter sind sie ja<br />
sowieso alle –, also wirklich<br />
für die Spieler, deren Ansehen<br />
noch etwas höher angesiedelt<br />
ist als bei den übrigen,<br />
durchs Feuer gehen,<br />
versteht sich nahezu von<br />
selbst. Na klar, aus der jüngeren<br />
Generation ist Torsten<br />
Mattuschka so einer und<br />
Karim Benyamina, Jan Glinker<br />
und Daniel „Texas“ Teixeira,<br />
die Helden, die 2001<br />
das Finale im DFB-Pokal erreicht<br />
haben ohnehin –fast<br />
noch mehr aber Steffen<br />
Baumgart. Das Schönste an<br />
dieser Liebe ist die Gegenseitigkeit.<br />
Die Fans werden<br />
nicht müde, den zweimaligen<br />
„Unioner des Jahres“ in<br />
den Himmel zu heben, andererseits<br />
lässt auch „Baume“<br />
keine Möglichkeit aus, das<br />
Besondere an diesem Verein<br />
zu betonen. Blöd nur, dass er<br />
als Aufstiegstrainer des SC<br />
Paderborn auch in der Bundesliga<br />
auf Punkte-Klau aus<br />
sein wird.<br />
Keine Ära also ohne die besonderen<br />
Unioner, ohne die<br />
besonderen eisernen Typen,<br />
deren Großväter ja die<br />
Foto: Koch (2); Imago/Koch<br />
1968er Pokal-Helden sind.<br />
Das wirklich Faszinierende<br />
ist indes, dass auch eine<br />
Epoche ohne Titel und ohne<br />
auch nur in die Nähe eines<br />
Endspieles gekommen zu<br />
sein (abgesehen vom Finale<br />
im FDGB-Pokal 1986, das jedoch<br />
gegen den 1. FC Lok<br />
Leipzig 1:5 verloren geht),<br />
dafür eher zum Abstieg geführt<br />
hat, ihre Helden hervorbringt.<br />
Selbst dafür haben die<br />
Fans ein feines Gespür. Wie<br />
sonst hätten Anhänger und<br />
Sympathisanten einst ein T-<br />
Shirt drucken lassen mit den<br />
Spitznamen ihrer einstigen<br />
Idole: Bulle, Potti, Kulla,<br />
Meter. Dahinter verbergen<br />
sich Joachim Sigusch, Wolfgang<br />
Matthies, Karsten Heine<br />
und Lutz Hendel. Zusammen<br />
haben sie 616 Erstligaspiele<br />
für die Eisernen in der<br />
DDR-Oberliga absolviert<br />
und tragen allesamt das Eisern-Gen<br />
in ihrer DNA.<br />
Allerdings gibt es auch<br />
hier eine Ausnahme von der<br />
Regel. Ausgerechnet Hendel,<br />
mit 191 Einsätzen der eiserne<br />
Erstliga-Rekordhalter,<br />
hat ein klein wenig die<br />
Nähe zur Alten Försterei<br />
verloren. Dabei ist „Meter“<br />
nach wie vor in Köpenick<br />
heimisch und wohnt lediglich<br />
einen Steinwurf entfernt<br />
vom Stadion.<br />
Der Grund: Hendel wähnt<br />
seine Verdienste zu wenig<br />
gewürdigt. Nur: Diese Geschichte<br />
liegt bereits 25 Jahre<br />
zurück und ist anderen<br />
Machern, die in jener Zeit in<br />
manchen Fällen etwas von<br />
Scharlatanerie an sich hatten,<br />
geschuldet. In der Zwischenzeit<br />
hat auch der Verein<br />
sich entwickelt, er ist<br />
selbstbewusster und reflektierter<br />
geworden. Das liegt<br />
nicht nur am erstmaligen<br />
Aufstieg in die Bundesliga.<br />
Es würde den einmaligen<br />
Triumph allerdings zusätzlich<br />
krönen, fänden die Eisernen<br />
und ihr für einige<br />
Zeit verlorener Sohn anlässlich<br />
der historischen Dimension<br />
endlich wieder enger<br />
zusammen …<br />
ENDE