09.07.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 08.07.2019

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DertapfereSchneider vomKotti<br />

Seine Rettung<br />

BERLIN 15<br />

heißt Karl Marx<br />

gend notwendig, sagte Leszek<br />

Nadolski von der Taxi-Innung.<br />

Die Senatsverwaltung habe<br />

sich „selbst für <strong>Berliner</strong> Verhältnisse“<br />

ungewöhnlich viel<br />

Zeit gelassen, kritisiert er. Der<br />

Tarifantrag sei bereits vor 15<br />

Monaten bei ihr eingegangen.<br />

Die Kostenbelastung sei<br />

enorm gestiegen. „Auch wir<br />

haben mit Teuerungsraten zu<br />

kämpfen und müssen, soweit<br />

wir uns nicht selbst ausbeuten,<br />

Mindestlöhne zahlen“, gab der<br />

<strong>Berliner</strong> Taxifahrer zu bedenken.<br />

Es gebe keine Alternative.<br />

Fotos: Wächter<br />

Traditionsreiches Modegeschäft findet<br />

nach Vermieter-Terror neuen Standort<br />

Von<br />

MIKE WILMS<br />

Berlin – Lange sah alles nach<br />

einem bitteren Ende für<br />

Hassan Qadri (60) aus: Der<br />

Schneider vom Kotti und<br />

sein Geschäft „Kamil Mode“<br />

hatten vom Vermieter die<br />

Kündigung bekommen. Da<br />

halfen keine Anwohner-<br />

Proteste und kein Streit vor<br />

Gericht: Qadri zog beim<br />

Richter den Kürzeren. Doch<br />

jetzt gibt es –unerwartet –<br />

doch eine Rettung. Und die<br />

hat mit Karl Marx zu tun.<br />

Der tapfere Schneider kann<br />

wieder lachen: Das hätte sich<br />

Hassan Qadri noch vor kurzer<br />

Zeit nicht träumen lassen.<br />

„Wenn ich hier dicht mache,<br />

sind wir pleite. Was soll ich in<br />

meinem Alter noch machen?“,<br />

hatte der gebürtige Pakistani<br />

im KURIER-Gespräch gesagt.<br />

Da war gerade das Urteil des<br />

<strong>Berliner</strong> Landgerichts ergangen:<br />

Es sei rechtens, dass der<br />

Vermieter kündigt. Wenn der<br />

die Ladenräume sanieren und<br />

später die doppelte Miete verlangen<br />

wolle, könne er das tun.<br />

Für Hassan Qadri brach die<br />

Welt zusammen. In 17 Jahren<br />

harter Arbeit hatte der Einwanderer<br />

das Modegeschäft<br />

am Kottbusser Damm 9aufgebaut.<br />

Es war sein Lebenswerk.<br />

Doch treue Kunden und eine<br />

tiefe Verwurzelung im Kiez<br />

zählen offenbar nichts, wenn<br />

der Vermieter plötzlich Euro-<br />

Zeichen in den Augen hat.<br />

3000 statt bisher 1200 Euro<br />

will er nach der Sanierung für<br />

den 64-Quadratmeter-Laden<br />

in Kotti-Nähe haben. Hassan<br />

Qadri hätte niemals so viel<br />

Geld zahlen können. Und weil<br />

die Mieten inzwischen überall<br />

steigen, fand erbei der Suche<br />

nach einem neuen Geschäft<br />

auch keine anderen Räumlichkeiten.<br />

„Alles vergeblich“, sagte<br />

Qadri verzweifelt. Er werde<br />

die verbliebenen Jahre bis zur<br />

Rente wohl arbeitslos sein.<br />

Doch so traurig wollte der<br />

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg<br />

die Geschichte nicht enden<br />

lassen. Das Projekt „Unternehmen<br />

für den Kotti“ und<br />

Wirtschaftsstadtrat Andy<br />

Hehmke (SPD) mischten sich<br />

ein. Unter hohem Zeitdruck<br />

wurden Gespräche mit Vermietern<br />

von Gewerbeimmobilien<br />

geführt. Wer würde Hassan<br />

Qadri einfür ihn bezahlbares<br />

Ladengeschäft vermieten?<br />

Die Kreuzberger Experten<br />

für Wirtschaftsförderung fanden<br />

schließlich einen bereitwilligen<br />

Vermieter im angrenzenden<br />

Neukölln –und zwar<br />

auf der Karl-Marx-Straße. Das<br />

passt ja bestens zum Kampf<br />

gegen Kapitalisten-Gier. Inzwischen<br />

ist der Mietvertrag<br />

unter Dach und Fach. Seit<br />

1. Juli räumt Qadri sein neues<br />

Geschäft ein.Ineiner Bezirksmitteilung<br />

heißt es dazu: „Der<br />

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg<br />

und dasProjektteam von<br />

,Unternehmen für den Kotti’<br />

gratulieren zum erfolgreichen<br />

Vertragsabschluss.“ Dieser<br />

harte Kampf hat sich gelohnt.<br />

Bitte einsteigen!<br />

Eines vonüber<br />

8200 Taxis<br />

in Berlin.<br />

Foto: Imago Images<br />

Foto: dpa<br />

Schockbilanz<br />

Grippewelle brachte<br />

1100 <strong>Berliner</strong> um<br />

Von<br />

GERHARD LEHRKE<br />

Berlin – Es ist Sommer, kein<br />

Mensch denkt an Grippe –<br />

aber es kann nicht falsch<br />

sein, sich gedanklich vor<br />

der nächsten Viren-Saison<br />

mit einer Impfung zu befassen:<br />

Die echte Grippe oder<br />

Influenza ist ein Killer,<br />

2018 sind rund 1100 an ihr<br />

erkrankte <strong>Berliner</strong> gestorben.<br />

Laut der Analyse der meldepflichtigen<br />

Infektionskrankheiten<br />

2018 des Landesamts<br />

für Gesundheit und Soziales<br />

(LAGeSo) wurden im Zeitraum<br />

von Ende Dezember<br />

2017 bis Anfang April 2018<br />

knapp 11500 Fälle gemeldet.<br />

Das waren so viele wie nie<br />

seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes<br />

(IfSG) im<br />

Jahr 2001 und dreimal so viele<br />

wie in der Grippesaison<br />

2016/17. Mehr als zehn Prozent<br />

der Erkrankten mussten<br />

stationär behandelt werden.<br />

Am Ende gab es im vergangenen<br />

Jahr wegen der Grippe<br />

statistisch 32 Tote auf<br />

100 000 <strong>Berliner</strong> mehr als<br />

normal, was die Statistiker<br />

„Übersterblichkeit“ nennen.<br />

Im Jahr zuvor waren es 26,<br />

und auch dieser Ausbruch<br />

galt schon als schwer.<br />

Die echte Grippe, die nichts<br />

mit einem grippalen Infekt<br />

zu tun hat, wirft vor allem ältere<br />

Menschen um: Mit hohem<br />

Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen,<br />

totaler Mü-<br />

Influenza macht ihreOpfer bettlägerig.<br />

Schnupfen ist noch ein mildes Symptom.<br />

Falsche Viren-Prognose: Impfstoff wirkte bei der<br />

letzten Influenza-Attacke nicht wie gewünscht<br />

digkeit, Schüttelfrost und<br />

Husten.<br />

Der Körper wird anfällig<br />

für Lungenentzündungen<br />

oder eitrige Bronchitis, weil<br />

die Grippeviren die Zahl der<br />

Abwehrkörper verringern<br />

und Bakterien durch die virusgeschwächte<br />

Atemwegsschleimhaut<br />

in den Körper<br />

eindringen können. Die Viren<br />

greifen häufig auch das<br />

Herz an und können es nachhaltig<br />

schwächen.<br />

Problematisch war 2018,<br />

dass selbst geimpfte <strong>Berliner</strong><br />

nicht gut geschützt waren.<br />

Die Prognose der Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO,<br />

welche Virus-Stämme die<br />

Nordhalbkugel erreichen<br />

würden, hatte sich als ungenau<br />

herausgestellt.<br />

ImMärz 2019 hat die WHO<br />

ihre Empfehlungen für die<br />

nächste Influenza-Saison<br />

ausgesprochen. Danach dauert<br />

es etwa ein halbes Jahr,<br />

bis der Impfstoff vorhanden<br />

ist, der vorwiegend in Hühnereiern<br />

erzeugt wird.<br />

Gleichzeitig lässt die WHO<br />

an Impfstoffen forschen, die<br />

nicht jedes Jahr neu ermittelt<br />

werden müssen.<br />

Das Robert-Koch-Institut<br />

rät zur Impfung unter anderem<br />

bei Menschen über 60<br />

Jahren, werdenden Müttern<br />

vom zweiten Drittel der<br />

Schwangerschaft an, bei medizinischem<br />

Personal und<br />

Menschen, die vielen anderen<br />

Menschen begegnen –<br />

zum Beispiel Busfahrer.<br />

Auch chronisch Kranke sollten<br />

den Pieks nicht scheuen.

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