22.07.2019 Aufrufe

ZETT-2

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DER SINN DES LEBENS<br />

HERAUSGEPUTZT<br />

Alain Stockmayr (52)<br />

Bächleputzer<br />

„Der Sinn des Lebens liegt für mich in Gesundheit,<br />

Sport und Spaß am Leben und einem guten Arbeitsplatz.<br />

Man sollte Anstand, Respekt und einen guten Willen haben<br />

und seine Chancen nicht verstreichen lassen.“<br />

Vier hauptberufliche Bächleputzer gibt es in Freiburg und,<br />

wenn man so will, als fünften noch eine gleichnamige Narrenzunft.<br />

Doch die Narren sind der jüngste Faktor in dieser<br />

Rechnung, wurden sie doch erst 1935 gegründet – da waren<br />

die Bächle schon rund 750 und die echten Bächleputzer über<br />

200 Jahre alt.<br />

Einer der modernen Stadtwassermänner ist Alain Stockmayr<br />

(52), den es als zweijährigen Bub vom lothringischen Sarreguemines<br />

in den Breisgau verschlug. Mit einem langen Stahlbesen<br />

und einem Haken zum Öffnen von Gitterabdeckungen<br />

patrouilliert der Mitarbeiter der ‚Abfallwirtschaft und Stadtreinigung<br />

Freiburg‘ (ASF) durch die Altstadt und sorgt für einen<br />

guten Durchfluss in den markanten Steinrinnen.<br />

„Es wird von Jahr zu Jahr mehr“, sagt Stockmayr und meint<br />

damit vor allem Scherben und Kartonagen, die er zuhauf aus<br />

dem 10,5 Kilometer langen Bächlenetz pflückt. Und das liegt<br />

nicht allein daran, dass die Stadt auf mittlerweile 230.000<br />

Einwohner angewachsen ist und mit dem neu gestalteten<br />

Rotteck- und Friedrichring 600 Meter offener Plätscherkanäle<br />

hinzugewonnen hat.<br />

„Die Leute werden nachlässiger“, hat der ASF-Mann beobachtet.<br />

„Gerade junge Betrunkene laufen oft noch nicht mal<br />

zwei Meter bis zum nächsten Abfalleimer. Die lassen ihre<br />

Flaschen einfach stehen, werfen sie fort oder platzieren sie<br />

absichtlich auf Brunnenrändern.“ Besonders schlimm sei es<br />

traditionell im Bermudadreieck zwischen Kaiser-Joseph- und<br />

Niemensstraße sowie am Augustinerplatz.<br />

Und jetzt ist noch der 100 x 60 Meter große Platz der alten<br />

Synagoge hinzugekommen: „Wenn wir morgens zwischen<br />

5 und 6 Uhr unsere Schicht beginnen, ist das oft eine halbe<br />

Müllhalde, speziell am Wochenende.“ Trotzdem macht ihm<br />

der Job Spaß, auch, weil er so vielen, freundlichen Menschen<br />

begegne.<br />

Rund 50 Geldbeutel hat Alain Stockmayr in den neun Jahren<br />

seiner Arbeit als Bächleputzer gefunden, 15 Handys, einen echten<br />

Ferkelkopf, eine luftlose Gummipuppe und eine lebende<br />

Forelle. Von den Touristen, die der Legende nach eine Freiburgerin<br />

oder einen Freiburger heiraten müssen, wenn sie in ein<br />

Bächle treten, wird er mehrmals am Tag fotografiert, gefilmt<br />

und angesprochen.<br />

Unfreundlich seien, wenn, dann vor allem Einheimische,<br />

meint Stockmayr: „Manchmal beschimpfen mich Radfahrer,<br />

weil ich ihnen angeblich im Weg bin, oder Betrunkene bringen<br />

dumme Sprüche“. All das erträgt Alain Stockmayr mit<br />

stoischer Ruhe, denn er weiß genau: Morgen früh geht alles<br />

wieder von vorn los.<br />

28 <strong>ZETT</strong>. JULI 2019

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!