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hinnerk Bremen/Niedersachsen August/September 2019

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MUSIK<br />

COMEBACK<br />

FOTO: S. MAGNANI<br />

ADEL TAWIL „Alles lebt“<br />

Im Erdgeschoss des feinen<br />

Hamburger Hotels „The<br />

Fontenay“ befindet sich eine<br />

Bibliothek. Adel Tawil, wie immer in<br />

Sneakers plus lässigen Klamotten<br />

unterwegs, schlägt vor, dort das<br />

Interview zu machen. Im Gespräch<br />

sprudeln die Worte förmlich aus<br />

ihm heraus. Sein Redeschwall ist<br />

Zeugnis seiner Bodenständigkeit,<br />

Überheblichkeit liegt einfach nicht<br />

in seinem Naturell.<br />

Darum ruht sich der Sänger nicht auf<br />

seinem Erfolg aus – zählt man die Verkaufszahlen<br />

seiner früheren Band Ich+Ich<br />

und seiner beiden Soloalben zusammen,<br />

kommt man auf fast drei Millionen<br />

abgesetzte Tonträger –, sondern spricht<br />

mit so viel Enthusiasmus über seinen nun<br />

erscheinenden dritten Langspieler „Alles<br />

lebt“, als stünde er gerade erst am Anfang<br />

seiner Karriere.<br />

Dabei gilt der gebürtige Berliner längst<br />

als Pop-Sensation. Wenn er Musik<br />

macht, beweist er in jederlei Hinsicht<br />

Fingerspitzengefühl. Mit dem Duisburger<br />

Produzenten Juh-Dee hat er diesmal<br />

einen etwas anderen Sound kreiert,<br />

der zwischen Pop und Urban oszilliert.<br />

Beats etablieren das Liebeslied „1000<br />

gute Gründe“ auf dem Dancefloor. Das<br />

Trennungsstück „Hawaii“ speist sich aus<br />

pulsierenden Rhythmen, dazu steuert<br />

der Rapper Bausa seinen Sprechgesang<br />

bei. Die sphärische Ballade „Neues Ich“<br />

schlägt ein für manche Leute vielleicht<br />

unerwartetes Kapitel im Leben des Adel<br />

Tawil auf und erzählt davon, wie es sich<br />

für den 40-Jährigen anfühlt, jetzt Vater<br />

zu sein: „Ein Kind zu haben ist für mich<br />

das Allerschönste.“<br />

Solche Empfindungen seziert er in seinen<br />

Songtexten poetisch mit Sätzen wie „Die<br />

Liebe zieht bei uns zuhause ein. Mit dir<br />

ist klar, dass sie für immer bleibt. Leben<br />

macht wieder Sinn, du bist mein Hauptgewinn.“<br />

Der Titel „Wohin soll ich gehen“<br />

beschäftigt sich dagegen mit Rassismus.<br />

Bei „Atombombe“ heulen nicht umsonst<br />

Sirenen auf. Die Initialzündung für diese<br />

Nummer gab eine Schrecksekunde, nein,<br />

besser: 38 Minuten voller Anspannung, die<br />

gefühlt eine Ewigkeit dauerten. Als Adel<br />

Tawil mit Freunden auf Hawaii unterwegs<br />

war, kriegten alle plötzlich eine Nachricht<br />

auf ihre Mobiltelefone: „Achtung! Raketenalarm!<br />

Suchen Sie Schutz! Das ist keine<br />

Übung!“ Um sie herum brach Panik aus,<br />

verzweifelte Eltern wollten ihre Kinder in<br />

Sicherheit bringen. Auch den Musiker selbst<br />

packte die Furcht: „Obwohl wir versuchten,<br />

die Situation mit lockeren Sprüchen<br />

aufzulockern, spürte ich so eine Urangst.“<br />

Zum Glück kam schließlich Entwarnung<br />

– jemand im Raketenabwehrzentrum der<br />

USA hatte einen Fehler begangen.<br />

Eine prägende Erfahrung war das trotzdem.<br />

Man könnte fast meinen, auf Adel Tawil<br />

liege in einer Kreativphase eine Art Fluch.<br />

Bereits 2013 geriet er während eines Flugs<br />

von Los Angeles nach London wegen eines<br />

Blinddarmdurchbruchs kurz vor der Veröffentlichung<br />

seines Solodebüts „Lieder“<br />

in eine lebensbedrohliche Situation. 2016<br />

brach er sich im Ägypten-Urlaub bei einem<br />

Sprung in den Pool seinen ersten Halswirbel<br />

vierfach, eine solche Verletzung endet<br />

oft tödlich. Dieser Unfall ereignete sich<br />

exakt in der Zeit, in der er an seinem zweiten<br />

Werk „So schön anders“ arbeitete. Kein<br />

Wunder also, dass seine Freunde und er<br />

den Raketenalarm während der Produktion<br />

seiner jüngsten Platte sehr ernst nahmen:<br />

„Alle waren echt besorgt und dachten:<br />

‚Wenn wir gleich wirklich sterben, muss<br />

Adel schuld daran sein.‘“<br />

*Dagmar Leischow

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