Peter Schlinkert, der Seher vom Möhnetal „Es werden zwei Menschenalter vergehen, dann wird man eine Chaussee durch das Möhnethal bauen.“ PENCIL-A Christel Zidi Camera Michael Erdmann, freepik 10 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong>
Nicht alles von dem, was der Seilermeister Peter Schlinkert prophezeit hat, ist uns überliefert. Im 18. Jahrhundert war er weit über das Sauerland hinaus bekannt. Von der Bewahrheitung einer seiner Vorausdeutungen können sich die Menschen im Möhnetal täglich überzeugen: Die Chaussee durch das Möhnetal ist längst gebaut. Von Mühlheim bis Himmelpforten, in den Orten Berlingsen, Brüllingsen, Delecke, Drüggelte, Ellingsen, Echtrop, Günne, Körbecke, Stockum und Wamel - bei Jung und Alt im Möhnetal kannte man die Prophezeiungen des Sehers Peter Schlinkert. Weit über die Landesgrenzen hinaus wurden sie verbreitet. Sein Charisma muss wohl deutlich spürbar gewesen sein. In heutiger Zeit wäre er wohl zum Medienstar avanciert. Trotzdem verlor Peter Schlinkert nie den Boden unter den Füßen. Als Sohn „von ehrlichen Bürgersleuten“ um 1730 in Meschede geboren, hatte Schlinkert zunächst das Seilerhandwerk gelernt. Im Siebenjährigen Krieg leistete er unter der Standarte des Kaiserlichen Kürassierregiments unter Führung des österreichischen Feldherren Serbelloni seinen Kriegsdienst. Während seiner Dienstzeit unter dem Kurfürsten, dem Kölner Erzbischof Clemens August I. von Bayern, der bekanntlich gerne von seinem Hirschberger Jagdschloss aus unterwegs war, ereignete sich für Schlinkert etwas, das sein Leben veränderte: Der Fürst wollte gerade in seinen Wagen steigen, um eine Jagdpartie zu machen, als Peter Schlinkert festen Blickes vor ihn hintrat und ihn warnt, „nun und nimmermehr“ zu fahren, weil „ein Schuss durch den Wagen geschehen wird, der auf Hochdieselben gemünzt ist“. Der Kurfürst stutzte zunächst, ließ Schlinkert vorläufig festnehmen – und bestieg ein anderes Fuhrwerk. Der ursprünglich für den Fürsten bestimmte Wagen war gerade eine Stunde weg, als der ominöse Schuss tatsächlich durch das Verdeck des Wagens hindurch fiel. Personen kamen nicht zu Schaden, aber Peter Schlinkert wurde daraufhin sofort freigelassen. Der erstaunte Fürst zahlte ihm zudem eine jährliche Pension von 25 Talern, die er bis an sein Lebensende erhielt. Auch der Bitte Schlinkerts um Entlassung aus dem Militärdienst kam er nach. Von dem Geld hätte Peter Schlinkert natürlich gut leben können. Aber Müßiggang war nicht sein Ding. Also gedachte er des alten deutschen Sprichwortes „Handwerk hat goldenen Boden“ und nahm seinen Beruf als Seiler wieder auf. Die Dörfer und Höfe des Haarstrangs und Möhnetals erschienen ihm als gute Absatzquellen. Und so zog er denn von einem Hof zum nächsten und verkaufte seine Pflugleinen und Windseile, die er, wie es hieß, „redlich, fleißig und treu im Schweiße seines Angesichts“ gefertigt hatte. Schlinkert war nicht nur ein vortrefflicher Seilmacher, er verstand es auch, die Familien seiner Arbeitgeber am traulichen Herdfeuer gut zu unterhalten. Er erzählte von den Feldzügen, von den Eroberungen der Serbelloni-Kürassiere und von seinen Kriegskameraden. Bei solchen Gelegenheiten stellte der Hausherr auch gern mal einen Schnaps auf den Tisch, den der Handwerker nicht verschmähte. Selbst wenn er in seltenen Fällen mal einen Schluck über den Durst genommen hatte, so litten doch seine Berufspflichten nicht darunter. Gern schäkerte er mit der Jugend, machte auch Scherze – kurzum er war ein gern gesehener und vortrefflicher Unterhalter. Am wohlsten fühlte sich Peter Schlinkert, der schon früh Witwer geworden war, auf dem Mühlenschulzen-Hof in Stockum. Dieser Hof wurde in den Schatzungslisten des 16. Jahrhunderts erwähnt, die Stockumer Mühle bereits um 1300. Viele Jahre später musste der Hof Mühlenschulte - ebenso wie rund 20 Häuser unterhalb Stockums - dem 1913 aufgestauten See weichen. Die Grundrisse der „Von Stockum aus trieb es ihn oft nächtlichen Dunkel an die Ufer der Möhne“ <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong> - 11