WOLL Magazin Warstein Möhnesee Rüthen Sommer 2019
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das Vaterland und die Partei sowie seine<br />
Versehrtheit und seine prekäre finanzielle<br />
Situation verwies - er hatte keine Ausbildung<br />
und war zu schweren körperlichen Arbeiten<br />
nicht mehr fähig - wurde ihm die Veröffentlichung<br />
verwehrt.<br />
VOM „HERRENVOLK“ ZUM<br />
EDLEN SPENDER<br />
Derselbe Mann schreibt 21 Jahre später ein<br />
Drama, das die Gräuel des Holocaust so<br />
eindringlich schildert, dass Menschen auf<br />
der ganzen Welt davon berührt werden:<br />
„Korzcak und die Kinder“. Seine Tantiemen<br />
für die Aufführungen in Deutschland<br />
spendet Sylvanus an eine jüdische Hilfsorganisation.<br />
Wie passt das zusammen?<br />
In ihrem Mann, Paul Forssbohm, der<br />
in Vergleichender Literaturwissenschaft<br />
promovierte, fand die Historikerin Ulrike<br />
Witt den idealen Mitstreiter für ihr Projekt.<br />
Gemeinsam arbeitet sich das Ehepaar nun<br />
durch den immensen Nachlass des Künstlers,<br />
der zum großen Teil von der Stadtund<br />
Landesbibliothek Dortmund gekauft<br />
wurde. „Wir haben geschätzt 30.000 Briefe“,<br />
so Witt, „Ungeordnet - da weiß man nie,<br />
was man kriegt!“ Für das Ehepaar ist<br />
klar: „Sylvanus war einer der Ersten, der<br />
sich öffentlich mit dem Thema Holocaust<br />
auseinandersetzte.“ Doch was hat diesen<br />
Umschwung bewirkt? „Das wissen wir<br />
noch nicht“, gesteht Witt. „Viele hielten ihn<br />
1_Sylvanus_29-11-2018_Layout 1 29.11.2018 17:26 Seite 1<br />
Mit dem vorliegenden Lesebuch werden<br />
die Texte von Erwin Sylvanus zu neuem<br />
Leben erweckt. Es hieß, die Zeit sei über<br />
ihn "hinweggegangen". Die Inszenierung<br />
seines Holocaust-Dramas "Korczak und die<br />
Kinder" durch Heinz Hilpert am Deutschen<br />
Theater in Göttingen machte den Autor<br />
1958 international bekannt. Ende der 50er<br />
und Anfang der 60er Jahre gehörte er zu<br />
den deutschen Vertretern des internationalen<br />
Welttheaters. 1959 wurde ihm für sein<br />
Holocaust-Drama der renommierte Leo-<br />
Baeck-Preis verliehen. Zuvor stritt er mit<br />
Ernst Meister, Hans Dieter Schwarze und<br />
Paul Schallück gegen die noch immer<br />
nationalsozialistisch geprägte westfälische<br />
Literatur der Nachkriegszeit. Erwin<br />
Sylvanus kämpfte gegen seine eigene<br />
Vergangenheit. Seine frühen Texte zeigen<br />
seine Begeisterung für den NS. Die späteren<br />
zeigen ihn als jemanden, der seine frühere<br />
Begeisterung zu verstehen versucht.<br />
für einen Opportunisten. Wir nicht.“<br />
WER WAR DER SS-MANN?<br />
„Ganz wichtig war Alfred Döblin (Alfred<br />
Döblin war ein in der NS-Zeit ins Exil<br />
geflohener Schriftsteller und Psychiater<br />
jüdischer Abstammung. Bekanntestes<br />
Werk:“Berlin Alexanderplatz“/Anm.<br />
d. Red), der ihm eine Liste gab mit<br />
Autoren, die er unbedingt lesen müsse.<br />
Thomas Mann, Kafka ... die kannte<br />
Sylvanus ja alle nicht. Das öffnete seinen<br />
Horizont.“ „(...) es ekelt mich jedes Mal,<br />
Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 81<br />
herausgegeben von Walter Gödden<br />
AISTHESIS VERLAG<br />
Erwin Sylvanus<br />
81<br />
wenn ich eine Zeile von dem, was ich früher<br />
schrieb, zu Gesicht bekomme“, urteilt<br />
Sylvanus später über seine älteren Werke<br />
Ein weiteres Geheimnis, welches die Forscher<br />
noch lüften möchten, ist die Identität<br />
des SS-Mannes aus „Korczak und die Kinder“:<br />
„Erst haben wir Sylvanus unterstellt,<br />
der SS-Mann gewesen zu sein. Doch er war<br />
es nicht, das lässt sich nachweisen.“<br />
EIN MANN DER WIDERSPRÜCHE<br />
Völlinghausen - Soest - Göttingen: diese<br />
Stationen teilen sich Ulrike Witt und<br />
Erwin Sylvanus. Doch so wie es die Historikerin<br />
in Richtung Stadt zog, so zog es<br />
den Schriftsteller aufs Land: 1952 kaufte<br />
er ein abseitiges Grundstück in Völling-<br />
Lesebuch<br />
Erwin Sylvanus<br />
zusammengestellt von<br />
Ulrike Witt und Paul Forssbohm<br />
"Er war einer<br />
der Ersten,<br />
der sich mit<br />
dem Thema<br />
Holocaust<br />
auseinandersetzte"<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2019</strong> - 49