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ZAP-2019-16

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<strong>ZAP</strong><br />

Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />

<strong>16</strong> <strong>2019</strong><br />

28. August<br />

31. Jahrgang<br />

ISSN 0936-7292<br />

Herausgeber: Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer • Rechtsanwalt beim<br />

BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln • Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für<br />

Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins •<br />

Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen • Rechtsanwalt<br />

Dr. Hubert W. van Bühren, Köln Begründet von: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider<br />

AUS DEM INHALT<br />

Kolumne<br />

Sport frei! – Nun auch in der Fachanwaltschaft (S. 827)<br />

Anwaltsmagazin<br />

Pläne der neuen Bundesjustizministerin (S. 829) • Positionspapier zum „Pakt für den Rechtsstaat“ (S. 833)<br />

• BGH verschärft Verbot des Erfolgshonorars (S. 834)<br />

Aufsätze<br />

Brändle, Die Rechtsmittelbeschwer im Mietrecht (S. 843)<br />

Horst, Abwehr und Duldung nachbarlicher Immissionen (S. 847)<br />

Holthausen, Fehlerquellen, Strategie und Taktik im Kündigungsschutzprozess (S. 859)<br />

Rohrlich, Virtuelle Kanzlei, Webinare, Video‐Beratung & Co. (S. 873)<br />

Eilnachrichten<br />

BVerfG: Europäische Bankenunion verfassungskonform (S. 840)<br />

BGH: Pflichtwidriges Verhalten eines Rechtsanwalts (S. 842)<br />

EuGH: Website mit „Gefällt mir“-Button von Facebook (S. 842)<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer


Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />

Kolumne – – 827–828<br />

Anwaltsmagazin – – 829–834<br />

Eilnachrichten 1 119–126 835–842<br />

Brändle, Die Rechtsmittelbeschwer im Mietrecht 4 1813–18<strong>16</strong> 843–846<br />

Horst, Abwehr und Duldung nachbarlicher Immissionen 7 519–530 847–858<br />

Holthausen, Fehlerquellen, Strategie und Taktik im<br />

Kündigungsschutzprozess 17 1367–1380 859–872<br />

Rohrlich, Virtuelle Kanzlei, Webinare, Video-Beratung<br />

& Co. – Der Anwaltsberuf im Umbruch 23 1<strong>16</strong>1–1170 873–882<br />

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Redaktionsbeirat<br />

Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />

Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />

Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />

Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RAuN Daniel Krause,<br />

Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />

Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F <strong>16</strong>) • RA<br />

beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG a.D. Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus,<br />

Gelsenkirchen • RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert,<br />

Düsseldorf • Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald,<br />

Vallendar • RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA<br />

Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Dr. Hans Reinold Horst,<br />

Hannover/Solingen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund<br />

• RA Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn •<br />

RA Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />

Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RiOLG a.D. Heinrich Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr.<br />

Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. •<br />

PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen • RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach •<br />

RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln.<br />

Impressum<br />

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />

schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />

Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />

Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />

(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />

dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />

Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />

Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 245,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />

ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />

Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail:<br />

service@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Astrid von Schweinitz (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Peggy von Schoenebeck –<br />

Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />

Druck: Hans Soldan Druck GmbH, Essen. ISSN 0936-7292


<strong>ZAP</strong><br />

Kolumne<br />

Kolumne<br />

Sport frei! – Nun auch in der Fachanwaltschaft<br />

Antworte ich auf die Frage nach meiner Tätigkeit,<br />

so wird dies in den allermeisten Fällen mit „Ah,<br />

Rechtsanwältin …“ kommentiert. Es folgt eine<br />

gelangweilte Pause. „Ein bestimmtes Rechtsgebiet?“<br />

schiebt sich immerhin noch hinterher. „Ja“, antworte<br />

ich dann schon leicht belustigt, weil ich<br />

weiß, was kommt: „Sportrecht!“. „Sportrecht?“<br />

Große Augen. „Also Sportunfälle und so?“ „Nicht nur“,<br />

beginne ich dem dann meist uneingeschränkt<br />

interessierten Zuhörer zu erzählen, was ich als<br />

Sportrechtsanwältin so mache.<br />

Das ist immer einer der Momente, in denen ich<br />

selbst staune, wie viele diverse Aspekte das Sportrecht<br />

umfasst. Haben Sie sich diese Frage schon<br />

einmal gestellt: Was ist Sportrecht? Möglicherweise<br />

im Zusammenhang mit der am 26.11.2018<br />

durch die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(BRAK) beschlossenen Einführung<br />

des Fachanwalts für Sportrecht als 24.<br />

Fachanwaltschaft?<br />

Nun ja, mit Sportunfällen kann Sportrecht auch zu<br />

tun haben. Mit sich daran anschließenden Versicherungsfragen,<br />

die unterschiedlich beantwortet<br />

werden müssen, je nachdem, ob es sich bei dem<br />

Sportler um einen Schüler, einen Hobbytriathlet<br />

oder um einen Arbeitnehmer eines Fußballvereins<br />

handelt. Mit Vereins- und Verbandsrecht, denn<br />

eine Satzung muss rechtmäßig gestaltet und<br />

formal korrekt im Vereinsregister eingetragen,<br />

Vereinsstrafen richtig verhängt, wirtschaftlicher<br />

Geschäftsbetrieb und steuerbegünstigter Zweckbetrieb<br />

getrennt und Spenden richtig vereinnahmt<br />

sein. Mit Vertragsrecht und AGB, denn<br />

die Werbe- und Sponsoringverträge, die Medienverträge,<br />

Veranstalterverträge, die Arbeitsverträge<br />

– kurz, alle Arten von Verträgen – müssen<br />

individuell ausgestaltet und rechtssicher sein.<br />

Oder haben Sie schon mal etwas von Doping<br />

gehört? Von der Nationalen Anti-Doping Agentur<br />

und dem Anti-Doping-Gesetz? (Steuer-)Gelder<br />

fließen nur in den Sport, wenn die Verbände,<br />

Vereine, Athleten und mitunter auch Sponsoren<br />

und Veranstalter an die Anti-Doping-Regelwerke<br />

gebunden sind. Lückenlos. Damit im Falle eines<br />

Verstoßes sanktioniert werden kann. Durch den<br />

Verband, das Nationale Sportschiedsgericht (DIS)<br />

bis hin zum Internationalen Sportschiedsgerichtshof<br />

(CAS) in Lausanne. Vielleicht haben Sie aber<br />

insbesondere vor internationalen Sporthöhepunkten<br />

von einstweiligen Verfügungsverfahren gelesen,<br />

in denen sich Sportler ihre Zulassung (Nominierung)<br />

zu eben diesen erstreiten wollen.<br />

Sportrecht greift auch ethische und moralische<br />

Fragen auf: Soll Doping freigegeben werden?<br />

Sollen hyperandrogene Frauen vom Spitzensport<br />

ausgeschlossen werden, weil ihre Hormonwerte<br />

zu hoch sind? Benötigt man für Sportler neutralen<br />

Geschlechts eine eigene Wettkampfklasse? Sollen<br />

alle Sportarten gleichermaßen allen Geschlechtern<br />

zugänglich sein? Sind mixed-Wettbewerbe<br />

die gerechteren? Soll eSport in Deutschland als<br />

gemeinnützig anerkannt werden? Sind Kollektivstrafen<br />

für Verstöße nicht zu identifizierender<br />

Einzeltäter richtig? Dürfen auch Ausländer deutsche<br />

Meister werden?<br />

Sie werden jetzt schon erkannt haben, dass zur<br />

Beantwortung all dieser Fragen eine fundierte<br />

juristische Ausbildung und die Kenntnis der einschlägigen<br />

Gesetze zwingend notwendig sind.<br />

Das gilt für alle Berufsjuristen. Hinzu kommen<br />

jedoch die einschlägigen Regelwerke der Sportvereine<br />

und Sportverbände, der Sportinstitutionen<br />

bis hin zum Internationalen Olympischen<br />

Komitee (IOC). Allein die Loseblattsammlung von<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 827


Kolumne<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Deutschem Fußball Bund (DFB) und Deutscher<br />

Fußball Liga (DFL) umfasst 1.230 Seiten, die<br />

Rennordnung des Direktoriums für Vollblutzucht<br />

und Rennen 712 Paragrafen. Das IOC bringt für<br />

jede Ausgabe der Olympischen Spiele eigene Regularien<br />

heraus. Das ist der Autonomie des Sports<br />

geschuldet. Sie mündete in einem weltweiten,<br />

von staatlichem Einfluss und staatlicher Prüfung<br />

weitestgehend unabhängigen Rechtssystem (lex<br />

sportiva) mit einer Sport- und Schiedsgerichtsbarkeit<br />

nach eigenen Verfahrensordnungen.<br />

Dabei macht der Sport an den Grenzen nicht Halt.<br />

Deutsche Sportler treten in internationalen Wettkämpfen<br />

und Ligen an, ausländische Sportler starten<br />

in Deutschland. Investoren, Sponsoren, Medienunternehmen<br />

sind international. Sanktionen<br />

von ausländischen Verbänden oder Institutionen<br />

müssen in Deutschland umgesetzt werden. Spielmanipulation<br />

und Doping sind weltumfassende<br />

Phänomene. Weltweit gilt im Sport der Leitgedanke<br />

des sog. Fair Play oder des level playing field.<br />

Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff des<br />

Sportrechts, der über das Gebot von Treu und<br />

Glauben im deutschen Zivilrecht hinausgeht. Diesen<br />

Leitdanken gilt es zu verteidigen.<br />

Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass sich der<br />

Sport in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen<br />

kommerzialisiert hat. Damit einher ging nicht nur<br />

seine Verrechtlichung, sondern vor allem auch<br />

eine enorme Steigerung des Beratungsbedarfs im<br />

Breiten- wie im Profisport. Aus meiner Sicht ist es<br />

unmöglich, individuell und fundiert im Sportumfeld<br />

zu beraten, wenn einem die vielen Facetten,<br />

die rechtlichen wie faktischen Besonderheiten<br />

des Sports nicht vertraut sind, wenn die<br />

Erfahrung im Umgang mit Funktionären, Athleten,<br />

Sponsoren, Ministerien oder Eltern in<br />

diesem Umfeld fehlt. Wenn man die Emotionen<br />

nicht kennt, die Sport und Sportbusiness prägen.<br />

Es hilft sicher ungemein, selbst einmal im Sport<br />

aktiv oder tätig gewesen zu sein. Das allein reicht<br />

aber nicht aus. Nicht jeder, der einst eine Turnhose<br />

trug, wird zum guten Sportrechtsanwalt.<br />

Und auch Sprachkenntnisse sind unabdingbar.<br />

Deshalb hat die Satzungsversammlung mit der<br />

Einführung der Fachanwaltschaft für Sportrecht<br />

eine Unsicherheit der potenziellen Kunden (Athleten,<br />

Sponsoren, Vereine, Verbände, Veranstalter<br />

etc.) beseitigt. Diese erhalten nun eine Orientierung,<br />

wer sie am Markt am besten in ihrem Anliegen<br />

beraten kann. Und da – Sie haben es bereits<br />

gelesen – die Vielfalt im Sportrecht recht<br />

groß ist, gibt es auch hier wieder Unterschiede in<br />

der Spezialisierung: etwa auf den Fußball als<br />

Sportart oder das Doping als Sachgebiet.<br />

Für mich als „alter Hase“ auf diesem Gebiet steckt<br />

das Sportrecht noch immer in den Kinderschuhen.<br />

Und das, obwohl es mit der Deutschen Vereinigung<br />

für Sportrecht e.V. (Konstanzer Arbeitskreis<br />

für Deutsches und Internationales Sportrecht)<br />

seit 1982 ein interdisziplinär ausgerichtetes Diskussionsforum<br />

mit eigener Schriftenreihe zum<br />

Sportrecht gibt. Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />

im Deutschen Anwaltverlag (DAV) besteht<br />

seit 20 Jahren und zählt rund 400 Mitglieder.<br />

Zudem beschäftigt sich eine eigene Fachzeitschrift,<br />

die Zeitschrift für Sport und Recht (kurz:<br />

SpuRt) intensiv mit den Fällen und juristischen<br />

Fallstricken des Sportrechts, mit seinen Entwicklungen<br />

und Herausforderungen und den dazu<br />

ergangenen Urteilen.<br />

Es gibt noch so viel im Sportrecht zu entwickeln,<br />

zu besprechen, zu erforschen und zu justieren. Es<br />

ist und bleibt ungemein spannend, in diesem<br />

besonderen Rechtsgebiet zu arbeiten. Deshalb<br />

gerate ich ins Schwärmen, wenn ich erklären darf,<br />

was ich als Sportrechtsanwältin so mache. Deshalb<br />

freue ich mich, wenn mein Gegenüber die<br />

Vielfalt erkennt, die das Sportrecht ausmacht,<br />

dass Sportrecht ein klein wenig mehr ist als<br />

Sportunfälle und so.<br />

Rechtsanwältin Prof. Dr. ANNE JAKOB, LL.M., Karben<br />

828 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Anwaltsmagazin<br />

Pläne der neuen<br />

Bundesjustizministerin<br />

In einem Presseinterview Anfang Juli hat die neue<br />

Bundesjustizministerin CHRISTINE LAMBRECHT einen<br />

ersten Ausblick darauf gegeben, worauf ihr Ministerium<br />

in den nächsten Monaten das Augenmerk<br />

legen will. Hierbei ganz vorne scheint – angesichts<br />

der gravierenden Probleme auf dem<br />

Wohnungsmarkt – das Bau- und das Mietrecht<br />

zu stehen.<br />

So sagt die Politikerin insbesondere den ständig<br />

steigenden Mieten den Kampf an, und dies auch<br />

mit ungewöhnlichen Mitteln. Sie könnte sich<br />

auch Enteignungen privater Wohnungsgesellschaften<br />

vorstellen, sagte LAMBRECHT in dem<br />

Interview. Diese seien eine Möglichkeit, die bereits<br />

im Grundgesetz verankert sei. Die Frage sei<br />

nur, wann sie sinnvoll seien. Denn nur dann,<br />

wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft<br />

seien, könne man auf Enteignungen als richtiges<br />

Mittel zugreifen. Deshalb würden zzt. im Justizministerium<br />

alle Möglichkeiten ausgelotet, um<br />

die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt<br />

zu verbessern.<br />

LAMBRECHT plädiert aus diesem Grund auch dafür,<br />

die Mietpreisbremse weiter zu verschärfen. Sie<br />

wolle das Instrument „weiterentwickeln“. So sollen<br />

Mieter künftig etwa zu viel gezahlte Miete zurückverlangen<br />

können – und zwar ab Beginn des<br />

Mietvertrags. Bis zum Spätsommer will die neue<br />

Ministerin dem Bundeskabinett hierzu einen Gesetzentwurf<br />

vorlegen und anschließend in das<br />

parlamentarische Verfahren einbringen. Auch das<br />

Berliner Vorhaben zum „Mietendeckel“ (vgl.<br />

hierzu bereits <strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 13/<strong>2019</strong>,<br />

S. 655) betrachtet LAMBRECHT offenbar mit Sympathie:<br />

„Wir werden genau beobachten, wie sich der<br />

Berliner Mietendeckel auswirkt. Grundsätzlich müssen<br />

Vorgaben vom Staat möglich sein“, so die Ministerin.<br />

Schließlich fehlten mittlerweile Wohnungen in allen<br />

Preissegmenten.<br />

Auch eine Baupflicht, wie sie schon in Tübingen<br />

gilt, will LAMBRECHT nicht ausschließen. Es müsse<br />

geprüft werden, ob das geltende Baugebot noch<br />

ausreiche. Das Tübinger Modell könne eine Möglichkeit<br />

sein, Menschen mit Baugrundstücken zum<br />

Handeln zu bewegen.<br />

Zeitnah in Angriff nehmen will die Ministerin<br />

auch maßvolle Kompetenzerweiterungen für<br />

den Verfassungsschutz; sie verweist hierfür auf<br />

die jüngsten Vorfälle im Bereich des Rechtsextremismus,<br />

etwa den Mord an dem Kasseler<br />

Regierungspräsidenten WALTER LÜBCKE. Mehr<br />

Kompetenzen für den Verfassungsschutz müssten<br />

allerdings immer mit einer Ausweitung der<br />

parlamentarischen Kontrolle einhergehen. In<br />

diesem Zusammenhang hat sie auch das seit<br />

rund eineinhalb Jahren geltende sog. Netzdurchsetzungsgesetz<br />

im Blick, das helfen soll, Hass<br />

und Hetze im Internet zu bekämpfen. Dessen<br />

Umsetzung müsse besser werden, so die Ministerin.<br />

Offenbar wenig Sympathien äußerte LAMBRECHT<br />

dagegen für die von vielen Seiten geforderten<br />

weiteren Verschärfungen im Asylrecht. Sie habe<br />

zwar auch den jüngsten Reformen zugestimmt,<br />

weil es aus ihrer Sicht Konsequenzen haben müsse,<br />

wenn ein Asylbewerber rechtskräftig abgelehnt<br />

worden sei. Jetzt sei allerdings die Umsetzung<br />

des geltenden Rechts in der Praxis „das Gebot<br />

der Stunde“, nicht aber, vorschnell nach weiteren<br />

Verschärfungen zu rufen.<br />

[Red.]<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 829


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Antrag auf Ausschluss der NPD von<br />

der Parteienfinanzierung<br />

Mit Schriftsatz vom 19.7.<strong>2019</strong> haben Bundestag,<br />

Bundesrat und Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht<br />

den Ausschluss der Nationaldemokratischen<br />

Partei Deutschlands (NPD) von<br />

der staatlichen Parteienfinanzierung beantragt.<br />

Hintergrund des Antrags ist das Urteil des BVerfG<br />

v. 17.1.2017 (BvB 1/13), in dem das Gericht zwar ein<br />

Verbot der NPD abgelehnt, jedoch zugleich die<br />

Verfassungsfeindlichkeit der Ziele der NPD ausdrücklich<br />

festgestellt und darauf hingewiesen<br />

hatte, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber<br />

vorbehalten sei, Sanktionsmöglichkeiten<br />

für verfassungsfeindliche Parteien zu schaffen.<br />

Daraufhin wurde mit Gesetz vom 13.7.2017<br />

durch die Ergänzung von Art. 21 GG um den neuen<br />

Absatz 3 die Möglichkeit zum Ausschluss verfassungsfeindlicher<br />

Parteien von der Parteienfinanzierung<br />

geschaffen.<br />

Der Bundesrat hatte im Februar 2018 den einstimmigen<br />

Beschluss gefasst, ein Verfahren zum<br />

Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

einzuleiten. Die Bundesregierung<br />

hatte dann durch Kabinettsbeschluss Mitte April<br />

2018 beschlossen, einen Antrag auf Ausschluss<br />

der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

zu stellen. Auch der Bundestag beschloss im April<br />

2018 auf Antrag mehrerer Fraktionen, den Ausschluss<br />

der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

beim BVerfG zu beantragen.<br />

In ihrer umfangreichen Antragsschrift belegen<br />

nun die Antragsteller, dass die NPD weiterhin<br />

planvoll das Ziel verfolgt, die freiheitliche demokratische<br />

Grundordnung zu beseitigen. Damit<br />

sind aus ihrer Sicht die verfassungsrechtlichen<br />

Voraussetzungen für einen Ausschluss von der<br />

staatlichen Parteienfinanzierung nach Art. 21<br />

Abs. 3 GG erfüllt. Durch einen solchen Ausschluss<br />

würden der NPD zugleich die Steuerprivilegien für<br />

Parteien aberkannt.<br />

Zugleich mit dem Antrag legen Bundesrat, Bundestag<br />

und Bundesregierung dem Gericht über<br />

300 Belege für fortdauernde verfassungsfeindliche<br />

Aktivitäten der NPD vor. Daraus ergebe sich,<br />

dass die Partei die parlamentarische Demokratie<br />

verachte und einem völkischen Denken verpflichtet<br />

sei, das dem Prinzip der Menschenwürde widerspreche.<br />

Zugleich belegen die Antragsteller in<br />

einer umfangreichen Dokumentation, dass die<br />

verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für ein<br />

Gerichtsverfahren gewährleistet sind. Hingewiesen<br />

wird in diesem Zusammenhang auch darauf,<br />

dass die Sicherheitsbehörden keine V-Leute in der<br />

Führungsebene der Partei eingesetzt haben.<br />

Ein Sprecher des BVerfG bestätigte inzwischen,<br />

dass der Antrag am 22. Juli beim Gericht eingegangen<br />

ist.<br />

[Red.]<br />

Übergriffe auf<br />

Vollstreckungsbeamte<br />

Zum Thema Übergriffe auf Vollstreckungsbeamte<br />

und Rettungskräfte hat kürzlich die Bundesregierung<br />

eine Auskunft erteilt. Hintergrund war<br />

eine Kleine Anfrage im Bundestag. Danach wurden<br />

in den letzten Jahren jeweils mehr als 20.000<br />

Übergriffe auf den genannten Personenkreis registriert.<br />

Wie die Bundesregierung im Einzelnen aufführt,<br />

kam es im Jahr 2015 zu 20.892 Fällen des Widerstands<br />

gegen Vollstreckungsbeamte und gleichstehende<br />

Personen; erfasst wurden dazu 41.358<br />

Opfer. Im Jahr 20<strong>16</strong> waren es den Angaben zufolge<br />

22.811 Fälle (plus 9,2 %) und 46.139 Opfer, im<br />

Folgejahr (2017) 23.306 Fälle (plus 2,2 %) mit<br />

48.859 Opfern und im vergangenen Jahr (2018)<br />

21.556 Fälle (minus 7,5 %) und 45.307 Opfer.<br />

Im Jahr 2018 wurden laut der Auskunft erstmalig<br />

Fälle des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte<br />

und gleichstehende Personen gem. § 114<br />

StGB in der seit dem 30.5.2017 geltenden Fassung<br />

erfasst. „Es waren 11.704 Fälle und 22.035 Opfer“,<br />

heißt es in der Antwort weiter.<br />

Wie die Bundesregierung hierzu weiter erläuterte,<br />

wurden mit dem 52. Gesetz zur Änderung des<br />

Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von<br />

Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften<br />

vom Mai 2017 insbesondere die Straftatbestände<br />

der §§ 113 ff. des StGB neu gefasst und in diesem<br />

Zuge ihr Anwendungsbereich erweitert. Im Straftatenkatalog<br />

der Polizeilichen Kriminalstatistik<br />

(PKS) erfolgten den Angaben zufolge für das Berichtsjahr<br />

2018 entsprechende Umsetzungen.<br />

830 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Dies habe zur Folge, dass für 2018 der Vergleich<br />

der Straftaten „Widerstand gegen und tätlicher Angriff<br />

auf die Staatsgewalt“ mit den Vorjahren nicht<br />

bzw. nur eingeschränkt möglich sei.<br />

So beruhe der Anstieg der Fälle von Widerstand<br />

gegen und tätlichem Angriff auf die Staatsgewalt<br />

um 39,9 % darauf, dass im Jahr 2018 darunter auch<br />

Angaben zum neuen Straftatbestand „Tätlicher<br />

Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende<br />

Personen“ erfasst wurden, schreibt die Bundesregierung<br />

weiter. Dieser neue Straftatbestand<br />

erfasse über § 113 StGB in der bis Mai 2017 geltenden<br />

Fassung hinausgehend nicht nur tätliche<br />

Angriffe auf Vollstreckungsbeamte bei der Vornahme<br />

von Vollstreckungshandlungen, sondern<br />

bei allen Diensthandlungen. Damit fielen hierunter<br />

insbesondere auch Körperverletzungsdelikte,<br />

die in den Vorjahren mit anderen Deliktschlüsseln<br />

erfasst worden seien.<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

Kritik an Änderungen beim<br />

elektronischen<br />

Empfangsbekenntnis<br />

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz<br />

(BMJV) hat einen Gesetzentwurf zu<br />

Änderungen in der ZPO erarbeitet, der neben der<br />

Festschreibung der Wertgrenze für Beschwerden<br />

gegen die Nichtzulassung der Revision (vgl. dazu<br />

<strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 13/<strong>2019</strong>, S. 656) u.a. auch<br />

vorsieht, die Spezialisierung der Gerichte in Zivilsachen<br />

auszubauen und zu diesem Zwecke den<br />

Katalog der obligatorischen Spezialspruchkörper<br />

bei den Land- und Oberlandesgerichten um die<br />

Rechtsmaterien zu erweitern, welche die Kommunikations-<br />

und die Informationstechnologie,<br />

das Erbrecht, insolvenzbezogene Streitigkeiten<br />

und Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz<br />

sowie Pressesachen betreffen. Zudem enthält<br />

der Referentenentwurf Neuregelungen zum<br />

Vorbringen des Streitstoffs, zur Hinzuziehung von<br />

Sachverständigen, zur unverzüglichen Geltendmachung<br />

von Ablehnungsgründen und etlichen weiteren<br />

zivilprozessualen Vorschriften.<br />

Gegen eine der geplanten Neuregelungen hat sich<br />

die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) in ihrer<br />

offiziellen Stellungnahme besonders kritisch<br />

ausgesprochen; sie betrifft die Änderung zu den<br />

elektronischen Empfangsbekenntnissen (eEB).<br />

Mit der der beabsichtigten Neuregelung von § 174<br />

Abs. 4 ZPO solle, so die BRAK, für Gerichte eine<br />

elektronische Alternative zur Anforderung eines<br />

Empfangsbekenntnisses geschaffen werden, falls<br />

sie technisch nicht in der Lage sein sollten, den für<br />

die Anforderung eines eEB erforderlichen strukturierten<br />

Datensatz zu übersenden. Die Nutzung<br />

eines alternativen elektronischen Dokuments als<br />

elektronisches Empfangsbekenntnis, wie etwa ein<br />

Empfangsbekenntnis im Format PDF, wäre in<br />

diesem Fall durch die Nutzer ggf. auszudrucken,<br />

um es mit dem Datum des Empfangs und einer<br />

einfachen Signatur zu versehen. Anschließend<br />

wäre es einzuscannen.<br />

Aus Sicht der BRAK wäre ein solches Vorgehen<br />

nicht empfehlenswert. Mit ihm würde das mit<br />

dem Referentenentwurf verfolgte Ziel, die Abläufe<br />

im elektronischen Rechtsverkehr zu erleichtern,<br />

durch den Regelungsvorschlag nicht erreicht.<br />

Sinnvoller sei es vielmehr, solange eine<br />

herkömmliche Zustellung gegen Empfangsbekenntnis<br />

schriftlich auf Papier zu wählen, bis die<br />

Gerichte, die derzeit noch nicht in der Lage sind,<br />

gegen eEB zuzustellen, technisch nachgerüstet<br />

haben. Die Nutzung eines alternativen elektronischen<br />

Dokuments als Empfangsbekenntnis würde<br />

– wegen des damit verbundenen Medienbruchs<br />

– einen Rückschritt darstellen und wäre,<br />

so die BRAK weiter, der erheblichen Anzahl an<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die bereits<br />

am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen<br />

und die Prozesse in ihren Kanzleien längst<br />

umgestellt haben, nur schwer zu vermitteln.<br />

Die BRAK verweist zudem darauf, dass das geplante<br />

alternative elektronische Empfangsbekenntnis<br />

auch dann, wenn es geeignete Werkzeuge,<br />

wie etwa bei einem ausfüllbaren PDF-<br />

Dokument, zur Verfügung stellen könnte, einen<br />

zusätzlichen Prozess im Kanzleiablauf schaffen<br />

würde, der neben der strukturellen Datensatzverarbeitung<br />

im Rahmen der Nutzung des besonderen<br />

elektronischen Anwaltspostfachs (beA)<br />

stünde. Dies würde die Abgabe eines Empfangsbekenntnisses<br />

im elektronischen Rechtsverkehr<br />

damit erschweren.<br />

[Quelle: BRAK]<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 831


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Besteuerung bei Auflösung einer<br />

Sozietät<br />

Eine wichtige Entscheidung zur Einkommensbesteuerung<br />

bei Auflösung einer Anwaltssozietät<br />

hat kürzlich der BFH gefällt. Danach setzt die<br />

begünstigte Besteuerung eines durch eine echte<br />

Realteilung einer Sozietät ausgelösten Aufgabegewinns<br />

gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG voraus, dass<br />

der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen<br />

Grundlagen seiner bisherigen freiberuflichen<br />

Tätigkeit unmittelbar und nicht erst später<br />

aufgibt.<br />

Hieran fehlt es – wie im entschiedenen Fall – jedoch,<br />

wenn der Rechtsanwalt den ihm im Rahmen<br />

der Realteilung zugewiesenen Mandantenstamm<br />

zunächst weiter verwertet, indem dieser wie geplant<br />

auf eine GbR, an der der Steuerpflichtige<br />

beteiligt ist, übergeht und der Anwalt dann in<br />

einem zweiten Schritt gegen Abfindung aus dieser<br />

GbR ausscheidet. Dass der Betroffene im Ergebnis<br />

die freiberufliche Tätigkeit im bisherigen örtlichen<br />

Wirkungskreis zeitnah eingestellt hat, genügt laut<br />

BFH in diesem Fall nicht für die Gewährung<br />

der Tarifbegünstigung im Einkommensteuerrecht<br />

(BFH, Urt. v. 15.1.<strong>2019</strong> – VIII R 24/15).<br />

In dem entschiedenen Fall war der Kläger Gesellschafter<br />

einer Rechtsanwaltssozietät, die in mehreren<br />

Großstädten Standorte unterhalten hatte.<br />

Die Sozietät wurde im Jahr 2001 durch Realteilung<br />

aufgelöst, was zu einer Betriebsaufgabe führte. Ihr<br />

Vermögen wurde auf Nachfolgegesellschaften,<br />

die die Partner der einzelnen Standorte gegründet<br />

hatten, übertragen. Auch der Kläger wurde zunächst<br />

Gesellschafter einer solchen Nachfolgegesellschaft,<br />

schied jedoch sofort nach deren Gründung<br />

gegen Zahlung einer Abfindung aus dieser<br />

Gesellschaft aus. Er war der Meinung, der im<br />

Zusammenhang mit der Auflösung der Sozietät<br />

entstandene anteilige Aufgabegewinn sei tarifbegünstigt<br />

zu besteuern, da er wirtschaftlich<br />

betrachtet aus der Sozietät ausgeschieden sei.<br />

Daneben habe er auf Ebene der Nachfolgegesellschaft<br />

einen Veräußerungsverlust erlitten.<br />

Dem folgte der BFH nicht. Die höchsten deutschen<br />

Finanzrichter stellten keine wirtschaftliche,<br />

sondern eine rein formale Betrachtung der Vorgänge<br />

an. Danach liegen die Voraussetzungen<br />

einer Tarifbegünstigung gem. §§ 18 Abs. 3, <strong>16</strong><br />

Abs. 4, 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG hier nicht vor. Die<br />

Tarifbegünstigung setze nämlich im Fall einer<br />

Betriebsaufgabe durch Realteilung voraus, dass<br />

die anteiligen vermögensmäßigen Grundlagen<br />

der freiberuflichen Tätigkeit des Realteilers in<br />

der Sozietät aufgegeben werden. Hieran fehle es,<br />

wenn der Kläger die wesentlichen vermögensmäßigen<br />

Grundlagen seiner beruflichen Tätigkeit<br />

in der Sozietät in Gestalt des anteiligen Mandantenstamms<br />

erst mit seinem Ausscheiden aus<br />

der Nachfolgegesellschaft endgültig aus der<br />

Hand gebe.<br />

[Quelle: BFH]<br />

Warnung vor Aushöhlung des<br />

Redaktionsgeheimnisses<br />

Mehrere Presseorganisationen, darunter „Reporter<br />

ohne Grenzen“ und der Deutsche Journalisten-<br />

Verband haben vor Plänen des Bundesministerium<br />

für Inneres, für Bau und Heimat (BMI) gewarnt,<br />

wonach deutsche Geheimdienste künftig Medien<br />

im In- und Ausland digital ausspionieren dürfen.<br />

Dem Referentenentwurf des BMI zu einem „Gesetz<br />

zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“<br />

zufolge sollen deutsche Inlands- und<br />

Auslandsgeheimdienste Server, Computer und<br />

Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie<br />

freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten<br />

hacken dürfen. Sie sollen dabei verschlüsselte<br />

Kommunikation abfangen oder verdeckt nach<br />

digitalen Daten suchen können. Allerdings ist das<br />

Vorhaben innerhalb der Großen Koalition noch<br />

stark umstritten und wird in der derzeitigen Form<br />

insbesondere vom SPD-geführten Ministerium der<br />

Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) abgelehnt.<br />

Eine der geplanten Maßnahmen zielt auf die sog.<br />

Online-Durchsuchung. Dabei dringen Ermittlungsbehörden<br />

verdeckt in digitale Geräte ein,<br />

um sie umfassend zu durchleuchten. Dazu können<br />

sie zum Beispiel einen Trojaner auf den<br />

Computer aufspielen, um alle auf der Festplatte<br />

gespeicherten Informationen zu durchsuchen. Im<br />

Falle von Journalistinnen und Journalisten können<br />

sie damit gespeicherte Dokumente, Interview-<br />

Mitschnitte oder auch gespeicherte Browser-Verläufe<br />

von Internetrecherchen durchsehen. Die<br />

Maßnahme ist umstritten, 2017 jedoch bereits für<br />

das Strafverfahren eingeführt worden. Bei Medien<br />

ist dies jedoch explizit verboten worden, um das<br />

832 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Redaktionsgeheimnis auch digital zu wahren. Darüber<br />

hinaus listet der Referentenentwurf aus dem<br />

BMI eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit<br />

denen Geheimdienste journalistische Arbeit ausspähen<br />

dürfen: So sollen sie verschlüsselte Kommunikation<br />

zwischen Medienschaffenden und<br />

Quellen überwachen dürfen und etwa auch Buchungsdaten<br />

von Recherchereisen mittels Bahn<br />

oder Mietwagen abfragen können.<br />

Die Medienvertreter kritisieren, dass hierbei das<br />

historische Trennungsgebot zwischen Strafverfolgung<br />

und Geheimdiensten aufgeweicht werden<br />

soll, indem z.B. Polizeien und die Inlandsgeheimdienste<br />

dauerhaft gemeinsame Datenbanken aufbauen<br />

dürfen. Damit könnten Strafverfolger Informationen<br />

über Medienschaffende erhalten, die<br />

eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen –<br />

und umgekehrt. Dieser Informationsaustausch<br />

solle auch internationalisiert werden: Deutsche<br />

Geheimdienste sollen Daten über Medienschaffende<br />

in internationale Datenbanken einpflegen<br />

können, woran dann wiederum ausländische Geheimdienste<br />

teilnehmen. Damit könnten auch ausländische<br />

Staaten an Daten über z.B. im deutschen<br />

Exil arbeitende Journalistinnen und Journalisten<br />

gelangen.<br />

„Mit den Plänen schießt das BMI deutlich über das Ziel<br />

hinaus: Mit der Abschaffung des Redaktionsgeheimnisses<br />

würden Medienschaffende und ihre Quellen die<br />

Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />

verlieren“, so der Geschäftsführer von „Reporter<br />

ohne Grenzen“ CHRISTIAN MIHR. Immer wieder würden<br />

Fälle bekannt, dass deutsche Geheimdienste<br />

journalistische Arbeit in Deutschland und anderen<br />

Ländern illegitim bespitzelt haben. „Als Reaktion<br />

auf diese Überwachungsskandale müsste die Politik die<br />

Rechte von Journalistinnen und Journalisten eigentlich<br />

stärken. Stattdessen sollen diese Rechte nun digital<br />

ausgehöhlt werden – und das ohne Angabe von Gründen.<br />

Bundesinnenminister Horst Seehofer muss die<br />

Pläne seines Ministeriums unverzüglich stoppen“, so<br />

MIHR.<br />

[Red.]<br />

Positionspapier zum „Pakt für den<br />

Rechtsstaat“<br />

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und der<br />

Deutsche Anwaltverein (DAV) haben in einem<br />

gemeinsamen Positionspapier bekräftigt, dass die<br />

Anwaltschaft in die weiteren Überlegungen zum<br />

von der Politik geplanten „Pakt für den Rechtsstaat“<br />

einbezogen werden muss. Beide Organisationen<br />

bedauern, dass die Anwaltsorganisationen<br />

nicht von vornherein in den Diskurs einbezogen<br />

wurden. Die Effizienz staatlicher Organe, insbesondere<br />

der Justiz, dürfe – so BRAK und DAV –<br />

nicht allein im Fokus stehen und nicht auf Kosten<br />

von Beschuldigtenrechten erreicht werden. Das<br />

mit dem Pakt verfolgte Ziel könne nur mit einer<br />

gemeinsamen Kraftanstrengung aller an der<br />

Rechtspflege Beteiligten erreicht werden.<br />

Auf den „Pakt für den Rechtsstaat“ einigten sich<br />

die Bundeskanzlerin und die Vertreterinnen und<br />

Vertreter der Länder im Januar dieses Jahres. Er<br />

zielt darauf, das Vertrauen der Bürgerinnen und<br />

Bürger in den Rechtsstaat zu stärken; dazu sollen<br />

u.a. 2.000 Stellen in der Justiz geschaffen werden<br />

(vgl. näher dazu <strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 4/<strong>2019</strong>,<br />

S. 171 f.).<br />

Kritisch sehen beide Anwaltsorganisationen, dass<br />

der Großteil der für den „Pakt für den Rechtsstaat“<br />

veranschlagten Gelder – jährlich rd. 400 Mio. €–<br />

für die Schaffung neuer Stellen in Justiz und Polizei<br />

vorgesehen ist. Sie mahnen an, hierbei auch an die<br />

Rechtssuchenden zu denken, und erinnern an die<br />

soziale Verantwortung des Staates. Gefordert sei<br />

ein klares Bekenntnis zur Gewährung von Prozess-/Verfahrenskostenhilfe<br />

bzw. Beratungshilfe<br />

sowie stabile Gerichtskosten; anderenfalls sei der<br />

Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht<br />

gefährdet.<br />

Mit Sorge betrachten beide anwaltliche Organisationen<br />

auch die Pläne für eine Reform des<br />

Strafprozesses; insbesondere kritisieren sie die<br />

geplante vereinfachte Ablehnung von Beweisund<br />

Befangenheitsanträgen. Auch mahnen sie an,<br />

dass der geschützte und vertrauliche Bereich der<br />

Kommunikation mit Mandanten weiterhin dem<br />

staatlichen Zugriff entzogen bleiben müsse. Zum<br />

integralen Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit<br />

gehöre die Möglichkeit aller Bürger, sich effektiv<br />

gegen staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen zu<br />

verteidigen und deren Rechtmäßigkeit durch die<br />

Gerichte prüfen zu lassen. Dieses Recht dürfe<br />

nicht durch eine starke Betonung der „Effizienz“<br />

von Strafverfahren in Frage gestellt werden,<br />

zumal Effizienz und Dauer von Verfahren nicht<br />

in einem unmittelbaren und unauflöslichen Zusammenhang<br />

stünden.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 833


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Das gemeinsame Positionspapier von BRAK und<br />

DAV endet mit einem Appell an die Politiker, die<br />

Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege umfassend<br />

in die Bemühungen um Stärkung des Rechtsstaats<br />

einzubeziehen. [Quelle: BRAK/DAV]<br />

Kritik an Rechtsbedarfsstudie des<br />

BMJV<br />

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz<br />

(BMJV) plant derzeit ein Forschungsvorhaben<br />

zur Untersuchung der rücklaufenden<br />

Eingangszahlen bei den Zivilgerichten.<br />

Eine Ausschreibung wird vom Ministerium aktuell<br />

vorbereitet.<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat das Vorhaben<br />

grds. begrüßt: Der Grundgedanke, den<br />

Zugang zum Recht empirisch zu untersuchen,<br />

sei lobenswert. Bereits seit Langem spricht sich<br />

die Vertretung der Anwaltschaft für eine solche<br />

Untersuchung aus. Allerdings übt der DAV auch<br />

Kritik. Das aktuelle Vorhaben greift ihm zu kurz.<br />

So sollte eine aussagekräftige Studie zu unbefriedigtem<br />

Rechtsbedarf – sog. Unmet Legal Needs –<br />

weitaus mehr Varianten der Rechtsverfolgung in<br />

den Fokus nehmen. Der DAV verweist auf internationale<br />

Studien, die hier meist einen weiten Ansatz<br />

wählen und alle Situationen in den Blick nehmen,<br />

in denen es das Potenzial für eine rechtliche Lösung<br />

gibt, wobei diese Lösung sowohl gerichtlich<br />

als auch außergerichtlich, mit oder ohne Anwälte,<br />

persönlich oder technisch erfolgen könne.<br />

Letztlich, so fasst der DAV seine Bedenken zusammen,<br />

sei es doch wichtig zu klären, wie es in<br />

Deutschland mit dem Zugang zum Recht und<br />

möglichen Defiziten insgesamt aussehe, um am<br />

Ende nicht nur punktuell Symptome zu bekämpfen.<br />

[Quelle: DAV]<br />

BGH verschärft Verbot des<br />

Erfolgshonorars<br />

Eine für viele überraschende Verschärfung des<br />

Verbots des Erfolgshonorars hat kürzlich der<br />

I. Zivilsenat des BGH vorgenommen. Ein solcher<br />

Verstoß kann nach UWG abgemahnt werden,<br />

entschieden die Richter (BGH, Urt. v. 6.6.<strong>2019</strong> –<br />

I ZR 67/18). Die Entscheidung betrifft zwar die<br />

Honorarvereinbarung eines Versicherungsberaters,<br />

der Senat zieht jedoch ausdrücklich eine<br />

Parallele zum Recht der Rechtsanwälte, so dass<br />

auch die Gebührenrechtler bereits auf die neue<br />

Entscheidung hingewiesen haben.<br />

Eigentlich hatte sich die Anwaltschaft, was das<br />

Thema Erfolgshonorar angeht, bereits seit Jahren<br />

auf eine Liberalisierung eingerichtet. Nach dem<br />

Beschluss des BVerfG v. 12.12.2006 (1 BvR 2576/<br />

04) und nachfolgend der Änderung in § 4a RVG<br />

folgten weitere Lockerungen, u.a. im Rechtsberatungsgesetz,<br />

wo das Erfolgshonorar für Inkassounternehmen<br />

und einige spezielle Rechtsberater<br />

freigegeben wurde. Im Jahr 2014 machte<br />

der IX. Zivilsenat des BGH einen weiteren Schritt,<br />

indem er eine anwaltliche Erfolgshonorarvereinbarung<br />

unter bestimmten Voraussetzungen in<br />

eine wirksame Vergütungsvereinbarung umdeutete<br />

(IX ZR 127/12).<br />

Nun allerdings lag dem für das Wettbewerbsrecht<br />

zuständigen I. Zivilsenat ein Fall vor, in dem es um<br />

das Erfolgshonorar eines Versicherungsberaters<br />

ging. Der hatte damit geworben, dass er eine<br />

kostenlose Beratung anbiete; der Kunde müsste<br />

nur im Erfolgsfall zahlen, nämlich wenn die neue<br />

Versicherung zu einer Ersparnis führe. Weil der<br />

I. Senat jedoch die Beratungstätigkeit der Versicherungsberater<br />

der der Rechtsanwälte für ähnlich<br />

ansieht, will er ihnen ebenfalls keine Erfolgshonorare<br />

erlauben. Zudem deuteten die Richter<br />

das Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars<br />

nach § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO als Marktverhaltensregel,<br />

was dazu führt, dass Konkurrenten<br />

einen Verstoß nach UWG abmahnen können.<br />

Das war – nach den oben beschriebenen Liberalisierungsschritten<br />

der vergangenen Jahre – in<br />

Teilen der anwaltlichen Vergütungsliteratur anders<br />

gesehen worden. Die Formvorschriften des<br />

RVG seien kein Fall mehr für das UWG, hieß es<br />

dort. Diese Auffassung muss nun aber revidiert<br />

werden, lautete es in ersten Kommentaren zum<br />

neuen Urteil. In Zukunft könnten auch wirksame,<br />

aber die Formvorschriften etwa des § 4a Abs. 1<br />

und Abs. 2 RVG missachtende Vereinbarungen<br />

abgemahnt werden. Abmahnungen unter Anwaltskanzleien<br />

könnten deshalb in Zukunft dort<br />

wieder zunehmen, wo mit Honorarvereinbarungen<br />

geworben wird.<br />

[Red.]<br />

834 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 119<br />

Eilnachrichten<br />

Volltext-Service: Die Entscheidungsvolltexte zu den <strong>ZAP</strong> Eilnachrichten können Sie online kostenlos bei<br />

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finden Sie auf unserer Homepage www.zap-verlag.de/service. Sie sind Neu-Abonnent? Dann<br />

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Allgemeines Zivilrecht<br />

Mitverschulden bei Arzthaftung: Verspätete Diagnose einer Krebserkrankung<br />

(OLG Braunschweig, Urt. v. 28.2.<strong>2019</strong> – 9 U 129/15) • Ist ein Arzt wegen eines Behandlungsfehlers zum<br />

Schadensersatz verpflichtet, ist es ihm zwar nicht grds. verwehrt, sich auf ein Mitverschulden des<br />

Patienten zu berufen. Bei der Bejahung mitverschuldensbegründender Obliegenheitsverletzungen des<br />

Patienten ist allerdings Zurückhaltung geboten (BGH, Urt. v. 17.12.1996 – VI ZR 133/95, juris Rn 13). Im<br />

Allgemeinen obliegt es zwar dem Patienten, grds. einen Arzt aufzusuchen, wenn eine Verschlechterung<br />

seines Gesundheitszustands dies nahelegt (vgl. OLG München, Urt. v. 23.9.2004 – 1 U 5198/03, juris-<br />

Rn 83). Es hängt indes von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, wann die Nicht-Konsultation<br />

eines Arztes diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur<br />

Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Treten bei dem Patienten erneut Symptome (hier:<br />

Darmblutungen) auf, für die aufgrund der vorangegangenen, auf unzureichender Befunderhebung basierenden<br />

Diagnose des Arztes dem Patienten Erklärungen (hier: Hämorrhoiden und Analfissur) genannt<br />

wurden, die keine zeitnahe Wiedervorstellung nahelegen, so stellt es keinen ein Mitverschulden begründenden<br />

Sorgfaltsverstoß dar, wenn sich der Patient beim Wiederauftreten der Symptome nicht<br />

sofort wieder in Behandlung begibt. Vielmehr darf insoweit der Patient zumindest eine Zeit lang darauf<br />

vertrauen, dass keine ernsthafte Erkrankung (hier: Darmkrebs) vorliegt. Ist einem Arzt durch schuldhaftes<br />

Unterlassen der gebotenen Befunderhebung nach dem Grundsatz des groben Behandlungsfehlers<br />

zuzurechnen, dass eine an Darmkrebs erkrankte 47-jährige Patientin nach 4 ½ Jahren Überlebenszeit<br />

mit zahlreichen belastenden Therapien und Operationen verstorben ist, indem ihr die Chance<br />

auf eine zeitgerechte, weniger invasive Behandlung von 4-5 Monaten mit vollständiger Genesung<br />

genommen wurde, so ist die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 70.000 € angemessen und<br />

keinesfalls überhöht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 452/<strong>2019</strong><br />

Kaufvertragsrecht<br />

Diesel-Skandal: Schaden des Käufers<br />

(OLG Köln, Beschl. v. 1.7.<strong>2019</strong> – 27 U 7/19) • Der Schaden eines Käufers besteht bereits in dem Erwerb des<br />

mit einer manipulativ wirkenden Software zur Motorsteuerung ausgerüsteten Fahrzeugs, weil das<br />

erworbene Fahrzeug infolge der eingesetzten Software hinter den Vorstellungen des Käufers von der<br />

allgemein ordnungsgemäßen Ausrüstung des zu erwerbenden Pkw zurückblieb und sich dieses Zurückbleiben<br />

schon infolge der damit zunächst verbundenen Unsicherheiten für die Typengenehmigung<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 835


Fach 1, Seite 120 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

und die Betriebszulassung nachteilig auf den Vermögenswert des Pkw auswirkt. Es kommt allein darauf<br />

an, dass das Fahrzeug mit einer Software ausgestattet war, die zu Unsicherheiten hinsichtlich des<br />

Fortbestands der Typengenehmigung und der Betriebszulassung führte sowie nach den verbindlichen<br />

Vorgaben des Kraftfahrtbundesamtes einen Rückruf und ein Update mit einer seitens des Kraftfahrtbundesamtes<br />

genehmigten Software des Herstellers erforderte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 453/<strong>2019</strong><br />

Dieselskandal: Gerichtsstandbestimmung<br />

(OLG Hamm, Beschl. v. 27.5.<strong>2019</strong> – 32 SA 29/19) • Im Falle einer mit einer unerlaubten Handlung gem.<br />

§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 StGB, 826 BGB begründeten Klage eines vom Abgasskandal betroffenen<br />

Käufers gegen den Hersteller liegt der Gerichtsstand gem. § 32 ZPO wahlweise dort, wo der Täter<br />

gehandelt hat, oder dort, wo der Rechtsguteingriff erfolgt und der Schaden entstanden ist. Dabei ist der<br />

Erfolgsort einer unerlaubten Handlung der Vermögensschädigung nicht schon deshalb am Wohnsitz des<br />

Geschädigten begründet, weil sich dort im Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung sein<br />

Vermögen befunden hat. Wird ein Kraftfahrzeug gegen Barzahlung beim Händler erworben, liegt der<br />

Erfolgsort dementsprechend am Ort der Zahlung und der Fahrzeugübernahme.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 454/<strong>2019</strong><br />

Miete/Nutzungen<br />

Umbaumaßnahmen: Keine Duldungspflicht des Mieters<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 12.3.<strong>2019</strong> – 2 U 3/19) • Nimmt der Vermieter umfangreiche Baumaßnahmen am<br />

Gebäude vor, die mit ganz erheblichen Beeinträchtigungen des Mieters aufgrund von Lärm, Erschütterungen,<br />

Staub und sonstigen Immissionen einhergehen, kann er hiermit das vertragsgemäße Gebrauchsrecht<br />

des Mieters verletzen, einhergehend mit einer Störung des Besitzes an der Mietsache durch verbotene<br />

Eigenmacht. In diesem Fall handelt es sich nicht mehr um Renovierungs- und Umbauarbeiten, mit<br />

denen ein Mieter immer für den Fall eines Mieterwechsel in demselben Gebäude rechnen und aus sozialüblicher<br />

Sicht hinnehmen muss. Ein Mieter muss weitreichende Baumaßnahmen des Vermieters, die<br />

ausschließlich die Änderung des Nutzungszwecks beabsichtigen und nicht einer Modernisierung bzw.<br />

nach objektiven Kriterien zu beurteilenden Verbesserung des Gebäudes dienen, gemäß den Grundsätzen<br />

von Treu und Glauben nur dann hinnehmen, wenn für den Vermieter ansonsten eine Gefährdung der<br />

Wirtschaftlichkeit des Grundbesitzes gegeben wäre. Dem Mieter steht in diesem Fall ein Anspruch auf<br />

Unterlassung zu, den er auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann. Hinweis: Im<br />

entschiedenen Fall wurden vermieterseits Innenwände und komplette Fußböden in dem Mietobjekt<br />

entfernt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 455/<strong>2019</strong><br />

Fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses: Beleidigung des Vermieters<br />

(AG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.<strong>2019</strong> – 27 C 346/18) • Wird der Vermieter von dem Mieter in einem<br />

öffentlichen Beitrag in einem sozialen Netzwerk mit körperlicher Gewalt bedroht, ist der Vermieter zur<br />

fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt. Die Bezeichnung als „Huso“ ist bei einer am<br />

objektiven Empfängerhorizont orientierten Auslegung dahingehend auszulegen, dass der Erklärungsempfänger<br />

als „Hurensohn“ bezeichnet wird, was eine Beleidigung darstellt. Mit der Bezeichnung als<br />

„Hundesohn“ wird dem Erklärungsempfänger die Abstammung von einem Menschen und damit das<br />

Menschsein abgesprochen, was einen unmittelbaren Eingriff in die Menschenwürde bedeutet. Der<br />

Bezeichnung kommt mithin ein beleidigender Charakter zu. Hinweis: Der Mieter nutzte sein Facebook-<br />

Profil für die Drohungen und Beleidigungen gegenüber seinem Vermieter. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 456/<strong>2019</strong><br />

Sonstiges Vertragsrecht<br />

Verjährungsfrist: Beginn bei Rückforderung von Bauspardarlehen<br />

(BGH, Urt. v. 19.3.<strong>2019</strong> – XI ZR 95/17) • Die kenntnisabhängige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB für<br />

Rückforderungsansprüche wegen unwirksam formularmäßig vereinbarter Bearbeitungsentgelte begann<br />

836 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 121<br />

auch bei Bauspardarlehen mit dem Schluss des Jahres 2011 zu laufen. Die Grundsätze, die zu Verbraucherund<br />

Unternehmerdarlehen aufgestellt wurden, gelten auch für Darlehensgebühren bei Bauspardarlehen.<br />

Denn Bauspardarlehen unterliegen als Gelddarlehen in Form von Tilgungsdarlehen ebenfalls dem<br />

Pflichtenprogramm des § 488 Abs. 1 BGB. Keine der Besonderheiten eines Bausparvertrags begründen<br />

für das Bauspardarlehen eine Abweichung vom allgemeinen Darlehensrecht. Deswegen musste ein<br />

rechtskundiger Dritter im Jahr 2011, als sich eine gefestigte Auffassung der Oberlandesgerichte zur<br />

Unwirksamkeit von Bearbeitungsentgelten bei Verbraucherdarlehensverträgen gebildet hat, damit rechnen,<br />

dass davon auch Entgeltklauseln erfasst werden, die in Bauspardarlehen einbezogen worden sind.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 457/<strong>2019</strong><br />

Baukostenzuschuss: Bauliche Veränderung eines Stromnetzes<br />

(OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.4.<strong>2019</strong> – 27 U 9/18) • Eine bauliche Veränderung eines Stromnetzes selbst, die<br />

über den Anschluss hinausgeht, ist für die Bestimmung eines Baukostenzuschusses nicht generell<br />

erforderlich. § 30 AVBEltV schließt Einwände des Kunden oder Abnehmers, die sich nicht auf bloße<br />

Abrechnungs- und Rechenfehler beziehen, sondern die vertraglichen Grundlagen für die Art und den<br />

Umfang seiner Leistungspflicht betreffen, nicht aus. Hinweis: Der Baukostenzuschuss ist zwar nur für<br />

das Niederspannungsnetz in § 11 NAV gesetzlich geregelt, gilt aber auch für den Anschluss an das<br />

Mittelspannungsnetz. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 458/<strong>2019</strong><br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

Zahlungsanspruch eines Eigentümers gegen die Gemeinschaft: Keine Beschlussfassung<br />

(LG München I, Urt. v. 26.6.<strong>2019</strong> – 1 S 2812/18 WEG) • Steht einem Wohnungseigentümer gegen den<br />

Verband ein Zahlungsanspruch zu, so bedarf es vor dessen gerichtlicher Geltendmachung nicht der<br />

Vorbefassung der Eigentümerversammlung mit dem Zahlungsbegehren. Das Interesse des Verbands<br />

und der übrigen Wohnungseigentümer, nicht unnötig mit Prozesskosten belastet zu werden, wird durch<br />

die Vorschrift des § 93 ZPO ausreichend gewahrt. Wird ein Beschluss über die Genehmigung der Jahresabrechnung<br />

rechtskräftig für ungültig erklärt, steht einem Anspruch der Wohnungseigentümer auf<br />

Ersatz der rechtsgrundlos auf die Jahresabrechnung geleisteten Zahlungen nach den Grundsätzen der<br />

ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) nicht der „Vorrang des Innenausgleichs nach Maßgabe<br />

der Abrechnung“ entgegen. Wird ein Beschluss über die Genehmigung des Wirtschaftsplans oder<br />

die Jahresabrechnung rechtskräftig für ungültig erklärt, muss ein Wohnungseigentümer auch nicht<br />

zunächst darauf dringen, dass über den Wirtschaftsplan bzw. die Jahresabrechnung des betreffenden<br />

Abrechnungsjahres erneut ein Beschluss gefasst wird, bevor er aus ungerechtfertigter Bereicherung<br />

gegen den Verband vorgehen kann. Wird ein anfechtbarer Beschluss der Eigentümer durch ein rechtskräftiges<br />

Urteil für ungültig erklärt, so verliert er von Anfang an (ex tunc) seine Wirkung. Dadurch<br />

entfällt auch der Verzug mit einem durch den Beschluss begründeten Zahlungsanspruch des Verbands<br />

rückwirkend. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 459/<strong>2019</strong><br />

Bank- und Kreditwesen<br />

Widerrufsrecht eines Darlehensnehmers: Verwirkung<br />

(KG, Beschl. v. 10.4.<strong>2019</strong> – 26 U 49/18) • Das Widerrufsrecht des Darlehensnehmers aus § 495 Abs. 1 BGB<br />

unterliegt der Verwirkung. Das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht verjährt anders als die aus dem<br />

Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüche nicht; § 218 BGB findet auf das Widerrufsrecht<br />

keine Anwendung. Weder aus den gesetzlichen Verjährungsfristen noch gar aus den gesetzlichen<br />

Verjährungshöchstfristen kann auf ein „Mindestzeitmoment“ für eine Verwirkung geschlossen werden.<br />

Bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben<br />

des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich<br />

den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den<br />

Verbraucher nachzubelehren. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 460/<strong>2019</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 837


Fach 1, Seite 122 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Dashcam-Aufnahme: Verwertung im Zivilprozess<br />

(AG Duisburg Ruhrort, Urt. v. 5.3.<strong>2019</strong> – 9 C 434/18) • Die Aufzeichnung aus einer Dashcam kann im<br />

Zivilprozess zur Aufklärung eines Verkehrsunfalls unter Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung<br />

des BGH vom 15.5.2018 (VI ZR 233/17) verwertet werden, ohne dass dies einer weiteren Aufklärung<br />

bedarf. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 461/<strong>2019</strong><br />

Versicherungsrecht<br />

Kostenerstattung für eine intensitätsmodulierte Strahlentherapie: PKV<br />

(OLG Celle, Beschl. v. 15.6.<strong>2019</strong> – 8 U 83/19) • Die Abrechnung einer intensitätsmodulierten Strahlentherapie<br />

(IMRT) unterfällt § 6 Abs. 2 GOÄ. Für die analoge Abrechnung ist Ziffer 5855 GOÄ<br />

heranzuziehen; denn IMRT und IORT sind nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertig. Eine Abrechnung<br />

der IMRT, die sich an den Abrechnungsempfehlungen des Vorstands der Bundesärztekammer<br />

vom 18.2.2011 und des Bundesverbands deutscher Strahlentherapeuten orientiert, ist für die ersten<br />

dreißig Fraktionen nicht zu beanstanden. Ab der 31. Fraktion kann höchstens das 1,35-fache des Gebührensatzes<br />

angesetzt werden. Eine Abrechnung der IMRT analog zur fraktionierten stereotaktischen<br />

Präzisionsbestrahlung kommt nicht in Betracht, weil es sich dabei bereits um eine analoge Abrechnung<br />

handelt, bei der Analogiebildung aber auf die Gebühren der GOÄ zurückgegriffen werden muss. Eine aus<br />

medizinischer Sicht unzureichende Zahl an Bildgebungen lässt den Vergütungsanspruch des Behandlers<br />

und damit den Erstattungsanspruch des Versicherungsnehmers grds. unberührt.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 462/<strong>2019</strong><br />

Familienrecht<br />

Kindesunterhalt: Kosten einer Internatsunterbringung<br />

(OLG Karlsruhe, Beschl. v. <strong>16</strong>.5.<strong>2019</strong> – 20 UF 105/18) • Gehören zum angemessenen Unterhalt (§ <strong>16</strong>10<br />

Abs. 1 BGB) Kosten für eine Internatsunterbringung sowie hierbei anfallende Nebenkosten für Lehrmittel,<br />

Ausflüge, Kopien, Bastelbedarf sowie Materialien für eine Legasthenietherapie, handelt es sich<br />

nicht um Sonderbedarf, sondern um Mehrbedarf, der aus dem Elementarunterhalt aufzubringen ist.<br />

Hinweis: Die Frage, ob bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse während des Beschwerdeverfahrens<br />

für den Unterhaltsgläubiger eine Wahlmöglichkeit zwischen Anschlussbeschwerde und Abänderungsantrag<br />

besteht, wenn der Unterhaltsverpflichtete als Beschwerdeführer lediglich seine Verpflichtung zur<br />

Zahlung von rückständigem Kindesunterhalt, nicht jedoch auch zu laufendem Kindesunterhalt angegriffen<br />

hat, ist hier offen gelassen worden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 463/<strong>2019</strong><br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Entbehrlichkeit der Voreintragung bei fehlender Zustimmung der Nacherben<br />

(OLG Hamm, Beschl. v. 15.2.<strong>2019</strong> – 15 W 245/18) • Die Auflassung als dingliches Veräußerungs- und<br />

Erwerbsgeschäft muss sowohl den auf Übertragung von Grundstückseigentum an den Erwerber gerichteten<br />

Willen des Veräußerers als auch den auf Erwerb dieses Eigentums vom Veräußerer gerichteten<br />

Willen zum Ausdruck bringen. Dabei müssen die Erklärungen des Veräußerers erkennen lassen, wer die<br />

Person des Veräußerers ist, ob er im eigenen oder fremden Namen und für wen er handelt, ob er allein<br />

oder zusammen mit anderen das Eigentum an einem Grundstück übertragen will. Eine Eintragung soll nur<br />

erfolgen, wenn die Person, deren Recht durch sie betroffen wird, als Berechtigter eingetragen ist. Zwar<br />

durchbricht § 40 GBO die Regel des § 39 GBO für den Fall, dass der Betroffene Erbe des eingetragenen<br />

Berechtigten ist; allerdings bleibt bei Vorerbschaft die Voreintragung grds. erforderlich, weil ansonsten die<br />

Eintragung des Nacherbenvermerks unzulässig ist. Etwas anderes gilt aber dann, wenn im Fall der<br />

838 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 123<br />

Übertragung eines Rechts die gleichzeitige Eintragung des Nacherbenvermerks entbehrlich ist, weil z.B.<br />

die Zustimmung der Nacherben nachgewiesen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 464/<strong>2019</strong><br />

Zivilprozessrecht<br />

Schätzung einer ortsüblichen Vergleichsmiete: einfacher Mietspiegel<br />

(LG Berlin, Beschl. v. 23.5.<strong>2019</strong> – 67 S 21/19) • Die Zivilgerichte dürfen die ortsübliche Vergleichsmiete<br />

bereits dann gem. § 287 ZPO auf Grundlage eines einfachen Mietspiegels schätzen, wenn sie die darin<br />

angegebenen Werte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend erachten. Es ist nicht erforderlich,<br />

dass der für einen Vollbeweis maßgebliche Überzeugungsgrad erreicht wird.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 465/<strong>2019</strong><br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

Zwangsversteigerung: Versagung der Aufhebung einer gerichtlichen Verwaltung<br />

(BGH, Beschl. v. 18.10.2018 – V ZB 40/18) • Eine gerichtlich angeordnete Verwaltung ist u.a. dann<br />

aufzuheben, wenn der Ersteher das Meistgebot durch Überweisung an das Gericht oder Hinterlegung<br />

vollständig oder – bei einer Teilzahlung – in einer Höhe berichtigt, die zu einer Befriedigung des Antragstellers<br />

führt, oder wenn bei Nichtzahlung des Meistgebots die Befriedungswirkung nach § 118 Abs. 2<br />

ZVG eintritt, es sei denn, es wird ein Antrag auf Wiederversteigerung gestellt. Dann entfällt eine ihrer<br />

Anordnungsvoraussetzungen. Hinweis: Nach Auffassung des BGH kommt eine Aufhebung der gerichtlichen<br />

Verwaltung nach § 94 Abs. 1 S. 1 ZVG somit nur in Betracht, wenn das bare Meistgebot<br />

(zumindest in der zur Befriedigung des Antragstellers notwendigen Höhe) erbracht ist oder der Antragsteller<br />

im Rahmen der Ausführung des Teilungsplans in anderer Weise befriedigt wird. Meint der<br />

Ersteher, er habe den Gläubiger nach den Vorschriften des BGB befriedigt, so muss er diese Einwendung<br />

gegen den titulierten Anspruch mit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) gegen die Wiederversteigerung<br />

geltend machen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 466/<strong>2019</strong><br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Squeeze-Out: Abfindung für Minderheitsaktionäre<br />

(OLG München, Beschl. v. 20.3.<strong>2019</strong> – 31 Wx 185/17) • Die nach einem verschmelzungsrechtlichen<br />

Squeeze-Out an die Aktionäre zu zahlende Abfindung ist nur dann angemessen, wenn sie einen den<br />

Wert des Anteilseigentums entsprechenden wirtschaftlichen Ausgleich für die Beeinträchtigung der<br />

vermögensrechtlichen Stellung beinhaltet. Als Wertuntergrenze kann bei börsennotierten Gesellschaften<br />

auf den Börsenkurs zurückgegriffen werden. Soweit ein Börsenwert nicht herangezogen werden<br />

kann, ist der Unternehmenswert anhand anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden wie der Ertragswertmethode<br />

zu schätzen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 467/<strong>2019</strong><br />

Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />

Gemeinschaftsmarke: Drei parallele Streifen (Adidas)<br />

(EuG, Urt. v. 19.6.<strong>2019</strong> – T-307/17) • Die Entscheidung des Amtes der Europäischen Union für geistiges<br />

Eigentum (EUIPO), derzufolge die Nichtigkeit der Unionsmarke von Adidas, die aus drei parallelen, in<br />

beliebiger Richtung angebrachten Streifen besteht, festgestellt wird, ist nicht zu beanstanden. Adidas<br />

hat nicht nachgewiesen, dass diese Marke im gesamten Gebiet der Union infolge ihrer Benutzung<br />

Unterscheidungskraft erlangt hat. Hinweis: Nachdem sich Adidas in zahlreichen vorangegangenen<br />

markenrechtlichen Verfahren stets gegen die Verwender ähnlicher Zeichen durchgesetzt hat, wurde der<br />

Firma jetzt eine im Jahr 2014 neu angemeldete Marke aberkannt. Es habe nicht genug Unterscheidungskraft,<br />

befanden die Richter. Die von Adidas vorgelegten Gegenbeweise überzeugten das Gericht nicht,<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 839


Fach 1, Seite 124 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

da etliche davon auch umgekehrte Farbschemata aufwiesen, etwa weiße Streifen auf schwarzem<br />

Hintergrund anstatt schwarze Streifen auf weißem Grund. Die Entscheidung betrifft allerdings nur die<br />

beliebige Anbringung dreier paralleler Streifen auf einer Ware. Experten verweisen darauf, dass die<br />

traditionelle Anbringung, etwa auf Sportschuhen, davon nicht betroffen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 468/<strong>2019</strong><br />

Arbeitsrecht<br />

Unwirksame Vertragsergänzung: Übernahme des Dienstfahrzeugs<br />

(LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 8.11.2018 – 5 Sa 485/17) • Eine „Vertragsergänzung“ überschriebene Klausel<br />

in einem Dienstwagen-Überlassungsvertrag, die den Arbeitnehmer verpflichtet, bei seinem Ausscheiden<br />

aus dem Arbeitsverhältnis das Dienstfahrzeug und die Finanzierung bei einer Bank zu übernehmen,<br />

benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Dies<br />

ergibt sich schon daraus, dass die Klausel in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG<br />

geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers verkürzt, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts<br />

unzulässig erschwert. Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers folgt auch daraus, dass<br />

die Klausel nicht danach differenziert, wer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vertreten hat.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 469/<strong>2019</strong><br />

Sozialrecht<br />

Sozialversicherungsbeitragspflicht: Qualifizierte Sperrminorität<br />

(BSG, Beschl. v. 19.6.<strong>2019</strong> – B 12 KR 4/19 B) • Gesellschafter-Geschäftsführer sind nur dann selbstständig<br />

tätig, wenn sie mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital halten oder ihnen bei geringerer Kapitalbeteiligung<br />

nach dem Gesellschaftsvertrag eine Sperrminorität eingeräumt ist. Eine Sperrminorität darf<br />

nicht auf bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaft begrenzt sein, sondern muss uneingeschränkt für<br />

die gesamte Unternehmenstätigkeit gelten, sog. echte oder qualifizierte Sperrminorität. Hinweis: Dieser<br />

Rechtsprechung kommt beim Entwurf von Gesellschaftsverträgen insbesondere im Hinblick auf die erheblichen<br />

finanziellen Belastungen bei einer Sozialversicherungsbeitragspflicht eines Geschäftsführers<br />

besondere Bedeutung zu. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 470/<strong>2019</strong><br />

Mangelhaft begründete Beschwerde: Keine Hinweispflicht<br />

(BSG, Beschl. v. 17.6.<strong>2019</strong> – B 5 R 92/19 B) • Die Bitte eines anwaltlichen Bevollmächtigten in einer<br />

Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, soweit weitere Ausführungen als nötig erachtet<br />

würden, führt nicht dazu, dass eine Entscheidung über eine unzureichend begründete Beschwerde<br />

zurückgestellt wird. Das Revisionsgericht ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, vor einer Entscheidung<br />

auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen; § 106 Abs. 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein<br />

Rechtsanwalt muss auch ohne Hilfe des Gerichts in der Lage sein, eine Nichtzulassungsbeschwerde<br />

formgerecht zu begründen. Hinweis: Es ist bemerkenswert, dass das BSG darauf hinweisen musste, dass<br />

ein Rechtsanwalt ein Rechtsmittel ohne fremde Hilfe begründen können muss.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 471/<strong>2019</strong><br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Europäische Bankenunion: Keine Kompetenzwidrigkeit bei strikter Auslegung<br />

(BVerfG, Urt. v. 30.7.<strong>2019</strong> – 2 BvR <strong>16</strong>85/14 u. 2 BvR 2631/14) • Bei der Europäisierung der nationalen<br />

Verwaltungsorganisation und der Errichtung von unabhängigen Einrichtungen und Stellen der Europäischen<br />

Union (EU) bedarf es eines Mindestmaßes an demokratischer Legitimation und Kontrolle (Art. 23<br />

Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG ist offen für<br />

begrenzte Modifikationen der demokratischen Legitimationsvermittlung, durch die Einflussknicke<br />

kompensiert werden können. Das gilt insbesondere für eine effektive gerichtliche Kontrolle oder<br />

Kontrollrechte, die dem Parlament spezifische Einflussmöglichkeiten auf Behörden vermitteln und es in<br />

840 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 125<br />

die Lage versetzen, eine Letztkontrolle durch eine Änderung oder Aufhebung der Rechtsgrundlagen<br />

auszuüben. Eine Absenkung des demokratischen Legitimationsniveaus ist nicht unbegrenzt zulässig und<br />

bedarf der Rechtfertigung. Die Errichtung unabhängiger Agenturen der Europäischen Union begegnet vor<br />

diesem Hintergrund keinen grundsätzlichen Einwänden, bleibt aber aus Sicht des Demokratiegebots<br />

prekär. Bundesregierung und Bundestag dürfen am Zustandekommen und an der Umsetzung von Sekundärrecht,<br />

das die Grenzen des Integrationsprogramms überschreitet, nicht mitwirken. Der Gesetzgeber<br />

darf die Bundesregierung auch nicht dazu ermächtigen, einem Ultra-vires-Akt von Organen,<br />

Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union zuzustimmen. Aus Sicht des Grundgesetzes<br />

begegnet die Mitwirkung von Bundesregierung und Bundestag am Zustandekommen und an der Umsetzung<br />

der SSM-Verordnung (ABl EU Nr. L 287 v. 29.10.2013, S. 5, 63) und der SRM-Verordnung (ABl EU<br />

Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 12) keinen durchgreifenden Bedenken. Hinweis: Die umstrittene Bankenunion ist<br />

nach dieser Entscheidung gerade noch verfassungskonform. Dies wird von vielen als ein falsches Signal<br />

verstanden in einer Zeit, in der sich mehr und mehr Bürger von Europa abwenden. Wie einerseits die<br />

Errichtung unabhängiger Agenturen der Europäischen Union keinen grundsätzlichen Einwänden begegnet,<br />

aber andererseits aus Sicht des Demokratiegebotes prekär ist, erschließt sich nicht ohne weiteres.<br />

Man darf gespannt sein auf die in einigen Monaten zu erwartende Entscheidung des BVerfG über das<br />

umstrittene Anleihekauf-Programm der EZB. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 472/<strong>2019</strong><br />

Steuerrecht<br />

Steuerbefreiung: Umrüstung eines Fahrzeugs zum Elektrofahrzeug<br />

(BFH, Urt. v. 5.7.2018 – III R 41/17) • Nach § 3d S. 1 KraftStG a.F. ist das Halten von Pkw, die Elektrofahrzeuge<br />

sind, für die Dauer von fünf Jahren ab dem Tag der erstmaligen Zulassung von der Steuer befreit. Eine<br />

Steuerbefreiung kommt nicht in Betracht, wenn der Begünstigungszeitraum abgelaufen ist. Die Steuerbefreiung<br />

für Elektrofahrzeuge nach § 3d KraftStG a.F. beginnt mit dem Datum der erstmaligen Zulassung<br />

des Pkws. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um ein Elektroneufahrzeug handelt oder um ein<br />

umgerüstetes Fahrzeug. Bei Umrüstfahrzeugen kann es daher vorkommen, dass der Begünstigungszeitraum<br />

bereits teilweise oder vollständig verstrichen ist, wenn die Voraussetzungen der Steuerbefreiung<br />

erstmals vorliegen. Die unterschiedslose Anknüpfung an das Erstzulassungsdatum des Fahrzeugs in § 3d<br />

KraftStG a.F. begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 473/<strong>2019</strong><br />

Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />

Einziehung: Faktische Mitverfügungsgewalt<br />

(BGH, Urt. v. 5.6.<strong>2019</strong> – 5 StR 670/18) • Ein Vermögenswert ist durch die Tat erlangt, wenn er dem<br />

Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands so<br />

zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren an einem<br />

Raub Beteiligten genügt es, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht<br />

über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Faktische Mitverfügungsgewalt kann auch dann vorliegen,<br />

wenn sich diese in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der<br />

Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit<br />

diesen Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 474/<strong>2019</strong><br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Abwesenheitsverfahren: Inhalt der Hauptverhandlung<br />

(OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.5.<strong>2019</strong> – 2 Ss (OWi) 140/19) • Im sog. Abwesenheitsverfahren sind gem.<br />

§ 74 Abs. 1 S. 2 OWiG frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten<br />

Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder Verlesung in die Haupthandlung<br />

einzuführen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 475/<strong>2019</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 841


Fach 1, Seite 126 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Pflichtwidriges Verhalten eines Rechtsanwalts: Schadensersatz<br />

(BGH, Urt. v. 6.6.<strong>2019</strong> – IX ZR 104/18) • Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer anwaltlichen<br />

Pflichtverletzung und dem bei dem Mandanten eingetretenen Schaden entfällt nicht bereits durch die<br />

naheliegende Möglichkeit, den Schaden in einem Rechtsmittelverfahren beseitigen zu können.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 476/<strong>2019</strong><br />

Gebührenrecht<br />

Prozesskostenhilfe: Von einer RS-Versicherung nicht gedeckte Prozesskosten<br />

(LSG Thüringen, Beschl. v. 23.5.<strong>2019</strong> – L 1 SF 1527/17 B) • Wird Prozesskostenhilfe für den nicht von einer<br />

Rechtsschutzversicherung gedeckten Teil der Prozesskosten bewilligt und zahlt die Rechtsschutzversicherung<br />

ihrerseits auf die Kostenrechnung nur teilweise, ist dem Berechtigten der volle Differenzbetrag<br />

zu erstatten. Hinweis: Eine Begrenzung auf die Selbstbeteiligung findet mangels entsprechender<br />

Einschränkung im abändernden PKH-Beschluss nicht statt; die PKH-Bewilligung erstreckt sich dann über<br />

den Gesamtbetrag, der nicht von der Rechtsschutzversicherung erstattet wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 477/<strong>2019</strong><br />

EU-Recht/IPR<br />

Website mit „Gefällt mir“-Button von Facebook: Personenbezogene Daten<br />

(EuGH, Urt. v. 29.7.<strong>2019</strong> – C-40/17) • Der Betreiber einer Website, in der der „Gefällt mir“-Button von<br />

Facebook enthalten ist, kann für das Erheben und die Übermittlung der personenbezogenen Daten der<br />

Besucher seiner Website gemeinsam mit Facebook verantwortlich sein. Dagegen ist er grds. nicht für<br />

die spätere Verarbeitung dieser Daten allein durch Facebook verantwortlich. Hinweis: Webseitenbetreiber<br />

sind verpflichtet, Besuchern ihrer Seiten Informationen zur Erhebung und Verarbeitung ihrer<br />

Daten zu geben. Dies gilt insbesondere für eine automatische Übermittlung von Besucherdaten an<br />

Facebook. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 478/<strong>2019</strong><br />

Gleichbehandlungsgrundsatz: Pkw-Maut für deutsche Bundesstraßen<br />

(EuGH, Urt. v. 18.6.<strong>2019</strong> – C-591/17) • Die deutsche Vignette für die Benutzung von Bundesfernstraßen<br />

durch Personenkraftwagen verstößt gegen das Unionsrecht. Die mit ihr vorgesehene Abgabe verletzt<br />

das EU-rechtliche Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, da ihre wirtschaftliche<br />

Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten<br />

zugelassenen Fahrzeugen liegt. Zwar steht es jedem Mitgliedstaat frei, das System zur Finanzierung<br />

seiner Straßeninfrastruktur zu ändern, indem er ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der<br />

Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten<br />

zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzt, damit alle Nutzer in gerechter<br />

und verhältnismäßiger Weise zu dieser Finanzierung beitragen. Einen solchen Übergang hat Deutschland<br />

jedoch nicht überzeugend dargelegt. Die Vignette ist so ausgestaltet, dass sie in Wirklichkeit<br />

ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betrifft,<br />

während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen im Grunde weiterhin das<br />

Steuerfinanzierungsprinzip gilt. Hinweis: Geklagt hatte Österreich. Es kommt sehr selten vor, dass ein<br />

Mitgliedstaat eine Vertragsverletzungsklage gegen einen anderen Mitgliedstaat erhebt. Die vorliegende<br />

Klage war erst die siebte in der Geschichte des EuGH. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 479/<strong>2019</strong><br />

<strong>ZAP</strong>-Service: Die <strong>ZAP</strong> Eilnachrichten können und sollen nur eine stark komprimierte Wiedergabe der Originaltexte sein.<br />

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842 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Miete/Nutzungen Fach 4, Seite 1813<br />

Rechtsmittelbeschwer<br />

Allgemeines<br />

Mietrecht<br />

Die Rechtsmittelbeschwer im Mietrecht<br />

Von Rechtsanwalt MICHAEL BRÄNDLE, Freiburg<br />

Eine ausführliche, grundlegende Darlegung der Problematik der Beschwer, die hier nur sehr kurz<br />

zusammengefasst wird (unten I.), finden Sie in <strong>ZAP</strong> F. 13, S. 2247. Im Hauptteil (unten II.) werden hieran<br />

anknüpfend die Besonderheiten der Beschwer im Mietrecht behandelt. (Für die Besonderheiten in<br />

Immobilien‐ und Wohnungseigentumssachen s. den gesonderten Beitrag in <strong>ZAP</strong> F. 7, zur Veröffentlichung<br />

in <strong>ZAP</strong> 2020 vorgesehen).<br />

Inhalt<br />

I. Einleitung<br />

II. Besonderheiten der Beschwer in Mietsachen<br />

1. Höhe des Miet- bzw. Pachtzinses –<br />

„Nettomiete“<br />

2. Herausgabe des Grundstücks<br />

3. Duldung von Modernisierungsmaßnahmen<br />

4. Beseitigung einer Störung<br />

III. Fazit<br />

I. Einleitung<br />

In Verfahren nach der Zivilprozessordnung bedarf es sowohl für die Berufung als auch für die Beschwerde<br />

gegen die Nichtzulassung der Revision – nicht aber für die Revision (unzutreffend deshalb<br />

DRASDO NZM <strong>2019</strong>, 327 im Einleitungssatz) – einer Mindestbeschwer, es sei denn, das Ausgangsgericht<br />

hat das Rechtsmittel zugelassen. Das Rechtsmittelgericht ist an eine Zulassung gebunden (§ 511 Abs. 4<br />

S. 2 ZPO bzw. § 443 Abs. 2 S. 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist dann ohne Weiteres, ohne dass es auf die<br />

Beschwer ankommt, statthaft.<br />

Die Berufung ist zulassungsfrei nur statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 €<br />

übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gibt es nicht.<br />

Praxistipp:<br />

Wer bei sich bei einer (potenziellen) Beschwer des Mandanten von bis zu 600 € die Berufung offen halten<br />

will, sollte beim Erstgericht die Zulassung der Berufung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) anregen oder, wenn<br />

möglich, durch entsprechenden Vortrag – schon in der ersten Instanz – darlegen und glaubhaft machen,<br />

dass für den Mandanten mehr als 600 € auf dem Spiel stehen.<br />

Die Revision zum BGH ist nur statthaft, wenn sie entweder vom Berufungsgericht oder vom BGH auf<br />

Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen wurde (§ 543 Abs. 1 ZPO). Seit der ZPO-Reform 2002<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 843


Fach 4, Seite 1814<br />

Rechtsmittelbeschwer<br />

Miete/Nutzungen<br />

ist die Revision ausschließlich als Zulassungsrevision statthaft; eine zulassungsfreie (Wert‐)Revision<br />

gibt es seither nicht mehr. Für die (zugelassene) Revision ist eine bestimmte Höhe der Beschwer auf der<br />

anderen Seite nicht mehr erforderlich.<br />

Obwohl die (zugelassene) Revision keiner bestimmten Höhe der Beschwer bedarf, ist die Beschwerde<br />

gegen die Nichtzulassung der Revision nur statthaft, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu<br />

machenden Beschwer 20.000 € übersteigt. Diese Wertgrenze hat der Gesetzgeber etwas verschämt<br />

und versteckt – und deshalb vielen Instanzanwälten nicht geläufig – in § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO geregelt.<br />

Die Wertgrenze gilt nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung (als unzulässig) verworfen hat, § 26<br />

Nr. 8 S. 2 EGZPO, d.h., sie ist dann unabhängig vom Wert statthaft. Um erfolgreich zu sein, muss aber –<br />

wie immer – ein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) vorliegen. Zu den Zulassungsgründen, welche<br />

hier nicht behandelt werden, s. GEIPEL <strong>ZAP</strong> F. 13, 1857 ff. sowie die Dissertation von RUPPRECHT, Gründe für<br />

die Zulassung der Revision in deutschen Prozessordnungen, 2015; zur Zulassungspraxis des BGH siehe<br />

WINTER NJW 20<strong>16</strong>, 922.<br />

Praxistipp:<br />

Wer bei sich bei einer (potenziellen) Beschwer des Mandanten von bis zu 20.000 € die Revision offen<br />

halten will, sollte beim Berufungsgericht die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) anregen und/<br />

oder, wenn möglich, durch entsprechenden Vortrag – spätestens in der Berufungsinstanz, besser schon<br />

von vornherein – darlegen und glaubhaft machen, dass für den Mandanten mehr als 20.000 € auf dem<br />

Spiel stehen.<br />

Hinweis:<br />

Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Beitrags lag ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor (veröffentlicht<br />

auf der Webseite des BMJV im Bereich Services/Aktuelle Gesetzgebungsverfahren: https://www.<br />

bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Wertgrenze_Nichtzulassungsbeschwerde_Zivilsachen.html?nn=6712350),<br />

welcher vorsieht, § 26 Nr. 8 EGZPO durch § 544 Abs. 2 ZPO RegE mit gleichem<br />

Inhalt zu ersetzen, d.h. die Wertgrenze in die ZPO zu übernehmen und damit zu entfristen. Sollte dies<br />

geschehen, änderte dies ansonsten nichts an den Darlegungen in diesem Beitrag.<br />

II.<br />

Besonderheiten der Beschwer in Mietsachen<br />

1. Höhe des Miet- bzw. Pachtzinses –„Nettomiete“<br />

Kommt es für die Beschwer auf die Höhe des Mietzinses an, ist jedenfalls bei unbefristeten Mietverhältnissen<br />

die Beschwer regelmäßig höher als der Streitwert, weil der Streitwert, auch bei gewerblichen<br />

Mietverhältnissen, auf die Jahresmiete gedeckelt ist (§ 41 Abs. 1 GKG), während sich die Beschwer<br />

nach § 9 ZPO bemisst und somit bei dem Dreieinhalbfachen der Jahresmiete liegen kann. In Mietsachen<br />

ist es somit gut möglich, dass die nach § 26 Nr. 8 EGZPO für die Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche<br />

Beschwer erreicht ist, obwohl die Streitwertfestsetzung (korrekterweise) diesen Betrag nicht<br />

übersteigt.<br />

Die der Berechnung des Streitwerts und der Beschwer zugrunde liegende Nettomiete richtet sich<br />

danach, welche Miete der auf Räumung in Anspruch genommene Mieter nach dem von ihm behaupteten<br />

Mietvertrag zu entrichten hat. Ein etwaiger höherer objektiver Mietwert oder eine höhere<br />

fiktive Marktmiete ist für die Beurteilung ohne Bedeutung (BGH, Beschl. v. 17.1.2017 – VIII ZR 178/<strong>16</strong>, juris<br />

Rn 4). Die monatlichen Betriebskostenvorauszahlungen erhöhen den Beschwerdewert einer Räumungsklage<br />

nicht. Für die Wertbemessung kommt es nach § 8 ZPO auf das für die Gebrauchsüberlassung<br />

zu zahlende Entgelt an. Dazu zählen vereinbarte Vorauszahlungen auf Nebenkosten nicht<br />

(BGH, Beschl. v. 14.6.20<strong>16</strong> – VIII ZR 291/15, juris Rn 2). Auch bei der Geschäftsraummiete können<br />

vereinbarte Vorauszahlungen auf Nebenkosten nicht als Bestandteil des Entgelts für die Gebrauchs-<br />

844 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Miete/Nutzungen Fach 4, Seite 1815<br />

Rechtsmittelbeschwer<br />

überlassung angesehen werden und haben keinen Einfluss auf die Beschwer (BGH, Beschl. v. 2.6.1999 –<br />

XII ZR 99/99, juris Rn 10).<br />

Das für die gewerbliche Gebrauchsüberlassung zu zahlende streitwertrelevante „Entgelt“ beinhaltet<br />

jedoch auch die Umsatzsteuer, soweit vereinbart ist, dass der Mieter/Pächter diese (zusätzlich zum in<br />

diesem Sinne vereinbarten „Nettoentgelt“ i.S.d. § 41 Abs. 1 GKG) – für die Gebrauchsüberlassung und nicht<br />

als Nebenkosten – an den Verpächter zu zahlen hat (BGH, Beschl. v. 2.11.2005 – XII ZR 137/05, juris Rn 9).<br />

Die „Nettomiete“ i.S.d. § 41 Abs. 1 GKG ist somit bei gewerblicher, umsatzsteuerpflichtiger Miete die für<br />

die Gebrauchsüberlassung zu zahlende „Bruttomiete“ im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Für die Beschwer<br />

kann nichts anderes gelten.<br />

2. Herausgabe des Grundstücks<br />

Die aus der Verurteilung zur Herausgabe des Grundstücks folgende Beschwer bemisst sich im<br />

Ausgangspunkt nicht nach § 6 ZPO (nach dem Verkehrswert des Grundstücks), sondern nach § 8 ZPO<br />

(nach dem Nutzungsentgelt), denn bei einem Streit über das Bestehen eines Nutzungsverhältnisses ist<br />

die Sondervorschrift des § 8 ZPO vorrangig (BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – V ZR 230/17, juris Rn 5). Der Wert<br />

der Beschwer der Räumungs- und Herausgabeverurteilung richtet sich somit nach dem Betrag der auf<br />

die gesamte streitige Zeit entfallenden Miete, maximal nach dem 25-fachen Betrag des einjährigen<br />

Entgelts (BGH, Beschl. v. 23.1.<strong>2019</strong> – XII ZR 95/17, juris Rn 6). Dem steht nicht entgegen, dass das<br />

zwischen den Parteien vereinbarte Nutzungsverhältnis unentgeltlich war. In diesem Fall ist der<br />

Streitwert nach freiem Ermessen zu bestimmen (§ 3 ZPO); in Anlehnung an § 9 ZPO kann dabei von dem<br />

dreieinhalbfachen Jahresnutzungswert ausgegangen werden (BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – V ZR 230/17,<br />

juris Rn 5). Die Vorschriften der §§ 8, 9 ZPO sind auch auf Kleingartenpachtverträge anzuwenden und<br />

auch dann, wenn der Beklagte, welcher selbst nicht Pächter ist, gegen den Herausgabeanspruch einen<br />

Anspruch auf Übertragung des objektbezogenen Dauerwohnrechts an ihn behauptet (BGH, Beschl. v.<br />

29.11.2018 – III ZR 222/18, juris Rn 4).<br />

Beruft sich ein Nutzungsberechtigter gegenüber einer Kündigung auf Schutzregeln, die das Kündigungsrecht<br />

einschränken und ihm ein Recht zur Fortsetzung der Nutzung geben, so dauert die<br />

„streitige Zeit“ i.S.d. § 8 ZPO vom Tag der Erhebung der Räumungsklage bis zu dem Zeitpunkt, den<br />

derjenige, der sich auf ein Nutzungsrecht beruft, als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt des<br />

Nutzungsvertrags in Anspruch nimmt. Hat er keinen festen Zeitpunkt genannt, so ist darauf<br />

abzustellen, was er bereits in erster Instanz vermutlich gewollt hat. Ergeben sich dafür keine hinreichend<br />

konkreten Anhaltspunkte, so ist davon auszugehen, dass er zwar ein zeitlich begrenztes<br />

Nutzungsrecht für sich in Anspruch nimmt, dass der Zeitpunkt der Beendigung dieses Nutzungsrechts<br />

aber ungewiss ist. In einem solchen Fall ist nach der Rechtsprechung des XII. Zivilsenats die „streitige Zeit“<br />

in entsprechender Anwendung des § 9 ZPO zu bestimmen (BGH, Beschl. v. 23.1.<strong>2019</strong> – XII ZR 95/17, juris<br />

Rn 6; BGH, Beschl. v. 18.10.2017 – XII ZR 6/17, juris Rn 1 m.w.N.).<br />

3. Duldung von Modernisierungsmaßnahmen<br />

Die Beschwer des Unterliegens der Klägerin mit ihrer Klage auf Duldung von Modernisierungsmaßnahmen<br />

– dazu gehören auch Anträge auf Zutrittsgewährung – ist gem. § 3 ZPO i.V.m. den Grundsätzen<br />

des § 9 ZPO nach dem 3,5-fachen des infolge der Modernisierung zu erwartenden Jahresbetrags der<br />

Mieterhöhung zu bemessen (BGH, Beschl. v. 7.1.<strong>2019</strong> – VIII ZR 112/18, juris Rn 2). Das Interesse an einer<br />

durch die Modernisierungsmaßnahmen erzielbaren Wertsteigerung bleibt außer Betracht, denn im<br />

Rahmen der Duldung einer Modernisierung geht es nicht um die Pflicht des Mieters, dem Vermieter eine<br />

Wertsteigerung zu ermöglichen. Diese stellt nur einen Reflex des eigentlichen Inhalts eines solchen<br />

Klagebegehrens dar, das darauf gerichtet ist, den Mieter zu verpflichten, die Modernisierungsmaßnahmen<br />

hinzunehmen und so den Vermieter in die Lage zu versetzen, den Mietgegenstand zu<br />

verbessern und ggf. die Miete zu erhöhen (BGH, Beschl. v. 7.1.<strong>2019</strong> – VIII ZR 112/18, juris Rn 4).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 845


Fach 4, Seite 18<strong>16</strong><br />

Rechtsmittelbeschwer<br />

Miete/Nutzungen<br />

4. Beseitigung einer Störung<br />

Wird die Klage eines Vermieters auf Beseitigung einer durch den Mieter errichteten Satellitenempfangsantenne<br />

abgewiesen, richtet sich die Beschwer des Vermieters nach dem Wertverlust, den er<br />

durch eine von der Satellitenempfangsantenne verursachte Beeinträchtigung der Substanz und/oder<br />

des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleidet (BGH, Beschl. v. 17.5.2006 – VIII ZB 31/05, juris<br />

Leitsatz).<br />

Wird der Vermieter einer Wohnung verurteilt, die Anbringung eines Transparents, Plakats oder Banners<br />

durch den Mieter an der Fassade des Hauses zu dulden, richtet sich die Beschwer des Vermieters<br />

ebenfalls nach dem Wertverlust, den er durch die Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen<br />

Gesamteindrucks seines Hauses erleidet. Zudem ist bei der Bemessung der durch die Eigentumsstörung<br />

verursachten Beschwer des Vermieters zu berücksichtigen, ob der Text des Transparents,<br />

Banners oder Plakats den Eindruck erwecken kann, der Vermieter missachte Mieterinteressen (BGH,<br />

Beschl. v. 21.5.<strong>2019</strong> – VIII ZB 66/18, juris Leitsätze). In diesem Fall hatte das Berufungsgericht einen Wert<br />

unter der Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) angenommen und die Berufung als unzulässig<br />

zurückgewiesen. Die gem. §§ 2, 3 ZPO im freien Ermessen des Berufungsgerichts liegende Bestimmung<br />

des Werts des Beschwerdegegenstands kann vom BGH nur beschränkt darauf überprüft werden, ob das<br />

Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht<br />

umfassend berücksichtigt, die Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer<br />

dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Trotz dieser<br />

beschränkten Prüfung konnte der BGH das Berufungsgericht in diesem konkreten Fall korrigieren, weil<br />

dieses in sachwidriger Weise darauf abgestellt hatte, die Eigentumsstörung, deren Beseitigung die<br />

Beklagte mit ihrem Rechtsmittel erstrebt, habe schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs bestanden<br />

(Rn 10). Das war schon im Ansatz verfehlt, denn die Bemessung der Beschwer eines Rechtsmittelführers<br />

durch das angefochtene Urteil hat rein nach seinem Rechtsschutzziel zu erfolgen; materiellrechtliche<br />

Gesichtspunkte haben insoweit außer Betracht zu bleiben (Rn 12).<br />

III. Fazit<br />

Anders als in anderen Rechtsgebieten ist in Mietsachen die Beschwer oftmals höher als der Streitwert;<br />

ansonsten, insbesondere auch im Wohnungseigentumsrecht (ausführlich BRÄNDLE ZfIR 2017, 553 sowie<br />

BRÄNDLE in einem gesonderten Beitrag in <strong>ZAP</strong> F. 7, zur Veröffentlichung in <strong>ZAP</strong> 2020 vorgesehen) ist es<br />

oft umgekehrt. Kommt es für die Beschwer auf die Höhe des Mietzinses an, ist jedenfalls bei unbefristeten<br />

Mietverhältnissen die Beschwer deshalb regelmäßig höher als der Streitwert, weil der Streitwert,<br />

auch bei gewerblichen Mietverhältnissen, auf die Jahresmiete gedeckelt ist (§ 41 Abs. 1 GKG),<br />

während sich die Beschwer nach § 9 ZPO bemisst und somit bei dem dreieinhalbfachen der Jahresmiete<br />

liegen kann.<br />

Praxistipps:<br />

Der Rechtsanwalt beim BGH hat zunächst naturgemäß keine Aktenkenntnis, ist aber gehalten, die<br />

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision binnen der hierfür geltenden Notfrist von einem<br />

Monat (§ 544 Abs. 1 S. 2 ZPO) weisungsgemäß einzulegen. Dadurch entstehen dem Mandanten Gebühren.<br />

Der Instanzanwalt tut deshalb gut daran, vorher zu prüfen, ob sich aus seinem eigenen bisherigen Vortrag<br />

ergibt, dass der erforderliche Beschwerdewert von mehr als 20.000 € erreicht ist. Wenn dies nicht der<br />

Fall ist, kann dies nur dazu führen, dass der Rechtsanwalt beim BGH empfehlen muss, die Beschwerde<br />

zurückzunehmen, weil sie nicht statthaft ist.<br />

In Mietsachen ist zu bedenken, dass ein Streitwert von bis zu 20.000 € nicht zwingend bedeutet, dass die<br />

erforderliche Beschwer nicht erreicht ist. Die Beschwer richtet sich nach §§ 8, 9 ZPO und nicht nach § 41<br />

GKG. In Mietsachen kann die Beschwer (deutlich) höher sein als der Streitwert.<br />

846 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 519<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Nachbarrecht<br />

Abwehr und Duldung nachbarlicher Immissionen<br />

Von Rechtsanwalt Dr. HANS REINOLD HORST, Hannover/Solingen<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

II. Anspruchsschema<br />

1. Selbsthilfemöglichkeiten<br />

2. Beseitigungsansprüche, Unterlassungsansprüche<br />

3. Sekundäransprüche<br />

4. Korrektur durch die Rechtsfigur des nachbarlichen<br />

Gemeinschaftsverhältnisses?<br />

5. Verjährung der Ansprüche?<br />

III. Gase und Dämpfe<br />

IV. Gerüche, Rauch<br />

1. Tierhaltung<br />

2. Düngung<br />

3. Kompostierung<br />

4. Verbrennen von Gartenabfällen<br />

5. Grillen<br />

6. Betrieb offener Kamine<br />

V. Geräusche, Lärm<br />

1. Rasenmähen<br />

2. Partylärm<br />

3. Wohngebrauch<br />

4. Altglascontainer<br />

5. Glockenspiel und Geläut<br />

6. Tierlärm<br />

7. Kinderlärm<br />

8. Sportanlagen, Gaststätten, Vereinsheime,<br />

Volksfeste<br />

9. Fluglärm<br />

10. Schießlärm<br />

11. Asylanten- und Flüchtlingsunterkunft<br />

12. Baulärm<br />

13. Verkehrslärm<br />

14. Gewerbelärm<br />

I. Vorbemerkung<br />

Jeder hat Nachbarn, gleich ob als Mieter, Vermieter, Haus- oder Wohnungseigentümer. Alle Formen<br />

menschlichen Zusammenlebens sind zwingend mit Auswirkungen für andere verbunden. Sie werden<br />

aus der Sicht des Beeinträchtigten als Immissionen bezeichnet.<br />

Der Beitrag stellt die klassische „magna carta“ der gesetzlich geregelten Immissionsarten vor und beschreibt<br />

sie näher mit praxisrelevanter Gewichtung anhand ausgewählter Rechtsprechung.<br />

II. Anspruchsschema<br />

Zentrale Vorschriften sind die §§ 862, 906, 910, 1004 BGB. Bei der Ermittlung und Verfolgung nachbarlicher<br />

Ansprüche sind folgende Fragen zu untersuchen:<br />

1. Selbsthilfemöglichkeiten<br />

Insbesondere des Besitzers wegen verbotener Eigenmacht (§ 859 BGB) und des Eigentümers wegen<br />

eindringender Wurzeln und überhängender Zweige (§ 910 BGB), allgemeines Selbsthilferecht gem.<br />

§ 229 BGB.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 847


Fach 7, Seite 520<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

2. Beseitigungsansprüche, Unterlassungsansprüche<br />

• Beeinträchtigung des Eigentums (§ 1004 BGB) oder Störung des Besitzes (§ 862 BGB)?<br />

• Anspruchsberechtigter?<br />

• Anspruchsverpflichteter?<br />

• Sind die Beeinträchtigungen nach § 906 Abs. 1 BGB oder nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden?<br />

• Duldungspflicht wegen nur unwesentlicher Beeinträchtigung (§ 906 Abs. 1 S. 1 BGB).<br />

• Duldungspflicht bei wesentlichen Beeinträchtigungen in Fällen ortsüblicher Benutzung des anderen<br />

Grundstücks (§ 906 Abs. 2 S. 1 BGB).<br />

• Sonstige gesetzliche Duldungspflichten, z.B. Betreten des Nachbargrundstücks, Gemeingebrauch,<br />

Notwehr, Notstand, Luftraum, Bergbau, Notweg, Notleitungsrechte, sonstige gesetzliche Leitungsrechte,<br />

Überbau, Widmung, nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis.<br />

• Anspruchsbeschränkung oder Anspruchsausschluss durch behördliche Genehmigung, insbesondere<br />

wegen genehmigter Anlagen, immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen, Planfeststellungsverfahren,<br />

Baugenehmigungen, Nachbarunterschrift, sonstiger behördlicher Genehmigungen.<br />

• Anspruchsbeschränkung, weil die öffentliche Hand in Ausübung hoheitlicher Gewalt als Störer<br />

handelt?<br />

• Geht die Beeinträchtigung auf einen lebenswichtigen oder gemeinnützigen Betrieb zurück?<br />

3. Sekundäransprüche<br />

Falls keine Selbsthilferechte oder Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassen einer Beeinträchtigung<br />

bestehen, ist nach Ansprüchen anderer Art zu fragen. In Betracht kommen:<br />

a) Aufwendungsersatzansprüche aus<br />

• Verzug gem. § 286 BGB,<br />

• Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 683 S. 1, 677 BGB bei Handeln im mutmaßlichen Willen des<br />

Geschäftsherrn oder bei dessen entgegenstehendem Willen gem. §§ 683 S. 1, 678, 679 BGB oder<br />

schließlich bei Eigengeschäftsführung aus § 687 Abs. 2 BGB,<br />

• ungerechtfertigter Bereicherung gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 2 BGB,<br />

• Schadensersatz gem. § 823 Abs. 1 u. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz.<br />

b) Entschädigungsansprüche<br />

• Schadensersatz insbesondere aus § 823 Abs. 1 u. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz,<br />

• Entschädigungspflicht wegen hinzunehmender Beeinträchtigungen aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB,<br />

• Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gem. § 906 BGB analog,<br />

• Bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch,<br />

• Öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff (öffentlich-rechtlicher<br />

Folgenbeseitigungsanspruch).<br />

4. Korrektur durch die Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses?<br />

Nur ganz ausnahmsweise können sich aus der Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses<br />

als einer Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 BGB Rechte unter den<br />

Nachbarn ergeben. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben, dass sich<br />

die gegenseitigen Rechte und Pflichten benachbarter Grundeigentümer grundsätzlich aus den gesetzlichen<br />

Bestimmungen des Nachbarrechts ergeben. Dies gelte insbesondere, wenn sie eine ins<br />

Einzelne gehende Sonderregelung erfahren haben. Daher müsse sich die Anwendung der Rechtsfigur<br />

des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf Ausnahmefälle beschränken, deren Besonderheit<br />

einen über die gesetzliche Regelung hinausgehenden billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen<br />

zwingend gebiete. Es gehe nicht an, die gesetzlichen Regelungen des Privatrechts mithilfe des nach-<br />

848 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 521<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

barlichen Gemeinschaftsverhältnisses in ihr Gegenteil zu verkehren (vgl. zuletzt: BGH, Urt. v. 26.10.2018<br />

– V ZR 143/17, juris; BGH NJW 1984, 729, 731; BGHZ 38, 61, 64 f. = NJW 1962, 2341).<br />

5. Verjährung der Ansprüche?<br />

Wie alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche unterliegen auch nachbarrechtliche Ansprüche der Verjährung,<br />

soweit nicht besondere Bestimmungen bestehen (§ 194 Abs. 1 BGB). Ausnahmevorschrift hierzu<br />

ist § 924 BGB. Danach sind die nachbarrechtlichen Ansprüche aus den §§ 907 bis 909, 915, 917 Abs. 1,<br />

918 Abs. 2, 919, 920, 923 Abs. 2 BGB unverjährbar.<br />

Das Selbsthilferecht nach § 910 BGB verjährt nicht, da es sich begrifflich nicht um einen Anspruch i.S.d.<br />

§ 194 BGB handelt, nach dem von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen verlangt werden kann.<br />

Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB verjähren nach §§ 195, 199 BGB in drei Jahren (BGH, Urt. v.<br />

22.2.<strong>2019</strong> – V ZR 136/18, juris).<br />

§ 906 BGB nennt insbesondere folgende Beeinträchtigungen, auf die näher einzugehen ist:<br />

III.<br />

Gase und Dämpfe<br />

1. Das OLG Köln (Urt. v. 3.5.1995 – 2 U 135/94 [n.v.]) verpflichtete einen Eigentümer, die Einfriedung<br />

seines Grundstücks mit imprägnierten Bahnschwellen zu beseitigen. Anspruchsgrundlage war<br />

§ 1004 i.V.m. § 906 BGB. Von den Bahnschwellen gingen Ausdünstungen aus, die krankheitserregende<br />

und krebserzeugende Schadstoffe enthielten. Die Beeinträchtigung war aufgrund der<br />

davon ausgehenden Gesundheitsgefahr wesentlich i.S.v. § 906 BGB. Ob sie dennoch wegen ortsüblicher<br />

Nutzung des Grundstücks gem. § 906 Abs. 2 BGB hinzunehmen war, blieb offen. In jedem<br />

Fall war es wirtschaftlich zumutbar, die Bahnschwellen durch eine andere, gesundheitsunschädliche<br />

Einzäunung des Grundstücks zu ersetzen (Kostenaufwand ca. 12.000 DM).<br />

2. Dagegen wurde der Einsatz von Herbiziden in einem verwilderten Hausgarten für zulässig gehalten<br />

(OLG Köln NuR 1994, 413). Der Einsatz von Unkrautvertilgungsmitteln verstoße in dem erfolgten<br />

Umfang nicht gegen Bestimmungen des Landschaftsschutzrechts. Offen blieb die Prüfung eines<br />

Verstoßes gegen wasserrechtliche Bestimmungen.<br />

3. Entstehen Gase und Dämpfe durch gewerbliche Nutzungen des Nachbargrundstücks, insbesondere<br />

durch Fabrikationsanlagen, so können sich neben immissionsschutzrechtlichen Abwehransprüchen<br />

auch Abwehransprüche aus § 906 BGB i.V.m § 1004 BGB ergeben (vgl. dazu MICHALSKI DB 1991,<br />

1365 ff.).<br />

IV.<br />

Gerüche, Rauch<br />

1. Tierhaltung<br />

Beeinträchtigt der bei der Haltung mehrerer Katzen auf dem Nachbargrundstück entstehende Geruch<br />

saison- und witterungsbedingt das Nachbargrundstück so stark, dass Terrassen und Swimmingpool<br />

nicht mehr benutzt werden können, so ist von einer wesentlichen Geruchsbelästigung auszugehen. Das<br />

OLG München (MDR 1990, 1117) gestand dem beeinträchtigten Nachbarn einen Anspruch auf anderweitige<br />

Unterbringung der Katzen sowie die Unterlassung weiterer Katzenhaltung zu, soweit er nach<br />

§ 906 Abs. 2 BGB nicht zur Duldung verpflichtet war. Eine solche Duldungspflicht bestand allerdings für<br />

die Haltung von zwei Katzen, da eine solche Katzenhaltung ortsüblich war (vgl. allg. zu Problemen bei<br />

der Katzenhaltung im Nachbarrecht BORRMANN/GRECK ZMR 1993, 51 ff.). Anhaltspunkte für die ortsübliche<br />

Nutzung bietet das Bauplanungsrecht. Anlagen für die Kleintierhaltung sind in reinen Wohngebieten<br />

zulässig, soweit sie der Eigenart des Baugebiets nicht widersprechen.<br />

2. Düngung<br />

In ländlicher Gegend ist es zulässig, jahreszeitlich bedingt zur Düngung bestimmten Pferdemist an der<br />

Grenze zum Nachbargrundstück auch dann für einige Tage abzulagern, wenn davon ein übler und<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 849


Fach 7, Seite 522<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

widerwärtiger Gestank ausgeht. Das erkennende AG Neuss (DWW 1990, 310) ging aufgrund der<br />

vorübergehenden und jahreszeitlich beschränkten Ablagerung des Pferdemists nur von einer unwesentlichen<br />

Beeinträchtigung aus (§§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 BGB). Ebenso wurde die Düngung eines<br />

Grundstücks mit Gülle in Regionen, die durch einen hohen Anteil von Unterglaskulturen geprägt sind,<br />

für zulässig gehalten. Das OLG Düsseldorf (NJW-RR 1995, 1482) machte lediglich die Auflage, zur<br />

Vermeidung an Schäden an den Rosenkulturen des Nachbarn die Gülle alsbald in den Boden einzuarbeiten.<br />

Wird allerdings über die reine Düngung hinaus Rindergülle in erheblicher Menge in das Erdreich eingelassen,<br />

so ist der Tatbestand der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung verwirklicht (BayObLG NJW<br />

1989, 1290; einschränkend OLG Celle NJW 1986, 2326).<br />

3. Kompostierung<br />

Grundsätzlich dürfen Komposthaufen angelegt werden. Treten Geruchsbelästigungen auf, so ist zu<br />

prüfen, ob es sich um wesentliche Beeinträchtigungen i.S.d. § 906 BGB handelt. Dies wird gem. § 906<br />

Abs. 1 S. 3 BGB nach der TA-Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) beurteilt. Handelt es<br />

sich danach um eine wesentliche Beeinträchtigung, ist die Ortsüblichkeit i.S.v. § 906 Abs. 2 S. 1 BGB in<br />

einem zweiten Schritt zu prüfen. In ländlichen Bereichen sind landwirtschaftlich-tierische Gerüche<br />

ortsüblich. Danach entfallen Abwehransprüche zumindest dann, wenn bei der Standortwahl des Komposthaufens<br />

so verfahren wurde, dass auf die berechtigten Belange des Nachbarn Rücksicht genommen<br />

wurde. Ob dies möglich ist, kann allerdings bei Grundstücken mit Ziergärten, insbesondere bei sehr<br />

kleinen Reihenhausgrundstücken, fraglich sein. Reicht die Fläche zur Aufnahme des Komposts nicht<br />

aus, so kann es sich bei kompostierfähigen Stoffen um bewegliche Sachen handeln, deren geordnete<br />

Verwertung und Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist.<br />

Damit ist der Abfallbegriff erfüllt, für den der Anschluss- und Benutzungszwang zu den Abfallentsorgungseinrichtungen<br />

eröffnet ist (vgl. aber OVG NRW BBauBl. 1996, 885 [kein Anschluss- und<br />

Benutzungszwang für die Biotonne bei ordnungsgemäßer Kompostierung]). Dann greift § 3 Abs. 7<br />

Nr. 1 KrWG (Kreislaufwirtschaftsgesetz v. 24.2.2012, BGBl I, S. 212 i.d.F. v. 20.7.2017, BGBl I 2808) in<br />

Verbindung mit den Landesgesetzen sowie den Verordnungen der Landesregierungen über die<br />

Beseitigung pflanzlicher Abfälle außerhalb von Abfallbeseitigungsanlagen ein. Als Bioabfälle bezeichnet<br />

erfasst die Norm vor allem Garten- und Parkabfälle. § 11 Abs. 1 KrWG verpflichtet zur Überlassung auch<br />

dieser Abfälle (Anschluss- und Benutzungszwang), es sei denn, kompostierbare Abfälle können fachgerecht<br />

auf dem eigenen Grundstück verwertet, sprich kompostiert werden (§ 17 Abs. 1 S. 1 KrWG). In<br />

diesem Fall ist dennoch ein Befreiungsantrag vom Anschluss- und Benutzungszwang zu stellen und<br />

positiv zu bescheiden, bevor durch Kompostierung auf dem eigenen Grundstück eigenverwertet werden<br />

darf.<br />

Kompostierbar sind Küchen- und Gartenabfälle. Dies hat das OVG NRW (Urt. v. 13.12.1995 – 22 A 1446/95<br />

[n.v.]) nach dem früher geltenden Abfallrecht für Rasenschnitt, Laub, Gehölz, Obst- und Gemüsereste<br />

und sogar für Speise- und Fleischreste bestätigt.<br />

4. Verbrennen von Gartenabfällen<br />

§ 28 Abs. 1 KrWG verweist den Abfallbesitzer auf die ordnungsgemäße Beseitigung und Verwertung<br />

nach dem Grundmodell des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Dazu zählt das Verbrennen pflanzlicher Abfälle<br />

nicht. § 28 Abs. 3 S. 1 und 2 KrWG gibt allerdings den Ländern die Möglichkeit, durch Rechtsverordnung<br />

Ausnahmen zuzulassen, „soweit hierfür ein Bedürfnis besteht und eine Beeinträchtigung des Wohls<br />

der Allgemeinheit nicht zu besorgen ist. Sie können in diesem Fall auch die Voraussetzungen und die Art und Weise<br />

der Beseitigung durch Rechtsverordnung bestimmen.“ Es kommt also grds. auf gesetzte Ausnahmen nach<br />

Landesrecht an (dazu: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.9.2018 – 2 Rb 5 Ss 625/18, juris). Grundsätzlich aber<br />

bleibt mangels landesrechtlicher Sonderregelungen das Verbrennen von Gartenabfällen verboten.<br />

850 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 523<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Auch liegt ein Verstoß gegen §§ 11 Abs. 1, 15 KrWG vor. Ferner kann der Straftatbestand der umweltgefährdenden<br />

Abfallbeseitigungen (§ 326 StGB) auch beim Verbrennen von Hausmüll, der nicht zum<br />

Sondermüll gehört, verwirklicht sein. Allerdings muss durch das Verbrennen die Umwelt nachhaltig<br />

verunreinigt werden. Die bloße Belästigung von Anwohnern durch das Verbrennen von Holz und<br />

Papierabfällen oder Plastikbestandteilen erfüllt den Tatbestand nicht (OLG Zweibrücken NJW 1988,<br />

3029 f.).<br />

Die ehemals für Pflanzenabfälle geltenden Pflanzen-Abfallverordnungen der Länder, die das Verbrennen<br />

grds. gestatteten, sind nahezu flächendeckend aufgehoben worden (vgl. z.B. die am 31.3.2014 außer Kraft<br />

getretene „BrennVO“ für Niedersachsen vom 2.1.2004). Soweit sie noch in einzelnen Bundesländern<br />

gelten, dürfen brennbare Zusätze, wie Mineralöle, Mineralölprodukte oder Verpackungsrückstände,<br />

nicht zugesetzt werden. Ausnahmen können bestehen, wenn die Ortssatzung für das Entsorgen von<br />

pflanzlichen Abfällen einen Anschluss- und Benutzungszwang an Entsorgungseinrichtungen der<br />

Gemeinde vorsieht (vgl. hierzu aber OVG NRW BBauBl. 1996, 885 [s. 3.b]). Ansonsten gestatten die<br />

Pflanzen-Abfallverordnungen, soweit sie noch gelten, das Verbrennen von Kleingartenabfällen<br />

(pflanzliche Abfälle in geringen Mengen, die im Haus und Kleingarten anfallen) an Werktagen einmal<br />

täglich höchstens zwei Stunden lang. Zuwiderhandlungen sind bußgeldbewehrt (OLG Düsseldorf NuR<br />

1994, 151). In diesem Bereich ist auch die Prüfung von Abwehr- und Beseitigungsansprüchen nach<br />

§§ 906, 1004 BGB eröffnet.<br />

5. Grillen<br />

Grundsätzlich ist auch der beim Grillen im Garten entstehende Rauch nach den genannten Vorschriften<br />

abwehrbar (s. 4), wenn der entstehende Qualm in die Wohnräume unbeteiligter Nachbarn eindringt<br />

und sich eine erhebliche Belästigung durch verbotenes Verbrennen von Gegenständen im Sinne des<br />

Landesimmissionsschutzrechtes ergibt (vgl. dazu OLG Düsseldorf ZMR 1995, 415 = NVwZ 1995, 1034 [zu<br />

§ 7 Abs. 1 ImSchG NW]).<br />

Die Rechtsprechung hat unterschiedliche Voraussetzungen für erlaubtes Grillen im Freien entwickelt. So<br />

darf in der Zeit von April bis September einmal monatlich auf Balkonen und Terrassen gegrillt werden,<br />

wenn die Nachbarn, deren Belästigung durch Rauchgase unvermeidlich ist, 48 Stunden vorher darüber<br />

informiert werden (AG Bonn WuM 1997, 325 f.). Das LG Stuttgart (ZMR 1996, 624 f.) schränkte die<br />

„erlaubte Grillfrequenz“ auf drei Termine pro Jahr ein (vgl. auch OLG Oldenburg Oldenburg, Urt. v.<br />

29.7.2002 – 13 U 53/02, juris: Grillen bis zu viermal im Jahr erlaubt).<br />

Schließlich das OLG Düsseldorf: Dringt der beim Grillen im Freien entstandene Qualm in die Wohn- und<br />

Schlafräume unbeteiligter Nachbarn in konzentrierter Weise ein, so stellt dies eine erhebliche Belästigung<br />

der Nachbarn durch verbotenes Verbrennen von Gegenständen i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 LImSchG<br />

NW dar (DWW 1995, 255 f.). Verfährt so ein Mieter auch nach Abmahnung durch den Vermieter weiter,<br />

darf ihm fristlos gekündigt werden (LG Essen, Urt. v. 7.2.2002 – 10 S 438/01, ZMR 2002, 597).<br />

6. Betrieb offener Kamine<br />

Gemäß § 24 BImSchG i.V.m. § 4 Abs. 3 S. 1 der 1. BImSchV (v. 26.1.2010, BGBl I, S. 38 i.d.F. v. 13.6.<strong>2019</strong>,<br />

BGBl I, S. 804) dürfen offene Kamine nur „gelegentlich“ betrieben werden. Das OVG Koblenz (NVwZ 1992,<br />

280 f.) präzisiert dies dahin, dass ein offener Kamin bei Beeinträchtigungen des Nachbarn durch Gerüche<br />

und durch Rauch behördlich auf acht Tage pro Monat für jeweils fünf Stunden beschränkt werden<br />

könne. Dabei zähle als offener Kamin auch ein Kamin, der mit geschlossenem Feuerraum betrieben<br />

werden könne.<br />

V. Geräusche, Lärm<br />

1. Rasenmähen<br />

Die Verordnung zur Einführung der Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung vom 29.8.2002,<br />

BGBl I 2002, S. 3478 ff. bestimmt – bußgeldbewehrt – Obergrenzen für das Maß der Lärmeinwirkung<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 851


Fach 7, Seite 524<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

und legt die Arbeitszeiten fest. Gemäß § 906 Abs. 1 S. 2 BGB sind die dort niedergelegten Werte<br />

Richtschnur dafür, wann von einer unwesentlichen oder einer wesentlichen Beeinträchtigung auszugehen<br />

ist. Denn die Verordnung legt fest, welcher Rasenmäherlärm in welchen Arbeitszeiten noch<br />

zulässig ist und wann eine Ordnungswidrigkeit vorliegt. Neben allen motorbetriebenen Gartengeräten<br />

wie z.B. Rasenmäher, Rasentrimmer, Freischneider, Heckenscheren, Kettensägen und Hochdruckreinigern<br />

gilt die Verordnung auch für Baumaschinen wie Betonmischer, Bohrmaschinen oder Kreissägen.<br />

Insgesamt sind 57 verschiedene Geräte und Maschinentypen erfasst. Danach gilt: Die genannten<br />

Geräte und Maschinen dürfen zwischen 7.00 und 20.00 Uhr betrieben werden. Seit dem Jahre 2006<br />

dürfen Rasenmäher je nach Nutzleistung einen Lärmgrenzwert zwischen 94 und 103 Dezibel (A) nicht<br />

mehr überschreiten. Nicht erlaubt ist die Benutzung ganztägig an Sonn- und Feiertagen (zur Verwendung<br />

von „Rasen-Robotern“ im Dauerbetrieb nur außerhalb der Ruhezeiten vgl. AG Siegburg, Urt. v.<br />

19.2.2015 – 118 C 97/13, IMR 20<strong>16</strong>, S. 24 = NZM 20<strong>16</strong>, 526). Für Laubbläser, Laubsammler und eine Reihe<br />

weiterer Geräte gibt es außerdem zusätzliche Ausschlusszeiten. Sie dürfen nur zwischen 9.00 und<br />

12.00 Uhr sowie zwischen 14.00 und 17.00 Uhr benutzt werden. Dies bezieht sich allerdings nur auf<br />

ausgewiesene Wohngebiete.<br />

Für Handrasenmäher und alle anderen nicht motorbetriebenen Gartengeräte gilt diese Verordnung<br />

nicht:<br />

Handrasenmäher können sowohl an Sonn- und Feiertagen sowie werktags in der Zeit von 7 bis 20 Uhr<br />

benutzt werden. Andere Gesetze und Verordnungen sowie kommunale Satzungen können die Geräteund<br />

MaschinenlärmVO überlagern. So finden sich häufig Regelungen über die Mittagsruhe. Regelungen<br />

über die Einhaltung der Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr finden sich in Hamburg (Verordnung zur<br />

Bekämpfung gesundheitsgefährdenden Lärms [LärmVO] v. 6.1.1981, HmbgVBl. S. 4, § 3 Abs. 2 speziell<br />

für Motorrasenmäher), Hessen (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung<br />

[HSOG] i.d.F. v. 14.1.2005, gültig ab dem 8.1.2007 bis zum 31.12.2009; früher Gefahrenabwehrverordnung<br />

gegen Lärm [LärmVO] v. <strong>16</strong>.6.1993, Hessisches GVBl. I, S. 257, § 3 Abs. 2, S. 1.) und für<br />

Rheinland-Pfalz auf landesgesetzlicher Ebene. Auch kommunale Satzungen können die Anordnung<br />

von Mittagsruhe enthalten. Schließlich sind für Mietverhältnisse die Hausordnungen als Bestandteil<br />

der Mietverträge zu nennen sowie für Wohnungseigentumsverhältnisse ebenfalls die Haus- und Gemeinschaftsordnungen<br />

oder entsprechende Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft. Eine<br />

Erkundigung beim zuständigen Ordnungsamt gibt darüber Aufschluss. Im Zweifel sollte daher über<br />

den reinen Wortlaut der Geräte- und MaschinenlärmVO hinaus auch die Mittagszeit zwischen 13 und<br />

15 Uhr als Ruhezeit beachtet werden.<br />

Die Verletzung der Vorschriften ist eine Ordnungswidrigkeit und rechtfertigt das Einschalten der Polizei.<br />

Verstöße können als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (Geldbußen bis zu 50.000 €).<br />

2. Partylärm<br />

Der Inhaber der Wohnung ist dafür verantwortlich, dass von einer dort veranstalteten Geburtstagsfeier<br />

kein Lärm ausgeht, der die Nachtruhe zu stören geeignet ist. Das Grundrecht auf freie Entfaltung der<br />

Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) gibt dem Wohnungsinhaber nicht das Recht, „einmal im Monat durch<br />

lautstarkes Feiern die Nachtruhe zu stören“ (OLG Düsseldorf NJW 1990, <strong>16</strong>76).<br />

Für Gartenpartys gilt das Gebot der Rücksichtnahme. Dies trifft insbesondere auf alte und kranke<br />

Menschen zu, kann sich aber auch aufgrund einer engen Bebauung ergeben.<br />

Eine Störung der Nachtruhe durch Lärm bei Gartenpartys ist auch nicht „ausnahmsweise“ zu gelegentlichen<br />

persönlichen, beruflichen oder familiären Feiern zulässig. Die Lärmbelästigung kann mit jedem<br />

Beweismittel, insbesondere auch durch die Vernehmung der betroffenen Nachbarn, bewiesen werden.<br />

Es ist nicht erforderlich, dass eine technisch bezifferte Maßgabe vorgelegt wird. Der Veranstalter einer<br />

Gartenparty ist für jeden Lärm verantwortlich, der dabei entsteht, auch wenn nicht er selbst, sondern die<br />

Gäste Verursacher sind (OLG Düsseldorf ZMR 1995, 415 = NVwZ 1995, 1034).<br />

852 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 525<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

3. Wohngebrauch<br />

a) Radiogeräusche<br />

Radiogeräusche von der Nachbarterrasse in einer Reihenhausanlage sind bereits dann unzulässige<br />

Immissionen i.S.v. §§ 906, 1004 BGB, wenn sie ihrer Art nach deutlich wahrnehmbar sind. Auf<br />

bestimmte technische Messwerte kommt es nicht an (OLG München MDR 1991, 1064 = NJW-RR 1991,<br />

1492). Erst recht unzulässig ist die gezielte Terrorisierung des Nachbarn durch ein eingemauertes Radio<br />

in der Grenzwand. Diesen Sachverhalt wertete das AG Ratingen (DWW 1989, 394) zusätzlich als<br />

vorsätzliche Körperverletzung.<br />

Fernseher, Radio, Tonbandgeräte, CD-Spieler und sonstige in der Lautstärke regelbare Musikinstrumente<br />

dürfen nur mit Zimmerlautstärke (zum Begriff vgl. LG Dortmund, Urt. v. 11.7.2017 – 1 S 282/<strong>16</strong>,<br />

IMR 2018, 42) betrieben werden, damit die übrigen Hausbewohner nicht gestört werden. Auch dies<br />

entspricht dem Gebot der Rücksichtnahme im Nachbarrecht. Verletzungen führen zu Unterlassungsansprüchen<br />

gem. § 1004 BGB (AG Rheinberg DWW 1990, 152; LG Dortmund, Urt. v. 11.7.2017, a.a.O.)<br />

und zu Bußgeldpflichten. Dabei kann auch zulässiger Lärm (Musikhören in der Wohnung) ordnungswidrig<br />

sein, wenn er ein nach den Umständen vermeidbares Ausmaß annimmt (Beschallung der<br />

ganzen Straße bei weit geöffneten Fenstern; AG Zweibrücken, Urt. v. 29.10.2018 – 1 OWi 4235 Js 7742/<br />

18, IMR <strong>2019</strong>, 77).<br />

b) Musikausübung<br />

Spielen eigener Instrumente oder das Abspielen von Tonträgern unterliegt ebenfalls dem Gebot der<br />

Rücksichtnahme. Daraus kann sich ergeben, dass zeitliche Beschränkungen in Bezug auf die Dauer und<br />

die Tageszeit der Musikausübung entstehen (z.B. LG Nürnberg-Fürth DWW 1992, 18 [für das Schlagzeugspiel]).<br />

Die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zieht Abwehransprüche gem. §§ 1004,<br />

906 BGB nach sich und kann im Extremfall sogar zu Schmerzensgeldansprüchen führen (AG Dortmund,<br />

Urt. v. 6.9.1993 – 122 C 6541/93 [n.v.]; zu Lärmbeeinträchtigungen durch Profimusiker, dem die Erlaubnis<br />

zum Musizieren im Mehrfamilienhaus erteilt wurde: LG Saarbrücken, Urt. v. 17.7.2015 – 10 S 203/14, NZM<br />

2015, 694; zum Trompetenspiel im benachbarten Reihenhaus durch einen Profimusiker: BGH, Urt. v.<br />

26.10.2018 – V ZR 143/17, IMR <strong>2019</strong>, 34 = NJW <strong>2019</strong>, 773 – zulässig bei zeitlicher Begrenzung und räumlich<br />

schonender Ausübung).<br />

c) Sanitäre Einrichtungen<br />

Auch die Benutzung von Wasserinstallationen und sanitären Einrichtungen in einem Stadtreihenhaus<br />

mit gemeinsamer Grenzmauer kann für den Nachbarn eine unzumutbare beeinträchtigende Lärmeinwirkung<br />

darstellen (OLG Karlsruhe DWW 1991, 218 = NJW-RR 1991, 1491). Dies gilt z.B. für ausgiebiges<br />

mitternächtliches Baden und Duschen, wenn es einschließlich des Ein- und Ablaufens des Wassers<br />

länger als 30 Minuten dauert (OLG Düsseldorf NJW 1991, <strong>16</strong>25).<br />

d) Garagentor<br />

Durch geräuschvolles Öffnen der Garagentore darf die Nachtruhe (22 bis 6 Uhr) nicht gestört werden.<br />

Dies gilt auch, wenn die Verursachung des Lärms konstruktionsbedingt durch das Garagentor erfolgt. In<br />

diesen Fällen darf die Garage nicht benutzt werden (OLG Düsseldorf ZMR 1991, 348).<br />

e) Fahrzeugmotor<br />

Ebenso dürfen Fahrzeugmotoren nicht unnötig laufengelassen werden (§ 30 StVO). Betriebsbedingtes<br />

Laufen im Stand von etwa einer Minute verletzt die Vorschrift nicht, auch nicht das Laufenlassen des<br />

Dieselmotors eines Taxis für einige Minuten, um das Fahrzeug zu beheizen. Dagegen wird das nächtliche<br />

Laufenlassen eines Lkw-Dieselmotors regelmäßig nicht zulässig sein. Ebenso muss beim Verlassen<br />

eines Lkw durch den Fahrer von mehr als einer Minute der Motor abgestellt werden. Das Laufenlassen<br />

des Motors bei winterlichem Klima zur Erwärmung oder zur Enteisung der Scheiben ist nicht betriebsbedingt<br />

und damit verboten.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 853


Fach 7, Seite 526<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

f) Alarmsirenen<br />

Außenwand-Alarmsirenen sind bei erheblichen Störungen Dritter grds. unzulässig (OLG Schleswig ZMR<br />

1980, 146 f.). Dies gilt nicht für Feuerwehrsirenen, solange dadurch nicht der Einbau von Schallschutzfenstern<br />

für den Nachbarn notwendig wird. Davon ist aber auszugehen, wenn der Lärm außen 97 dB (A)<br />

und in den Räumen 73 dB (A) erreicht (BayVGH BayVBl. 1986, 690, 691; BVerwG NJW 1988, 2396).<br />

4. Altglascontainer<br />

Altglascontainer sind im Wohngebiet grds. zulässig, ihre Aufstellung und die mit ihrer ordnungsgemäßen<br />

Benutzung verbundenen, durch baulich technische Maßnahmen nicht weiter vermeidbaren<br />

Geräuschimmissionen sind also nicht erhebliche Belästigungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG und<br />

als unwesentliche Beeinträchtigung i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB anzusehen, damit also von den Bewohnern<br />

eines allgemeinen oder reinen Wohngebiets grundsätzlich hinzunehmen.<br />

Nicht dulden müssen die Anwohner solche Geräuschimmissionen, die sich aus einer Benutzung der<br />

Container unter Verstoß gegen die zum Schutz der Wohn- und Nachtruhe der Nachbarschaft festgelegten<br />

Benutzungszeiten ergeben. Diese Störungen sind der jeweiligen Gemeinde zuzurechnen, da<br />

diese durch die Aufstellung der Container die adäquat-kausale Ursache für deren missbräuchliche Benutzung<br />

gesetzt hat. Hieraus erwächst eine Pflicht zur Überwachung und zum Einschreiten, um die<br />

verbotswidrige Benutzung der Container mit den verfügbaren und zumutbaren Mitteln zu unterbinden<br />

(VG Köln DWW 1994, 214 = NVwZ 1993, 401).<br />

5. Glockenspiel und Geläut<br />

Der Grundstücksnachbar einer in einem Baugebiet allgemein zulässigen kirchlichen Anlage hat die mit<br />

deren Benutzung üblicherweise verbundenen (Lärm-)Beeinträchtigungen grds. hinzunehmen (BVerwG<br />

BauR 1992, 491). So kann von der Kirchengemeinde nicht verlangt werden, dass das seit Jahrzehnten<br />

übliche Zeitschlagen der Kirchenglocken während der Nachtzeit unterbleibt (OVG Hamburg BauR 1992,<br />

356 = MDR 1992, 485; a.A. BVerwG BauR 1993, 328 = DVBl. 1992, 1234, wonach das Zeitschlagen von<br />

Kirchturmuhren während der Nachtzeit [22 bis 6 Uhr] grds. den allgemein geltenden Anforderungen des<br />

Immissionsschutzrechtes unterliegt; vgl. auch BVerwG DÖV 1994, 1011 = DVBl. 1994, 742 = NJW 1994, 956<br />

[zur Frage, welcher Rechtsweg für eine Nachbarklage gegen das Zeitschlagen von Kirchenglocken<br />

geben ist]). Der VGH München (BauR 1995, 77) hat festgestellt, dass das nichtliturgische Mittag- und<br />

Abendläuten von einer Kapelle im Außenbereich gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen kann (vgl.<br />

zur Zulässigkeit eines jeweils kurzfristigen privaten Glockenspiels: AG Solingen, Urt. v. <strong>16</strong>.4.2014 – 13 C<br />

278/13 oder Glockengeläuts vom Rathausturm: OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.8.2018 – 4 U 17/18, IMR 2018,472,<br />

jeweils zulässig).<br />

6. Tierlärm<br />

Auch der Tierlärm spielt im Nachbarrecht eine große Rolle. Das Krähen von Hähnen wurde als<br />

wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks i.S.v. §§ 906, 1004 BGB gewertet (LG Ingolstadt<br />

NJW-RR 1991, 654; vertiefend GAISBAUER DWW 1993, 192 f.). Dies gilt im Grundsatz auch für Kuhglocken<br />

(AG Landau NJW-RR 1992, 277; einschränkend VGH Mannheim ZMR 1996, 401; vertiefend GAISBAUER ZMR<br />

1997, 561 f.). Auch Jaulen, Winseln oder das Gebell von Hunden kann eine wesentliche Beeinträchtigung<br />

darstellen (OLG Brandenburg, Urt. v. 8.6.2017 – 5 U 115/15, NZM 2018, 238). Der Hundehalter muss in<br />

diesen Fällen sicherstellen, dass vor 7 Uhr morgens, zwischen 13 und 15 Uhr mittags und nach 22 Uhr<br />

keine Geräuschimmissionen durch Hundegebell auf das Nachbargrundstück einwirken (OLG Köln MDR<br />

1993, 1083; LG Mainz DWW 1996, 50 [für ländliche Gegenden]). Dem tritt das OLG Düsseldorf (NJW-RR<br />

1995, 542) mit dem Hinweis entgegen, der Nachbar habe keinen Anspruch, dass zu bestimmter Zeit<br />

jegliches Gebell eines Hundes unterbunden werde (a.A. und im Sinne der erstgenannten Auffassung OLG<br />

Hamm NJW-RR 1990, 335). Auch das schrille, über Stunden andauernde Pfeifen eines Graupapageis<br />

übersteigt ortsübliche Lärmbelästigungen durch Tiere erheblich und muss nicht hingenommen werden<br />

(OLG Düsseldorf NJW 1990, <strong>16</strong>77); ggf. hat der Tierhalter dafür zu sorgen, dass Ruhezeiten eingehalten<br />

werden. So entschied das LG Nürnberg-Fürth (Urt. v. 13.6.1995 – 13 S 9530/94 [n.v.]), dass das Pfeifen<br />

eines Rosenköpfchens (papageiähnlicher Vogel) in der Zeit von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis <strong>16</strong> Uhr zu<br />

854 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 527<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

dulden, wohingegen in den Abend- und Morgenstunden sowie zur Mittagszeit der Anspruch des<br />

Nachbarn auf Ruhe vorrangig sei.<br />

Aber nicht nur das Nachbarrecht ist einschlägig, sondern auch das Bauplanungsrecht, wenn die Tierhaltung<br />

den Gebietscharakter verletzt. So sieht das OVG Münster (Urt. v. 8.1.2014 – 2 B 1196/13, in NJWaktuell<br />

Heft 19/2014, S. 10) in der Haltung von neun Kakadus, übrigens von ihrer Gestalt her der Gattung<br />

der Kleintiere zuzuordnen, in einem reinen Wohngebiet eine unübliche Nutzung.<br />

Zur Lärmeinwirkung durch Frösche im benachbarten Gartenteich äußerte sich die Rechtsprechung<br />

mehrfach (BGH MDR 1993, 868 f. = GE 1993, 254 ff.; OLG München DWW 1991, 107 = MDR 1991, 971). Die<br />

Fälle weisen die Besonderheit auf, dass öffentlich-rechtlicher Naturschutz und nachbarrechtliche<br />

Abwehransprüche zusammentreffen und zu gegenteiligen Wertungen führen können. Jedenfalls massive<br />

Störungen der Nachtruhe durch Froschlärm sind nicht zumutbar. Auch wenn das Froschgequake<br />

aufgrund öffentlichen Rechts – vordringlich des Naturschutzes – zu dulden ist, sind dadurch nachbarrechtliche<br />

Ausgleichsansprüche gem. §§ 906, 1004 BGB nicht ausgeschlossen. Derartige Abwehransprüche<br />

sind bei dem Gequake eines einzelnen Froschs nicht gegeben.<br />

7. Kinderlärm<br />

Der BGH (NJW 1993, <strong>16</strong>56 = MDR 1993, 541) fordert auch in reinen Wohngebieten von den Nachbarn<br />

eine erhöhte Toleranz gegenüber Lärm als Begleiterscheinung kindlichen und jugendlichen Freizeitverhaltens,<br />

als sie generell in reinen Wohngebieten üblich ist.<br />

Auf dieser Linie liegt auch eine Entscheidung des BayVGH (Urt. v. 21.12.1994 – 22 B 93.2343 = Lärmbekämpfung<br />

1995, 145). Danach ist Kinderlärm, der in einem allgemeinen Wohngebiet von einem<br />

Kinderspielplatz ausgeht, dem Nachbarn unabhängig davon zumutbar, ob der den Nachbarn „wesentlich“<br />

i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB beeinträchtigt oder die Richtwerte für Wohngebiete nach der TA-Lärm<br />

(vom <strong>16</strong>.7.1968 – Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 137 vom 26.7.1968) erheblich übersteigt. Daher ist der<br />

Betreiber eines Spielplatzes nicht verpflichtet, Maßnahmen zur Schallminderung zu ergreifen, auch<br />

wenn dies ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Abweichendes gilt nur, wenn der Betreiber den<br />

Spielplatz rücksichtslos in einer Weise gestaltet, dass die Interessen der Nachbarn willkürlich missachtet<br />

werden. Dies liegt nach Auffassung des Gerichts nur vor, wenn der Betreiber für die konkrete Gestaltung<br />

überhaupt keine Begründung anführen kann. Immerhin noch auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte stellt<br />

das OVG Berlin ab (GE 1994, 860). Sofern dies dem Nachbarn noch zumutbar sei, könne der Eigentümer<br />

grds. einen Spielplatz dort anlegen, wo es ihm angemessen erscheine.<br />

§ 22 Abs. 1a BImSchG nimmt Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen<br />

wie beispielsweise Ballspielplätze von dieser Wertung aus: Lärm, der dort durch Kinder hervorgerufen<br />

wird, ist im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen<br />

dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden. Diese Wertung kann<br />

auch bauplanungsrechtlich über den Gebietserhaltungsanspruch nicht umgangen werden. Denn<br />

Kindertagesstätten sind auch im reinen Wohngebiet zulässig (VGH Hessen, Beschl. v. 25.2.2017 – 3B<br />

107/17, NZM 2018, 255 = DWW 2017, 231).<br />

Besonders einzugehen ist auf Kinderlärm innerhalb eines Mehrfamilienhauses. Wenn auch hier durchgängig<br />

ein erhöhtes Maß an Toleranz von den Nachbarn/Mitmietern gefordert wird, so beschränkt sich<br />

doch das Maß auf Kinderlärm in sozial adäquater Form. Das betrifft die Ruhezeiten genauso wie die Art<br />

des produzierten Lärms. So müssen Nachbarn den von einer Familie mit kleinen Kindern ausgehenden<br />

Lärm nicht grenzenlos hinnehmen, wenn Frequenz, Lautstärke und die Zeiten der Lärmentfaltung nicht<br />

mehr im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnnutzung oder einer hinzunehmenden lebhaften<br />

Lebensäußerung von Kindern stehen (AG München, Urt. v. 4.5.2017 – 281 C 17481/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 456; BGH,<br />

Beschl. v. 22.8.2017 – VIII ZR 226/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 19; BGH, Urt. v. 29.4.2015 – VIII ZR 197/14, juris; zu den<br />

Grenzen der Toleranz ggü. Kinderlärm im Mehrfamilienhaus: NIERHAUVE, ZMR 2018, 298).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 855


Fach 7, Seite 528<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

8. Sportanlagen, Gaststätten, Vereinsheime, Volksfeste<br />

Aus Platzgründen muss eine detaillierte Abhandlung dieser Bereiche entfallen. Die angegebenen Quellenhinweise<br />

dienen zur Vertiefung:<br />

• Zum Lärm von Sportanlagen: BGH, Urt. v. 29.4.2015 – VIII ZR 197/14 „Bolzplatzentscheidung“ zur<br />

Mietminderung; OLG Naumburg, Urt. v. 23.11.2015 – 12 U 184/14 zum Aufschlag von Bällen auf das<br />

eigene Grundstück; BVerwG ZfBR 1989, 127; BVerwG JZ 1990, 347 = NVwZ 1990, 858; OLG Koblenz<br />

NVwZ 1993, 301; VGH München NVwZ 1993, 1006 = ZMR 1993, 298; OLG Köln MDR 1991, 1065 = VersR<br />

1991, 1294; OVG Berlin BauR 1994, 346 = DWW 1993, 300; VG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 5.8.2011 –<br />

3 K 1170/11, juris zur Schließung einer Minigolfanlage wegen überschrittener Immissionswerte nach<br />

der Richtlinie für Freizeitlärm; VGH Bayern, Urt. v. 6.2.2015 – 22 B 12.269; VGH Bayern, Urt. v.<br />

31.3.2006 – 22 B 05.<strong>16</strong>83 zum Abwehranspruch im Falle nicht bestimmungsgemäßer Nutzung.<br />

• Zum Gaststättenlärm: OLG Karlsruhe MDR 1992, 483; VGH München NVwZ 1996, 1031.<br />

• Zum Lärm aus Vereinsheimen: LG Hamburg, Urt. v. 13.12.2017 – 321 S 65/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 391.<br />

• Zu Volksfesten: OLG Zweibrücken DWW 1991, 305; OLG Köln DWW 1991, 187; BGH DÖV 1990, 698 =<br />

MDR 1990, 706 = ZMR 1990, 262; für Karnevalsveranstaltungen: AG Köln DWW 1997, 157; zum<br />

angenommenen öffentlichen Bedürfnis für ein Abweichen vom gesetzlichen Schutz der Nachtruhe<br />

bei historisch oder kulturell motivierten Gemeindeveranstaltungen: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v.<br />

9.8.2017 – 11 A 1.<strong>16</strong>, IMR 2018, 128.<br />

Hinweis:<br />

Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Sportanlagen-Lärmschutzverordnung (v. 18.7.1991, BGBl I, S. 1588,<br />

ber. S. 1790 i.d.F. v. 1.6.2017, BGBl I, S. 1468), die über § 906 Abs. 1 S. 2 BGB zur Beurteilung einer Beeinträchtigung<br />

als wesentlich heranzuziehen ist (vgl. hierzu DAHMEN <strong>ZAP</strong> F. 19 S. 851; SPINDLER-SPINDLER NVwZ<br />

1993, 225). Ebenso sind einschlägig das Gaststättengesetz des Bundes in Verbindung mit den Gaststättenverordnungen<br />

der Länder, schließlich die Freizeitlärm-Richtlinie – Stand 6.3.2015 (abrufbar unter<br />

https://www.lai-immissionsschutz.de/documents/freizeitlaermrichtline_1503575715.pdf insbesondere Nr. 4.4 als<br />

Orientierungshilfe).<br />

9. Fluglärm<br />

Einschlägig für die Bewertung des Fluglärms sind zunächst §§ 29b f. LuftVG (BGBl I 2007, S. 698) und das<br />

Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluLärmG, BGBl I 2007, S. 2550). Konkrete Immissionen müssen<br />

zusätzlich auch anhand der tatsächlichen und örtlichen Verhältnisse geprüft werden (BVerwGE 128, 358;<br />

BVerwG, Beschl. v. 7.12.1998 – 11 B 46.98).<br />

Der BGH (NJW 1993, 1700 und Beschl. v. 20.9.2001 – III ZR 210/00, juris) gibt einen öffentlich-rechtlichen<br />

Entschädigungsanspruch wegen Fluglärms, wenn die hoheitliche Beeinträchtigung nicht untersagt<br />

werden kann, sie sich als ein unmittelbarer Eingriff in benachbartes Eigentum darstellt und die Grenze<br />

dessen überschreitet, was ein Eigentümer aufgrund der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 BGB<br />

noch entschädigungslos hinnehmen muss. Dabei ist die Zumutbarkeitsschwelle im enteigungsrechtlichen<br />

Sinne für Verkehrslärm in Wohngebieten bei 70 bis 75 dB am Tag und bei 60 bis 65 dB in der Nacht<br />

anzusetzen.<br />

10. Schießlärm<br />

Ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch in Verbindung mit einer Bewertung aus dem<br />

Grundgedanken in § 906 BGB wird auch bei unzumutbarem Schießlärm eines benachbarten Truppenübungsplatzes<br />

anerkannt (BVerwG NVwZ 1991, 886). Dies gilt für Erweiterungen des Schießplatzes<br />

mit einhergehender Lärmbeeinträchtigung über das bisherige Maß hinaus. Der Eigentümer kann allerdings<br />

nicht verlangen, dass der Betrieb des Schießplatzes generell auf ein ihn nicht mehr wesentlich<br />

beeinträchtigendes Maß zurückgeführt wird, wenn er bereits in Kenntnis des benachbarten Schießplatzes<br />

das Grundstück gekauft oder bebaut hat.<br />

856 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 529<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

11. Asylanten- und Flüchtlingsunterkunft<br />

In bauplanungsrechtlicher Hinsicht ist zunächst auf §§ 13, 13 a Abs. 1, 33, 246 Abs. 10 S. 1 BauGB sowie auf<br />

das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen<br />

vom 20.11.2014 (BGBl I S.1748) hinzuweisen. Genauso wie Gebetshäuser oder Moscheen sind diese<br />

Unterkünfte in allgemeinen Wohngebieten ebenso zulässig wie in einem Mischgebiet (VG Koblenz, Urt.<br />

v. 26.2.2015 – 1 K 137/14. KO).<br />

Anwohnerklagen wegen Lärmbelästigungen im näheren Bereich der Unterkünfte drängen zu Fragen<br />

des Nachbarschutzes (dazu OVG Hamburg, Beschl. v. 30.9.20<strong>16</strong> – 2 BS 110/<strong>16</strong>). Ein Verstoß gegen den<br />

Gebietserhaltungsanspruch liegt weder in der Umnutzung vorhandener Gebäude (z.B. Hotels) als<br />

Asylantenunterkunft noch in deren Neubau (OVG Sachsen, Beschl. v. 28.12.20<strong>16</strong> – 1 B 250/<strong>16</strong>; VG Stuttgart,<br />

Beschl. v. 2.11.20<strong>16</strong> – 2 K 5230/<strong>16</strong>; zum Nachbarschutzes einer Asylantenunterkunft vor Gewerbelärm:<br />

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.6.2017 – 8 S 2507/<strong>16</strong>).<br />

12. Baulärm<br />

Zur Beurteilung des Baulärms als „schädlich“ ist auf die Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm<br />

– Geräuschimmissionen – zurückzugreifen. Sie enthält je nach bauplanungsrechtlicher Lage des betroffenen<br />

Gebiets Emissionsrichtwerte zwischen 45 und 45 dB (A) während des Tags und zwischen 35<br />

und 50 dB (A) für die Nacht zwischen 20 Uhr und 7 Uhr. Enthalten ist auch ein Maßnahmenkonzept zur<br />

Minderung des Baulärms, im Extremfall das Gebot einer Stilllegung von Baumaschinen.<br />

Hier geht es um den Baulärm vom Nachbargrundstück, aus der Quartiersumgebung und um Lärm,<br />

verursacht durch handwerkliche Arbeiten innerhalb von Mehrfamilienhäusern.<br />

Bauarbeiten durch Bauunternehmer dürfen in Mehrfamilienhäusern von montags bis freitags ausgeführt<br />

werden. Handwerker können auf Mittagsruhezeiten von 13 bis 15 Uhr nicht verwiesen werden.<br />

Gesetzliche Vorschriften für derartige Ruhezeiten gibt es nicht. Ihre Grundlage findet sich allenfalls in<br />

Hausordnungen. Diese gelten für Bauhandwerker nicht, da sie nicht Mietvertragspartei sind (OLG<br />

München WuM 1991, 481). Dagegen müssen Mieter, die als Heimwerker selbst Bauarbeiten ausführen,<br />

die gesetzlich und vertraglich vorgegebenen Ruhezeiten beachten.<br />

Ähnlich verhält es sich bei Renovierungsarbeiten oder kleineren handwerklichen Betätigungen durch die<br />

Wohnungsnutzer selbst, wenn sie zu den üblichen Tageszeiten ausgeführt werden. Das gilt auch für<br />

insgesamt länger dauernde Tätigkeiten (hier: zweimonatige Wohnungsrenovierung). Das AG Einbeck<br />

(Urt. v. 3.1.2009 – 2 C 248/08 [n.v.]) entschied, dass die Arbeiten, die regelmäßig werktags zwischen<br />

7.15 Uhr und 17.00 Uhr durchgeführt wurden, den üblichen Gepflogenheiten entsprechen und hinzunehmen<br />

sind. Soweit Arbeiten auch einmal an einem Sonntag durchgeführt wurden, ist dies zwar nicht<br />

akzeptabel, rechtfertigt aber noch keine Mietminderung durch den im Schichtbetrieb arbeitenden<br />

Mieter, zumal die Arbeiten nach entsprechenden Interventionen des Mieters gegenüber den<br />

Handwerkern auch eingestellt wurden.<br />

Der sich gestört fühlende Mieter kann wegen der Bauarbeiten die Miete nicht mindern, wenn der<br />

Baulärm in der Nachbarschaft auf einem anderen Grundstück entsteht, und der Vermieter keine Möglichkeit<br />

hat, diesen Baulärm für den Mieter abzuwenden. Mietminderungen kommen nur dann in<br />

Betracht, wenn auch der Vermieter selbst von seinem Nachbarn für eine wesentliche, aber ortsübliche<br />

Störung einen Ausgleich verlangen kann (BGH, Urt. v. 29.4.2015 – VIII ZR 197/14, NZM 2015, 481). Deshalb<br />

kann sich der Vermieter bei Lärm von einer benachbarten Großbaustelle im Falle fehlender eigener<br />

Abwehrmöglichkeiten auf einen Ausschluss des Minderungsrechts des Mieters berufen (LG München I,<br />

Urt. v. 14.1.20<strong>16</strong> – 31 S 20.691/14, ZMR 20<strong>16</strong>, 290; LG Berlin, Urt. v. 9.2.20<strong>16</strong> – 63 S 177/15, Grundeigentum<br />

Berlin 20<strong>16</strong>, 329; a.A. noch: BayObLG, DWW 1987, 1950 f.; LG Berlin, Beschl. v. <strong>16</strong>.6.20<strong>16</strong> – 67 S 76/<strong>16</strong>, WuM<br />

20<strong>16</strong>, 486; ebenso für erschütterungsbedingte Immissionen aus der Nachbarschaft: OLG Düsseldorf,<br />

NJWE-MietR 1997, 271 f.). Dass ihm keine Abwehrmöglichkeiten zugebilligt werden, muss der Vermieter<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 857


Fach 7, Seite 530<br />

Nachbarliche Immissionen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

allerdings darlegen und beweisen (LG München I, Urt. v. 27.10.20<strong>16</strong> – 31 S 58/<strong>16</strong>, ZMR 20<strong>16</strong>, <strong>16</strong>5; LG Berlin,<br />

Urt. v. 7.6.2017 – 18 S 211/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 223).<br />

13. Verkehrslärm<br />

Planbedingte Zunahmen des Straßenverkehrs stellen lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung des<br />

Straßenanliegers dar (VGH Hessen, Urt. v. 17.8.2017 – 4 C 2760/<strong>16</strong>.N, DWW 2017, 386).<br />

Für Mietverhältnisse gilt nichts anderes. Liegt das Grundstück an einer stark befahrenen Straße, so sind<br />

die Umstände bei Vertragsabschluss ersichtlich, vom Mieter bei dem geplanten Verwendungszweck<br />

berücksichtigt und haben Einfluss in die Mietpreisbildung gefunden. Eine vorhersehbare Zunahme des<br />

Straßenlärms durch steigendes Verkehrsaufkommen wird dann nicht als Fehler gewertet (LG Kleve NJW<br />

1970, 1975). Entscheidend ist auch hier, ob mit dem steigenden Verkehrsaufkommen gerechnet werden<br />

musste (LG Lüneburg WuM 1991, 683).<br />

14. Gewerbelärm<br />

Lärm aus Gewerbe- und Industriebetrieben in der Nachbarschaft ist ebenfalls Basis nachbarlicher<br />

Auseinandersetzungen. Die Zulässigkeit des Gewerbelärms richtet sich dabei nach dem BImSchG und<br />

einer ausführenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift – großtechnische Anleitung zum Schutz gegen<br />

Lärm (TA-Lärm i.d.F. v. 1.6.2017, BAnz AT 8.6.2017 B5). Um mehr Wohnungen auch in unmittelbarer<br />

Umgebung ansässiger Gewerbe- und Industrieanlagen bauen zu können, soll die Lärmmessung jetzt<br />

verändert werden. Gemessen werden soll nicht mehr vor dem geöffneten Fenster draußen, sondern<br />

hinter dem geschlossenen Fenster innen, um festzustellen, ob die Lerneinwirkung aus der Nachbarschaft<br />

noch hinnehmbar ist oder nicht. Damit wird der Gebäudeeigentümer zu höherem Schallschutz<br />

gedrängt. Die Wohnverhältnisse werden verschlechtert, was die störungsfreie Nutzung von<br />

Balkonen, Terrassen und Außenflächen angeht (zur Zulässigkeit eines Betriebs einer Autowaschanlage<br />

auf dem Nachbargrundstück bei bereits bestehender Vorbelastung: OLG Hamm, Urt. v. 28.8.2014 – 24 U<br />

71/13, MDR 2015, 155 – erhöhte Duldungspflichten bei Vorbelastung).<br />

Hinweis:<br />

Vgl. dazu den Beitrag „Negative und ideelle Einwirkungen durch Zustand und Beschaffenheit des<br />

Nachbargrundstücks“ des Autors, demnächst in <strong>ZAP</strong> 22/<strong>2019</strong>.<br />

858 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1367<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Individualarbeitsrecht<br />

Fehlerquellen, Strategie und Taktik im Kündigungsschutzprozess<br />

Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. JOACHIM HOLTHAUSEN, Köln<br />

Inhalt<br />

I. Fehler, Strategie und Taktik<br />

II. Risiken der Kündigung und Streitpotenzial<br />

III. § 4 KSchG, Drei-Wochen-Klagefrist<br />

IV. Richtiger Klagegegner<br />

V. Überschreitung des Schwellenwerts nach<br />

§ 23 KSchG<br />

VI. Klageanträge<br />

1. Streitgegenstand<br />

2. Falsche Antragstellung im Kündigungsschutzprozess,<br />

Antragsänderung<br />

3. Parteiwille als Auslegungsmaßstab<br />

VII. Schleppnetzantrag<br />

VIII. Vertretungsberechtigung, Bestreiten der<br />

Vollmacht (§ 180 Abs. 1 BGB)<br />

IX. Zurückweisung der Kündigung nach<br />

§ 174 BGB<br />

1. Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts,<br />

Heilung oder Genehmigung nicht möglich<br />

2. Sinn und Zweck von § 174 BGB<br />

3. Vollmachtsurkunde (original) oder In-<br />

Kenntnis-Setzen<br />

4. Unverzügliche Zurückweisung nach<br />

§ 174 BGB<br />

X. Schriftform der Kündigung, § 623 BGB<br />

XI. Inhalt des Kündigungsschreibens, Wille zur<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

XII. Probleme beim Zugang der Kündigung<br />

1. Verfügungsgewalt und Möglichkeit<br />

Kenntnis zu nehmen<br />

2. Zugangsvereitelung<br />

3. Darlegungs- und Beweislast für Zugang<br />

XIII. § 626 Abs. 2 BGB, Zwei-Wochen-Frist<br />

XIV. Wechselspiel der Stolperfallen im Materiell-<br />

Rechtlichen<br />

XV. Wiedereinstellungsanspruch<br />

XVI. Diskriminierung, AGG<br />

1. Unwirksamkeit einer diskriminierenden<br />

Kündigung<br />

2. Beweis- und Darlegungslast<br />

XVII. § 54 ArbGG<br />

XVIII. Vergleichsschluss<br />

XIX. Fazit<br />

I. Fehler, Strategie und Taktik<br />

Der Begriff des Fehlers bezeichnet eine irrtümliche Entscheidung oder Maßnahme. Als Strategie wird<br />

ein genauer Plan des eigenen Vorgehens bezeichnet, der dazu dient, ein Ziel zu erreichen, und in dem<br />

man alle Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren<br />

versucht. Unter Taktik versteht der Sprachgebrauch ein aufgrund von Überlegungen im Hinblick auf<br />

Zweckmäßigkeit und Erfolg festgelegtes Vorgehen (vgl. Duden).<br />

Das Erkennen und Vermeiden von Fehlerquellen sowie die richtige Strategie und eine gute Taktik<br />

entscheiden sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers maßgeblich über Erfolg<br />

oder Misserfolg im Kündigungsschutzprozess. Der nachfolgende Beitrag will unter Berücksichtigung<br />

der aktuellen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Denkansätze und Hinweise sowohl zu häufig<br />

auftretenden Fehlerquellen als auch zur Strategie und Taktik im Kündigungsschutzprozess geben.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 859


Fach 17, Seite 1368<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

II. Risiken der Kündigung und Streitpotenzial<br />

Jede Kündigung – sowohl in der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) als auch im Kleinbetrieb (§ 23 KSchG) –<br />

stellt ein Risiko dar und birgt erhebliches arbeitsrechtliches Streitpotenzial.<br />

Nicht nur Formvorschriften, auch Probleme der Vertretung und Bevollmächtigung, Kündigungsfristen<br />

und Sonderkündigungsschutz (vgl. etwa KLEIN, NJW 2017, 852 „Zum Kündigungsschutz schwerbehinderter<br />

Arbeitnehmer nach dem Bundesteilhabegesetz“ sowie BAYREUTHER, NZA 2017, 1145 „Das neue Mutterschutzrecht<br />

im Überblick“), beschäftigen den Arbeitgeber immer wieder aufs Neue. Die Realisierung und der sichere<br />

Nachweis des Zugangs lassen ihn vielfach in der arbeitsrechtlichen Praxis scheitern und der<br />

ordnungsgemäßen, fehlerfreien Anhörung des Betriebsrats wird von ihm oft auch nicht die nötige<br />

Sorgfalt geschenkt. Hinzutreten komplexe Rechtsszenarien, wie etwa bei der außerordentlichen<br />

Verdachtskündigung, die Arbeitgeber trotz der klaren Vorgaben des BAG (vgl. vertiefend zuletzt<br />

ASZMONS, SPA <strong>2019</strong>, 45) schnell an die Grenzen des in der Unternehmenswirklichkeit Machbaren führen.<br />

Die Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erweist sich in Kombination mit der erforderlichen<br />

Anhörung des Arbeitnehmers ebenso wie die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) und das Verfahren der<br />

Massenentlassung (§§ 17, 18 KSchG) als ernst zu nehmender Stolperstein.<br />

Auf Seiten des Arbeitnehmers hingegen wollen die prozessualen/formellen und materiell-rechtlichen<br />

Fehler des Arbeitgebers erkannt und taktisch bestmöglich im eigenen Interesse genutzt werden. Eine<br />

Zurückweisung der Kündigung nach § 174 Abs. 1 BGB hat unverzüglich zu erfolgen und die Klagefrist<br />

von drei Wochen gilt seit dem 1.1.2004 nicht nur für alle Kündigungsschutzklagen. Auch alle anderen,<br />

außerhalb des KSchG geregelten Unwirksamkeitsgründe, wie etwa die Nichtanhörung des Betriebsrats<br />

nach § 102 BetrVG oder die Sittenwidrigkeit einer Kündigung, müssen seit dem 1.1.2004 innerhalb von<br />

drei Wochen seit Zugang der Kündigung gerichtlich geltend gemacht werden. Weitere Themen für den<br />

Arbeitnehmer sind u.a. der Umgang mit einer (unberechtigten) Freistellung, seine (temporäre)<br />

Weiterbeschäftigung im Kündigungsschutzprozess (vgl. hierzu MAAß, Juris AnwZert ArbR 13/2018,<br />

Anm. 1 und dies., Juris AnwZert ArbR 12/2018, Anm. 2) und die (taktische) Geltendmachung und<br />

Durchsetzung von Annahmeverzugsansprüchen, insbesondere im Bereich der variablen Vergütung<br />

(vgl. MEYER, Kündigung im Arbeitsrecht, 2. Aufl., Vorwort).<br />

III. § 4 KSchG, Drei-Wochen-Klagefrist<br />

Im Kündigungsschutzmandat ist sorgsame Eile geboten. Will ein Arbeitnehmer erfolgreich geltend<br />

machen, eine schriftliche Kündigung (§ 623 BGB) sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen<br />

rechtsunwirksam, muss er gem. § 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der<br />

Kündigung Klage auf die Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht<br />

aufgelöst worden ist (vgl. weiterführend HOLTHAUSEN, AnwBl 2006, 688 [690]). Wegen § 13 Abs. 1 S. 2<br />

KSchG gilt diese Frist auch für die Klage gegen eine außerordentliche Kündigung (BAG, Urt. v. 18.12.2014<br />

– 2 AZR <strong>16</strong>3/14, NZA 2015, 635; BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443; BAG, Urt. v.<br />

26.3.2009 – 2 AZR 403/07, NZA 2009, 1146). Wird die Unwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig<br />

geltend gemacht, gilt sie gem. § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene<br />

Kündigungsschutzklage muss als unbegründet abgewiesen werden (BAG, Urt. v. 18.12.2014 – 2 AZR <strong>16</strong>3/<br />

14, a.a.O.; BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, a.a.O.).<br />

Praxistipps:<br />

Die gebotene Eile bei der Erhebung der Kündigungsschutzklage entbindet den Anwalt mit Blick auf seine<br />

Haftung nicht von einer sorgfältigen Prüfung von Angaben des Mandanten bzgl. sog. Rechtstatsachen.<br />

Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Anwaltshaftung (vgl. BGH 14.2.<strong>2019</strong> – IX ZR 181/17, NJW<br />

<strong>2019</strong>, 1151) darf der Rechtsanwalt Angaben seines Mandanten, die den Zugang einer Kündigung betreffen,<br />

nicht kritiklos seinem weiteren Vorgehen zugrunde legen. Vielmehr muss er sich selbst unter<br />

Heranziehung der maßgeblichen rechtlichen Grundsätze Klarheit darüber verschaffen, wann etwa das<br />

Kündigungsschreiben als zugegangen anzusehen ist. Ein belastbares Fristenmanagement und eine<br />

umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie deren aussagekräftige Dokumentation in den Akten sind<br />

damit unverzichtbare Grundvoraussetzung jeder anwaltlichen Tätigkeit.<br />

860 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1369<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Vorsicht und sorgfältige Prüfung sind auch in vermeintlichen „Befristungsmandaten“ geboten. Die<br />

Klagefrist des § 4 KSchG ist auch einzuhalten, wenn die ordentliche Kündigung gegen das Kündigungsverbot<br />

des § 15 Abs. 3 TzBfG verstößt, weil ein befristeter Vertrag weder die Möglichkeit vorsieht, das<br />

Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen noch die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages vereinbart ist, der<br />

ein solches Kündigungsrecht enthält (vgl. BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 480/09, NZA 2010, 1142).<br />

IV. Richtiger Klagegegner<br />

Bereits bei der Annahme des Kündigungsschutzmandats sollte sorgfältig darauf geachtet werden, die<br />

Parteien mit zutreffender Bezeichnung und korrekter, vollständiger Firmierung zu erfassen. Auch die<br />

zustellungsfähige Anschrift und die Vertretungsverhältnisse des Klagegegners sind richtig zu benennen<br />

(TILLMANNS, NZA-Beil. 2015, 117 [120]). Insbesondere gilt es aus Arbeitnehmersicht den Arbeitgeber<br />

korrekt zu identifizieren und zu benennen. Ausgangspunkt bildet dabei das Kündigungsschreiben, das<br />

aus Gründen größtmöglicher anwaltlicher Vorsicht stets der Kündigungsschutzklage als Kopie und per<br />

Telefax vorab beigefügt sein sollte. Wird die falsche Partei verklagt, kann das zur Abweisung der Klage<br />

aufgrund versäumter Klagefrist (§ 4 KSchG) und damit zu einem Schaden- bzw. Regressfall auf Seiten<br />

des Anwalts führen (zu weiteren problem- und risikobehafteten Fallgestaltungen [gemeinsamer<br />

Betrieb, § 613a BGB, u.a.] vgl. HOLTHAUSEN, AnwBl 2006, 688 f.).<br />

V. Überschreitung des Schwellenwerts nach § 23 KSchG<br />

Auch scheinbar gut bekannte und vorschnell als leicht beherrschbar wahrgenommene Rechtsthemen<br />

bieten immer wieder aufs Neue Fehler- und Haftungspotenzial. Gerade der (ggf. abgestuften) Darlegungs-<br />

und Beweislast (vgl. BAG, Urt. v. <strong>16</strong>.7.2015 – 2 AZR 85/15, Rn 40, NZA 20<strong>16</strong>, <strong>16</strong>1; BAG 24.1.2013 –<br />

2 AZR 140/12, Rn 27, NZA 2013, 726; BAG, Urt. v. 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, RzK I 6a Nr. 82) muss im<br />

Kündigungsschutzprozess zu jedem Zeitpunkt Aufmerksamkeit geschenkt werden und der eigene<br />

Sachvortrag nebst Beweismitteln hieran angepasst werden. Sonst droht das Unterliegen im Rechtsstreit.<br />

Für das Überschreiten des Schwellenwertes gem. § 23 Abs. 1 S. 2 bzw. S. 3 KSchG trägt der Arbeitnehmer<br />

die Darlegungs- und Beweislast. Einer größeren Sachnähe des Arbeitgebers und etwaigen Beweisschwierigkeiten<br />

des Arbeitnehmers ist durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu<br />

tragen. Die einen Betrieb i.S.d. § 23 KSchG konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass<br />

der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten<br />

Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig<br />

über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise<br />

Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden. Entsprechend der Unterscheidung<br />

zwischen „Betrieb“ und „Unternehmen“ in § 1 Abs. 1 KSchG ist der Betriebsbegriff auch in § 23 Abs. 1<br />

KSchG nicht mit dem Unternehmen gleichzusetzen. Der Betriebsbezug des § 23 Abs. 1 KSchG ist<br />

verfassungsrechtlich unbedenklich, solange dadurch nicht angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen<br />

konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung von Kleinbetrieben bei<br />

verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher<br />

Definition zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führt. Die<br />

Durchbrechung des Betriebsbezugs des Schwellenwerts ist demnach nicht schon immer dann geboten,<br />

wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbstständigte Einheiten<br />

gliedert, insgesamt aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (BAG, Urt. v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/<strong>16</strong>,<br />

NZA 2017, 859). Arbeitnehmer zählen für die Bestimmung der Betriebsgröße i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG<br />

nur mit, wenn sie in die betriebliche Struktur eingebunden sind. Dafür ist erforderlich, dass sie ihre<br />

Tätigkeit für diesen Betrieb erbringen und die Weisungen zu ihrer Durchführung im Wesentlichen von<br />

dort erhalten. Gelegentliche Besuche eines Betriebs in einem Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten<br />

im Rahmen von Meetings und Präsentationen reichen für eine Einbindung in den Betrieb nicht<br />

aus (BAG, Urt. v. 19.7.20<strong>16</strong> – 2 AZR 468/15, NZA 20<strong>16</strong>, 1196). Bei der Bestimmung der Betriebsgröße i.S.v.<br />

§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG sind im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 861


Fach 17, Seite 1370<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht. Da § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG auf die „in<br />

der Regel“ im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abstellt, kommt es für die Betriebsgröße nicht auf die<br />

zufällige tatsächliche Anzahl der Beschäftigten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs an. Maßgebend ist<br />

die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Zur Feststellung der<br />

regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es deshalb eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke<br />

des Betriebs und einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung. Zeiten außergewöhnlich hohen<br />

oder niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen (BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12,<br />

NZA 2013, 726).<br />

Praxistipp:<br />

Regress droht für den Anwalt, wenn er den Mandanten nicht ordnungsgemäß über den Kleinbetriebseinwand<br />

des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG belehrt. Der Anwalt, der seinen Mandanten nicht nachvollziehbar<br />

darüber aufgeklärt hat, welche Beschäftigten bei der Prüfung, ob ein Kleinbetrieb nach dem KSchG vorliegt,<br />

zu berücksichtigen sind, darf von seinem Mandanten keine zuverlässige Antwort über die Anzahl der<br />

Beschäftigten erwarten (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1999 – IX ZR 420/97, NJW 2000, 730; BRODSKI, DB <strong>2019</strong>, 834<br />

[835]).<br />

VI.<br />

Klageanträge<br />

1. Streitgegenstand<br />

Der Gegenstand eines arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens wird durch den gestellten Antrag und dem<br />

ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Der<br />

Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die ausgehend vom Standpunkt der Parteien bei einer natürlichen,<br />

den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zu entscheidenden<br />

Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger dem Gericht unterbreitet hat (BAG, Urt. v. 21.11.2017 – 1 AZR<br />

131/17, NZA 2018, 384). Die Streitgegenstandslehre ist keine zu vernachlässigende Rechtstheorie, sondern<br />

die grundlegende prozessuale Leitlinie (vgl. WEIßENFELS, NZA <strong>2019</strong>, 810 und NIEMANN, NZA <strong>2019</strong>, 65),<br />

um das Rechtsschutzverlangen konkret zu erfassen und damit eine richtige Antragstellung im Klageverfahren<br />

sicherzustellen. Der Zweite Senat führt hierzu aus (BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12,<br />

Rn 18 m.w.N.):<br />

„Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach<br />

dem Streitgegenstand. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG ist die<br />

Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen<br />

Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung<br />

eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit<br />

der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb regelmäßig fest, dass jedenfalls bei Zugang<br />

der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, das nicht schon zuvor durch andere<br />

Ereignisse aufgelöst worden ist.“<br />

2. Falsche Antragstellung im Kündigungsschutzprozess, Antragsänderung<br />

Verdeutlichen lässt sich das Vorstehende an der Änderungskündigung und dem nach § 4 S. 2 KSchG im<br />

Vergleich zur Beendigungskündigung abweichenden Klageantrag im Änderungskündigungsschutzverfahren<br />

(vgl. NIEMANN, NZA <strong>2019</strong>, 65). Während der gegen die Beendigungskündigung gerichtete Antrag<br />

nach § 4 S. 1 KSchG lautet: „Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des<br />

Arbeitgebers/der Beklagten mit Schreiben vom (Datum) nicht aufgelöst worden ist.“, ist der Antrag im Fall der<br />

Änderungskündigung und Vorbehaltsannahme durch den Arbeitnehmer nach § 2 KSchG gem. § 4 S. 2<br />

KSchG auf die Feststellung zu richten, „dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder<br />

aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist“.<br />

862 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1371<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

„Im Eifer des Gefechts“ geht in der Praxis hier oft Einiges durcheinander, wie die einschlägige Rechtsprechung<br />

des Bundesarbeitsgerichts belegt. Schnell ist beim „Diktat nach Muster“ oder der Vorbereitung<br />

einer „Standardkündigungsschutzklage“ ein Beendigungsschutzantrag gestellt, obwohl<br />

tatsächlich abweichend nach erklärter Vorbehaltsannahme ohne Bestandsschutzrisiko (§ 2 KSchG),<br />

ein Vertragsinhaltsschutz auf Seiten des Arbeitnehmers verfolgt wird (vgl. BAG, Urt. v. 21.5.<strong>2019</strong> – 2 AZR<br />

26/19, vorgehend LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2018 – 12 Sa 402/18). Sowohl das BAG als auch das LAG<br />

Düsseldorf vertreten die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung<br />

erster Instanz noch zu einem Änderungsschutzantrag übergehen kann, wenn er bei einer<br />

unter Vorbehalt angenommenen Änderungskündigung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der<br />

Änderungskündigung nur einen Beendigungsschutzantrag erhebt. Und auch im umgekehrten Fall<br />

wahrt ein Änderungsschutzantrag nach § 4 S. 2 KSchG die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG für eine<br />

nachfolgende Beendigungskündigung, die vor dem oder zeitgleich mit dem „Änderungstermin“ der<br />

ersten Kündigung wirksam werden soll, jedenfalls dann, wenn der Kläger die Unwirksamkeit der<br />

Folgekündigung noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit einem Antrag nach<br />

§ 4 S. 1 KSchG geltend macht (vgl. BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 67/18, NZA 2018, 1127). Dieses Ergebnis<br />

ist jedoch in erster Linie der Nähe der prozessualen Streitgegenstände sowie den §§ 6 (analog) und 7<br />

KSchG geschuldet. Der sorgfältig arbeitende anwaltliche Berater sollte sich erst gar nicht der Diskussion<br />

und dem Risiko aussetzen, ob eine Antragsänderung mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls möglich<br />

ist und rechtzeitig erfolgte. Er sollte im Interesse des Mandanten und im wohlverstandenen Eigeninteresse<br />

(Reputation und Haftung) nach umfassender, wohlüberlegter Prüfung direkt den richtigen<br />

Antrag stellen.<br />

3. Parteiwille als Auslegungsmaßstab<br />

Im Rahmen der Beurteilung der ordnungsgemäßen Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist der<br />

geäußerte Parteiwille, wie er aus der Klageschrift und den sonstigen Umständen erkennbar wird,<br />

entscheidend. Dabei ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein großzügiger Maßstab anzulegen, was von<br />

den Arbeitsgerichten erfahrungsgemäß auch so praktiziert wird. Die Darlegung aller klagebegründenden<br />

Tatsachen, wie die Erfüllung der kündigungsschutzrechtlichen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1<br />

KSchG und § 23 Abs. 1 KSchG, gehört nicht zur Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage, sondern zur<br />

Schlüssigkeit des Sachvortrags. Ihr Fehlen führt demnach nicht zur Unzulässigkeit der Kündigungsschutzklage,<br />

sondern zu deren Unbegründetheit (BAG, Urt. v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, NZA 2014, 109).<br />

Praxistipp:<br />

Auch wenn die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung eines Klageantrags einen großzügigen Maßstab anlegen<br />

sowie gem. § 139 Abs. 1 ZPO Hinweise geben und auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken<br />

können (vgl. § 61a ArbGG), entbindet dies den Anwalt nicht von einer sorgfältigen Bearbeitung. Es gilt der<br />

Grundsatz des „sichersten Wegs“ zur Erreichung des angestrebten Rechtsschutzziels.<br />

VII. Schleppnetzantrag<br />

Aufklärungs- und Informationspflichten gegenüber seinem Mandanten treffen den beratenden Anwalt<br />

immer dann, wenn ihm seine berufliche Erfahrung nahelegt, dass sein Mandant in bekannten Fallkonstellation<br />

in Un- oder Fehlkenntnis möglicherweise Fehler mit für ihn nachteiligen Rechtsfolgen<br />

begeht oder gebotene, insbesondere fristgebundene Handlungen unterlässt. Mit Blick auf die Klagefrist<br />

des § 4 KSchG und den punktuellen Streitgegenstandsbegriff muss der in Kündigungssachverhalten<br />

beratende Anwalt dabei immer den Ausspruch von Mehrfach- oder Folgekündigungen durch den<br />

Arbeitgeber bzw. seine Vertreter (auch dessen Anwalt) im Blick behalten sowie seinen Mandanten<br />

gezielt im Hinblick auf solche weiteren Kündigungen befragen und über die richtige, Rechtsverluste<br />

ausschließende Vorgehensweise gegen diese Kündigungen unterrichten.<br />

Der Schleppnetzantrag als allgemeiner Feststellungsantrag ist eine klägerseitige Reaktion und anwaltliche<br />

Vorsichtsmaßnahme auf das prozesstaktische Arbeitgeberverhalten in Form der Mehrfach-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 863


Fach 17, Seite 1372<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

kündigung. Da aufgrund des punktuellen Streitgegenstands nach § 4 KSchG die Kündigungsschutzklage<br />

immer nur die konkret benannte Kündigung angreift, vermag sie auch nur bezüglich dieser<br />

Kündigung die Drei-Wochen-Klagefrist zu wahren. Daher muss im Regelfall jede erneut ausgesprochene<br />

Kündigung gesondert mit einer Kündigungsschutzklage, die im Wege der Klageerweiterung nach<br />

§ 263 ZPO rechtshängig gemacht werden kann, angegriffen werden. Eine Ausnahme gilt nur für den sog.<br />

Schleppnetzantrag, der der Sache nach ein allgemeiner Feststellungsantrag nach § 256 ZPO mit dem<br />

Inhalt ist, festzustellen, „dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Kündigungstatbestände beendet<br />

worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht“. Dieser Klageantrag bedarf einer besonderen Begründung<br />

hinsichtlich seiner Zulässigkeit (vgl. BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443, Rn 31 ff.). Fehlt<br />

das Rechtsschutzinteresse, über den punktuellen Streitgegenstand hinaus das Fortbestehen des<br />

Arbeitsverhältnisses feststellen zu lassen, ist der allgemeine Feststellungsantrag zwar unzulässig. Im<br />

Falle weiterer ausgesprochener Kündigungen erfasst er diese gleichwohl aber und wahrt auf diese Art<br />

und Weise die Klagefrist, insbesondere bei solchen Kündigungen, die anzugreifen zunächst übersehen<br />

worden ist (vgl. TILLMANNS, NZA-Beil. 2015, 117 (119); FELDMANN/SCHUHMANN, JuS 2017, 214). Entsprechend stellt<br />

der Zweite Senat (BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, a.a.O.) fest:<br />

„Erhebt der Arbeitnehmer binnen dreier Wochen nach Zugang einer Kündigung eine allgemeine Feststellungsklage<br />

i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO, mit der er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend macht und die<br />

Wirksamkeit jeglichen potentiellen Auflösungstatbestands in Abrede stellt, hat er die Frist des § 4 S. 1 KSchG<br />

jedenfalls dann gewahrt, wenn er die fragliche Kündigung noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung<br />

erster Instanz – nunmehr konkret bezeichnet – in den Prozess einführt und auf sie bezogen einen punktuellen<br />

Kündigungsschutzantrag stellt.“<br />

Nach der Rechtsprechung ist der Arbeitnehmer nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung also<br />

gehalten, diese Kündigung konkret in den Prozess einzuführen und unter Einschränkung des allgemeinen<br />

Feststellungantrags i.S.v. § 264 Nr. 2 ZPO einen dem Wortlaut des § 4 KSchG entsprechenden<br />

Klageantrag zu stellen. Dabei ist es zur Wahrung der Frist des § 4 KSchG ausreichend, wenn sich der<br />

Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der weiteren Kündigung noch vor Schluss der mündlichen<br />

Verhandlung in erster Instanz beruft.<br />

Praxistipp:<br />

Um auf der „sicheren Seite“ zu sein und um Störfallkonstellationen mit Blick auf die Klagefrist nach<br />

§ 4 KSchG bestmöglich abzufedern, sollte der Schleppnetzantrag in Form des beschriebenen Feststellungsantrags<br />

zum Standardrepertoire bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage zählen. Bis zum<br />

Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz muss man aber auf Klägerseite in eine abschließende<br />

Bestandsaufnahme der anzugreifenden Kündigungen eingetreten sein und die Klageanträge entsprechend<br />

dem Vorstehenden konkretisiert haben. Sonst vermag einen auch der Schleppnetzantrag im<br />

Kündigungsschutzprozess nicht zu retten.<br />

VIII. Vertretungsberechtigung, Bestreiten der Vollmacht (§ 180 Abs. 1 BGB)<br />

Im Kündigungsrecht gilt der Grundsatz, dass „nur der Richtige“ wirksam kündigen kann. Diese wenig<br />

überraschende Erkenntnis sorgt gleichwohl auf Arbeitgeberseite oft für rechtliche Probleme. Die<br />

Rechtsform des Arbeitgebers (Personengesellschaft, AG, GmbH, Behörde/öffentliche Verwaltung) und<br />

die internen Vorgaben (Satzung u.a.) wollen diesbezüglich ebenso wie die Vertretungsberechtigung<br />

bei Ausspruch der Kündigung geprüft werden, um ein tragfähiges rechtliches Ergebnis zu erzielen.<br />

Bei einer Kündigung als einseitigem Rechtsgeschäft ist nach § 180 S. 1 BGB eine Vertretung ohne<br />

Vertretungsmacht unzulässig (BAG, Urt. v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, NZA 2014, 1197; BAG, Urt. v.<br />

<strong>16</strong>.12.2010 – 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571). Hat aber derjenige, welchem gegenüber ein solches<br />

Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme<br />

des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet, finden gem. § 180 S. 2 BGB die Vorschriften über<br />

864 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1373<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Verträge entsprechende Anwendung. Das bedeutet u.a., dass das Rechtsgeschäft nach § 177 Abs. 1 BGB<br />

genehmigt werden kann (BAG, Urt. v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, a.a.O.). Im Fall des (formwirksamen)<br />

Ausspruchs einer Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht beginnt die Klagefrist des<br />

§ 4 KSchG erst mit dem Zugang der Genehmigung des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer (BAG, Urt. v.<br />

6.9.2012 – 2 AZR 858/11, NZA 2013, 524).<br />

In der Praxis stellt sich oft das Erfordernis einer Gesamtvertretung bei Erklärung und Abgabe einer<br />

Kündigung (Stichwort: „zwei lesbare bzw. identifizierbare Unterschriften“). Die Sicherstellung einer<br />

korrekten Vertretung ist eine unverzichtbare Grundvoraussetzung, um möglichen Angriffen und Rügen<br />

des Arbeitnehmers diesbezüglich im Ansatz die Grundlage zu nehmen. Im Kündigungsschutzprozess<br />

spielen insoweit immer die §§ 174 und 180 BGB zusammen, wobei nicht immer sauber zwischen beiden<br />

Vorschriften und ihrem rechtlichen Anwendungsbereich abgegrenzt wird, wie beispielhaft die Leitsätze<br />

des BAG in seiner Entscheidung vom 18.12.1980 (2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374) anschaulich verdeutlichen.<br />

Der Zweite Senat stellt in der vorbenannten Entscheidung fest:<br />

„1. Zwei Geschäftsführer, die nur zusammen zur Vertretung einer GmbH berechtigt sind, können ihre Gesamtvertretung<br />

in der Weise ausüben, dass ein Gesamtvertreter den anderen intern formlos zur Abgabe einer<br />

Willenserklärung ermächtigt und der zweite Gesamtvertreter allein die Willenserklärung abgibt.<br />

2. Die Ermächtigung i.S.v. Nr. 1 ist eine Erweiterung der gesetzlichen Vertretungsmacht, auf die die Vorschriften<br />

über die rechtsgeschäftliche Stellvertretung entsprechend anzuwenden sind. Das gilt auch für die §§ 174, 180<br />

BGB, so dass ein Arbeitnehmer, dem einer von mehreren Gesamtvertretern einer GmbH kündigt, die Kündigung<br />

unverzüglich mit der Begründung zurückweisen kann, eine Ermächtigungsurkunde sei nicht vorgelegt worden.<br />

3. Die Zurückweisung der Kündigung aus diesem Grunde braucht zwar nicht ausdrücklich zu erfolgen. Sie muss<br />

sich aber aus der Begründung oder aus anderen Umständen eindeutig und für den Kündigenden zweifelsfrei<br />

erkennbar ergeben.“<br />

Konzern-Zeichnungsrichtlinien und im Intranet hinterlegte Kündigungsberechtigungen bieten ebenso<br />

wie unzutreffend bzw. bedeutungsfalsch verwandte Zusätze („i.A.“ statt „i.V.“) formelle Angriffsmöglichkeiten<br />

gegen die von einem Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung. Ein „beliebter Streitpunkt“<br />

in diesem Kontext ist, ob der Erklärungsempfänger (Arbeitnehmer) davon in Kenntnis gesetzt wurde,<br />

dass der Erklärende (kündigender Vertreter) die zur Kündigung berechtigende Stellung tatsächlich<br />

innehatte (vgl. nachstehend).<br />

Praxistipp:<br />

Beanstandet der Arbeitnehmer die fehlende Kündigungsberechtigung mit einem Einschreiben gegen<br />

Rückschein oder einem anderen gerichtsverwertbaren Zugangsnachweis unmittelbar nach Erhalt/Zugang<br />

der Kündigung, ist eine Genehmigung durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich. Die Kündigung muss<br />

dann vom Berechtigten, sofern noch möglich, wiederholt werden.<br />

IX.<br />

Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB<br />

1. Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, Heilung oder Genehmigung nicht möglich<br />

Nach § 174 S. 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber<br />

vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und<br />

der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Folge der Zurückweisung<br />

i.S.d. § 174 S. 1 BGB ist – unabhängig vom Bestehen einer Vollmacht – die Unwirksamkeit des<br />

Rechtsgeschäfts. Eine Heilung oder Genehmigung nach § 177 BGB scheidet aus (BAG, Urt. v. 19.4.2007<br />

– 2 AZR 180/06, Rn 37, AP Nr. 20 zu § 174 BGB; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, Rn 33, NZA 2007,<br />

377 = BAGE 119, 311).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 865


Fach 17, Seite 1374<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

2. Sinn und Zweck von § 174 BGB<br />

§ 174 BGB dient dazu, bei einseitigen Rechtsgeschäften klare Verhältnisse zu schaffen. Der Erklärungsempfänger<br />

ist zur Zurückweisung der Kündigung berechtigt, wenn er keine Gewissheit darüber hat, dass<br />

der Erklärende tatsächlich bevollmächtigt ist und sich der Arbeitgeber dessen Erklärung deshalb<br />

zurechnen lassen muss (BAG, Urt. v. 25.9.2014- 2 AZR 567/13, Rn 19, NZA 2015, 159; BAG, Urt. v. 14.4.2011 –<br />

6 AZR 727/09, Rn 23, BAGE 137, 347; BAG, Urt. v. 29.10.1992 – 2 AZR 460/92, NZA 1993, 307). Der<br />

Empfänger einer einseitigen Willenserklärung soll nicht nachforschen müssen, welche Stellung der<br />

Erklärende hat und ob damit das Recht zur Kündigung verbunden ist oder üblicherweise verbunden zu<br />

sein pflegt. Er soll vor der Ungewissheit geschützt werden, ob eine bestimmte Person bevollmächtigt ist,<br />

das Rechtsgeschäft vorzunehmen (BAG, Urt. v. 25.9.2014- 2 AZR 567/13, a.a.O.; BAG, Urt. v. 14.4.2011 –<br />

6 AZR 727/09, a.a.O.; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, Rn 46, 52, a.a.O.).<br />

3. Vollmachtsurkunde (original) oder In-Kenntnis-Setzen<br />

Gewissheit können eine Vollmachtsurkunde oder ein In-Kenntnis-Setzen schaffen. Das In-Kenntnis-<br />

Setzen nach § 174 S. 2 BGB muss ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage einer Vollmachtsurkunde<br />

sein (BAG, Urt. v. 25.9.2014- 2 AZR 567/13, a.a.O.; BAG, Urt. v. 14.4.2011 – 6 AZR 727/09, a.a.O.; BAG; Urt. v.<br />

20.8.1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343). Gemäß § 174 S. 2 BGB liegt ein In-Kenntnis-Setzen auch dann<br />

vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter – z.B. durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten<br />

oder Leiter der Personalabteilung – in eine Stelle berufen hat, mit der üblicherweise<br />

ein Kündigungsrecht verbunden ist. Dabei reicht die interne Übertragung einer solchen<br />

Funktion nicht aus. Erforderlich ist, dass sie auch nach außen im Betrieb ersichtlich ist oder eine<br />

sonstige Bekanntmachung erfolgt. Der Erklärungsempfänger muss davon in Kenntnis gesetzt werden,<br />

dass der Erklärende die Stellung tatsächlich innehat. Eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 S. 2<br />

BGB scheidet auch dann aus, wenn der kündigende Personalleiter zugleich (Gesamt-)Prokurist ist und<br />

die im Handelsregister publizierte Prokura sein – alleiniges – Handeln nicht deckt. Es genügt, dass der<br />

Kündigungsempfänger aufgrund der – ihm bekannten – Stellung des Kündigenden als Personalleiter<br />

von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung zum alleinigen Ausspruch von Kündigungen ausgehen<br />

muss. Ob der Personalleiter zugleich eine ausreichende Vertretungsmacht als (Gesamt-)Prokurist besitzt,<br />

ist grds. ohne Belang. Aus dem Umstand, dass ein Personalleiter das Kündigungsschreiben mit dem<br />

Zusatz „ppa“ unterzeichnete, folgt nichts anderes. Nach § 51 HGB hat ein Prokurist in der Weise zu<br />

zeichnen, dass er der Firma seinen Namen mit einem die Prokura andeutenden Zusatz beifügt. Der<br />

Zusatz soll klarstellen, dass der Erklärende als Prokurist für den Inhaber handelt. Der Gesamtprokurist<br />

zeichnet selbst dann mit dem gewöhnlichen Prokurazusatz, wenn er allein mit interner Zustimmung des<br />

anderen Gesamtprokuristen handelt. Der Personalleiter kann deshalb auch bei einem Handeln als<br />

Gesamtprokurist eine alleinige Vertretungsbefugnis zum Ausspruch von Kündigungen aufgrund<br />

interner Bevollmächtigung in Anspruch nehmen (BAG, Urt. v. 25.9.2014 – 2 AZR 567/13, a.a.O.).<br />

4. Unverzügliche Zurückweisung nach § 174 BGB<br />

Die Zurückweisung eines einseitigen Rechtsgeschäfts nach mehr als einer Woche ist auch, wenn man<br />

dem Zurückweisenden einer angemessene Überlegungsfrist und die Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen,<br />

zubilligt, nach herrschender Ansicht nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 174 BGB, wenn nicht<br />

besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen (vgl.BAG, Urt. v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10, Rn 33 m.w.N.,<br />

NZA 2012, 495; OLG Hamm, Urt. v. 26.10.1990 – 20 U 71/90, NJW 1991, 1185; LG Köln, Urt. v. 30.10.2015 –<br />

7 O 112/15). Das OLG Hamm hat in seinem vorbenannten Urteil bereits einen Zeitraum von sechs Tagen<br />

nicht mehr als unverzüglich angesehen. Außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls, die einen<br />

längeren Zeitraum noch als unverzüglich erscheinen lassen könnten, müssen substantiiert unter<br />

Beweisantritt vorgetragen werden.<br />

Praxistipp:<br />

Zu beachten ist, dass die Rüge des § 174 BGB keinerlei Nachforschungen oder schwierige Abwägungsprozesse<br />

und auch keine nennenswerte juristische Prüfung erfordert, da sie rein formal und routinemäßig<br />

allein an das Fehlen einer Original-Vollmachtsurkunde anknüpft (vgl. BAG, Urt. v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10,<br />

866 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1375<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

a.a.O.; LG Köln, Urt. v. 30.10.2015 – 7 O 112/15). Entsprechend sollte diese „einfache“ tatsächliche und<br />

rechtliche Prüfung einschließlich ihres nachweisbaren Zugangs beim Erklärungsempfänger (Arbeitgeber)<br />

aus Gründen größtmöglicher Vorsicht nicht mehr als drei Werktage in Anspruch nehmen.<br />

X. Schriftform der Kündigung, § 623 BGB<br />

An der Einhaltung der Schriftform (§ 623 BGB) sollte eine Kündigung nicht scheitern. Gleichwohl zeigt<br />

sich, dass der Fehlerteufel auch hier zuschlägt. Die Unterschrift muss zwar nicht lesbar, aber als solche<br />

zu erkennen sein. Initialen, Paraphen oder Abkürzungen sind nicht genug. Eine eigenhändige Unterschrift<br />

i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB liegt nicht vor, wenn das „Gebilde“ überhaupt keinen Bezug zu einem<br />

Namen hat (vgl. Hessisches LAG, Urt. v. 22.3.2011 – 13 Sa 1593/10). Mit Blick auf diese Vorgaben mag eine<br />

unleserliche Unterschrift zwar Ausdruck einer starken Persönlichkeit des Unterzeichners sein. Mit Blick<br />

auf das Einhalten der Schriftform nach den §§ 623, 126 BGB ist eine solche Unterschrift aber wenig<br />

empfehlenswert.<br />

XI. Inhalt des Kündigungsschreibens, Wille zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

Ein Kündigungsschreiben ist nicht der geeignete Ort für freundliche Umschreibungen. Irritationen,<br />

Fehlverständnisse, Rechtsfehler und daran anknüpfende unerwünschte Rechtsfolgen sind durch verständliche<br />

und präzise Erklärungen zu vermeiden. Wer mit beschönigenden, nicht trennscharfen<br />

Begriffen wie etwa „Abschied“ oder „Ende des Arbeitsverhältnisses“ hantiert, riskiert in hohem Maße, dass<br />

seine Kündigung vor dem Arbeitsgericht einer rechtlichen Prüfung nicht standhält. Es darf kein Zweifel<br />

daran bestehen, dass es sich bei der einseitig empfangsbedürftigen Willenserklärung des Arbeitgebers<br />

um eine Kündigung handelt. Empfehlenswert ist deshalb auch ein deutlicher Betreff wie etwa<br />

„Ordentliche betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses“ und eine Formulierung im Fließtext des<br />

Kündigungsschreibens wie „hiermit kündigen wir … “.<br />

Praxistipp:<br />

Tunlichst auf Arbeitgeberseite zu vermeiden sind auch schriftliche Erklärungen des Inhalts, man akzeptiere<br />

eine zuvor vom Arbeitnehmer ausgesprochene mündliche Kündigung, da es insoweit an einer eigenständigen,<br />

schriftlichen Arbeitgeberkündigung fehlt. Es gilt der leicht modifizierte Grundsatz „Wer selber<br />

schreibt, der bleibt.“<br />

Auch sollte der Arbeitgeber auf Zusatzerklärungen im Kündigungsschreiben verzichten. Kündigt der der<br />

Arbeitgeber schriftlich aus betriebsbedingten Gründen und erklärt er zugleich, dass die Kündigung<br />

gegenstandslos wird, wenn er einen Folgeauftrag erhält, ist die Kündigung unwirksam, weil sie nicht<br />

hinreichend klar und bestimmt ist (BAG, Urt. v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, NZA 2001, 1070).<br />

XII. Probleme beim Zugang der Kündigung<br />

Steter Quell arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzungen sind Fragen des ordnungsgemäßen Zugangs<br />

der Kündigungserklärung. Dies gilt insbesondere bei der außerordentlichen Kündigung aufgrund der<br />

Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB (vgl. BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 72/18, NZA 2018, 1335).<br />

1. Verfügungsgewalt und Möglichkeit Kenntnis zu nehmen<br />

Nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt<br />

wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen,<br />

sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist<br />

und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis<br />

zu nehmen (BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 72/18; BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, Rn 37, NZA 2015,<br />

1183; BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 224/11, Rn 20 f., AP Nr. 19 zu § 5 KSchG 1969). Für den Zugang ist es<br />

unerheblich, ob und wann der Erklärungsempfänger die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen<br />

hat und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 867


Fach 17, Seite 1376<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

Zeit gehindert war. Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben<br />

kann diesem deshalb selbst dann zugehen, wenn der Arbeitgeber von einer urlaubsbedingten<br />

Ortsabwesenheit weiß (BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 224/11, a.a.O.).<br />

Eine Klage ist nicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer, der sich<br />

nicht nur vorübergehend im Ausland aufhält, nicht sicherstellt, dass er zeitnah von einem Kündigungsschreiben<br />

Kenntnis erlangt, das in einen von ihm vorgehaltenen Briefkasten im Inland eingeworfen wird.<br />

Ein treuwidriges Berufen auf den Zugang einer Willenserklärung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen<br />

in Betracht, da der Begriff des Zugangs im Rechtssinne bereits das Ergebnis einer im Interesse des<br />

rechtssicheren Rechtsverkehrs vorgenommenen Abwägung zwischen dem Transportrisiko auf Seiten<br />

des Erklärenden und dem Kenntnisnahmerisiko auf Seiten des Empfängers darstellt. Der Arbeitgeber ist<br />

nicht aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB gehalten, den Arbeitnehmer<br />

selbst fernmündlich oder zumindest seinen Prozessbevollmächtigten über den Zugang der Kündigung<br />

zu informieren. Zwar kann der Arbeitgeber aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflichten gehalten sein,<br />

zur Vermeidung von Rechtsnachteilen von sich aus geeignete Hinweise zu geben. Grundsätzlich hat<br />

allerdings innerhalb vertraglicher Beziehungen jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst<br />

zu sorgen. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls<br />

und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung (vgl. BAG, Urt. v. 25.4.2018 – 2 AZR 493/<br />

17, NZA 2018, 1157).<br />

2. Zugangsvereitelung<br />

Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist auch dann bewirkt, wenn das<br />

Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und,<br />

falls er die Entgegennahme ablehnt, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, dass er es ohne<br />

Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Verhindert der Empfänger<br />

durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei<br />

ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und<br />

Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für<br />

die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende<br />

Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme (vgl. § 241 S. 2 BGB) darstellen. Lehnt der<br />

Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls<br />

dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen<br />

vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen<br />

musste. Ein Arbeitnehmer muss regelmäßig damit rechnen, dass ihm anlässlich einer im Betrieb stattfindenden<br />

Besprechung mit dem Arbeitgeber rechtserhebliche Erklärungen betreffend sein Arbeitsverhältnis<br />

übermittelt werden. Der Betrieb ist typischerweise der Ort, an dem das Arbeitsverhältnis<br />

berührende Fragen besprochen und geregelt werden. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm<br />

vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme<br />

bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen.<br />

So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der<br />

nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers<br />

abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten.<br />

Anders als dann, wenn ein Brief ohne Wissen des Adressaten erst nach den üblichen Postzustellzeiten in<br />

dessen Hausbriefkasten eingeworfen wird, ist mit der Kenntnisnahme eines Schreibens, von dem der<br />

Adressat weiß oder annehmen muss, dass es gegen 17 Uhr eingeworfen wurde, unter gewöhnlichen<br />

Verhältnissen noch am selben Tag zu rechnen (vgl. BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183).<br />

3. Darlegungs- und Beweislast für Zugang<br />

Dem Arbeitgeber obliegt die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang der Kündigung und den<br />

Zeitpunkt ihres Zugangs. Daher sollten dem Nachweis und der gerichtsverwertbaren Dokumentation<br />

des Zugangs auf seiner Seite besondere Sorgfalt gewidmet werden. Scheitert der Zugang, wirkt sich dies<br />

im besten Fall für den Arbeitgeber bei einer möglichen Wiederholungskündigung nur auf die einzuhaltende<br />

längere Kündigungsfrist aus. Im Fall der fristgebundenen außerordentlichen Kündigung (§ 626<br />

868 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1377<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

BGB) kann der nicht nachweisbare rechtzeitige Zugang im Fall des Bestreitens durch den Arbeitnehmer<br />

dagegen zum Verlust des Kündigungsrechts infolge Verfristung führen.<br />

a) Versand mit einfachem Brief<br />

Ungeeignet ist der Versand der Kündigung mit einfachem Brief und einer Zustellung durch die Post.<br />

Bestreitet der Arbeitnehmer den Zugang des Kündigungsschreibens, ist dem Arbeitgeber der Beweis des<br />

Gegenteils bei dieser Zustellvariante nicht möglich.<br />

b) Versand mit Einschreiben<br />

Kündigungen sollten weder per Einwurf-Einschreiben, noch per Übergabe-Einschreiben oder Einschreiben<br />

mit Rückschein zugestellt werden, da sich alle drei Zustellungsformen als mehr oder minder<br />

rechtsunsicher und störanfällig erweisen. Das Einwurf-Einschreiben wird zwar unter genauer Datumsund<br />

Zeitangabe durch den Postzusteller in die vorgesehene Empfangseinrichtung gelegt. Dies stellt aber,<br />

wenn überhaupt, nur einen Anscheinsbeweis der Zustellung (Indizwirkung) dar und die schlüssige und<br />

detailreiche Aussage des Postzustellers dürfte aufgrund Zeitablaufs in der Praxis die absolute Ausnahme<br />

bilden (vgl. LAG Köln, Urt. v. 14.8.2009 – 10 Sa 84/09, zur umstrittenen Beweisqualität von gefertigten<br />

Einlieferungs- und Auslieferungsbelegen vgl. LG Potsdam, Urt. v. 27.7.2000 – 11 S 233/99, NJW 2000,<br />

3722). Beim Übergabe-Einschreiben wird das Schreiben gegen Unterschrift zwar an den Empfänger<br />

übergeben. Ist dieser aber nicht anzutreffen, wird ein Benachrichtigungsschein hinterlegt. In diesem<br />

Fall erfolgt der Zugang erst bei Abholung bei der Post. Sowohl bei Einwurf-Einschreiben als auch beim<br />

Übergabe-Einschreiben kann somit der Zugang und die Kenntnisnahme vom Inhalt des Schreibens nicht<br />

rechtssicher garantiert werden. Auch das Einschreiben mit Rückschein ist störanfällig. Trifft der<br />

Postbote den Arbeitnehmer nicht an, kann er die Kündigung nicht zustellen. Da der Arbeitnehmer<br />

nicht verpflichtet ist, seine Sendungen bei der Post abzuholen, wird der gut beratene Arbeitnehmer die<br />

Zustellung der Kündigung durch eine Nichtabholung und das Bestreiten des Zugangs torpedieren.<br />

c) Übergabe und Zustellung durch Boten<br />

Die Einschaltung eines Boten bei der Zustellung der Kündigung ist möglich. Dieses Verfahren setzt<br />

allerdings eine sorgsame Vorbereitung, intensive Instruktion des Boten und verantwortungsvolle<br />

Durchführung des Zustellvorgangs bzw. der Übergabe durch ihn voraus. Gleichfalls ist sicherzustellen,<br />

dass der Bote nachvollziehbar, glaubhaft bezeugen kann, dass sich in dem von ihm übermittelten<br />

Umschlag eine unterschriebene Originalkündigung ggf. mit Nachweis der Bevollmächtigung befand.<br />

Auch hat der Bote die von ihm vorgenommene Zustellung im Idealfall durch ein unterschriebenes<br />

Memo, das Auskunft über Art, Ort, Zeit und Ergebnis der Zustellung gibt, sowie ggf. durch begleitende<br />

Handyfotos der Zustellung zu dokumentieren. Bei der Einschaltung eines Boten muss sich der<br />

Arbeitgeber dabei auf die unterschiedlichsten Störszenarien einstellen. Dies fängt bei unzugänglich im<br />

Haus liegenden Briefkästen an, geht weiter über die Nichterreichbarkeit des Adressaten, bis hin zu<br />

verschlossenen oder nicht auffindbaren Briefkästen. Auch der Bote selbst ist oft schnell mit der Situation<br />

überfordert und wird oftmals selbst zur eigenen Störquelle, wenn er etwa die Kündigung versehentlich<br />

in den falschen Briefkasten einwirft oder die Kündigung vor die Eingangstür des Arbeitnehmers ablegt,<br />

was für eine Zustellung bzw. einen ordnungsgemäßen Zugang ersichtlich unzureichend ist.<br />

d) Persönliche Übergabe gegen Empfangsquittung<br />

Vorzugswürdig und dem Arbeitgeber deshalb zu empfehlen, ist die persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens<br />

(im Original) unter Zeugen gegen Empfangsquittung am besten direkt auf einer<br />

Kopie des Kündigungsschreibens.<br />

XIII. § 626 Abs. 2 BGB, Zwei-Wochen-Frist<br />

Außerordentliche Kündigungen scheitern in der Praxis oft an der Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-<br />

Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB. Auch Dax-30-Konzerne sind trotz großer HR-Abteilungen vielfach nicht in<br />

der Lage, die kurz bemessenen Fristen richtig zu steuern und zu wahren. Das gilt erst Recht im Fall der<br />

außerordentlichen Verdachtskündigung mit Blick auf die dort erforderliche zeitnahe Anhörung des<br />

Arbeitnehmers. Durch Verzögerungsstrategien ist es für anwaltlich gut beratene Arbeitnehmer sehr<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 869


Fach 17, Seite 1378<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

leicht möglich, die Verfahrensabläufe so zu stören, dass eine außerordentliche Kündigung in Ansehung<br />

von § 626 Abs. 2 BGB verfristet.<br />

Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen<br />

Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB = wichtiger Grund) berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist<br />

des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne (vgl. BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, NZA 2015, 621; BAG,<br />

Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015; BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515).<br />

Dabei kommt es nicht darauf an, ob er ggf. eine Kündigung wegen erwiesener Tat oder wegen eines<br />

zumindest erdrückenden Verdachts zu erklären beabsichtigt. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus<br />

verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und<br />

zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/<br />

13, a.a.O..; BAG, Urt. v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409). Soll der Kündigungsgegner angehört<br />

werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf i.d.R. nicht mehr als eine Woche<br />

betragen (BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, a.a.O..; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, a.a.O..;<br />

BAG, Urt. v. 27.1.2011 – 2 AZR 825/09, NZA 2011, 798). Bei Vorliegen besonderer Umstände kann sie<br />

überschritten werden (BAG, Urt. v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211). Unerheblich ist, ob die<br />

Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht<br />

(BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, a.a.O.; BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, a.a.O.). Gibt der<br />

Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des<br />

Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer<br />

innerhalb angemessener Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme<br />

rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG, Urt. v. 27.1.1972 – 2 AZR 157/71, NJW<br />

1972, 1486). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub<br />

i.S.v. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen<br />

der Frist zur Stellungnahme zum Anlass nimmt, nunmehr auf die Anhörung des Arbeitnehmers zu<br />

verzichten (BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, a.a.O.; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, a.a.O.).<br />

XIV. Wechselspiel der Stolperfallen im Materiell-Rechtlichen<br />

Die Fehleranfälligkeit des Kündigungsvorgangs spielt aber nicht nur im Prozessualen und Tatsächlichen.<br />

Materiell-rechtlich treten viele Rechtsprobleme hinzu, die hier aus Platzgründen mit Verweis<br />

auf die einschlägige Literatur nur stichwortartig und beispielhaft ohne Anspruch auf Vollständigkeit<br />

benannt werden sollen. Neben der unterbliebenen oder fehlerhaften Betriebsratsanhörung kommen<br />

die Vorschriften zur Massenentlassung nach §§ 17, 18 KSchG mit der dahinterstehenden Rechtsprechung<br />

des EuGH in den Blick. Bei der betriebsbedingten Kündigung stellen die freie unternehmerische<br />

Entscheidung und ihre Umsetzung, die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen, die<br />

vorzunehmende soziale Auswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) und der Vorrang der Änderungskündigung<br />

aufgrund des Ultima Ratio-Prinzips hohe Hürden dar, die viele Arbeitgeber verzweifeln lassen. Hinzutretende<br />

Sonderkündigungstatbestände komplettieren das Kündigungsszenario. Und während im Fall<br />

der verhaltensbedingten Kündigung die Sach- und Rechtslage durch eine schwer überschaubare<br />

Kasuistik und Einzelfallrechtsprechung geprägt ist und immer einen schwer prognostizierbaren Bewertungsspielraum<br />

aufweist, wird die personenbedingte Kündigung in ihrem Hauptanwendungsgebiet<br />

der krankheitsbedingten Kündigung durch strenge Prüfvorgaben des BAG (Stichworte:<br />

negative Gesundheitsprognose, Prognosezeiträume, Unzumutbarkeit, wirtschaftliche Belastung, Interessenabwägung)<br />

und zusätzlich durch die gesetzlichen Vorgaben zum BEM (§ <strong>16</strong>7 SGB IX) und die sie<br />

ausfüllende Rechtsprechung des BAG zum Exoten, was ihre Wirksamkeit betrifft.<br />

XV. Wiedereinstellungsanspruch<br />

Komplettiert wird das enge Schutzgeflecht im Bereich der betriebsbedingten Kündigung durch die<br />

Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch. Auch nach einer wirksamen betriebsbedingten<br />

Kündigung kann sich der Arbeitgeber – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – nicht immer in<br />

Sicherheit wiegen. Nach ständiger Rechtsprechung kann einem wirksam betriebsbedingt gekündigten<br />

Arbeitnehmer ein – ggf. auch rückwirkender – Anspruch auf Wiedereinstellung zustehen (BAG, Urt. v.<br />

870 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1379<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

27.2.1997 – 2 AZR <strong>16</strong>0/96, NZA 1997, 757; BAG, Urt. v. 26.1.2017 – 2 AZR 61/<strong>16</strong>, NZA 2017, 1199; BAG, Urt. v.<br />

15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179). Der Anspruch setzt voraus, dass zwischen dem Zugang einer<br />

betriebsbedingten Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist entweder wider Erwarten der<br />

bisherige Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers doch erhalten bleibt (vgl. BAG, Urt. v. <strong>16</strong>.5.2007<br />

– 7 AZR 621/06; BAG, Urt. v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097) oder unvorhergesehen eine<br />

Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz i.S.<br />

v. § 1 Abs. 2 KSchG entsteht (vgl. BAG, Urt. v. 26.1.2017 – 2 AZR 61/<strong>16</strong>, a.a.O.; BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR<br />

197/11, a.a.O.; BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469). Da der Wiedereinstellungsanspruch<br />

aus der auf § 242 BGB beruhenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht folgt (vgl. Schaub<br />

ArbR-HdB/LINCK, 17. Aufl., § 146 Rn 1; zur dogmatischen Herleitung aus § 242 BGB bzw. § 611 BGB i.V.m.<br />

§ 242 BGB vgl. BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 m.w.N. bzw. BAG, Urt. v.<br />

15.12.2011 – 8 AZR 197/11, a.a.O.), kommt er grds. nur in Betracht, wenn sich die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

noch im bestehenden Arbeitsverhältnis, mithin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />

ergibt (vgl. BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, a.a.O.). Entsteht die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, kann der gekündigte Arbeitnehmer dagegen grds. nicht seine<br />

Wiedereinstellung verlangen (vgl. BAG, Urt. v. 20.10.2015 – 9 AZR 743/14, NZA 20<strong>16</strong>, 299; BAG, Urt. v.<br />

<strong>16</strong>.5.2007 – 7 AZR 621/06, a.a.O.; BAG, Urt. v. <strong>16</strong>.9.2004 – 2 AZR 447/03, AP Nr. 44 zu § 611 BGB<br />

Kirchendienst; BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436). Die in der Rechtsprechung des<br />

Bundesarbeitsgerichts zum Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung<br />

entwickelten Grundsätze sind in Kleinbetrieben i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 bis 4 KSchG nicht anwendbar<br />

(BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, a.a.O.).<br />

XVI. Diskriminierung, AGG<br />

Bei der Bearbeitung von Kündigungsschutzmandaten sollte der Blick des Anwalts auch immer für<br />

etwaige diskriminierungsrelevante Sachverhalte geschärft sein. Neben der Unwirksamkeit der Kündigung<br />

bieten geeignete Lebenssachverhalte auch Raum für eine Entschädigung und einen Schadensersatz<br />

des Arbeitnehmers nach § 15 AGG.<br />

1. Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung<br />

Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine<br />

Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB i.V.m.<br />

§§ 7 Abs. 1, 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR<br />

190/12, NZA 2014, 372). Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um eine Kündigung während der<br />

Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG oder einen Kleinbetrieb handelt. Eine altersdiskriminierende Kündigung<br />

ist im Kleinbetrieb nach § 134 BGB i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 1, 3 AGG unwirksam (BAG, Urt. v. 23.7.2015 –<br />

6 AZR 457/14, NZA 2015, 1380).<br />

2. Beweis- und Darlegungslast<br />

§ 22 AGG trifft hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen Nachteil und durch § 1 AGG<br />

verbotenem Anknüpfungsmerkmal eine Beweislastregelung, die sich zugleich auf die Darlegungslast<br />

auswirkt. Nach § 22 Halbs. 1 AGG genügt eine Person, die sich wegen eines der in § 1 AGG genannten<br />

Gründe für benachteiligt hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt und ggf. beweist, die diese<br />

Benachteiligung vermuten lassen (BAG, Urt. v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, AP Nr. 10 zu § 22 AGG; BAG v.<br />

26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258). Dies gilt auch bei einer möglichen Benachteiligung durch eine<br />

ordentliche Kündigung, die nicht den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes genügen muss (vgl.<br />

BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372; ErfK/SCHLACHTER, 15. Aufl., § 2 AGG, Rn 17; GÜNTHER/<br />

FREY, NZA 2014, 584, 585). Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs sind alle Umstände des Rechtsstreits<br />

im Sinne einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl.<br />

BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, AP Nr. 10 zu § 22 AGG; BAG 21.6.2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345).<br />

Für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund<br />

„Bestandteil eines Motivbündels“ ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Eine bloße Mitursächlichkeit<br />

genügt (BAG, Urt. v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, AP Nr. 10 zu § 3 AGG; BAG, Urt. v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13,<br />

a.a.O.; BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, a.a.O.). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 871


Fach 17, Seite 1380<br />

Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />

Arbeitsrecht<br />

Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 364/11, a.a.O.; BAG, Urt. v.<br />

23.7.2015 – 6 AZR 457/14, a.a.O.). Gerade die vorstehenden Ausführungen des BAG zur Vermutungswirkung<br />

machen AGG- Klagen aus Arbeitnehmersicht attraktiv und erfolgversprechend.<br />

XVII. § 54 ArbGG<br />

§ 54 Abs. 5 ArbGG ist eine Norm, die sich der Arbeitsrechtler und jeder im Arbeitsrecht tätige Anwalt<br />

tunlichst merken sollte. Die Sprengkraft im Kündigungsschutzverfahren besteht in der Verweisung in<br />

§ 54 Abs. 5 S. 4 ArbGG auf die Regelungen in § 269 Abs. 3 – Abs. 5 ZPO. Denn nach Ablauf der Frist von<br />

sechs Monaten gilt die Klage als zurückgenommen, wodurch die Fiktion der Wirksamkeit der<br />

Kündigung gem. § 7 KSchG eintritt. In diesem Fall gilt: „Außer Spesen nichts gewesen!“ und die gegen den<br />

Arbeitgeber gerichtete Kündigungsschutzklage wandelt sich in ein Regress- und Haftungsverfahren<br />

des Arbeitnehmers gegen seinen Anwalt.<br />

XVIII. Vergleichsschluss<br />

Kristallisieren sich die Risiken und Chancen im fortgeschrittenen Kündigungsschutzprozess zunehmend<br />

heraus, stellt sich sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite die Frage, welches Ziel<br />

die Mandanten verfolgen. Ermattet durch das Verfahren und seine Widrigkeiten geraten zumeist die<br />

Vor- und Nachteile einer vorzugswürdigen umfassenden vergleichsweisen Regelung in den Blick der<br />

Parteien. Inhalte und Tragweite eines Vergleichs, insbesondere seine sozialversicherungs- und<br />

steuerrechtlichen Konsequenzen wollen wohl bedacht sein. Auf Arbeitnehmerseite gilt es insbesondere<br />

alle vergleichsrelevanten Vergütungsbestandteile, insbesondere im variablen Bereich, zu erfassen und<br />

betragsmäßig zu bestimmen. Auch die Prüfung der Verfallbarkeit von Anwartschaften in der betrieblichen<br />

Altersversorgung will gut durchdacht sein. Auf Arbeitgeberseite hingegen sollte dem Urlaub und<br />

seiner Abgeltung durch einen Tatsachenvergleich wie auch bestehenden nachvertraglichen Wettbewerbsverboten<br />

auch mit Blick auf die zu zahlende Karenzentschädigung die nötige Aufmerksamkeit<br />

geschenkt werden. Auch Rückgabe-, Verschwiegenheits- und Geheimhaltungsverpflichtungen (vgl.<br />

erweiterte bzw. neue Anforderungen durch das GeschGehG) wollen bedacht und belastbar geregelt<br />

werden. Und nachdem alle wechselseitigen Positionen eingepreist, verhandelt und abgestimmt sind,<br />

zieht eine umfassende Erledigungsklausel einen Schlussstrich unter die Rechtsbeziehung der Vertragsparteien.<br />

Wichtig ist aus Sicht des beratenden Anwalts auch hier, dass die Mandanten nach<br />

umfassender Aufklärung und Information eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidung treffen,<br />

die ihre Zielvorstellungen und Interessen rechtssicher abbildet sowie dauerhaften Rechtsfrieden<br />

schafft.<br />

XIX. Fazit<br />

Auch wenn über die Begrifflichkeit und Abgrenzung von Strategie und Taktik viele Beiträge und Meinungen<br />

im Internet kursieren, kann man für den arbeitsrechtlichen Bereich festhalten, dass sowohl<br />

Taktik als auch Strategie die bewusste, planvolle, zielgerichtete und steuernde Beherrschung des<br />

Kündigungsszenarios mit Blick auf Chancen und Risiken entsprechend der jeweiligen Interessenlage<br />

von Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschreiben. Wie die vorstehenden beispielhaften Ausführungen<br />

zeigen, ist die Anzahl an Fehlerquellen in tatsächlicher, prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht<br />

im Kündigungsschutzprozess beträchtlich. Die Komplexität steigt zusätzlich noch an, wenn man<br />

berücksichtigt, dass alle drei vorgenannten Bereiche ineinander spielen und es sich beim Arbeitsrecht<br />

per se um ein politisches, höchst dynamisches, sich stetig fortentwickelndes Rechtsgebiet handelt. Es<br />

gilt mithin insbesondere im Kündigungsschutzprozess als Kernmaterie, immer auf der Höhe der Zeit zu<br />

sein. Wer glaubt, einen Kündigungsschutzprozess einfach so, das heißt ohne Strategie und Taktik führen<br />

zu können, wird schnell eines Besseren belehrt und lernt in diesen Fällen die dritte eingangs benannte<br />

Kategorie, den arbeitsrechtlichen Fehler, und seine nachteiligen, oft teuren Folgen kennen. Darum gilt,<br />

wer gut beraten und vorbereitet ist, hat i.d.R. einen Vorteil. Oder mit den Worten von WINSTON CHURCHILL:<br />

„Lache nie über die Dummheit anderer – sie ist deine Chance.“<br />

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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>1<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Anwaltsbüro<br />

Virtuelle Kanzlei, Webinare, Video-Beratung & Co. –<br />

Der Anwaltsberuf im Umbruch<br />

Von Rechtsanwalt MICHAEL ROHRLICH, Würselen<br />

Inhalt<br />

I. Einleitung<br />

II. Klassisches Anwaltsbild ade?<br />

III. Digitalisierung im Anwaltsbüro<br />

1. Elektronische Handakte & elektronischer<br />

Rechtsverkehr<br />

2. Die perfekte Anwaltssoftware<br />

3. Ortsunabhängiges Arbeiten – virtuelles<br />

Sekretariat<br />

4. IT-Sicherheit nicht vergessen!<br />

IV. Rechtsberatung – und was sonst noch?<br />

V. Moderne Akquise – Social Media & Co.<br />

I. Einleitung<br />

Ein großzügiges Gebäude, ein imposantes Büro, ein wuchtiger Schreibtisch aus massivem Holz vor einer<br />

Regalwand mit Kommentaren, Lehrbüchern und gebundenen Zeitschriften sowie ein seriös gekleideter<br />

Anwalt im gesetzten Alter mit grauen Schläfen oder wahlweise eine Anwältin im Business-Outfit – so<br />

oder zumindest so ähnlich sah lange Zeit das Bild eines Vertreters des Rechtsanwaltsberufs aus. Und<br />

sicherlich gibt es das nach wie vor, allerdings existieren heutzutage daneben auch noch diverse andere<br />

„Erscheinungsformen“. Und nur, weil ein Anwalt oder eine Anwältin der vorgenannten Vorstellung nicht<br />

entspricht, bedeutet das nicht, dass er oder sie keine gute Arbeit leistet. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche<br />

Beispiele von hoch-spezialisierten Kolleginnen und Kollegen, die in ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten<br />

tätig sind und gerade deshalb so erfolgreich sind, weil sie aufgrund ihrer Tätigkeit bzw. ihres<br />

Auftretens eben nicht dem „klassischen“ Anwaltsbild entsprechen. Das reicht vom zum Kanzleifahrzeug<br />

umfunktionierten alten Polizei-Gruppenkraftwagen der Kanzlei HOENIG in Berlin (www.kanzleihoenig.de)<br />

über die „Autobahnkanzlei“ von Rechtsanwalt PETER MÖLLER (www.autobahnkanzlei.de) bis hin<br />

zur auf Musikrecht spezialisierten Kanzlei KLEYMANN, KARPENSTEIN & Partner mbB Rechtsanwälte (www.<br />

metal-anwalt.de) sowie Rechtsanwalt MARKO DÖRRE, der sich selbst als „Pornoanwalt“ bezeichnet (www.<br />

pornoanwalt.de). Ganz zu schweigen von Exoten, wie der Kanzlei für Luftrecht des Kollegen FRANK DÖRNER<br />

(www.air-law.de) oder den auf Luft- und Weltraumrecht spezialisierten Rechtsanwälten BAUMANN,<br />

HEINRICH, ORTNER (www.bho-legal.com). Und natürlich versucht die Juristerei auch mit dem technischen<br />

Fortschrift mitzuhalten, so dass es in den Bereichen Start-ups, Legal Tech, Blockchain, 3D-Druck,<br />

Augmented Reality, Kryptowährungen oder auch künstliche Intelligenz (KI) mittlerweile einige Experten<br />

gibt, die hier sämtlich aufzuzählen den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.<br />

Um den Kreis zum eingangs skizzierten Anwaltsbild zu schließen: Die Vorstellungen darüber, wie<br />

Anwälte und Anwältinnen bzw. ihre Kanzleien oder auch ihre Arbeitsweise auszusehen haben, mögen<br />

sich mitunter stark unterscheiden. Das eine muss das andere auch nicht unbedingt ausschließen. Will<br />

sagen: Ein Spezialist im Bereich „KI“ kann im Maßanzug daherkommen, auch wenn man ihm vielleicht<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 873


Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>2<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

eher einen „Schlabberlook“ mit zerrissenen Jeans, Sneakers und Hoodie zutrauen würde. Oder anders<br />

formuliert: Nur weil ein Kollege oder eine Kollegin nicht Anzug und Krawatte bzw. Rock und Bluse als<br />

seine/ihre bevorzugte Arbeitskleidung wählt, muss er oder sie nicht deshalb schlechte Arbeit abliefern.<br />

Der Rechtsanwaltsberuf hat sich verändert, die Mandanten und ihre Erwartungen ebenso. Ob das daran<br />

liegt, dass wir nun einmal im 21. Jahrhundert leben und insb. die technologische Entwicklung rasend<br />

schnell voranschreitet, oder an TV-Serien, wie „Liebling Kreuzberg“, „Danni Lowinski“ oder „Suits“ –der<br />

Rechtsanwaltstypus von vor 20 oder 30 Jahren war schlichtweg ein anderer als heutzutage. Damit soll<br />

weder das eine noch das andere in irgendeiner Art und Weise bewertet werden. Es ist lediglich festzustellen,<br />

dass auch die Rechtsberatungsbranche nicht in einer „Luftblasse“ schwebt, sondern sich<br />

genauso ändert wie andere Branchen und Berufsgruppen auch. Das zu ignorieren, hilft garantiert nicht<br />

weiter. Folglich tut man auch als Angehöriger einer vergleichsweise konservativen Berufsgruppe gut<br />

daran, sich an neue Arbeitsweisen, Werbekanäle und Mandantenerwartungen zu gewöhnen und sich<br />

darauf einzustellen. Das bedeutet natürlich nicht, dass jetzt jeder Anwalt bzw. jede Anwältin gleich alles<br />

über den Haufen werfen muss. Aber es schadet auch nichts, ab und zu mal ein wenig über den gewohnten<br />

Tellerrand hinauszublicken. Denn es gilt das alte Sprichwort: „Wer nicht mit der Zeit geht, muss<br />

mit der Zeit gehen“.<br />

II. Klassisches Anwaltsbild ade?<br />

Ein Anwalt ist vormittags bei Gericht und nachmittags in Besprechungen – das bekommt man zumindest<br />

regelmäßig zu hören, wenn man versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Neben dieser<br />

branchenüblichen Arbeitsweise gibt es inzwischen aber natürlich auch noch einige andere Variationen.<br />

So treten bspw. Anwältinnen und Anwälte, die hauptsächlich beratend tätig sind, nur sehr selten vor<br />

Gericht auf. Eine andere Möglichkeit ist die temporäre bzw. projektbezogene Mitarbeit in Unternehmen,<br />

also die Bereitstellung von Serviceleistungen einer „externen Rechtsabteilung“. In diesem Zusammenhang<br />

ist zu beobachten, dass die Tätigkeit als sog. „Of-Counsel“ immer beliebter zu werden<br />

scheint. Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Of_counsel, 30.7.<strong>2019</strong>) definiert diese Funktion wie folgt:<br />

Of counsel (engl. in beratender Funktion), oft kurz Counsel, ist die Bezeichnung für einen Berufsträger in einer<br />

Rechtsanwaltskanzlei oder einem ähnlichen Unternehmen, der außerhalb der unternehmensinternen Organisation<br />

nur zu bestimmten speziellen Aufgaben als Experte hinzugezogen wird. Eine als of counsel tätige<br />

Person ist zumeist eine erfahrene, namhafte und auf ein bestimmtes Rechts- oder Fachgebiet spezialisierte<br />

Persönlichkeit und betreibt die Tätigkeit nicht selten neben ihrem Hauptberuf. In einer großen Anwaltskanzlei<br />

wird der Begriff für Rechtsanwälte eingesetzt, die außerhalb der Hierarchie von Partnern/Sozien und angestellten<br />

Anwälten („Associates“) bei bestimmten Mandaten herangezogen werden – oft handelt es sich um<br />

Politiker oder Hochschullehrer, insbesondere solche im Ruhestand.<br />

Dies kann also für beide Seiten vorteilhaft sein, sowohl für die Kanzlei als auch für den Counsel.<br />

„Aus der Not eine Tugend zu machen“ kann gerade bei Einzelanwälten so aussehen, dass sie eine „mobile<br />

Kanzlei“ anbieten, ihren Mandaten also Zeit und Aufwand ersparen, indem sie bspw. zur Mandantschaft<br />

fahren und die Besprechung vor Ort stattfinden kann.<br />

Die Kooperation von Rechtsanwälten kann ebenfalls in unterschiedlichster Art und Weise gestaltet<br />

werden, auch in dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahren Einiges getan. Ohne an dieser Stelle auf<br />

das weite Feld der gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten eingehen zu wollen, kann doch festgestellt<br />

werden, dass Sozietäten heutzutage anders aussehen als noch vor einigen Jahren. Das hat mit einem<br />

anderen Verständnis anwaltlicher Arbeitsweise und auch mit veränderten (berufs-)rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

zu tun. So sind etwa bereits seit Anfang 2008 sog. Sternsozietäten erlaubt. Eine<br />

solche liegt vor, wenn Sozien einer weiteren Sozietät bzw. Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten,<br />

Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern angehören (vgl. § 59a Abs. 1 BRAO).<br />

Allerdings besteht nach wie vor eine Kanzleipflicht. Nach Maßgabe von § 5 BORA ist ein Anwalt dazu<br />

verpflichtet, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen<br />

874 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>3<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Voraussetzungen vorzuhalten. Die überwiegende Rechtsprechung geht noch immer davon aus, dass zu<br />

den Mindestanforderungen einer Kanzlei i.S.v. § 5 BORA folgende Kriterien gehören:<br />

• ein Büroraum,<br />

• ein Kanzleischild,<br />

• ein betrieblicher Telefonanschluss sowie<br />

• ein Briefkasten für Zustellungen.<br />

Wie der BGH in seinem Beschl. v. 2.12.2004 (AnwZ (B) 72/02) festgestellt hat, muss ein Anwalt „zu<br />

angemessenen Zeiten dem rechtsuchenden Publikum in den Praxisräumen für anwaltliche Dienste zur Verfügung<br />

stehen“. Es ist also gerade einmal gut 15 Jahre her, dass die Zulassung eines Rechtsanwalts, der gegen<br />

die Kanzleipflicht verstieß, durch den BGH widerrufen wurde. Zwar hatte die Verfassungsbeschwerde<br />

gegen diese Maßnahme letztlich Erfolg (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.2.2005 – 1 BVR 276/05), aber die Kanzleipflicht<br />

mit den o.g. Merkmalen besteht dem Grunde nach noch immer. Das Gesetz sieht in §§ 29<br />

Abs. 1 S. 1, 29a Abs. 2 BRAO die Möglichkeit zur Befreiung von der Kanzleipflicht vor, dies ist aber<br />

natürlich an gewisse Voraussetzungen geknüpft. Dabei geht es jedoch primär um bestimmte Härtefälle,<br />

wie etwa Krankheit, Elternzeit, Auslandsfortbildung bzw. -tätigkeit o.Ä. Allerdings stehen die<br />

Möglichkeiten moderner Rechtsberatung bzw. Mandatsbearbeitung den normierten Zielen nicht<br />

entgegen, zumal auch die Mandanten verstärkt z.B. auf digitale Kommunikation bestehen – ein<br />

Rechtsanwalt ohne E-Mail-Zugang oder Smartphone gilt wohl als „Dinosaurier“. Trotz aller berufsoder<br />

datenschutzrechtlichen Bedenken wollen nicht wenige Mandanten „ihren“ Anwalt via E-Mail,<br />

WhatsApp, Facetime oder Skype erreichen. Diese Entwicklung geht natürlich nicht spurlos an der<br />

Anwaltschaft vorbei. Die 6. Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat am<br />

6.5.<strong>2019</strong> eine Änderung von § 2 BORA beschlossen. Der neue Einschub in Abs. 2 soll wie folgt lauten<br />

(vgl. AnwBl. 6/<strong>2019</strong>, S. 330):<br />

Zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist die Nutzung eines elektronischen oder sonstigen Kommunikationsweges,<br />

der mit Risiken für die Vertraulichkeit dieser Kommunikation verbunden ist, jedenfalls dann erlaubt, wenn<br />

der Mandant ihr zustimmt. Von einer Zustimmung ist auszugehen, wenn der Mandant diesen Kommunikationsweg<br />

vorschlägt oder beginnt und ihn, nachdem der Rechtsanwalt zumindest pauschal und ohne technische<br />

Details auf die Risiken hingewiesen hat, fortsetzt.<br />

Diese Änderung von § 2 BORA wird frühestens zum 1.11.<strong>2019</strong> in Kraft treten. Und doch ist sie so<br />

wichtig, denn sie entspricht schon jetzt der täglichen Anwaltspraxis. War es vor einigen Jahren noch<br />

„in Stein gemeißelt“, dass Mandanten zur Besprechung in die Kanzlei kommen oder das Anliegen<br />

bisweilen auch telefonisch vortragen konnten, so ist die Erwartungshaltung inzwischen eine andere.<br />

Die Erreichbarkeit des Anwalts per E-Mail ist ein absolutes Muss – und das nicht nur bei technikaffinen<br />

23-Jährigen. Gerade unternehmerisch tätige Mandanten sind heilfroh, wenn sie nicht für jede<br />

kurze Frage anrufen oder gar die Fahrt zur Kanzlei antreten müssen. Anwälte müssen ihren Mandanten<br />

aber zumindest anbieten, dass die Kommunikation per E-Mail verschlüsselt erfolgen kann –<br />

auch wenn die Praxiserfahrung zeigt, dass nur ganz wenige Mandanten davon Gebrauch machen<br />

können oder wollen. Irgendwo scheint es in diesem Bereich noch immer gewisse „Blockaden“ zu<br />

geben, obwohl die technische Realisierung der Verschlüsselung von Mail-Inhalten kein „Hexenwerk“<br />

mehr ist; die Verschlüsselung der Übertragungswege von E-Mails wird jedenfalls bei der überwiegenden<br />

Anzahl der E-Mail-Provider schon seit geraumer Zeit gewährleistet. Um Mail-Inhalte zu<br />

verschlüsseln, kann etwa das sog. S/MIME-Verfahren genutzt werden, bei dem ein Zertifikat in Form<br />

einer kleinen Datei zum Einsatz kommt. Dieses muss bei einem entsprechenden Anbieter beantragt<br />

werden, wobei es kostenpflichtige und auch kostenfreie Varianten gibt. Absender und Empfänger<br />

tauschen ihre Zertifikatsdateien dann aus, richten die jeweils andere auf ihrem Endgerät ein und<br />

verifizieren den Gegenpart dadurch. Anschließend können über das ganz normale E-Mail-Programm,<br />

wie Outlook oder Thunderbird, inhaltlich verschlüsselte E-Mails ausgetauscht werden. Eine andere<br />

Möglichkeit besteht in der Nutzung der PGP-Verschlüsselung, wobei hier keine Zertifikate, sondern<br />

Schlüssel ausgetauscht werden, was letztlich aber ganz ähnlich funktioniert. Bei dieser Methode<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 875


Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>4<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

müssen jedoch in aller Regel Zusatz-Tools eingerichtet werden, weil die handelsüblichen E-Mail-<br />

Programme diese Funktionalität – im Gegensatz zu S/MIME – nicht integriert haben. Wer den<br />

technischen Aufwand scheut, kann auch auf alternative E-Mail-Anbieter ausweichen, wie etwa<br />

Tutanota (www.tutanota.com), die bereits standardmäßig eine Inhalts-Verschlüsselung enthalten.<br />

Dazu müssen Anwalt und Mandant sich hier jeweils einen Account zulegen, der oftmals in der<br />

Grundversion kostenfrei ist.<br />

Auch in puncto Messenger-Dienst muss nicht zwingend auf den Branchenprimus WhatsApp zurückgegriffen<br />

werden. Das mag zwar bequem und weit verbreitet sein, verbietet sich aber aus Gründen<br />

des Datenschutzes, da hier von der App ein Zugriff auf alle Kontakte erfolgt und diese auf US-Server des<br />

Anbieters (Facebook) hochgeladen werden. Dadurch besteht für Berufsgeheimnisträger die Gefahr, sich<br />

wegen Geheimnisverrats nach § 203 StGB strafbar zu machen. Zwar wurde das „Legal Outsourcing“<br />

Anfang November 2017 durch die Einführung von § 43e BRAO etwas erleichtert, die Gesamt-Gemengelage<br />

ist jedoch alles andere als abschließend geklärt. Gute Alternativen sind daher sicherere<br />

Messenger, wie bspw. Threema (www.threema.ch) oder Signal (www.signal.org). Beide Apps sind kostenfrei,<br />

Ende-zu-Ende-verschlüsselt und ohne die datenschutzrechtlichen Bedenken, wie sie insb. gegenüber<br />

WhatsApp bestehen.<br />

Und auch wenn man sich als Anwalt von der modernen Technik nicht „einfangen“ lässt und sich zumindest<br />

gegen eine ständige, „Rund-um-die-Uhr“-Erreichbarkeit wehrt, bringt die elektronische<br />

Kommunikation dennoch für Anwälte und Anwältinnen viele Vorteile mit sich. Denn: Einem Telefonat<br />

muss man sich sofort widmen, eine E-Mail kann man dann beantworten, wenn es zeitlich passt.<br />

Selbstverständlich eignen sich nicht alle Dinge für die Regelung per E-Mail, manchmal ist das persönliche<br />

Gespräch einfach unerlässlich. Aber es sei erwähnt, dass eine jahrelange, gute, vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit zwischen Anwalt und Mandant möglich ist, auch wenn man sich nur vom Telefon oder<br />

aus E-Mails kennt. Es führen eben viele (Kommunikations-)Wege nach Rom.<br />

Bei Lichte betrachtet kann aber auch in Zeiten „digitaler Nomaden“ und flexibler, digitaler Arbeitsmöglichkeiten<br />

noch nicht von der Kanzleipflicht abgerückt werden. Solange der elektronische Rechtsverkehr<br />

hierzulande noch in den Kinderschuhen steckt und die Kommunikation zwischen Anwälten,<br />

Behörden, Gerichten und Mandanten im Wesentlichen noch per Brief erfolgt, müssen Anwälte natürlich<br />

auch eine zustellungsfähige Anschrift vorweisen und diese u.a. auf ihrem Briefkopf angeben. Die §§ 5, 10<br />

BORA fordern dies nicht zu Unrecht.<br />

III.<br />

Digitalisierung im Anwaltsbüro<br />

1. Elektronische Handakte & elektronischer Rechtsverkehr<br />

Im Zeitalter der Digitalisierung gehört die Rechtsanwaltschaft zu einem der letzten Berufsstände, die<br />

noch eine so antiquierte Technik wie Faxgeräte einsetzen. Wirft man allerdings einmal einen Blick auf<br />

die Pannen, die es bei der Einführung bzw. beim Betrieb des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs,<br />

des allseits beliebten beA, gab und noch immer gibt, kann man diejenigen Kolleginnen und Kollegen<br />

sehr gut verstehen, die an der bewährten Faxtechnik bis zuletzt festhalten wollen.<br />

Gleichwohl ist der Schritt hin zum elektronischen Rechtsverkehr – sofern er dann in Zukunft einmal<br />

weitgehend reibungslos funktionieren wird – absolut richtig und notwendig. Das bringt es aber<br />

zwangsweise mit sich, dass alle Beteiligten ihre Arbeitsabläufe umstellen. Einige Kollegen haben wohl<br />

schon weitgehend das papierlose Büro realisiert, wobei dieser Begriff irreführend ist –„papierarm“ wäre<br />

wohl angebrachter. Denn nach wie vor gibt es natürlich Urteile, Vollstreckungsbescheide und andere<br />

Titel, die im Original vorliegen müssen und auch für die Dauer ihrer Vollstreckbarkeit aufzubewahren<br />

sind. Die Aktenarchive werden daher so schnell nicht verschwinden, sie werden sich aber vermutlich<br />

immer langsamer mit neuen Inhalten füllen, bis dann irgendwann auch vollstreckbare Urkunden in<br />

digitaler Form möglich sein werden.<br />

876 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>5<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Bereits jetzt fordert die passive beA-Empfangsbereitschaft eine gewisse Anpassung der internen<br />

Kanzleiabläufe. So verlangt § 31a Abs. 6 BRAO Folgendes:<br />

Der Inhaber des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ist verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen<br />

technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das<br />

beA zur Kenntnis zu nehmen.<br />

Wer öfter Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheide beantragt oder Schriftsätze mit umfangreichen Anlagen<br />

verschickt, der lernt schnell die Vorzüge digitaler Bearbeitung und Übermittlung per beA zu schätzen –<br />

auch wenn dessen Optik, Benutzerführung und Handhabung in den 1990er Jahren steckengeblieben zu<br />

sein scheinen. Wenn es funktioniert, sind die Vorteile in puncto Geschwindigkeit, Kosten und Effizienz<br />

jedoch unbestreitbar. Das Arbeiten mit einer digitalen Akte beherrscht jede auf dem Markt angebotene<br />

Anwaltssoftware, die meisten beherrschen inzwischen auch den Umgang mit dem beA ganz gut. Der<br />

Workflow zu Erstellung und Weiterverarbeitung eigener Schriftsätze ist daher kein Problem. Vom<br />

digitalen Diktat direkt in die Textverarbeitung über die Bearbeitung durch das Sekretariat bis hin zum<br />

Versand via beA – nichts muss heute mehr unbedingt ausgedruckt werden.<br />

Anders sieht es natürlich in Bezug auf die Korrespondenz aus, die täglich von Behörden, Gerichten,<br />

Anwälten oder Mandanten im Briefkasten der Kanzlei landet. Die muss nun nicht nur gesichtet, gestempelt,<br />

sortiert und an den Sachbearbeiter weitergeleitet, sondern auch in die digitale Form überführt<br />

werden. Ein Dokumentenscanner ist in Kanzleien mithin nahezu unumgänglich. Den Mut, die Original-<br />

Unterlagen anschließend zu entsorgen, bringen aktuell wohl die wenigsten Anwälte auf. In den meisten<br />

Fällen wird zweigleisig gefahren und die bewährte Papier-Handakte parallel zum digitalen Pendant<br />

geführt. Das ist zwar nicht so effektiv, dafür aber unter Sicherheitsgesichtspunkten gar nicht so abwegig.<br />

Denn so dient die Handakte als „analoge Sicherheitskopie“ bzw. die eingescannten Unterlagen als<br />

digitale Kopie der Handakte. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er schon bereit ist für die<br />

rein digitale Aktenführung, ob er (noch) beide Akten parallel führt oder ob er nach wie vor an der<br />

klassischen Papier-Handakte festhalten will.<br />

Spätestens dann, wenn die aktive beA-Nutzungspflicht kommt, wird sich jeder mit einem digitalen<br />

Workflow beschäftigen müssen. Und je eher man diesen in der Kanzlei eingeführt und auch eingeübt<br />

hat, desto besser. Zudem muss ja auch die notwendige Hardware angeschafft, eingerichtet und deren<br />

Handhabung „trainiert“ werden. So gut und simpel heutzutage Scanner, Multifunktionsgeräte, Tablets<br />

und Smartphones auch sein mögen, nicht alles klappt auf Anhieb. Aufgrund des breiten Angebots reicht<br />

es nicht, irgendein Gerät zu kaufen und darauf zu hoffen, dass es funktioniert, man muss sich mit der<br />

Materie schon eingehend befassen. Gerade am wichtigsten Teil der Digital-Workflow-Kette sollte<br />

nicht gespart werden – dem Dokumentenscanner. Unabhängig von Hersteller, Marke oder Geräteserie<br />

sollte er mit den verschiedenen Arten von Papierdokumenten zurechtkommen, die einem als Anwalt so<br />

geschickt werden. Das geht von mal einseitig, mal beidseitig bedruckten Schriftsätzen über zusammen<br />

getackerte vollstreckbare Ausfertigungen oder notarielle Urkunden bis hin zum behörden-typischen<br />

Umweltpapier oder auch kleinformatigen Quittungen. Unterschiedliche Größen und Papierstärken muss<br />

das Gerät bewältigen können. Der Scanner sollte also die Flut der täglichen Post bewältigen, beidseitig<br />

bedruckte Unterlagen in einem Arbeitsschritt verarbeiten (Duplex-Funktion) und sowohl durchsuchbare<br />

PDF-Dateien als auch langzeitarchivierbare Dokumente (z.B. im PDF-A-Format) erzeugen können.<br />

Natürlich gibt es auch verschiedene Apps für Smartphone und/oder Tablet, die diese Funktionen bieten<br />

und noch einiges mehr (z.B. Speichern der Dokumente in der Cloud). Allerdings gestaltet sich die Arbeit<br />

mit diesen Endgeräten als Scanner doch eher holprig, so dass dies eher eine Übergangslösung oder eine<br />

Variante für einen Einzelanwalt mit einem überschaubaren Posteingang sein kann.<br />

2. Die perfekte Anwaltssoftware<br />

Zentrales Werkzeug in einer Anwaltskanzlei ist natürlich die Anwaltssoftware. Hier gibt es ein recht<br />

großes Angebot, für jede Kanzleigröße und für jeden Geldbeutel. Neben den „Platzhirschen“, wie RA-<br />

Micro, Advoware, AnNoText, Advolux oder ReNoStar, gibt es auch noch etwas kleinere bzw. weniger<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 877


Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>6<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

bekannte Angebote, wie Winmacs, winra, Kanzlei-Manager oder LawFirm. Zu den klassischen, lokal<br />

installierten bzw. server-basierten Systemen gesellen sich nun auch die ersten Cloud-Produkte, bspw.<br />

Kleos aus dem Hause Wolters Kluwer (www.kleos.wolterskluwer.com/de), Legalvisio (www.legalvisio.de)<br />

oder Actaport (www.actaport.de). Einen guten, vergleichenden Überblick über das aktuelle Marktangebot<br />

bietet ILONA COSACK für den ffi Verlag unter www.anwaltskanzleisoftware.de. Die Software, die in der Cloud<br />

läuft, hat den entscheidenden Vorteil, dass man jederzeit von überall auf der Welt darauf zugreifen und<br />

an den Akten arbeiten kann. Einzige Voraussetzung ist ein Endgerät mit Internetzugang. Nachteil ist<br />

dabei, dass die Kanzlei- bzw. Mandantendaten dann nicht auf einem Server in den Kanzleiräumlichkeiten<br />

gespeichert werden, sondern auf einem externen Gerät bei einem Dienstleister. Im Idealfall hat<br />

der Anbieter seine Server in Deutschland oder – auch noch akzeptabel – innerhalb der Europäischen<br />

Union stehen, im schlechtesten Fall werden die Daten aber in verschiedenen Staaten über den Erdball<br />

verteilt gespeichert. Dass sich hier die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und die (zumindest potenzielle)<br />

Zugriffsmöglichkeit fremder Staaten in die Quere kommen, dürfte klar sein. Insbesondere die USA<br />

haben seit Inkrafttreten des sog. CLOUD Acts (Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act) Ende März<br />

2018 die Möglichkeit geschaffen, dass die US-Regierung auf Daten von Internet-Firmen und IT-Dienstleistern<br />

zugreifen kann, auch wenn diese nicht in den USA gespeichert werden.<br />

Ein immer größer werdendes Thema ist Legal Tech, also im weitesten Sinne technologie-gestützte<br />

Mandatsbearbeitung. Auch hier gibt es bereits eine ganze Menge mal mehr, mal weniger interessanter<br />

Angebote, u.a. (halb-)automatisierte Dokumentenerstellung bzw. -analyse, Recruiting, Spezialanwendungen,<br />

Chat-Bots oder intelligente juristische Datenbanken. Auch hierzu existiert online ein ganz<br />

guter Überblick unter www.legal-tech.de.<br />

3. Ortsunabhängiges Arbeiten – virtuelles Sekretariat<br />

Die typische „9–17 Uhr“-Arbeitsweise ist schon lange nicht mehr aktuell, in vielen Branchen setzen die<br />

Unternehmen auf flexible Arbeitszeitmodelle. Gleitzeit und Home-Office sind inzwischen die Mittel der<br />

Wahl, selbstverständlich auch in Anwaltskanzleien. Das funktioniert nicht zuletzt deswegen, weil die<br />

Erwartungshaltung der Mandanten eine andere ist als noch vor einigen Jahren. Heutzutage muss ein<br />

Anwalt eben nicht mehr in seinem Büro sitzen und einen Mandanten nach dem anderen empfangen.<br />

Das gibt es zwar noch, wird aber eben nicht mehr als „gottgegeben“ vorausgesetzt. Häufig sind gerade<br />

Unternehmer nicht unglücklich darüber, wenn ihr Anwalt etwas flexibler erreichbar ist und sie nicht für<br />

jede Frage zu ihm in die Kanzlei kommen müssen. Am Beispiel der kostenfrei von Microsoft erhältlichen<br />

Video-Konferenz-Software Skype zeigt sich deutlich, dass es dank der modernen Technik interessante<br />

Alternativen gibt. Diese Software lässt sich, wie andere Video-Chat-Tools auch, mit den Mitteln nutzen,<br />

die oftmals ohnehin vorhanden sind. Am PC müssen eine Kamera und ein Headset oder jedenfalls ein<br />

Mikrofon und Lautsprecher angeschlossen sein. Halbwegs gut ausgestattete Laptops bringen das alles<br />

bereits eingebaut mit, das Gleiche gilt für Tablets und Smartphones. Ohne großen (Kosten-)Aufwand<br />

können also Anwalt und Mandant miteinander sprechen, sogar von Angesicht zu Angesicht. Voraussetzung<br />

ist lediglich, dass beide die gleiche Software einsetzen, wie eben z.B. Skype oder auch Apple<br />

Facetime. Für mehrere Gesprächsteilnehmer gibt es etwas umfangreichere Lösungen, wie z.B.<br />

GoToMeeting, bei deren Nutzung jedoch in aller Regel Kosten anfallen. Aber auch hierbei müssen die<br />

Teilnehmer der Besprechung nicht irgendwo am Schreibtisch vor einem Computer sitzen, sondern<br />

können sich auch z.B. per Smartphone einwählen. Anders formuliert: Eine Video-Konferenz ist selbst<br />

dann möglich, wenn alle Teilnehmer in unterschiedlichen Ländern am Strand oder sonst wo sitzen – es<br />

muss nur ein ausreichend schneller Onlinezugang vorhanden sein.<br />

Dass aber natürlich auch „mal eben kurz“ beantwortete Fragen am Telefon, per E-Mail, über Video-<br />

Konferenz oder via Messenger nicht unentgeltlich erfolgen, sollte so früh wie möglich mit den Mandanten<br />

besprochen werden.<br />

Das mobile Arbeiten mit Laptop, Tablet oder Smartphone ist in den letzten Jahren immer komfortabler<br />

geworden. So besteht die Möglichkeit, sich über einen sicheren, weil verschlüsselten Tunnel durch das<br />

„normale“ Internet mittels sog. VPN-Verbindung auf dem Kanzlei-Server einzuwählen und Akten auch<br />

878 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>


Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>7<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

unterwegs zu bearbeiten; bei „Anwaltssoftware aus der Cloud“ bedarf es sogar nur eines Standard-<br />

Browsers. Zusätzlich wird das Angebot an speziellen juristischen Apps immer größer. Die Spannbreite<br />

reicht hier von simplen Berechnungstools für RVG-Gebühren (z.B. Deutscher Anwaltverlag: https://<br />

anwaltsgebuehren.online/), Blutalkoholgehalt oder Kindesunterhalt über Gesetzestextsammlungen bis hin<br />

zu Spezial-Anwendungen, wie Lösungen für Modell-Release-Verträge.<br />

Darüber hinaus haben sich mittlerweile verschiedene Dienstleister etabliert, die den Anwalt bei seiner<br />

flexiblen Arbeitsweise unterstützen. Als Hauptzielgruppe sind hier natürlich „Einzelkämpfer“ zu nennen,<br />

aber auch kleinere bis mittlere Kanzleien können von einigen Angeboten durchaus profitieren. So gibt es<br />

bspw. schon länger virtuelle Sekretariatsdienste (z.B. von der eBuero AG: www.anwaltssekretariat.de), die<br />

etwa die telefonische Erreichbarkeit des Anwalts auch dann gewährleisten, wenn dieser bei Gericht, in<br />

Besprechungen oder im Urlaub ist. Auch sind solche Dienste u.U. eine gute, temporäre Lösung für Zeiten<br />

der Spitzenbelastung, wie sie bei einigen Kollegen bspw. im ersten Halbjahr 2018 zur Hochphase der<br />

„DSGVO-Panik“ gegeben war. Neben den Telefondiensten bieten solche Unternehmen regelmäßig auch<br />

repräsentative Büroadressen, Büro- bzw. Besprechungsräume oder auch einen Schreibservice an.<br />

Einen Schritt weiter gehen Angebote von freiberuflich tätigen Rechtsanwalts-Fachangestellten, wie<br />

z.B. ReFa24 (www.refa24.de). Hier können grds. alle Leistungen in Anspruch genommen werden, die<br />

Fachangestellte typischerweise ausüben, also u.a. Finanzbuchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnung,<br />

Zwangsvollstreckung, Aktenführung oder Administration der Anwaltssoftware. Der Unterschied zu<br />

festangestellten Fachangestellten besteht darin, dass hier eine Dienstleistung angeboten wird, so dass<br />

eben u.a. keine Sozialabgaben fällig werden. Außerdem können die Leistungen zwar auch vor Ort in<br />

der Kanzlei erbracht werden, dies muss aber nicht zwingend so sein. Denn die meisten Tätigkeiten<br />

sind auch möglich, wenn der/die Fachangestellte sich per Fernwartungssoftware (z.B. Teamviewer)<br />

auf den Computer des Anwalts aufschaltet, per E-Mail Fragen geklärt oder Gespräche per Video-Chat<br />

geführt werden. Es versteht sich von selbst, dass bei einer solchen Vorgehensweise ein gewisses<br />

Vertrauensverhältnis unerlässlich ist. Darüber hinaus muss eine Verschwiegenheitsverpflichtungserklärung<br />

unterzeichnet werden, die zumindest in Textform vorliegen muss und deren Inhalt sich an<br />

den Vorgaben von § 43e Abs. 3 BRAO zu orientieren hat. Dann kann der/die externe Fachangestellte<br />

als „berufsmäßig tätiger Gehilfe“ i.S.v. § 203 Abs. 3 StGB gelten, so dass keine Verletzung der anwaltlichen<br />

Schweigepflicht zu befürchten ist. Zu beachten ist außerdem, dass Anwälte nach Maßgabe<br />

von § 43e Abs. 2 S. 1 BRAO dazu verpflichtet sind, den ReFa-Dienstleister sorgfältig auszuwählen.<br />

4. IT-Sicherheit nicht vergessen!<br />

Bei aller Flexibilität, die moderne Arbeitsmittel ermöglichen, darf ein wichtiger Aspekt keinesfalls zu kurz<br />

kommen – die Rede ist hier von der IT-Sicherheit. Denn alle Daten, die sich nicht in den ohnehin<br />

ebenfalls gut zu sichernden Kanzleiräumlichkeiten befinden, sondern auf externen Endgeräten bzw.<br />

Datenträgern oder in einer Cloud, stellen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar. Daher verlangen –<br />

neben dem gesunden Menschenverstand – gleich mehrere Vorschriften eine entsprechende Absicherung.<br />

Am deutlichsten formuliert es das Datenschutzrecht, denn schon das alte BDSG sprach von<br />

geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen, oder kurz: TOMs. Das hat sich auch mit<br />

dem Inkrafttreten der DSGVO und der neuen Fassung des BDSG nicht geändert. Das am 26.4.<strong>2019</strong> in<br />

Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) erwähnt ebenfalls TOMs,<br />

wenn auch nicht in Bezug auf personenbezogene Daten, sondern auf Geschäftsgeheimnisse. Allerdings ist<br />

die Zielrichtung in beiden Fällen die gleiche: Die im Unternehmen bzw. in der Anwaltskanzlei existierenden<br />

Daten müssen u.a. vor dem Verlust, vor ungewollter Veränderung oder vor dem Zugriff durch unbefugte<br />

Dritte geschützt werden.<br />

Die DSGVO spricht in diesem Kontext acht konkrete Punkte an:<br />

1. Gewährleistung der Vertraulichkeit (Zutrittskontrolle, Zugangskontrolle, Zugriffskontrolle, Trennungsgebot,<br />

Auftragskontrolle);<br />

2. Gewährleistung der Integrität von Daten (Eingabekontrolle, Weitergabekontrolle);<br />

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Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>8<br />

Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

3. Gewährleistung der Verfügbarkeit von Daten,<br />

4. Gewährleistung der Belastbarkeit der Daten-Systeme;<br />

5. Wiederherstellung der Verfügbarkeit der Daten,<br />

6. Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der TOM;<br />

7. Daten-Verschlüsselung;<br />

8. Pseudonymisierung von Daten.<br />

In Bezug auf die Vertraulichkeit (1.) ist etwa an die folgenden Punkte zu denken:<br />

• Alarmanlage,<br />

• mechanische Fenstersicherungen,<br />

• Schließsystem mit Sicherheitsschlössern,<br />

• Videoüberwachung,<br />

• Bewegungsmelder,<br />

• Schlüsselregelung für Beschäftigte,<br />

• Personenkontrolle am Empfang,<br />

• Verschließen der Türen bei Abwesenheit,<br />

• Erstellen von Benutzerprofilen mit unterschiedlichen Berechtigungen,<br />

• Pflicht zur Passwortnutzung,<br />

• Einsatz von VPN-Technologie bei Zugriff von außen auf die internen Systeme,<br />

• Sperren von externen Schnittstellen (USB, CD-Rom usw.),<br />

• Einsatz von Intrusion-Detection-Systemen,<br />

• Nutzer-Berechtigungskonzept,<br />

• Verwenden einer Passwortrichtlinie,<br />

• Protokollierung von Zugriffen auf Anwendungen,<br />

• ordnungsgemäße Vernichtung von Datenträgern und Papierakten oder Inanspruchnahme von Dienstleistern<br />

zur Aktenvernichtung (z.B. Reißwolf),<br />

• Aufbewahrung von Datenträgern und Akten in abschließbaren Schränken,<br />

• logische Mandantentrennung<br />

• Datensätze mit Zweckattributen/Datenfeldern,<br />

• Trennung von Produktiv- und Testsystem,<br />

• sorgfältige Auswahl von Dienstleistern und schriftliche Vereinbarung (Verschwiegenheitsverpflichtung),<br />

• vertraglich festgelegte Kontrollrechte gegenüber dem Auftragnehmer und<br />

• vertraglich festgelegte Vertragsstrafen bei Verstößen.<br />

Die Integrität (2.) von Daten erfordert bspw. Maßnahmen wie:<br />

• Protokollierung der Eingabe, Änderung und Löschung von Daten im System,<br />

• individuelle Benutzernamen für Nutzer,<br />

• Weitergabe von Daten in anonymisierter oder pseudonymisierter Form (wenn möglich),<br />

• Verschlüsselung der E-Mail-Übertragung und -Inhalte (falls möglich),<br />

• Festlegung von Löschfristen und<br />

• Nutzung von mobilen Datenträgern mit Verschlüsselungsfunktion.<br />

Um die Verfügbarkeit (3.) von Daten zu gewährleisten, kommt u.a. das Folgende in Betracht:<br />

• Server mit unterbrechungsfreier Stromversorgung (USV),<br />

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Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />

• Alarmanlage im Serverraum,<br />

• Klimaanlage im Serverraum,<br />

• Überwachung von Temperatur und Feuchtigkeit im Serverraum,<br />

• Schutzsteckdosenleisten für EDV-Geräte,<br />

• Feuer- bzw. Rauchmeldeanlagen,<br />

• Feuerlöschgeräte,<br />

• Datensicherungskonzept und regelmäßiges Testen der Funktionsweise der Datensicherung,<br />

• Notfallkonzept,<br />

• Aufbewahrung von Datensicherung an sicherem, ausgelagertem Ort,<br />

• Serverräume nicht unterhalb von sanitären Anlagen gelegen,<br />

• keine Wasserleitungen in Serverräumen bzw. über den Server-Rechnern sowie<br />

• Serverräume nicht in Hochwasser-gefährdeten Kellerräumen.<br />

Der Aspekt der Belastbarkeit (4.) der Systeme erfordert z.B. folgende Maßnahmen:<br />

• Antiviren-Software,<br />

• Hardware- und/oder Software-Firewall,<br />

• sorgfältige Auswahl des externen IT-Dienstleisters sowie<br />

• Einspielen von Updates/Upgrades für Betriebssystem und Anwendungssoftware.<br />

Bei der Wiederherstellung der Verfügbarkeit (5.) geht es etwa um:<br />

• einen sorgfältig ausgewählten IT-Dienstleister,<br />

• einen sorgfältig ausgewählten internen System-Administrator und<br />

• die Vorhaltung von Ersatz-Hardware (Server und Arbeitsplätze).<br />

Um auf dem aktuellen Stand der Technik zu sein und auch zu bleiben, bedarf es eines Systems zur<br />

regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der eigenen TOMs (6.). Da<br />

hilft schon mal ein entsprechender Eintrag im Kalender weiter, der einen mindestens zwei bis drei Mal<br />

pro Jahr daran erinnert, sich und seine Sicherungsmaßnahmen selbst zu überprüfen und ggf. nachzubessern.<br />

In größeren Kanzleien ist sicherlich ein eigenes Informations-Sicherheits-Management-<br />

System (ISMS) sinnvoll.<br />

Die Verschlüsselung von Daten (7.) ist immer eine gute Idee. Wer Windows 10 in der Pro-Version als<br />

Betriebssystem einsetzt, kann die integrierte Bitlocker-Funktion aktivieren. So mancher externe Datenträger<br />

(USB-Stick, tragbare Festplatte) verfügt über eine eingebaute Verschlüsselungsfunktion.<br />

Außerdem gibt es gute, z.T. sogar kostenfrei nutzbare Tools (z.B. Veracrypt), mit denen Dateien, Ordner<br />

oder ganze Festplatten verschlüsselt werden können. Die eigene Website sollte mit einem sog. SSL-/<br />

TLS-Zertifikat ausgestattet sein, so dass die Daten von Besuchern, etwa beim Einsatz eines Kontaktformulars,<br />

verschlüsselt übertragen werden.<br />

Der Punkt Pseudonymisierung (8.) von Daten ist dagegen weniger praxisrelevant, da dies im anwaltlichen<br />

Alltag mehr hinderlich als nützlich wäre.<br />

Natürlich sind nicht immer alle der genannten Maßnahmen möglich oder sinnvoll, denn als Anwalt kann<br />

man eben etwa mit anonymen oder pseudonymen Daten nur wenig anfangen. Jeder ist aber dazu<br />

verpflichtet, den eigenen Schutzbedarf zu ermitteln und ein dem Risiko angemessenes Sicherheitsniveau<br />

zu gewährleisten. Anwälte sind ohnehin zur Verschwiegenheit verpflichtet (vgl. § 43a Abs. 2 S. 1<br />

BRAO, § 2 Abs. 1 S. 1 BORA), daher müssen sie alle Maßnahmen ergreifen, um die Daten bezüglich ihrer<br />

Mandanten bzw. Mandate entsprechend zu sichern.<br />

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Fach 23, Seite 1170<br />

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IV. Rechtsberatung – und was sonst noch?<br />

Gerade Einzelanwälte und kleinere Kanzleien haben bisweilen damit zu kämpfen, dass nicht ständig<br />

neue Mandate eintrudeln. Sie müssen in aller Regel mit gewissen Schwankungen leben, denn es gibt<br />

Zeiten, da kommt überdurchschnittlich viel, und es gibt Zeiten, in denen ist es etwas ruhiger. So manch<br />

einer hat um Weihnachten bzw. den Jahreswechsel etwas weniger zu tun, andere wiederum können in<br />

der Sommer-/Ferienzeit durchatmen. Und es gibt natürlich auch Kanzleien, da ist durchgängig ausreichend<br />

Betrieb, aber im Großen und Ganzen hat wohl jeder Anwalt schon die eine oder andere<br />

„Dürreperiode“ durchzustehen gehabt. Da stellt sich die Frage: Was dann? Genießt man die freie Zeit?<br />

Etwa auch dann, wenn sie länger dauert als gedacht?<br />

Um eine mandanten-ärmere Phase zu überbrücken, kann man auch als Anwalt Tätigkeiten übernehmen,<br />

die vielleicht nicht unbedingt zur „klassischen“ Arbeit eines Organs der Rechtspflege gehören.<br />

Hier denken einige wohl direkt an das Halten von Vorträgen oder Seminaren oder an das Verfassen von<br />

Fachaufsätzen für Zeitschriften, Blogs oder die eigene Website. Aber warum nicht mal ein Buch in<br />

Angriff nehmen? Findet sich kein Verlag, kann der schreib-affine Anwalt auch in Eigenregie veröffentlichen.<br />

Anbieter von entsprechenden Dienstleistungen (z.B. amazon) übernehmen gegen ein<br />

gewisses Entgelt Aufgaben, wie Satz, Lektorat, Druck oder auch Vertrieb. Bei der Veröffentlichung eines<br />

E-Books ist der zeitliche und finanzielle Aufwand sogar noch etwas geringer als bei einem Printwerk.<br />

Wer sein Wissen an andere weitergeben möchte, muss heutzutage nicht zwingend Räumlichkeiten<br />

vorhalten oder anmieten, Werbe-Flyer verschicken, vor Ort Getränke organisieren, Teilnehmerunterlagen<br />

drucken usw. Das Zauberwort heißt: Webinar. Wer solch ein Online-Seminar veranstalten<br />

möchte, kann sich einen entsprechenden Partner suchen (z.B. einen juristischen Verlag) oder sich selbst<br />

um die Technik, Werbung, Durchführung etc. kümmern. Mit Tools, wie bspw. GoToWebinar (www.<br />

gomeeting.com) oder Zoom (www.zoom.us), ist das gar nicht mehr so kompliziert und vergleichsweise<br />

preisgünstig. Zudem bieten derartige Tools über die Durchführung des eigentlichen Webinars hinaus<br />

oftmals auch noch zusätzliche Hilfe z.B. bei Bewerbung oder Abrechnung der Veranstaltung.<br />

Noch schneller gelingt der Einstieg mit einem eigenen YouTube-Kanal, denn hierfür benötigt man im<br />

Grunde lediglich ein Smartphone und eine gute Idee für die Inhalte. Kollegen wie Rechtsanwalt CHRISTIAN<br />

SOLMECKE (www.youtube.com/kanzleiwbs) machen vor, wie diese Plattform für Akquise- bzw. Marketing-<br />

Zwecke erfolgreich genutzt werden kann.<br />

V. Moderne Akquise – Social Media & Co.<br />

Die gute alte Visitenkarte ist zwar noch nicht ganz ausgerottet, sie wird in Zeiten von Social Media aber<br />

immer unwichtiger. Digitale Visitenkarten oder eine Vernetzung über LinkedIn oder Xing sind wesentlicher<br />

schneller, einfacher und praktischer. Denn die sozialen Medien können nicht nur zum Netzwerken,<br />

sondern zugleich auch für Werbezwecke genutzt werden. „Wer schreibt, der bleibt“, dieses alte Sprichwort<br />

gilt auch heute noch. Nicht nur die Anwälte, die schwerpunktmäßig in den Bereichen IT- bzw.<br />

Online-Recht tätig sind, können und sollten die Möglichkeiten des World Wide Web ausschöpfen.<br />

Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass ein verwaister Social-Media-Account eher eine Anti-<br />

Werbung darstellt. Daher gilt: Wer einmal den Schritt gewagt hat und sich bei Facebook, Twitter,<br />

LinkedIn, Instagram & Co. angemeldet hat, ist gut beraten, hier auch regelmäßig Inhalte bereitzustellen.<br />

Und das bedeutet eher einmal am Tag als einmal im Monat. Das Gute an den sozialen Medien ist aber,<br />

dass es sich nicht immer um einen seitenlangen Aufsatz handeln muss, sondern auch die Weiterleitung<br />

oder Kommentierung eines anderen Beitrags möglich ist. Manchmal reicht schon ein Klick auf den<br />

„Gefällt mir“- oder den „ReTweet“-Button, um wieder im Spiel zu sein.<br />

Dagegen kann die eigene Website ruhig als „virtuelle Visitenkarte“ gestaltet sein, sie muss also nicht<br />

zwingend regelmäßig mit neuen Inhalten gefüttert werden. Allerdings bringt ein ggf. separat betriebener<br />

Blog oder YouTube-Kanal deutlich mehr Aufmerksamkeit und damit auch potenziell mehr<br />

neue Mandaten.<br />

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