ZAP-2019-16
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<strong>ZAP</strong><br />
Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />
<strong>16</strong> <strong>2019</strong><br />
28. August<br />
31. Jahrgang<br />
ISSN 0936-7292<br />
Herausgeber: Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer • Rechtsanwalt beim<br />
BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln • Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für<br />
Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins •<br />
Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen • Rechtsanwalt<br />
Dr. Hubert W. van Bühren, Köln Begründet von: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider<br />
AUS DEM INHALT<br />
Kolumne<br />
Sport frei! – Nun auch in der Fachanwaltschaft (S. 827)<br />
Anwaltsmagazin<br />
Pläne der neuen Bundesjustizministerin (S. 829) • Positionspapier zum „Pakt für den Rechtsstaat“ (S. 833)<br />
• BGH verschärft Verbot des Erfolgshonorars (S. 834)<br />
Aufsätze<br />
Brändle, Die Rechtsmittelbeschwer im Mietrecht (S. 843)<br />
Horst, Abwehr und Duldung nachbarlicher Immissionen (S. 847)<br />
Holthausen, Fehlerquellen, Strategie und Taktik im Kündigungsschutzprozess (S. 859)<br />
Rohrlich, Virtuelle Kanzlei, Webinare, Video‐Beratung & Co. (S. 873)<br />
Eilnachrichten<br />
BVerfG: Europäische Bankenunion verfassungskonform (S. 840)<br />
BGH: Pflichtwidriges Verhalten eines Rechtsanwalts (S. 842)<br />
EuGH: Website mit „Gefällt mir“-Button von Facebook (S. 842)<br />
In Zusammenarbeit mit der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer
Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />
Kolumne – – 827–828<br />
Anwaltsmagazin – – 829–834<br />
Eilnachrichten 1 119–126 835–842<br />
Brändle, Die Rechtsmittelbeschwer im Mietrecht 4 1813–18<strong>16</strong> 843–846<br />
Horst, Abwehr und Duldung nachbarlicher Immissionen 7 519–530 847–858<br />
Holthausen, Fehlerquellen, Strategie und Taktik im<br />
Kündigungsschutzprozess 17 1367–1380 859–872<br />
Rohrlich, Virtuelle Kanzlei, Webinare, Video-Beratung<br />
& Co. – Der Anwaltsberuf im Umbruch 23 1<strong>16</strong>1–1170 873–882<br />
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Redaktionsbeirat<br />
Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />
Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />
Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />
Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RAuN Daniel Krause,<br />
Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />
Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />
Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F <strong>16</strong>) • RA<br />
beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />
Ständige Mitarbeiter<br />
Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG a.D. Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus,<br />
Gelsenkirchen • RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert,<br />
Düsseldorf • Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald,<br />
Vallendar • RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA<br />
Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Dr. Hans Reinold Horst,<br />
Hannover/Solingen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund<br />
• RA Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn •<br />
RA Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />
Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RiOLG a.D. Heinrich Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr.<br />
Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. •<br />
PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen • RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach •<br />
RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln.<br />
Impressum<br />
Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />
schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />
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(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />
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Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 245,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />
ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />
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service@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Astrid von Schweinitz (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Peggy von Schoenebeck –<br />
Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />
Druck: Hans Soldan Druck GmbH, Essen. ISSN 0936-7292
<strong>ZAP</strong><br />
Kolumne<br />
Kolumne<br />
Sport frei! – Nun auch in der Fachanwaltschaft<br />
Antworte ich auf die Frage nach meiner Tätigkeit,<br />
so wird dies in den allermeisten Fällen mit „Ah,<br />
Rechtsanwältin …“ kommentiert. Es folgt eine<br />
gelangweilte Pause. „Ein bestimmtes Rechtsgebiet?“<br />
schiebt sich immerhin noch hinterher. „Ja“, antworte<br />
ich dann schon leicht belustigt, weil ich<br />
weiß, was kommt: „Sportrecht!“. „Sportrecht?“<br />
Große Augen. „Also Sportunfälle und so?“ „Nicht nur“,<br />
beginne ich dem dann meist uneingeschränkt<br />
interessierten Zuhörer zu erzählen, was ich als<br />
Sportrechtsanwältin so mache.<br />
Das ist immer einer der Momente, in denen ich<br />
selbst staune, wie viele diverse Aspekte das Sportrecht<br />
umfasst. Haben Sie sich diese Frage schon<br />
einmal gestellt: Was ist Sportrecht? Möglicherweise<br />
im Zusammenhang mit der am 26.11.2018<br />
durch die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(BRAK) beschlossenen Einführung<br />
des Fachanwalts für Sportrecht als 24.<br />
Fachanwaltschaft?<br />
Nun ja, mit Sportunfällen kann Sportrecht auch zu<br />
tun haben. Mit sich daran anschließenden Versicherungsfragen,<br />
die unterschiedlich beantwortet<br />
werden müssen, je nachdem, ob es sich bei dem<br />
Sportler um einen Schüler, einen Hobbytriathlet<br />
oder um einen Arbeitnehmer eines Fußballvereins<br />
handelt. Mit Vereins- und Verbandsrecht, denn<br />
eine Satzung muss rechtmäßig gestaltet und<br />
formal korrekt im Vereinsregister eingetragen,<br />
Vereinsstrafen richtig verhängt, wirtschaftlicher<br />
Geschäftsbetrieb und steuerbegünstigter Zweckbetrieb<br />
getrennt und Spenden richtig vereinnahmt<br />
sein. Mit Vertragsrecht und AGB, denn<br />
die Werbe- und Sponsoringverträge, die Medienverträge,<br />
Veranstalterverträge, die Arbeitsverträge<br />
– kurz, alle Arten von Verträgen – müssen<br />
individuell ausgestaltet und rechtssicher sein.<br />
Oder haben Sie schon mal etwas von Doping<br />
gehört? Von der Nationalen Anti-Doping Agentur<br />
und dem Anti-Doping-Gesetz? (Steuer-)Gelder<br />
fließen nur in den Sport, wenn die Verbände,<br />
Vereine, Athleten und mitunter auch Sponsoren<br />
und Veranstalter an die Anti-Doping-Regelwerke<br />
gebunden sind. Lückenlos. Damit im Falle eines<br />
Verstoßes sanktioniert werden kann. Durch den<br />
Verband, das Nationale Sportschiedsgericht (DIS)<br />
bis hin zum Internationalen Sportschiedsgerichtshof<br />
(CAS) in Lausanne. Vielleicht haben Sie aber<br />
insbesondere vor internationalen Sporthöhepunkten<br />
von einstweiligen Verfügungsverfahren gelesen,<br />
in denen sich Sportler ihre Zulassung (Nominierung)<br />
zu eben diesen erstreiten wollen.<br />
Sportrecht greift auch ethische und moralische<br />
Fragen auf: Soll Doping freigegeben werden?<br />
Sollen hyperandrogene Frauen vom Spitzensport<br />
ausgeschlossen werden, weil ihre Hormonwerte<br />
zu hoch sind? Benötigt man für Sportler neutralen<br />
Geschlechts eine eigene Wettkampfklasse? Sollen<br />
alle Sportarten gleichermaßen allen Geschlechtern<br />
zugänglich sein? Sind mixed-Wettbewerbe<br />
die gerechteren? Soll eSport in Deutschland als<br />
gemeinnützig anerkannt werden? Sind Kollektivstrafen<br />
für Verstöße nicht zu identifizierender<br />
Einzeltäter richtig? Dürfen auch Ausländer deutsche<br />
Meister werden?<br />
Sie werden jetzt schon erkannt haben, dass zur<br />
Beantwortung all dieser Fragen eine fundierte<br />
juristische Ausbildung und die Kenntnis der einschlägigen<br />
Gesetze zwingend notwendig sind.<br />
Das gilt für alle Berufsjuristen. Hinzu kommen<br />
jedoch die einschlägigen Regelwerke der Sportvereine<br />
und Sportverbände, der Sportinstitutionen<br />
bis hin zum Internationalen Olympischen<br />
Komitee (IOC). Allein die Loseblattsammlung von<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 827
Kolumne<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Deutschem Fußball Bund (DFB) und Deutscher<br />
Fußball Liga (DFL) umfasst 1.230 Seiten, die<br />
Rennordnung des Direktoriums für Vollblutzucht<br />
und Rennen 712 Paragrafen. Das IOC bringt für<br />
jede Ausgabe der Olympischen Spiele eigene Regularien<br />
heraus. Das ist der Autonomie des Sports<br />
geschuldet. Sie mündete in einem weltweiten,<br />
von staatlichem Einfluss und staatlicher Prüfung<br />
weitestgehend unabhängigen Rechtssystem (lex<br />
sportiva) mit einer Sport- und Schiedsgerichtsbarkeit<br />
nach eigenen Verfahrensordnungen.<br />
Dabei macht der Sport an den Grenzen nicht Halt.<br />
Deutsche Sportler treten in internationalen Wettkämpfen<br />
und Ligen an, ausländische Sportler starten<br />
in Deutschland. Investoren, Sponsoren, Medienunternehmen<br />
sind international. Sanktionen<br />
von ausländischen Verbänden oder Institutionen<br />
müssen in Deutschland umgesetzt werden. Spielmanipulation<br />
und Doping sind weltumfassende<br />
Phänomene. Weltweit gilt im Sport der Leitgedanke<br />
des sog. Fair Play oder des level playing field.<br />
Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff des<br />
Sportrechts, der über das Gebot von Treu und<br />
Glauben im deutschen Zivilrecht hinausgeht. Diesen<br />
Leitdanken gilt es zu verteidigen.<br />
Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass sich der<br />
Sport in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen<br />
kommerzialisiert hat. Damit einher ging nicht nur<br />
seine Verrechtlichung, sondern vor allem auch<br />
eine enorme Steigerung des Beratungsbedarfs im<br />
Breiten- wie im Profisport. Aus meiner Sicht ist es<br />
unmöglich, individuell und fundiert im Sportumfeld<br />
zu beraten, wenn einem die vielen Facetten,<br />
die rechtlichen wie faktischen Besonderheiten<br />
des Sports nicht vertraut sind, wenn die<br />
Erfahrung im Umgang mit Funktionären, Athleten,<br />
Sponsoren, Ministerien oder Eltern in<br />
diesem Umfeld fehlt. Wenn man die Emotionen<br />
nicht kennt, die Sport und Sportbusiness prägen.<br />
Es hilft sicher ungemein, selbst einmal im Sport<br />
aktiv oder tätig gewesen zu sein. Das allein reicht<br />
aber nicht aus. Nicht jeder, der einst eine Turnhose<br />
trug, wird zum guten Sportrechtsanwalt.<br />
Und auch Sprachkenntnisse sind unabdingbar.<br />
Deshalb hat die Satzungsversammlung mit der<br />
Einführung der Fachanwaltschaft für Sportrecht<br />
eine Unsicherheit der potenziellen Kunden (Athleten,<br />
Sponsoren, Vereine, Verbände, Veranstalter<br />
etc.) beseitigt. Diese erhalten nun eine Orientierung,<br />
wer sie am Markt am besten in ihrem Anliegen<br />
beraten kann. Und da – Sie haben es bereits<br />
gelesen – die Vielfalt im Sportrecht recht<br />
groß ist, gibt es auch hier wieder Unterschiede in<br />
der Spezialisierung: etwa auf den Fußball als<br />
Sportart oder das Doping als Sachgebiet.<br />
Für mich als „alter Hase“ auf diesem Gebiet steckt<br />
das Sportrecht noch immer in den Kinderschuhen.<br />
Und das, obwohl es mit der Deutschen Vereinigung<br />
für Sportrecht e.V. (Konstanzer Arbeitskreis<br />
für Deutsches und Internationales Sportrecht)<br />
seit 1982 ein interdisziplinär ausgerichtetes Diskussionsforum<br />
mit eigener Schriftenreihe zum<br />
Sportrecht gibt. Die Arbeitsgemeinschaft Sportrecht<br />
im Deutschen Anwaltverlag (DAV) besteht<br />
seit 20 Jahren und zählt rund 400 Mitglieder.<br />
Zudem beschäftigt sich eine eigene Fachzeitschrift,<br />
die Zeitschrift für Sport und Recht (kurz:<br />
SpuRt) intensiv mit den Fällen und juristischen<br />
Fallstricken des Sportrechts, mit seinen Entwicklungen<br />
und Herausforderungen und den dazu<br />
ergangenen Urteilen.<br />
Es gibt noch so viel im Sportrecht zu entwickeln,<br />
zu besprechen, zu erforschen und zu justieren. Es<br />
ist und bleibt ungemein spannend, in diesem<br />
besonderen Rechtsgebiet zu arbeiten. Deshalb<br />
gerate ich ins Schwärmen, wenn ich erklären darf,<br />
was ich als Sportrechtsanwältin so mache. Deshalb<br />
freue ich mich, wenn mein Gegenüber die<br />
Vielfalt erkennt, die das Sportrecht ausmacht,<br />
dass Sportrecht ein klein wenig mehr ist als<br />
Sportunfälle und so.<br />
Rechtsanwältin Prof. Dr. ANNE JAKOB, LL.M., Karben<br />
828 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Anwaltsmagazin<br />
Pläne der neuen<br />
Bundesjustizministerin<br />
In einem Presseinterview Anfang Juli hat die neue<br />
Bundesjustizministerin CHRISTINE LAMBRECHT einen<br />
ersten Ausblick darauf gegeben, worauf ihr Ministerium<br />
in den nächsten Monaten das Augenmerk<br />
legen will. Hierbei ganz vorne scheint – angesichts<br />
der gravierenden Probleme auf dem<br />
Wohnungsmarkt – das Bau- und das Mietrecht<br />
zu stehen.<br />
So sagt die Politikerin insbesondere den ständig<br />
steigenden Mieten den Kampf an, und dies auch<br />
mit ungewöhnlichen Mitteln. Sie könnte sich<br />
auch Enteignungen privater Wohnungsgesellschaften<br />
vorstellen, sagte LAMBRECHT in dem<br />
Interview. Diese seien eine Möglichkeit, die bereits<br />
im Grundgesetz verankert sei. Die Frage sei<br />
nur, wann sie sinnvoll seien. Denn nur dann,<br />
wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft<br />
seien, könne man auf Enteignungen als richtiges<br />
Mittel zugreifen. Deshalb würden zzt. im Justizministerium<br />
alle Möglichkeiten ausgelotet, um<br />
die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt<br />
zu verbessern.<br />
LAMBRECHT plädiert aus diesem Grund auch dafür,<br />
die Mietpreisbremse weiter zu verschärfen. Sie<br />
wolle das Instrument „weiterentwickeln“. So sollen<br />
Mieter künftig etwa zu viel gezahlte Miete zurückverlangen<br />
können – und zwar ab Beginn des<br />
Mietvertrags. Bis zum Spätsommer will die neue<br />
Ministerin dem Bundeskabinett hierzu einen Gesetzentwurf<br />
vorlegen und anschließend in das<br />
parlamentarische Verfahren einbringen. Auch das<br />
Berliner Vorhaben zum „Mietendeckel“ (vgl.<br />
hierzu bereits <strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 13/<strong>2019</strong>,<br />
S. 655) betrachtet LAMBRECHT offenbar mit Sympathie:<br />
„Wir werden genau beobachten, wie sich der<br />
Berliner Mietendeckel auswirkt. Grundsätzlich müssen<br />
Vorgaben vom Staat möglich sein“, so die Ministerin.<br />
Schließlich fehlten mittlerweile Wohnungen in allen<br />
Preissegmenten.<br />
Auch eine Baupflicht, wie sie schon in Tübingen<br />
gilt, will LAMBRECHT nicht ausschließen. Es müsse<br />
geprüft werden, ob das geltende Baugebot noch<br />
ausreiche. Das Tübinger Modell könne eine Möglichkeit<br />
sein, Menschen mit Baugrundstücken zum<br />
Handeln zu bewegen.<br />
Zeitnah in Angriff nehmen will die Ministerin<br />
auch maßvolle Kompetenzerweiterungen für<br />
den Verfassungsschutz; sie verweist hierfür auf<br />
die jüngsten Vorfälle im Bereich des Rechtsextremismus,<br />
etwa den Mord an dem Kasseler<br />
Regierungspräsidenten WALTER LÜBCKE. Mehr<br />
Kompetenzen für den Verfassungsschutz müssten<br />
allerdings immer mit einer Ausweitung der<br />
parlamentarischen Kontrolle einhergehen. In<br />
diesem Zusammenhang hat sie auch das seit<br />
rund eineinhalb Jahren geltende sog. Netzdurchsetzungsgesetz<br />
im Blick, das helfen soll, Hass<br />
und Hetze im Internet zu bekämpfen. Dessen<br />
Umsetzung müsse besser werden, so die Ministerin.<br />
Offenbar wenig Sympathien äußerte LAMBRECHT<br />
dagegen für die von vielen Seiten geforderten<br />
weiteren Verschärfungen im Asylrecht. Sie habe<br />
zwar auch den jüngsten Reformen zugestimmt,<br />
weil es aus ihrer Sicht Konsequenzen haben müsse,<br />
wenn ein Asylbewerber rechtskräftig abgelehnt<br />
worden sei. Jetzt sei allerdings die Umsetzung<br />
des geltenden Rechts in der Praxis „das Gebot<br />
der Stunde“, nicht aber, vorschnell nach weiteren<br />
Verschärfungen zu rufen.<br />
[Red.]<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 829
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Antrag auf Ausschluss der NPD von<br />
der Parteienfinanzierung<br />
Mit Schriftsatz vom 19.7.<strong>2019</strong> haben Bundestag,<br />
Bundesrat und Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht<br />
den Ausschluss der Nationaldemokratischen<br />
Partei Deutschlands (NPD) von<br />
der staatlichen Parteienfinanzierung beantragt.<br />
Hintergrund des Antrags ist das Urteil des BVerfG<br />
v. 17.1.2017 (BvB 1/13), in dem das Gericht zwar ein<br />
Verbot der NPD abgelehnt, jedoch zugleich die<br />
Verfassungsfeindlichkeit der Ziele der NPD ausdrücklich<br />
festgestellt und darauf hingewiesen<br />
hatte, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber<br />
vorbehalten sei, Sanktionsmöglichkeiten<br />
für verfassungsfeindliche Parteien zu schaffen.<br />
Daraufhin wurde mit Gesetz vom 13.7.2017<br />
durch die Ergänzung von Art. 21 GG um den neuen<br />
Absatz 3 die Möglichkeit zum Ausschluss verfassungsfeindlicher<br />
Parteien von der Parteienfinanzierung<br />
geschaffen.<br />
Der Bundesrat hatte im Februar 2018 den einstimmigen<br />
Beschluss gefasst, ein Verfahren zum<br />
Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung<br />
einzuleiten. Die Bundesregierung<br />
hatte dann durch Kabinettsbeschluss Mitte April<br />
2018 beschlossen, einen Antrag auf Ausschluss<br />
der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung<br />
zu stellen. Auch der Bundestag beschloss im April<br />
2018 auf Antrag mehrerer Fraktionen, den Ausschluss<br />
der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung<br />
beim BVerfG zu beantragen.<br />
In ihrer umfangreichen Antragsschrift belegen<br />
nun die Antragsteller, dass die NPD weiterhin<br />
planvoll das Ziel verfolgt, die freiheitliche demokratische<br />
Grundordnung zu beseitigen. Damit<br />
sind aus ihrer Sicht die verfassungsrechtlichen<br />
Voraussetzungen für einen Ausschluss von der<br />
staatlichen Parteienfinanzierung nach Art. 21<br />
Abs. 3 GG erfüllt. Durch einen solchen Ausschluss<br />
würden der NPD zugleich die Steuerprivilegien für<br />
Parteien aberkannt.<br />
Zugleich mit dem Antrag legen Bundesrat, Bundestag<br />
und Bundesregierung dem Gericht über<br />
300 Belege für fortdauernde verfassungsfeindliche<br />
Aktivitäten der NPD vor. Daraus ergebe sich,<br />
dass die Partei die parlamentarische Demokratie<br />
verachte und einem völkischen Denken verpflichtet<br />
sei, das dem Prinzip der Menschenwürde widerspreche.<br />
Zugleich belegen die Antragsteller in<br />
einer umfangreichen Dokumentation, dass die<br />
verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für ein<br />
Gerichtsverfahren gewährleistet sind. Hingewiesen<br />
wird in diesem Zusammenhang auch darauf,<br />
dass die Sicherheitsbehörden keine V-Leute in der<br />
Führungsebene der Partei eingesetzt haben.<br />
Ein Sprecher des BVerfG bestätigte inzwischen,<br />
dass der Antrag am 22. Juli beim Gericht eingegangen<br />
ist.<br />
[Red.]<br />
Übergriffe auf<br />
Vollstreckungsbeamte<br />
Zum Thema Übergriffe auf Vollstreckungsbeamte<br />
und Rettungskräfte hat kürzlich die Bundesregierung<br />
eine Auskunft erteilt. Hintergrund war<br />
eine Kleine Anfrage im Bundestag. Danach wurden<br />
in den letzten Jahren jeweils mehr als 20.000<br />
Übergriffe auf den genannten Personenkreis registriert.<br />
Wie die Bundesregierung im Einzelnen aufführt,<br />
kam es im Jahr 2015 zu 20.892 Fällen des Widerstands<br />
gegen Vollstreckungsbeamte und gleichstehende<br />
Personen; erfasst wurden dazu 41.358<br />
Opfer. Im Jahr 20<strong>16</strong> waren es den Angaben zufolge<br />
22.811 Fälle (plus 9,2 %) und 46.139 Opfer, im<br />
Folgejahr (2017) 23.306 Fälle (plus 2,2 %) mit<br />
48.859 Opfern und im vergangenen Jahr (2018)<br />
21.556 Fälle (minus 7,5 %) und 45.307 Opfer.<br />
Im Jahr 2018 wurden laut der Auskunft erstmalig<br />
Fälle des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte<br />
und gleichstehende Personen gem. § 114<br />
StGB in der seit dem 30.5.2017 geltenden Fassung<br />
erfasst. „Es waren 11.704 Fälle und 22.035 Opfer“,<br />
heißt es in der Antwort weiter.<br />
Wie die Bundesregierung hierzu weiter erläuterte,<br />
wurden mit dem 52. Gesetz zur Änderung des<br />
Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von<br />
Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften<br />
vom Mai 2017 insbesondere die Straftatbestände<br />
der §§ 113 ff. des StGB neu gefasst und in diesem<br />
Zuge ihr Anwendungsbereich erweitert. Im Straftatenkatalog<br />
der Polizeilichen Kriminalstatistik<br />
(PKS) erfolgten den Angaben zufolge für das Berichtsjahr<br />
2018 entsprechende Umsetzungen.<br />
830 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Dies habe zur Folge, dass für 2018 der Vergleich<br />
der Straftaten „Widerstand gegen und tätlicher Angriff<br />
auf die Staatsgewalt“ mit den Vorjahren nicht<br />
bzw. nur eingeschränkt möglich sei.<br />
So beruhe der Anstieg der Fälle von Widerstand<br />
gegen und tätlichem Angriff auf die Staatsgewalt<br />
um 39,9 % darauf, dass im Jahr 2018 darunter auch<br />
Angaben zum neuen Straftatbestand „Tätlicher<br />
Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende<br />
Personen“ erfasst wurden, schreibt die Bundesregierung<br />
weiter. Dieser neue Straftatbestand<br />
erfasse über § 113 StGB in der bis Mai 2017 geltenden<br />
Fassung hinausgehend nicht nur tätliche<br />
Angriffe auf Vollstreckungsbeamte bei der Vornahme<br />
von Vollstreckungshandlungen, sondern<br />
bei allen Diensthandlungen. Damit fielen hierunter<br />
insbesondere auch Körperverletzungsdelikte,<br />
die in den Vorjahren mit anderen Deliktschlüsseln<br />
erfasst worden seien.<br />
[Quelle: Bundesregierung]<br />
Kritik an Änderungen beim<br />
elektronischen<br />
Empfangsbekenntnis<br />
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz<br />
(BMJV) hat einen Gesetzentwurf zu<br />
Änderungen in der ZPO erarbeitet, der neben der<br />
Festschreibung der Wertgrenze für Beschwerden<br />
gegen die Nichtzulassung der Revision (vgl. dazu<br />
<strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 13/<strong>2019</strong>, S. 656) u.a. auch<br />
vorsieht, die Spezialisierung der Gerichte in Zivilsachen<br />
auszubauen und zu diesem Zwecke den<br />
Katalog der obligatorischen Spezialspruchkörper<br />
bei den Land- und Oberlandesgerichten um die<br />
Rechtsmaterien zu erweitern, welche die Kommunikations-<br />
und die Informationstechnologie,<br />
das Erbrecht, insolvenzbezogene Streitigkeiten<br />
und Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz<br />
sowie Pressesachen betreffen. Zudem enthält<br />
der Referentenentwurf Neuregelungen zum<br />
Vorbringen des Streitstoffs, zur Hinzuziehung von<br />
Sachverständigen, zur unverzüglichen Geltendmachung<br />
von Ablehnungsgründen und etlichen weiteren<br />
zivilprozessualen Vorschriften.<br />
Gegen eine der geplanten Neuregelungen hat sich<br />
die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) in ihrer<br />
offiziellen Stellungnahme besonders kritisch<br />
ausgesprochen; sie betrifft die Änderung zu den<br />
elektronischen Empfangsbekenntnissen (eEB).<br />
Mit der der beabsichtigten Neuregelung von § 174<br />
Abs. 4 ZPO solle, so die BRAK, für Gerichte eine<br />
elektronische Alternative zur Anforderung eines<br />
Empfangsbekenntnisses geschaffen werden, falls<br />
sie technisch nicht in der Lage sein sollten, den für<br />
die Anforderung eines eEB erforderlichen strukturierten<br />
Datensatz zu übersenden. Die Nutzung<br />
eines alternativen elektronischen Dokuments als<br />
elektronisches Empfangsbekenntnis, wie etwa ein<br />
Empfangsbekenntnis im Format PDF, wäre in<br />
diesem Fall durch die Nutzer ggf. auszudrucken,<br />
um es mit dem Datum des Empfangs und einer<br />
einfachen Signatur zu versehen. Anschließend<br />
wäre es einzuscannen.<br />
Aus Sicht der BRAK wäre ein solches Vorgehen<br />
nicht empfehlenswert. Mit ihm würde das mit<br />
dem Referentenentwurf verfolgte Ziel, die Abläufe<br />
im elektronischen Rechtsverkehr zu erleichtern,<br />
durch den Regelungsvorschlag nicht erreicht.<br />
Sinnvoller sei es vielmehr, solange eine<br />
herkömmliche Zustellung gegen Empfangsbekenntnis<br />
schriftlich auf Papier zu wählen, bis die<br />
Gerichte, die derzeit noch nicht in der Lage sind,<br />
gegen eEB zuzustellen, technisch nachgerüstet<br />
haben. Die Nutzung eines alternativen elektronischen<br />
Dokuments als Empfangsbekenntnis würde<br />
– wegen des damit verbundenen Medienbruchs<br />
– einen Rückschritt darstellen und wäre,<br />
so die BRAK weiter, der erheblichen Anzahl an<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die bereits<br />
am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen<br />
und die Prozesse in ihren Kanzleien längst<br />
umgestellt haben, nur schwer zu vermitteln.<br />
Die BRAK verweist zudem darauf, dass das geplante<br />
alternative elektronische Empfangsbekenntnis<br />
auch dann, wenn es geeignete Werkzeuge,<br />
wie etwa bei einem ausfüllbaren PDF-<br />
Dokument, zur Verfügung stellen könnte, einen<br />
zusätzlichen Prozess im Kanzleiablauf schaffen<br />
würde, der neben der strukturellen Datensatzverarbeitung<br />
im Rahmen der Nutzung des besonderen<br />
elektronischen Anwaltspostfachs (beA)<br />
stünde. Dies würde die Abgabe eines Empfangsbekenntnisses<br />
im elektronischen Rechtsverkehr<br />
damit erschweren.<br />
[Quelle: BRAK]<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 831
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Besteuerung bei Auflösung einer<br />
Sozietät<br />
Eine wichtige Entscheidung zur Einkommensbesteuerung<br />
bei Auflösung einer Anwaltssozietät<br />
hat kürzlich der BFH gefällt. Danach setzt die<br />
begünstigte Besteuerung eines durch eine echte<br />
Realteilung einer Sozietät ausgelösten Aufgabegewinns<br />
gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG voraus, dass<br />
der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen<br />
Grundlagen seiner bisherigen freiberuflichen<br />
Tätigkeit unmittelbar und nicht erst später<br />
aufgibt.<br />
Hieran fehlt es – wie im entschiedenen Fall – jedoch,<br />
wenn der Rechtsanwalt den ihm im Rahmen<br />
der Realteilung zugewiesenen Mandantenstamm<br />
zunächst weiter verwertet, indem dieser wie geplant<br />
auf eine GbR, an der der Steuerpflichtige<br />
beteiligt ist, übergeht und der Anwalt dann in<br />
einem zweiten Schritt gegen Abfindung aus dieser<br />
GbR ausscheidet. Dass der Betroffene im Ergebnis<br />
die freiberufliche Tätigkeit im bisherigen örtlichen<br />
Wirkungskreis zeitnah eingestellt hat, genügt laut<br />
BFH in diesem Fall nicht für die Gewährung<br />
der Tarifbegünstigung im Einkommensteuerrecht<br />
(BFH, Urt. v. 15.1.<strong>2019</strong> – VIII R 24/15).<br />
In dem entschiedenen Fall war der Kläger Gesellschafter<br />
einer Rechtsanwaltssozietät, die in mehreren<br />
Großstädten Standorte unterhalten hatte.<br />
Die Sozietät wurde im Jahr 2001 durch Realteilung<br />
aufgelöst, was zu einer Betriebsaufgabe führte. Ihr<br />
Vermögen wurde auf Nachfolgegesellschaften,<br />
die die Partner der einzelnen Standorte gegründet<br />
hatten, übertragen. Auch der Kläger wurde zunächst<br />
Gesellschafter einer solchen Nachfolgegesellschaft,<br />
schied jedoch sofort nach deren Gründung<br />
gegen Zahlung einer Abfindung aus dieser<br />
Gesellschaft aus. Er war der Meinung, der im<br />
Zusammenhang mit der Auflösung der Sozietät<br />
entstandene anteilige Aufgabegewinn sei tarifbegünstigt<br />
zu besteuern, da er wirtschaftlich<br />
betrachtet aus der Sozietät ausgeschieden sei.<br />
Daneben habe er auf Ebene der Nachfolgegesellschaft<br />
einen Veräußerungsverlust erlitten.<br />
Dem folgte der BFH nicht. Die höchsten deutschen<br />
Finanzrichter stellten keine wirtschaftliche,<br />
sondern eine rein formale Betrachtung der Vorgänge<br />
an. Danach liegen die Voraussetzungen<br />
einer Tarifbegünstigung gem. §§ 18 Abs. 3, <strong>16</strong><br />
Abs. 4, 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG hier nicht vor. Die<br />
Tarifbegünstigung setze nämlich im Fall einer<br />
Betriebsaufgabe durch Realteilung voraus, dass<br />
die anteiligen vermögensmäßigen Grundlagen<br />
der freiberuflichen Tätigkeit des Realteilers in<br />
der Sozietät aufgegeben werden. Hieran fehle es,<br />
wenn der Kläger die wesentlichen vermögensmäßigen<br />
Grundlagen seiner beruflichen Tätigkeit<br />
in der Sozietät in Gestalt des anteiligen Mandantenstamms<br />
erst mit seinem Ausscheiden aus<br />
der Nachfolgegesellschaft endgültig aus der<br />
Hand gebe.<br />
[Quelle: BFH]<br />
Warnung vor Aushöhlung des<br />
Redaktionsgeheimnisses<br />
Mehrere Presseorganisationen, darunter „Reporter<br />
ohne Grenzen“ und der Deutsche Journalisten-<br />
Verband haben vor Plänen des Bundesministerium<br />
für Inneres, für Bau und Heimat (BMI) gewarnt,<br />
wonach deutsche Geheimdienste künftig Medien<br />
im In- und Ausland digital ausspionieren dürfen.<br />
Dem Referentenentwurf des BMI zu einem „Gesetz<br />
zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“<br />
zufolge sollen deutsche Inlands- und<br />
Auslandsgeheimdienste Server, Computer und<br />
Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie<br />
freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten<br />
hacken dürfen. Sie sollen dabei verschlüsselte<br />
Kommunikation abfangen oder verdeckt nach<br />
digitalen Daten suchen können. Allerdings ist das<br />
Vorhaben innerhalb der Großen Koalition noch<br />
stark umstritten und wird in der derzeitigen Form<br />
insbesondere vom SPD-geführten Ministerium der<br />
Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) abgelehnt.<br />
Eine der geplanten Maßnahmen zielt auf die sog.<br />
Online-Durchsuchung. Dabei dringen Ermittlungsbehörden<br />
verdeckt in digitale Geräte ein,<br />
um sie umfassend zu durchleuchten. Dazu können<br />
sie zum Beispiel einen Trojaner auf den<br />
Computer aufspielen, um alle auf der Festplatte<br />
gespeicherten Informationen zu durchsuchen. Im<br />
Falle von Journalistinnen und Journalisten können<br />
sie damit gespeicherte Dokumente, Interview-<br />
Mitschnitte oder auch gespeicherte Browser-Verläufe<br />
von Internetrecherchen durchsehen. Die<br />
Maßnahme ist umstritten, 2017 jedoch bereits für<br />
das Strafverfahren eingeführt worden. Bei Medien<br />
ist dies jedoch explizit verboten worden, um das<br />
832 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Redaktionsgeheimnis auch digital zu wahren. Darüber<br />
hinaus listet der Referentenentwurf aus dem<br />
BMI eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit<br />
denen Geheimdienste journalistische Arbeit ausspähen<br />
dürfen: So sollen sie verschlüsselte Kommunikation<br />
zwischen Medienschaffenden und<br />
Quellen überwachen dürfen und etwa auch Buchungsdaten<br />
von Recherchereisen mittels Bahn<br />
oder Mietwagen abfragen können.<br />
Die Medienvertreter kritisieren, dass hierbei das<br />
historische Trennungsgebot zwischen Strafverfolgung<br />
und Geheimdiensten aufgeweicht werden<br />
soll, indem z.B. Polizeien und die Inlandsgeheimdienste<br />
dauerhaft gemeinsame Datenbanken aufbauen<br />
dürfen. Damit könnten Strafverfolger Informationen<br />
über Medienschaffende erhalten, die<br />
eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen –<br />
und umgekehrt. Dieser Informationsaustausch<br />
solle auch internationalisiert werden: Deutsche<br />
Geheimdienste sollen Daten über Medienschaffende<br />
in internationale Datenbanken einpflegen<br />
können, woran dann wiederum ausländische Geheimdienste<br />
teilnehmen. Damit könnten auch ausländische<br />
Staaten an Daten über z.B. im deutschen<br />
Exil arbeitende Journalistinnen und Journalisten<br />
gelangen.<br />
„Mit den Plänen schießt das BMI deutlich über das Ziel<br />
hinaus: Mit der Abschaffung des Redaktionsgeheimnisses<br />
würden Medienschaffende und ihre Quellen die<br />
Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />
verlieren“, so der Geschäftsführer von „Reporter<br />
ohne Grenzen“ CHRISTIAN MIHR. Immer wieder würden<br />
Fälle bekannt, dass deutsche Geheimdienste<br />
journalistische Arbeit in Deutschland und anderen<br />
Ländern illegitim bespitzelt haben. „Als Reaktion<br />
auf diese Überwachungsskandale müsste die Politik die<br />
Rechte von Journalistinnen und Journalisten eigentlich<br />
stärken. Stattdessen sollen diese Rechte nun digital<br />
ausgehöhlt werden – und das ohne Angabe von Gründen.<br />
Bundesinnenminister Horst Seehofer muss die<br />
Pläne seines Ministeriums unverzüglich stoppen“, so<br />
MIHR.<br />
[Red.]<br />
Positionspapier zum „Pakt für den<br />
Rechtsstaat“<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und der<br />
Deutsche Anwaltverein (DAV) haben in einem<br />
gemeinsamen Positionspapier bekräftigt, dass die<br />
Anwaltschaft in die weiteren Überlegungen zum<br />
von der Politik geplanten „Pakt für den Rechtsstaat“<br />
einbezogen werden muss. Beide Organisationen<br />
bedauern, dass die Anwaltsorganisationen<br />
nicht von vornherein in den Diskurs einbezogen<br />
wurden. Die Effizienz staatlicher Organe, insbesondere<br />
der Justiz, dürfe – so BRAK und DAV –<br />
nicht allein im Fokus stehen und nicht auf Kosten<br />
von Beschuldigtenrechten erreicht werden. Das<br />
mit dem Pakt verfolgte Ziel könne nur mit einer<br />
gemeinsamen Kraftanstrengung aller an der<br />
Rechtspflege Beteiligten erreicht werden.<br />
Auf den „Pakt für den Rechtsstaat“ einigten sich<br />
die Bundeskanzlerin und die Vertreterinnen und<br />
Vertreter der Länder im Januar dieses Jahres. Er<br />
zielt darauf, das Vertrauen der Bürgerinnen und<br />
Bürger in den Rechtsstaat zu stärken; dazu sollen<br />
u.a. 2.000 Stellen in der Justiz geschaffen werden<br />
(vgl. näher dazu <strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 4/<strong>2019</strong>,<br />
S. 171 f.).<br />
Kritisch sehen beide Anwaltsorganisationen, dass<br />
der Großteil der für den „Pakt für den Rechtsstaat“<br />
veranschlagten Gelder – jährlich rd. 400 Mio. €–<br />
für die Schaffung neuer Stellen in Justiz und Polizei<br />
vorgesehen ist. Sie mahnen an, hierbei auch an die<br />
Rechtssuchenden zu denken, und erinnern an die<br />
soziale Verantwortung des Staates. Gefordert sei<br />
ein klares Bekenntnis zur Gewährung von Prozess-/Verfahrenskostenhilfe<br />
bzw. Beratungshilfe<br />
sowie stabile Gerichtskosten; anderenfalls sei der<br />
Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht<br />
gefährdet.<br />
Mit Sorge betrachten beide anwaltliche Organisationen<br />
auch die Pläne für eine Reform des<br />
Strafprozesses; insbesondere kritisieren sie die<br />
geplante vereinfachte Ablehnung von Beweisund<br />
Befangenheitsanträgen. Auch mahnen sie an,<br />
dass der geschützte und vertrauliche Bereich der<br />
Kommunikation mit Mandanten weiterhin dem<br />
staatlichen Zugriff entzogen bleiben müsse. Zum<br />
integralen Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit<br />
gehöre die Möglichkeit aller Bürger, sich effektiv<br />
gegen staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen zu<br />
verteidigen und deren Rechtmäßigkeit durch die<br />
Gerichte prüfen zu lassen. Dieses Recht dürfe<br />
nicht durch eine starke Betonung der „Effizienz“<br />
von Strafverfahren in Frage gestellt werden,<br />
zumal Effizienz und Dauer von Verfahren nicht<br />
in einem unmittelbaren und unauflöslichen Zusammenhang<br />
stünden.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 833
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Das gemeinsame Positionspapier von BRAK und<br />
DAV endet mit einem Appell an die Politiker, die<br />
Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege umfassend<br />
in die Bemühungen um Stärkung des Rechtsstaats<br />
einzubeziehen. [Quelle: BRAK/DAV]<br />
Kritik an Rechtsbedarfsstudie des<br />
BMJV<br />
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz<br />
(BMJV) plant derzeit ein Forschungsvorhaben<br />
zur Untersuchung der rücklaufenden<br />
Eingangszahlen bei den Zivilgerichten.<br />
Eine Ausschreibung wird vom Ministerium aktuell<br />
vorbereitet.<br />
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat das Vorhaben<br />
grds. begrüßt: Der Grundgedanke, den<br />
Zugang zum Recht empirisch zu untersuchen,<br />
sei lobenswert. Bereits seit Langem spricht sich<br />
die Vertretung der Anwaltschaft für eine solche<br />
Untersuchung aus. Allerdings übt der DAV auch<br />
Kritik. Das aktuelle Vorhaben greift ihm zu kurz.<br />
So sollte eine aussagekräftige Studie zu unbefriedigtem<br />
Rechtsbedarf – sog. Unmet Legal Needs –<br />
weitaus mehr Varianten der Rechtsverfolgung in<br />
den Fokus nehmen. Der DAV verweist auf internationale<br />
Studien, die hier meist einen weiten Ansatz<br />
wählen und alle Situationen in den Blick nehmen,<br />
in denen es das Potenzial für eine rechtliche Lösung<br />
gibt, wobei diese Lösung sowohl gerichtlich<br />
als auch außergerichtlich, mit oder ohne Anwälte,<br />
persönlich oder technisch erfolgen könne.<br />
Letztlich, so fasst der DAV seine Bedenken zusammen,<br />
sei es doch wichtig zu klären, wie es in<br />
Deutschland mit dem Zugang zum Recht und<br />
möglichen Defiziten insgesamt aussehe, um am<br />
Ende nicht nur punktuell Symptome zu bekämpfen.<br />
[Quelle: DAV]<br />
BGH verschärft Verbot des<br />
Erfolgshonorars<br />
Eine für viele überraschende Verschärfung des<br />
Verbots des Erfolgshonorars hat kürzlich der<br />
I. Zivilsenat des BGH vorgenommen. Ein solcher<br />
Verstoß kann nach UWG abgemahnt werden,<br />
entschieden die Richter (BGH, Urt. v. 6.6.<strong>2019</strong> –<br />
I ZR 67/18). Die Entscheidung betrifft zwar die<br />
Honorarvereinbarung eines Versicherungsberaters,<br />
der Senat zieht jedoch ausdrücklich eine<br />
Parallele zum Recht der Rechtsanwälte, so dass<br />
auch die Gebührenrechtler bereits auf die neue<br />
Entscheidung hingewiesen haben.<br />
Eigentlich hatte sich die Anwaltschaft, was das<br />
Thema Erfolgshonorar angeht, bereits seit Jahren<br />
auf eine Liberalisierung eingerichtet. Nach dem<br />
Beschluss des BVerfG v. 12.12.2006 (1 BvR 2576/<br />
04) und nachfolgend der Änderung in § 4a RVG<br />
folgten weitere Lockerungen, u.a. im Rechtsberatungsgesetz,<br />
wo das Erfolgshonorar für Inkassounternehmen<br />
und einige spezielle Rechtsberater<br />
freigegeben wurde. Im Jahr 2014 machte<br />
der IX. Zivilsenat des BGH einen weiteren Schritt,<br />
indem er eine anwaltliche Erfolgshonorarvereinbarung<br />
unter bestimmten Voraussetzungen in<br />
eine wirksame Vergütungsvereinbarung umdeutete<br />
(IX ZR 127/12).<br />
Nun allerdings lag dem für das Wettbewerbsrecht<br />
zuständigen I. Zivilsenat ein Fall vor, in dem es um<br />
das Erfolgshonorar eines Versicherungsberaters<br />
ging. Der hatte damit geworben, dass er eine<br />
kostenlose Beratung anbiete; der Kunde müsste<br />
nur im Erfolgsfall zahlen, nämlich wenn die neue<br />
Versicherung zu einer Ersparnis führe. Weil der<br />
I. Senat jedoch die Beratungstätigkeit der Versicherungsberater<br />
der der Rechtsanwälte für ähnlich<br />
ansieht, will er ihnen ebenfalls keine Erfolgshonorare<br />
erlauben. Zudem deuteten die Richter<br />
das Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars<br />
nach § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO als Marktverhaltensregel,<br />
was dazu führt, dass Konkurrenten<br />
einen Verstoß nach UWG abmahnen können.<br />
Das war – nach den oben beschriebenen Liberalisierungsschritten<br />
der vergangenen Jahre – in<br />
Teilen der anwaltlichen Vergütungsliteratur anders<br />
gesehen worden. Die Formvorschriften des<br />
RVG seien kein Fall mehr für das UWG, hieß es<br />
dort. Diese Auffassung muss nun aber revidiert<br />
werden, lautete es in ersten Kommentaren zum<br />
neuen Urteil. In Zukunft könnten auch wirksame,<br />
aber die Formvorschriften etwa des § 4a Abs. 1<br />
und Abs. 2 RVG missachtende Vereinbarungen<br />
abgemahnt werden. Abmahnungen unter Anwaltskanzleien<br />
könnten deshalb in Zukunft dort<br />
wieder zunehmen, wo mit Honorarvereinbarungen<br />
geworben wird.<br />
[Red.]<br />
834 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 119<br />
Eilnachrichten<br />
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Allgemeines Zivilrecht<br />
Mitverschulden bei Arzthaftung: Verspätete Diagnose einer Krebserkrankung<br />
(OLG Braunschweig, Urt. v. 28.2.<strong>2019</strong> – 9 U 129/15) • Ist ein Arzt wegen eines Behandlungsfehlers zum<br />
Schadensersatz verpflichtet, ist es ihm zwar nicht grds. verwehrt, sich auf ein Mitverschulden des<br />
Patienten zu berufen. Bei der Bejahung mitverschuldensbegründender Obliegenheitsverletzungen des<br />
Patienten ist allerdings Zurückhaltung geboten (BGH, Urt. v. 17.12.1996 – VI ZR 133/95, juris Rn 13). Im<br />
Allgemeinen obliegt es zwar dem Patienten, grds. einen Arzt aufzusuchen, wenn eine Verschlechterung<br />
seines Gesundheitszustands dies nahelegt (vgl. OLG München, Urt. v. 23.9.2004 – 1 U 5198/03, juris-<br />
Rn 83). Es hängt indes von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, wann die Nicht-Konsultation<br />
eines Arztes diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur<br />
Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Treten bei dem Patienten erneut Symptome (hier:<br />
Darmblutungen) auf, für die aufgrund der vorangegangenen, auf unzureichender Befunderhebung basierenden<br />
Diagnose des Arztes dem Patienten Erklärungen (hier: Hämorrhoiden und Analfissur) genannt<br />
wurden, die keine zeitnahe Wiedervorstellung nahelegen, so stellt es keinen ein Mitverschulden begründenden<br />
Sorgfaltsverstoß dar, wenn sich der Patient beim Wiederauftreten der Symptome nicht<br />
sofort wieder in Behandlung begibt. Vielmehr darf insoweit der Patient zumindest eine Zeit lang darauf<br />
vertrauen, dass keine ernsthafte Erkrankung (hier: Darmkrebs) vorliegt. Ist einem Arzt durch schuldhaftes<br />
Unterlassen der gebotenen Befunderhebung nach dem Grundsatz des groben Behandlungsfehlers<br />
zuzurechnen, dass eine an Darmkrebs erkrankte 47-jährige Patientin nach 4 ½ Jahren Überlebenszeit<br />
mit zahlreichen belastenden Therapien und Operationen verstorben ist, indem ihr die Chance<br />
auf eine zeitgerechte, weniger invasive Behandlung von 4-5 Monaten mit vollständiger Genesung<br />
genommen wurde, so ist die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 70.000 € angemessen und<br />
keinesfalls überhöht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 452/<strong>2019</strong><br />
Kaufvertragsrecht<br />
Diesel-Skandal: Schaden des Käufers<br />
(OLG Köln, Beschl. v. 1.7.<strong>2019</strong> – 27 U 7/19) • Der Schaden eines Käufers besteht bereits in dem Erwerb des<br />
mit einer manipulativ wirkenden Software zur Motorsteuerung ausgerüsteten Fahrzeugs, weil das<br />
erworbene Fahrzeug infolge der eingesetzten Software hinter den Vorstellungen des Käufers von der<br />
allgemein ordnungsgemäßen Ausrüstung des zu erwerbenden Pkw zurückblieb und sich dieses Zurückbleiben<br />
schon infolge der damit zunächst verbundenen Unsicherheiten für die Typengenehmigung<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 835
Fach 1, Seite 120 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />
und die Betriebszulassung nachteilig auf den Vermögenswert des Pkw auswirkt. Es kommt allein darauf<br />
an, dass das Fahrzeug mit einer Software ausgestattet war, die zu Unsicherheiten hinsichtlich des<br />
Fortbestands der Typengenehmigung und der Betriebszulassung führte sowie nach den verbindlichen<br />
Vorgaben des Kraftfahrtbundesamtes einen Rückruf und ein Update mit einer seitens des Kraftfahrtbundesamtes<br />
genehmigten Software des Herstellers erforderte. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 453/<strong>2019</strong><br />
Dieselskandal: Gerichtsstandbestimmung<br />
(OLG Hamm, Beschl. v. 27.5.<strong>2019</strong> – 32 SA 29/19) • Im Falle einer mit einer unerlaubten Handlung gem.<br />
§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 StGB, 826 BGB begründeten Klage eines vom Abgasskandal betroffenen<br />
Käufers gegen den Hersteller liegt der Gerichtsstand gem. § 32 ZPO wahlweise dort, wo der Täter<br />
gehandelt hat, oder dort, wo der Rechtsguteingriff erfolgt und der Schaden entstanden ist. Dabei ist der<br />
Erfolgsort einer unerlaubten Handlung der Vermögensschädigung nicht schon deshalb am Wohnsitz des<br />
Geschädigten begründet, weil sich dort im Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung sein<br />
Vermögen befunden hat. Wird ein Kraftfahrzeug gegen Barzahlung beim Händler erworben, liegt der<br />
Erfolgsort dementsprechend am Ort der Zahlung und der Fahrzeugübernahme.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 454/<strong>2019</strong><br />
Miete/Nutzungen<br />
Umbaumaßnahmen: Keine Duldungspflicht des Mieters<br />
(OLG Frankfurt, Urt. v. 12.3.<strong>2019</strong> – 2 U 3/19) • Nimmt der Vermieter umfangreiche Baumaßnahmen am<br />
Gebäude vor, die mit ganz erheblichen Beeinträchtigungen des Mieters aufgrund von Lärm, Erschütterungen,<br />
Staub und sonstigen Immissionen einhergehen, kann er hiermit das vertragsgemäße Gebrauchsrecht<br />
des Mieters verletzen, einhergehend mit einer Störung des Besitzes an der Mietsache durch verbotene<br />
Eigenmacht. In diesem Fall handelt es sich nicht mehr um Renovierungs- und Umbauarbeiten, mit<br />
denen ein Mieter immer für den Fall eines Mieterwechsel in demselben Gebäude rechnen und aus sozialüblicher<br />
Sicht hinnehmen muss. Ein Mieter muss weitreichende Baumaßnahmen des Vermieters, die<br />
ausschließlich die Änderung des Nutzungszwecks beabsichtigen und nicht einer Modernisierung bzw.<br />
nach objektiven Kriterien zu beurteilenden Verbesserung des Gebäudes dienen, gemäß den Grundsätzen<br />
von Treu und Glauben nur dann hinnehmen, wenn für den Vermieter ansonsten eine Gefährdung der<br />
Wirtschaftlichkeit des Grundbesitzes gegeben wäre. Dem Mieter steht in diesem Fall ein Anspruch auf<br />
Unterlassung zu, den er auch im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann. Hinweis: Im<br />
entschiedenen Fall wurden vermieterseits Innenwände und komplette Fußböden in dem Mietobjekt<br />
entfernt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 455/<strong>2019</strong><br />
Fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses: Beleidigung des Vermieters<br />
(AG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.<strong>2019</strong> – 27 C 346/18) • Wird der Vermieter von dem Mieter in einem<br />
öffentlichen Beitrag in einem sozialen Netzwerk mit körperlicher Gewalt bedroht, ist der Vermieter zur<br />
fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt. Die Bezeichnung als „Huso“ ist bei einer am<br />
objektiven Empfängerhorizont orientierten Auslegung dahingehend auszulegen, dass der Erklärungsempfänger<br />
als „Hurensohn“ bezeichnet wird, was eine Beleidigung darstellt. Mit der Bezeichnung als<br />
„Hundesohn“ wird dem Erklärungsempfänger die Abstammung von einem Menschen und damit das<br />
Menschsein abgesprochen, was einen unmittelbaren Eingriff in die Menschenwürde bedeutet. Der<br />
Bezeichnung kommt mithin ein beleidigender Charakter zu. Hinweis: Der Mieter nutzte sein Facebook-<br />
Profil für die Drohungen und Beleidigungen gegenüber seinem Vermieter. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 456/<strong>2019</strong><br />
Sonstiges Vertragsrecht<br />
Verjährungsfrist: Beginn bei Rückforderung von Bauspardarlehen<br />
(BGH, Urt. v. 19.3.<strong>2019</strong> – XI ZR 95/17) • Die kenntnisabhängige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB für<br />
Rückforderungsansprüche wegen unwirksam formularmäßig vereinbarter Bearbeitungsentgelte begann<br />
836 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 121<br />
auch bei Bauspardarlehen mit dem Schluss des Jahres 2011 zu laufen. Die Grundsätze, die zu Verbraucherund<br />
Unternehmerdarlehen aufgestellt wurden, gelten auch für Darlehensgebühren bei Bauspardarlehen.<br />
Denn Bauspardarlehen unterliegen als Gelddarlehen in Form von Tilgungsdarlehen ebenfalls dem<br />
Pflichtenprogramm des § 488 Abs. 1 BGB. Keine der Besonderheiten eines Bausparvertrags begründen<br />
für das Bauspardarlehen eine Abweichung vom allgemeinen Darlehensrecht. Deswegen musste ein<br />
rechtskundiger Dritter im Jahr 2011, als sich eine gefestigte Auffassung der Oberlandesgerichte zur<br />
Unwirksamkeit von Bearbeitungsentgelten bei Verbraucherdarlehensverträgen gebildet hat, damit rechnen,<br />
dass davon auch Entgeltklauseln erfasst werden, die in Bauspardarlehen einbezogen worden sind.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 457/<strong>2019</strong><br />
Baukostenzuschuss: Bauliche Veränderung eines Stromnetzes<br />
(OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.4.<strong>2019</strong> – 27 U 9/18) • Eine bauliche Veränderung eines Stromnetzes selbst, die<br />
über den Anschluss hinausgeht, ist für die Bestimmung eines Baukostenzuschusses nicht generell<br />
erforderlich. § 30 AVBEltV schließt Einwände des Kunden oder Abnehmers, die sich nicht auf bloße<br />
Abrechnungs- und Rechenfehler beziehen, sondern die vertraglichen Grundlagen für die Art und den<br />
Umfang seiner Leistungspflicht betreffen, nicht aus. Hinweis: Der Baukostenzuschuss ist zwar nur für<br />
das Niederspannungsnetz in § 11 NAV gesetzlich geregelt, gilt aber auch für den Anschluss an das<br />
Mittelspannungsnetz. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 458/<strong>2019</strong><br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
Zahlungsanspruch eines Eigentümers gegen die Gemeinschaft: Keine Beschlussfassung<br />
(LG München I, Urt. v. 26.6.<strong>2019</strong> – 1 S 2812/18 WEG) • Steht einem Wohnungseigentümer gegen den<br />
Verband ein Zahlungsanspruch zu, so bedarf es vor dessen gerichtlicher Geltendmachung nicht der<br />
Vorbefassung der Eigentümerversammlung mit dem Zahlungsbegehren. Das Interesse des Verbands<br />
und der übrigen Wohnungseigentümer, nicht unnötig mit Prozesskosten belastet zu werden, wird durch<br />
die Vorschrift des § 93 ZPO ausreichend gewahrt. Wird ein Beschluss über die Genehmigung der Jahresabrechnung<br />
rechtskräftig für ungültig erklärt, steht einem Anspruch der Wohnungseigentümer auf<br />
Ersatz der rechtsgrundlos auf die Jahresabrechnung geleisteten Zahlungen nach den Grundsätzen der<br />
ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) nicht der „Vorrang des Innenausgleichs nach Maßgabe<br />
der Abrechnung“ entgegen. Wird ein Beschluss über die Genehmigung des Wirtschaftsplans oder<br />
die Jahresabrechnung rechtskräftig für ungültig erklärt, muss ein Wohnungseigentümer auch nicht<br />
zunächst darauf dringen, dass über den Wirtschaftsplan bzw. die Jahresabrechnung des betreffenden<br />
Abrechnungsjahres erneut ein Beschluss gefasst wird, bevor er aus ungerechtfertigter Bereicherung<br />
gegen den Verband vorgehen kann. Wird ein anfechtbarer Beschluss der Eigentümer durch ein rechtskräftiges<br />
Urteil für ungültig erklärt, so verliert er von Anfang an (ex tunc) seine Wirkung. Dadurch<br />
entfällt auch der Verzug mit einem durch den Beschluss begründeten Zahlungsanspruch des Verbands<br />
rückwirkend. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 459/<strong>2019</strong><br />
Bank- und Kreditwesen<br />
Widerrufsrecht eines Darlehensnehmers: Verwirkung<br />
(KG, Beschl. v. 10.4.<strong>2019</strong> – 26 U 49/18) • Das Widerrufsrecht des Darlehensnehmers aus § 495 Abs. 1 BGB<br />
unterliegt der Verwirkung. Das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht verjährt anders als die aus dem<br />
Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüche nicht; § 218 BGB findet auf das Widerrufsrecht<br />
keine Anwendung. Weder aus den gesetzlichen Verjährungsfristen noch gar aus den gesetzlichen<br />
Verjährungshöchstfristen kann auf ein „Mindestzeitmoment“ für eine Verwirkung geschlossen werden.<br />
Bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben<br />
des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich<br />
den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den<br />
Verbraucher nachzubelehren. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 460/<strong>2019</strong><br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 837
Fach 1, Seite 122 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />
Straßenverkehrsrecht<br />
Dashcam-Aufnahme: Verwertung im Zivilprozess<br />
(AG Duisburg Ruhrort, Urt. v. 5.3.<strong>2019</strong> – 9 C 434/18) • Die Aufzeichnung aus einer Dashcam kann im<br />
Zivilprozess zur Aufklärung eines Verkehrsunfalls unter Berücksichtigung der Grundsatzentscheidung<br />
des BGH vom 15.5.2018 (VI ZR 233/17) verwertet werden, ohne dass dies einer weiteren Aufklärung<br />
bedarf. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 461/<strong>2019</strong><br />
Versicherungsrecht<br />
Kostenerstattung für eine intensitätsmodulierte Strahlentherapie: PKV<br />
(OLG Celle, Beschl. v. 15.6.<strong>2019</strong> – 8 U 83/19) • Die Abrechnung einer intensitätsmodulierten Strahlentherapie<br />
(IMRT) unterfällt § 6 Abs. 2 GOÄ. Für die analoge Abrechnung ist Ziffer 5855 GOÄ<br />
heranzuziehen; denn IMRT und IORT sind nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertig. Eine Abrechnung<br />
der IMRT, die sich an den Abrechnungsempfehlungen des Vorstands der Bundesärztekammer<br />
vom 18.2.2011 und des Bundesverbands deutscher Strahlentherapeuten orientiert, ist für die ersten<br />
dreißig Fraktionen nicht zu beanstanden. Ab der 31. Fraktion kann höchstens das 1,35-fache des Gebührensatzes<br />
angesetzt werden. Eine Abrechnung der IMRT analog zur fraktionierten stereotaktischen<br />
Präzisionsbestrahlung kommt nicht in Betracht, weil es sich dabei bereits um eine analoge Abrechnung<br />
handelt, bei der Analogiebildung aber auf die Gebühren der GOÄ zurückgegriffen werden muss. Eine aus<br />
medizinischer Sicht unzureichende Zahl an Bildgebungen lässt den Vergütungsanspruch des Behandlers<br />
und damit den Erstattungsanspruch des Versicherungsnehmers grds. unberührt.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 462/<strong>2019</strong><br />
Familienrecht<br />
Kindesunterhalt: Kosten einer Internatsunterbringung<br />
(OLG Karlsruhe, Beschl. v. <strong>16</strong>.5.<strong>2019</strong> – 20 UF 105/18) • Gehören zum angemessenen Unterhalt (§ <strong>16</strong>10<br />
Abs. 1 BGB) Kosten für eine Internatsunterbringung sowie hierbei anfallende Nebenkosten für Lehrmittel,<br />
Ausflüge, Kopien, Bastelbedarf sowie Materialien für eine Legasthenietherapie, handelt es sich<br />
nicht um Sonderbedarf, sondern um Mehrbedarf, der aus dem Elementarunterhalt aufzubringen ist.<br />
Hinweis: Die Frage, ob bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse während des Beschwerdeverfahrens<br />
für den Unterhaltsgläubiger eine Wahlmöglichkeit zwischen Anschlussbeschwerde und Abänderungsantrag<br />
besteht, wenn der Unterhaltsverpflichtete als Beschwerdeführer lediglich seine Verpflichtung zur<br />
Zahlung von rückständigem Kindesunterhalt, nicht jedoch auch zu laufendem Kindesunterhalt angegriffen<br />
hat, ist hier offen gelassen worden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 463/<strong>2019</strong><br />
Nachlass/Erbrecht<br />
Entbehrlichkeit der Voreintragung bei fehlender Zustimmung der Nacherben<br />
(OLG Hamm, Beschl. v. 15.2.<strong>2019</strong> – 15 W 245/18) • Die Auflassung als dingliches Veräußerungs- und<br />
Erwerbsgeschäft muss sowohl den auf Übertragung von Grundstückseigentum an den Erwerber gerichteten<br />
Willen des Veräußerers als auch den auf Erwerb dieses Eigentums vom Veräußerer gerichteten<br />
Willen zum Ausdruck bringen. Dabei müssen die Erklärungen des Veräußerers erkennen lassen, wer die<br />
Person des Veräußerers ist, ob er im eigenen oder fremden Namen und für wen er handelt, ob er allein<br />
oder zusammen mit anderen das Eigentum an einem Grundstück übertragen will. Eine Eintragung soll nur<br />
erfolgen, wenn die Person, deren Recht durch sie betroffen wird, als Berechtigter eingetragen ist. Zwar<br />
durchbricht § 40 GBO die Regel des § 39 GBO für den Fall, dass der Betroffene Erbe des eingetragenen<br />
Berechtigten ist; allerdings bleibt bei Vorerbschaft die Voreintragung grds. erforderlich, weil ansonsten die<br />
Eintragung des Nacherbenvermerks unzulässig ist. Etwas anderes gilt aber dann, wenn im Fall der<br />
838 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 123<br />
Übertragung eines Rechts die gleichzeitige Eintragung des Nacherbenvermerks entbehrlich ist, weil z.B.<br />
die Zustimmung der Nacherben nachgewiesen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 464/<strong>2019</strong><br />
Zivilprozessrecht<br />
Schätzung einer ortsüblichen Vergleichsmiete: einfacher Mietspiegel<br />
(LG Berlin, Beschl. v. 23.5.<strong>2019</strong> – 67 S 21/19) • Die Zivilgerichte dürfen die ortsübliche Vergleichsmiete<br />
bereits dann gem. § 287 ZPO auf Grundlage eines einfachen Mietspiegels schätzen, wenn sie die darin<br />
angegebenen Werte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für zutreffend erachten. Es ist nicht erforderlich,<br />
dass der für einen Vollbeweis maßgebliche Überzeugungsgrad erreicht wird.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 465/<strong>2019</strong><br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
Zwangsversteigerung: Versagung der Aufhebung einer gerichtlichen Verwaltung<br />
(BGH, Beschl. v. 18.10.2018 – V ZB 40/18) • Eine gerichtlich angeordnete Verwaltung ist u.a. dann<br />
aufzuheben, wenn der Ersteher das Meistgebot durch Überweisung an das Gericht oder Hinterlegung<br />
vollständig oder – bei einer Teilzahlung – in einer Höhe berichtigt, die zu einer Befriedigung des Antragstellers<br />
führt, oder wenn bei Nichtzahlung des Meistgebots die Befriedungswirkung nach § 118 Abs. 2<br />
ZVG eintritt, es sei denn, es wird ein Antrag auf Wiederversteigerung gestellt. Dann entfällt eine ihrer<br />
Anordnungsvoraussetzungen. Hinweis: Nach Auffassung des BGH kommt eine Aufhebung der gerichtlichen<br />
Verwaltung nach § 94 Abs. 1 S. 1 ZVG somit nur in Betracht, wenn das bare Meistgebot<br />
(zumindest in der zur Befriedigung des Antragstellers notwendigen Höhe) erbracht ist oder der Antragsteller<br />
im Rahmen der Ausführung des Teilungsplans in anderer Weise befriedigt wird. Meint der<br />
Ersteher, er habe den Gläubiger nach den Vorschriften des BGB befriedigt, so muss er diese Einwendung<br />
gegen den titulierten Anspruch mit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) gegen die Wiederversteigerung<br />
geltend machen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 466/<strong>2019</strong><br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
Squeeze-Out: Abfindung für Minderheitsaktionäre<br />
(OLG München, Beschl. v. 20.3.<strong>2019</strong> – 31 Wx 185/17) • Die nach einem verschmelzungsrechtlichen<br />
Squeeze-Out an die Aktionäre zu zahlende Abfindung ist nur dann angemessen, wenn sie einen den<br />
Wert des Anteilseigentums entsprechenden wirtschaftlichen Ausgleich für die Beeinträchtigung der<br />
vermögensrechtlichen Stellung beinhaltet. Als Wertuntergrenze kann bei börsennotierten Gesellschaften<br />
auf den Börsenkurs zurückgegriffen werden. Soweit ein Börsenwert nicht herangezogen werden<br />
kann, ist der Unternehmenswert anhand anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden wie der Ertragswertmethode<br />
zu schätzen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 467/<strong>2019</strong><br />
Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />
Gemeinschaftsmarke: Drei parallele Streifen (Adidas)<br />
(EuG, Urt. v. 19.6.<strong>2019</strong> – T-307/17) • Die Entscheidung des Amtes der Europäischen Union für geistiges<br />
Eigentum (EUIPO), derzufolge die Nichtigkeit der Unionsmarke von Adidas, die aus drei parallelen, in<br />
beliebiger Richtung angebrachten Streifen besteht, festgestellt wird, ist nicht zu beanstanden. Adidas<br />
hat nicht nachgewiesen, dass diese Marke im gesamten Gebiet der Union infolge ihrer Benutzung<br />
Unterscheidungskraft erlangt hat. Hinweis: Nachdem sich Adidas in zahlreichen vorangegangenen<br />
markenrechtlichen Verfahren stets gegen die Verwender ähnlicher Zeichen durchgesetzt hat, wurde der<br />
Firma jetzt eine im Jahr 2014 neu angemeldete Marke aberkannt. Es habe nicht genug Unterscheidungskraft,<br />
befanden die Richter. Die von Adidas vorgelegten Gegenbeweise überzeugten das Gericht nicht,<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 839
Fach 1, Seite 124 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />
da etliche davon auch umgekehrte Farbschemata aufwiesen, etwa weiße Streifen auf schwarzem<br />
Hintergrund anstatt schwarze Streifen auf weißem Grund. Die Entscheidung betrifft allerdings nur die<br />
beliebige Anbringung dreier paralleler Streifen auf einer Ware. Experten verweisen darauf, dass die<br />
traditionelle Anbringung, etwa auf Sportschuhen, davon nicht betroffen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 468/<strong>2019</strong><br />
Arbeitsrecht<br />
Unwirksame Vertragsergänzung: Übernahme des Dienstfahrzeugs<br />
(LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 8.11.2018 – 5 Sa 485/17) • Eine „Vertragsergänzung“ überschriebene Klausel<br />
in einem Dienstwagen-Überlassungsvertrag, die den Arbeitnehmer verpflichtet, bei seinem Ausscheiden<br />
aus dem Arbeitsverhältnis das Dienstfahrzeug und die Finanzierung bei einer Bank zu übernehmen,<br />
benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Dies<br />
ergibt sich schon daraus, dass die Klausel in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG<br />
geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers verkürzt, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts<br />
unzulässig erschwert. Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers folgt auch daraus, dass<br />
die Klausel nicht danach differenziert, wer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vertreten hat.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 469/<strong>2019</strong><br />
Sozialrecht<br />
Sozialversicherungsbeitragspflicht: Qualifizierte Sperrminorität<br />
(BSG, Beschl. v. 19.6.<strong>2019</strong> – B 12 KR 4/19 B) • Gesellschafter-Geschäftsführer sind nur dann selbstständig<br />
tätig, wenn sie mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital halten oder ihnen bei geringerer Kapitalbeteiligung<br />
nach dem Gesellschaftsvertrag eine Sperrminorität eingeräumt ist. Eine Sperrminorität darf<br />
nicht auf bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaft begrenzt sein, sondern muss uneingeschränkt für<br />
die gesamte Unternehmenstätigkeit gelten, sog. echte oder qualifizierte Sperrminorität. Hinweis: Dieser<br />
Rechtsprechung kommt beim Entwurf von Gesellschaftsverträgen insbesondere im Hinblick auf die erheblichen<br />
finanziellen Belastungen bei einer Sozialversicherungsbeitragspflicht eines Geschäftsführers<br />
besondere Bedeutung zu. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 470/<strong>2019</strong><br />
Mangelhaft begründete Beschwerde: Keine Hinweispflicht<br />
(BSG, Beschl. v. 17.6.<strong>2019</strong> – B 5 R 92/19 B) • Die Bitte eines anwaltlichen Bevollmächtigten in einer<br />
Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, soweit weitere Ausführungen als nötig erachtet<br />
würden, führt nicht dazu, dass eine Entscheidung über eine unzureichend begründete Beschwerde<br />
zurückgestellt wird. Das Revisionsgericht ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, vor einer Entscheidung<br />
auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen; § 106 Abs. 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein<br />
Rechtsanwalt muss auch ohne Hilfe des Gerichts in der Lage sein, eine Nichtzulassungsbeschwerde<br />
formgerecht zu begründen. Hinweis: Es ist bemerkenswert, dass das BSG darauf hinweisen musste, dass<br />
ein Rechtsanwalt ein Rechtsmittel ohne fremde Hilfe begründen können muss.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 471/<strong>2019</strong><br />
Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />
Europäische Bankenunion: Keine Kompetenzwidrigkeit bei strikter Auslegung<br />
(BVerfG, Urt. v. 30.7.<strong>2019</strong> – 2 BvR <strong>16</strong>85/14 u. 2 BvR 2631/14) • Bei der Europäisierung der nationalen<br />
Verwaltungsorganisation und der Errichtung von unabhängigen Einrichtungen und Stellen der Europäischen<br />
Union (EU) bedarf es eines Mindestmaßes an demokratischer Legitimation und Kontrolle (Art. 23<br />
Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG ist offen für<br />
begrenzte Modifikationen der demokratischen Legitimationsvermittlung, durch die Einflussknicke<br />
kompensiert werden können. Das gilt insbesondere für eine effektive gerichtliche Kontrolle oder<br />
Kontrollrechte, die dem Parlament spezifische Einflussmöglichkeiten auf Behörden vermitteln und es in<br />
840 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 125<br />
die Lage versetzen, eine Letztkontrolle durch eine Änderung oder Aufhebung der Rechtsgrundlagen<br />
auszuüben. Eine Absenkung des demokratischen Legitimationsniveaus ist nicht unbegrenzt zulässig und<br />
bedarf der Rechtfertigung. Die Errichtung unabhängiger Agenturen der Europäischen Union begegnet vor<br />
diesem Hintergrund keinen grundsätzlichen Einwänden, bleibt aber aus Sicht des Demokratiegebots<br />
prekär. Bundesregierung und Bundestag dürfen am Zustandekommen und an der Umsetzung von Sekundärrecht,<br />
das die Grenzen des Integrationsprogramms überschreitet, nicht mitwirken. Der Gesetzgeber<br />
darf die Bundesregierung auch nicht dazu ermächtigen, einem Ultra-vires-Akt von Organen,<br />
Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union zuzustimmen. Aus Sicht des Grundgesetzes<br />
begegnet die Mitwirkung von Bundesregierung und Bundestag am Zustandekommen und an der Umsetzung<br />
der SSM-Verordnung (ABl EU Nr. L 287 v. 29.10.2013, S. 5, 63) und der SRM-Verordnung (ABl EU<br />
Nr. L 331 v. 15.12.2010, S. 12) keinen durchgreifenden Bedenken. Hinweis: Die umstrittene Bankenunion ist<br />
nach dieser Entscheidung gerade noch verfassungskonform. Dies wird von vielen als ein falsches Signal<br />
verstanden in einer Zeit, in der sich mehr und mehr Bürger von Europa abwenden. Wie einerseits die<br />
Errichtung unabhängiger Agenturen der Europäischen Union keinen grundsätzlichen Einwänden begegnet,<br />
aber andererseits aus Sicht des Demokratiegebotes prekär ist, erschließt sich nicht ohne weiteres.<br />
Man darf gespannt sein auf die in einigen Monaten zu erwartende Entscheidung des BVerfG über das<br />
umstrittene Anleihekauf-Programm der EZB. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 472/<strong>2019</strong><br />
Steuerrecht<br />
Steuerbefreiung: Umrüstung eines Fahrzeugs zum Elektrofahrzeug<br />
(BFH, Urt. v. 5.7.2018 – III R 41/17) • Nach § 3d S. 1 KraftStG a.F. ist das Halten von Pkw, die Elektrofahrzeuge<br />
sind, für die Dauer von fünf Jahren ab dem Tag der erstmaligen Zulassung von der Steuer befreit. Eine<br />
Steuerbefreiung kommt nicht in Betracht, wenn der Begünstigungszeitraum abgelaufen ist. Die Steuerbefreiung<br />
für Elektrofahrzeuge nach § 3d KraftStG a.F. beginnt mit dem Datum der erstmaligen Zulassung<br />
des Pkws. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um ein Elektroneufahrzeug handelt oder um ein<br />
umgerüstetes Fahrzeug. Bei Umrüstfahrzeugen kann es daher vorkommen, dass der Begünstigungszeitraum<br />
bereits teilweise oder vollständig verstrichen ist, wenn die Voraussetzungen der Steuerbefreiung<br />
erstmals vorliegen. Die unterschiedslose Anknüpfung an das Erstzulassungsdatum des Fahrzeugs in § 3d<br />
KraftStG a.F. begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 473/<strong>2019</strong><br />
Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />
Einziehung: Faktische Mitverfügungsgewalt<br />
(BGH, Urt. v. 5.6.<strong>2019</strong> – 5 StR 670/18) • Ein Vermögenswert ist durch die Tat erlangt, wenn er dem<br />
Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands so<br />
zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren an einem<br />
Raub Beteiligten genügt es, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht<br />
über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Faktische Mitverfügungsgewalt kann auch dann vorliegen,<br />
wenn sich diese in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der<br />
Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit<br />
diesen Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 474/<strong>2019</strong><br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Abwesenheitsverfahren: Inhalt der Hauptverhandlung<br />
(OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.5.<strong>2019</strong> – 2 Ss (OWi) 140/19) • Im sog. Abwesenheitsverfahren sind gem.<br />
§ 74 Abs. 1 S. 2 OWiG frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten<br />
Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder Verlesung in die Haupthandlung<br />
einzuführen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 475/<strong>2019</strong><br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 841
Fach 1, Seite 126 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
Pflichtwidriges Verhalten eines Rechtsanwalts: Schadensersatz<br />
(BGH, Urt. v. 6.6.<strong>2019</strong> – IX ZR 104/18) • Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer anwaltlichen<br />
Pflichtverletzung und dem bei dem Mandanten eingetretenen Schaden entfällt nicht bereits durch die<br />
naheliegende Möglichkeit, den Schaden in einem Rechtsmittelverfahren beseitigen zu können.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 476/<strong>2019</strong><br />
Gebührenrecht<br />
Prozesskostenhilfe: Von einer RS-Versicherung nicht gedeckte Prozesskosten<br />
(LSG Thüringen, Beschl. v. 23.5.<strong>2019</strong> – L 1 SF 1527/17 B) • Wird Prozesskostenhilfe für den nicht von einer<br />
Rechtsschutzversicherung gedeckten Teil der Prozesskosten bewilligt und zahlt die Rechtsschutzversicherung<br />
ihrerseits auf die Kostenrechnung nur teilweise, ist dem Berechtigten der volle Differenzbetrag<br />
zu erstatten. Hinweis: Eine Begrenzung auf die Selbstbeteiligung findet mangels entsprechender<br />
Einschränkung im abändernden PKH-Beschluss nicht statt; die PKH-Bewilligung erstreckt sich dann über<br />
den Gesamtbetrag, der nicht von der Rechtsschutzversicherung erstattet wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 477/<strong>2019</strong><br />
EU-Recht/IPR<br />
Website mit „Gefällt mir“-Button von Facebook: Personenbezogene Daten<br />
(EuGH, Urt. v. 29.7.<strong>2019</strong> – C-40/17) • Der Betreiber einer Website, in der der „Gefällt mir“-Button von<br />
Facebook enthalten ist, kann für das Erheben und die Übermittlung der personenbezogenen Daten der<br />
Besucher seiner Website gemeinsam mit Facebook verantwortlich sein. Dagegen ist er grds. nicht für<br />
die spätere Verarbeitung dieser Daten allein durch Facebook verantwortlich. Hinweis: Webseitenbetreiber<br />
sind verpflichtet, Besuchern ihrer Seiten Informationen zur Erhebung und Verarbeitung ihrer<br />
Daten zu geben. Dies gilt insbesondere für eine automatische Übermittlung von Besucherdaten an<br />
Facebook. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 478/<strong>2019</strong><br />
Gleichbehandlungsgrundsatz: Pkw-Maut für deutsche Bundesstraßen<br />
(EuGH, Urt. v. 18.6.<strong>2019</strong> – C-591/17) • Die deutsche Vignette für die Benutzung von Bundesfernstraßen<br />
durch Personenkraftwagen verstößt gegen das Unionsrecht. Die mit ihr vorgesehene Abgabe verletzt<br />
das EU-rechtliche Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, da ihre wirtschaftliche<br />
Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten<br />
zugelassenen Fahrzeugen liegt. Zwar steht es jedem Mitgliedstaat frei, das System zur Finanzierung<br />
seiner Straßeninfrastruktur zu ändern, indem er ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der<br />
Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten<br />
zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzt, damit alle Nutzer in gerechter<br />
und verhältnismäßiger Weise zu dieser Finanzierung beitragen. Einen solchen Übergang hat Deutschland<br />
jedoch nicht überzeugend dargelegt. Die Vignette ist so ausgestaltet, dass sie in Wirklichkeit<br />
ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betrifft,<br />
während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen im Grunde weiterhin das<br />
Steuerfinanzierungsprinzip gilt. Hinweis: Geklagt hatte Österreich. Es kommt sehr selten vor, dass ein<br />
Mitgliedstaat eine Vertragsverletzungsklage gegen einen anderen Mitgliedstaat erhebt. Die vorliegende<br />
Klage war erst die siebte in der Geschichte des EuGH. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 479/<strong>2019</strong><br />
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842 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Miete/Nutzungen Fach 4, Seite 1813<br />
Rechtsmittelbeschwer<br />
Allgemeines<br />
Mietrecht<br />
Die Rechtsmittelbeschwer im Mietrecht<br />
Von Rechtsanwalt MICHAEL BRÄNDLE, Freiburg<br />
Eine ausführliche, grundlegende Darlegung der Problematik der Beschwer, die hier nur sehr kurz<br />
zusammengefasst wird (unten I.), finden Sie in <strong>ZAP</strong> F. 13, S. 2247. Im Hauptteil (unten II.) werden hieran<br />
anknüpfend die Besonderheiten der Beschwer im Mietrecht behandelt. (Für die Besonderheiten in<br />
Immobilien‐ und Wohnungseigentumssachen s. den gesonderten Beitrag in <strong>ZAP</strong> F. 7, zur Veröffentlichung<br />
in <strong>ZAP</strong> 2020 vorgesehen).<br />
Inhalt<br />
I. Einleitung<br />
II. Besonderheiten der Beschwer in Mietsachen<br />
1. Höhe des Miet- bzw. Pachtzinses –<br />
„Nettomiete“<br />
2. Herausgabe des Grundstücks<br />
3. Duldung von Modernisierungsmaßnahmen<br />
4. Beseitigung einer Störung<br />
III. Fazit<br />
I. Einleitung<br />
In Verfahren nach der Zivilprozessordnung bedarf es sowohl für die Berufung als auch für die Beschwerde<br />
gegen die Nichtzulassung der Revision – nicht aber für die Revision (unzutreffend deshalb<br />
DRASDO NZM <strong>2019</strong>, 327 im Einleitungssatz) – einer Mindestbeschwer, es sei denn, das Ausgangsgericht<br />
hat das Rechtsmittel zugelassen. Das Rechtsmittelgericht ist an eine Zulassung gebunden (§ 511 Abs. 4<br />
S. 2 ZPO bzw. § 443 Abs. 2 S. 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist dann ohne Weiteres, ohne dass es auf die<br />
Beschwer ankommt, statthaft.<br />
Die Berufung ist zulassungsfrei nur statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 €<br />
übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gibt es nicht.<br />
Praxistipp:<br />
Wer bei sich bei einer (potenziellen) Beschwer des Mandanten von bis zu 600 € die Berufung offen halten<br />
will, sollte beim Erstgericht die Zulassung der Berufung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) anregen oder, wenn<br />
möglich, durch entsprechenden Vortrag – schon in der ersten Instanz – darlegen und glaubhaft machen,<br />
dass für den Mandanten mehr als 600 € auf dem Spiel stehen.<br />
Die Revision zum BGH ist nur statthaft, wenn sie entweder vom Berufungsgericht oder vom BGH auf<br />
Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen wurde (§ 543 Abs. 1 ZPO). Seit der ZPO-Reform 2002<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 843
Fach 4, Seite 1814<br />
Rechtsmittelbeschwer<br />
Miete/Nutzungen<br />
ist die Revision ausschließlich als Zulassungsrevision statthaft; eine zulassungsfreie (Wert‐)Revision<br />
gibt es seither nicht mehr. Für die (zugelassene) Revision ist eine bestimmte Höhe der Beschwer auf der<br />
anderen Seite nicht mehr erforderlich.<br />
Obwohl die (zugelassene) Revision keiner bestimmten Höhe der Beschwer bedarf, ist die Beschwerde<br />
gegen die Nichtzulassung der Revision nur statthaft, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu<br />
machenden Beschwer 20.000 € übersteigt. Diese Wertgrenze hat der Gesetzgeber etwas verschämt<br />
und versteckt – und deshalb vielen Instanzanwälten nicht geläufig – in § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO geregelt.<br />
Die Wertgrenze gilt nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung (als unzulässig) verworfen hat, § 26<br />
Nr. 8 S. 2 EGZPO, d.h., sie ist dann unabhängig vom Wert statthaft. Um erfolgreich zu sein, muss aber –<br />
wie immer – ein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) vorliegen. Zu den Zulassungsgründen, welche<br />
hier nicht behandelt werden, s. GEIPEL <strong>ZAP</strong> F. 13, 1857 ff. sowie die Dissertation von RUPPRECHT, Gründe für<br />
die Zulassung der Revision in deutschen Prozessordnungen, 2015; zur Zulassungspraxis des BGH siehe<br />
WINTER NJW 20<strong>16</strong>, 922.<br />
Praxistipp:<br />
Wer bei sich bei einer (potenziellen) Beschwer des Mandanten von bis zu 20.000 € die Revision offen<br />
halten will, sollte beim Berufungsgericht die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) anregen und/<br />
oder, wenn möglich, durch entsprechenden Vortrag – spätestens in der Berufungsinstanz, besser schon<br />
von vornherein – darlegen und glaubhaft machen, dass für den Mandanten mehr als 20.000 € auf dem<br />
Spiel stehen.<br />
Hinweis:<br />
Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Beitrags lag ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor (veröffentlicht<br />
auf der Webseite des BMJV im Bereich Services/Aktuelle Gesetzgebungsverfahren: https://www.<br />
bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Wertgrenze_Nichtzulassungsbeschwerde_Zivilsachen.html?nn=6712350),<br />
welcher vorsieht, § 26 Nr. 8 EGZPO durch § 544 Abs. 2 ZPO RegE mit gleichem<br />
Inhalt zu ersetzen, d.h. die Wertgrenze in die ZPO zu übernehmen und damit zu entfristen. Sollte dies<br />
geschehen, änderte dies ansonsten nichts an den Darlegungen in diesem Beitrag.<br />
II.<br />
Besonderheiten der Beschwer in Mietsachen<br />
1. Höhe des Miet- bzw. Pachtzinses –„Nettomiete“<br />
Kommt es für die Beschwer auf die Höhe des Mietzinses an, ist jedenfalls bei unbefristeten Mietverhältnissen<br />
die Beschwer regelmäßig höher als der Streitwert, weil der Streitwert, auch bei gewerblichen<br />
Mietverhältnissen, auf die Jahresmiete gedeckelt ist (§ 41 Abs. 1 GKG), während sich die Beschwer<br />
nach § 9 ZPO bemisst und somit bei dem Dreieinhalbfachen der Jahresmiete liegen kann. In Mietsachen<br />
ist es somit gut möglich, dass die nach § 26 Nr. 8 EGZPO für die Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche<br />
Beschwer erreicht ist, obwohl die Streitwertfestsetzung (korrekterweise) diesen Betrag nicht<br />
übersteigt.<br />
Die der Berechnung des Streitwerts und der Beschwer zugrunde liegende Nettomiete richtet sich<br />
danach, welche Miete der auf Räumung in Anspruch genommene Mieter nach dem von ihm behaupteten<br />
Mietvertrag zu entrichten hat. Ein etwaiger höherer objektiver Mietwert oder eine höhere<br />
fiktive Marktmiete ist für die Beurteilung ohne Bedeutung (BGH, Beschl. v. 17.1.2017 – VIII ZR 178/<strong>16</strong>, juris<br />
Rn 4). Die monatlichen Betriebskostenvorauszahlungen erhöhen den Beschwerdewert einer Räumungsklage<br />
nicht. Für die Wertbemessung kommt es nach § 8 ZPO auf das für die Gebrauchsüberlassung<br />
zu zahlende Entgelt an. Dazu zählen vereinbarte Vorauszahlungen auf Nebenkosten nicht<br />
(BGH, Beschl. v. 14.6.20<strong>16</strong> – VIII ZR 291/15, juris Rn 2). Auch bei der Geschäftsraummiete können<br />
vereinbarte Vorauszahlungen auf Nebenkosten nicht als Bestandteil des Entgelts für die Gebrauchs-<br />
844 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Miete/Nutzungen Fach 4, Seite 1815<br />
Rechtsmittelbeschwer<br />
überlassung angesehen werden und haben keinen Einfluss auf die Beschwer (BGH, Beschl. v. 2.6.1999 –<br />
XII ZR 99/99, juris Rn 10).<br />
Das für die gewerbliche Gebrauchsüberlassung zu zahlende streitwertrelevante „Entgelt“ beinhaltet<br />
jedoch auch die Umsatzsteuer, soweit vereinbart ist, dass der Mieter/Pächter diese (zusätzlich zum in<br />
diesem Sinne vereinbarten „Nettoentgelt“ i.S.d. § 41 Abs. 1 GKG) – für die Gebrauchsüberlassung und nicht<br />
als Nebenkosten – an den Verpächter zu zahlen hat (BGH, Beschl. v. 2.11.2005 – XII ZR 137/05, juris Rn 9).<br />
Die „Nettomiete“ i.S.d. § 41 Abs. 1 GKG ist somit bei gewerblicher, umsatzsteuerpflichtiger Miete die für<br />
die Gebrauchsüberlassung zu zahlende „Bruttomiete“ im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Für die Beschwer<br />
kann nichts anderes gelten.<br />
2. Herausgabe des Grundstücks<br />
Die aus der Verurteilung zur Herausgabe des Grundstücks folgende Beschwer bemisst sich im<br />
Ausgangspunkt nicht nach § 6 ZPO (nach dem Verkehrswert des Grundstücks), sondern nach § 8 ZPO<br />
(nach dem Nutzungsentgelt), denn bei einem Streit über das Bestehen eines Nutzungsverhältnisses ist<br />
die Sondervorschrift des § 8 ZPO vorrangig (BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – V ZR 230/17, juris Rn 5). Der Wert<br />
der Beschwer der Räumungs- und Herausgabeverurteilung richtet sich somit nach dem Betrag der auf<br />
die gesamte streitige Zeit entfallenden Miete, maximal nach dem 25-fachen Betrag des einjährigen<br />
Entgelts (BGH, Beschl. v. 23.1.<strong>2019</strong> – XII ZR 95/17, juris Rn 6). Dem steht nicht entgegen, dass das<br />
zwischen den Parteien vereinbarte Nutzungsverhältnis unentgeltlich war. In diesem Fall ist der<br />
Streitwert nach freiem Ermessen zu bestimmen (§ 3 ZPO); in Anlehnung an § 9 ZPO kann dabei von dem<br />
dreieinhalbfachen Jahresnutzungswert ausgegangen werden (BGH, Beschl. v. 12.4.2018 – V ZR 230/17,<br />
juris Rn 5). Die Vorschriften der §§ 8, 9 ZPO sind auch auf Kleingartenpachtverträge anzuwenden und<br />
auch dann, wenn der Beklagte, welcher selbst nicht Pächter ist, gegen den Herausgabeanspruch einen<br />
Anspruch auf Übertragung des objektbezogenen Dauerwohnrechts an ihn behauptet (BGH, Beschl. v.<br />
29.11.2018 – III ZR 222/18, juris Rn 4).<br />
Beruft sich ein Nutzungsberechtigter gegenüber einer Kündigung auf Schutzregeln, die das Kündigungsrecht<br />
einschränken und ihm ein Recht zur Fortsetzung der Nutzung geben, so dauert die<br />
„streitige Zeit“ i.S.d. § 8 ZPO vom Tag der Erhebung der Räumungsklage bis zu dem Zeitpunkt, den<br />
derjenige, der sich auf ein Nutzungsrecht beruft, als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt des<br />
Nutzungsvertrags in Anspruch nimmt. Hat er keinen festen Zeitpunkt genannt, so ist darauf<br />
abzustellen, was er bereits in erster Instanz vermutlich gewollt hat. Ergeben sich dafür keine hinreichend<br />
konkreten Anhaltspunkte, so ist davon auszugehen, dass er zwar ein zeitlich begrenztes<br />
Nutzungsrecht für sich in Anspruch nimmt, dass der Zeitpunkt der Beendigung dieses Nutzungsrechts<br />
aber ungewiss ist. In einem solchen Fall ist nach der Rechtsprechung des XII. Zivilsenats die „streitige Zeit“<br />
in entsprechender Anwendung des § 9 ZPO zu bestimmen (BGH, Beschl. v. 23.1.<strong>2019</strong> – XII ZR 95/17, juris<br />
Rn 6; BGH, Beschl. v. 18.10.2017 – XII ZR 6/17, juris Rn 1 m.w.N.).<br />
3. Duldung von Modernisierungsmaßnahmen<br />
Die Beschwer des Unterliegens der Klägerin mit ihrer Klage auf Duldung von Modernisierungsmaßnahmen<br />
– dazu gehören auch Anträge auf Zutrittsgewährung – ist gem. § 3 ZPO i.V.m. den Grundsätzen<br />
des § 9 ZPO nach dem 3,5-fachen des infolge der Modernisierung zu erwartenden Jahresbetrags der<br />
Mieterhöhung zu bemessen (BGH, Beschl. v. 7.1.<strong>2019</strong> – VIII ZR 112/18, juris Rn 2). Das Interesse an einer<br />
durch die Modernisierungsmaßnahmen erzielbaren Wertsteigerung bleibt außer Betracht, denn im<br />
Rahmen der Duldung einer Modernisierung geht es nicht um die Pflicht des Mieters, dem Vermieter eine<br />
Wertsteigerung zu ermöglichen. Diese stellt nur einen Reflex des eigentlichen Inhalts eines solchen<br />
Klagebegehrens dar, das darauf gerichtet ist, den Mieter zu verpflichten, die Modernisierungsmaßnahmen<br />
hinzunehmen und so den Vermieter in die Lage zu versetzen, den Mietgegenstand zu<br />
verbessern und ggf. die Miete zu erhöhen (BGH, Beschl. v. 7.1.<strong>2019</strong> – VIII ZR 112/18, juris Rn 4).<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 845
Fach 4, Seite 18<strong>16</strong><br />
Rechtsmittelbeschwer<br />
Miete/Nutzungen<br />
4. Beseitigung einer Störung<br />
Wird die Klage eines Vermieters auf Beseitigung einer durch den Mieter errichteten Satellitenempfangsantenne<br />
abgewiesen, richtet sich die Beschwer des Vermieters nach dem Wertverlust, den er<br />
durch eine von der Satellitenempfangsantenne verursachte Beeinträchtigung der Substanz und/oder<br />
des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleidet (BGH, Beschl. v. 17.5.2006 – VIII ZB 31/05, juris<br />
Leitsatz).<br />
Wird der Vermieter einer Wohnung verurteilt, die Anbringung eines Transparents, Plakats oder Banners<br />
durch den Mieter an der Fassade des Hauses zu dulden, richtet sich die Beschwer des Vermieters<br />
ebenfalls nach dem Wertverlust, den er durch die Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen<br />
Gesamteindrucks seines Hauses erleidet. Zudem ist bei der Bemessung der durch die Eigentumsstörung<br />
verursachten Beschwer des Vermieters zu berücksichtigen, ob der Text des Transparents,<br />
Banners oder Plakats den Eindruck erwecken kann, der Vermieter missachte Mieterinteressen (BGH,<br />
Beschl. v. 21.5.<strong>2019</strong> – VIII ZB 66/18, juris Leitsätze). In diesem Fall hatte das Berufungsgericht einen Wert<br />
unter der Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) angenommen und die Berufung als unzulässig<br />
zurückgewiesen. Die gem. §§ 2, 3 ZPO im freien Ermessen des Berufungsgerichts liegende Bestimmung<br />
des Werts des Beschwerdegegenstands kann vom BGH nur beschränkt darauf überprüft werden, ob das<br />
Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht<br />
umfassend berücksichtigt, die Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer<br />
dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Trotz dieser<br />
beschränkten Prüfung konnte der BGH das Berufungsgericht in diesem konkreten Fall korrigieren, weil<br />
dieses in sachwidriger Weise darauf abgestellt hatte, die Eigentumsstörung, deren Beseitigung die<br />
Beklagte mit ihrem Rechtsmittel erstrebt, habe schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs bestanden<br />
(Rn 10). Das war schon im Ansatz verfehlt, denn die Bemessung der Beschwer eines Rechtsmittelführers<br />
durch das angefochtene Urteil hat rein nach seinem Rechtsschutzziel zu erfolgen; materiellrechtliche<br />
Gesichtspunkte haben insoweit außer Betracht zu bleiben (Rn 12).<br />
III. Fazit<br />
Anders als in anderen Rechtsgebieten ist in Mietsachen die Beschwer oftmals höher als der Streitwert;<br />
ansonsten, insbesondere auch im Wohnungseigentumsrecht (ausführlich BRÄNDLE ZfIR 2017, 553 sowie<br />
BRÄNDLE in einem gesonderten Beitrag in <strong>ZAP</strong> F. 7, zur Veröffentlichung in <strong>ZAP</strong> 2020 vorgesehen) ist es<br />
oft umgekehrt. Kommt es für die Beschwer auf die Höhe des Mietzinses an, ist jedenfalls bei unbefristeten<br />
Mietverhältnissen die Beschwer deshalb regelmäßig höher als der Streitwert, weil der Streitwert,<br />
auch bei gewerblichen Mietverhältnissen, auf die Jahresmiete gedeckelt ist (§ 41 Abs. 1 GKG),<br />
während sich die Beschwer nach § 9 ZPO bemisst und somit bei dem dreieinhalbfachen der Jahresmiete<br />
liegen kann.<br />
Praxistipps:<br />
Der Rechtsanwalt beim BGH hat zunächst naturgemäß keine Aktenkenntnis, ist aber gehalten, die<br />
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision binnen der hierfür geltenden Notfrist von einem<br />
Monat (§ 544 Abs. 1 S. 2 ZPO) weisungsgemäß einzulegen. Dadurch entstehen dem Mandanten Gebühren.<br />
Der Instanzanwalt tut deshalb gut daran, vorher zu prüfen, ob sich aus seinem eigenen bisherigen Vortrag<br />
ergibt, dass der erforderliche Beschwerdewert von mehr als 20.000 € erreicht ist. Wenn dies nicht der<br />
Fall ist, kann dies nur dazu führen, dass der Rechtsanwalt beim BGH empfehlen muss, die Beschwerde<br />
zurückzunehmen, weil sie nicht statthaft ist.<br />
In Mietsachen ist zu bedenken, dass ein Streitwert von bis zu 20.000 € nicht zwingend bedeutet, dass die<br />
erforderliche Beschwer nicht erreicht ist. Die Beschwer richtet sich nach §§ 8, 9 ZPO und nicht nach § 41<br />
GKG. In Mietsachen kann die Beschwer (deutlich) höher sein als der Streitwert.<br />
846 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 519<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Nachbarrecht<br />
Abwehr und Duldung nachbarlicher Immissionen<br />
Von Rechtsanwalt Dr. HANS REINOLD HORST, Hannover/Solingen<br />
Inhalt<br />
I. Vorbemerkung<br />
II. Anspruchsschema<br />
1. Selbsthilfemöglichkeiten<br />
2. Beseitigungsansprüche, Unterlassungsansprüche<br />
3. Sekundäransprüche<br />
4. Korrektur durch die Rechtsfigur des nachbarlichen<br />
Gemeinschaftsverhältnisses?<br />
5. Verjährung der Ansprüche?<br />
III. Gase und Dämpfe<br />
IV. Gerüche, Rauch<br />
1. Tierhaltung<br />
2. Düngung<br />
3. Kompostierung<br />
4. Verbrennen von Gartenabfällen<br />
5. Grillen<br />
6. Betrieb offener Kamine<br />
V. Geräusche, Lärm<br />
1. Rasenmähen<br />
2. Partylärm<br />
3. Wohngebrauch<br />
4. Altglascontainer<br />
5. Glockenspiel und Geläut<br />
6. Tierlärm<br />
7. Kinderlärm<br />
8. Sportanlagen, Gaststätten, Vereinsheime,<br />
Volksfeste<br />
9. Fluglärm<br />
10. Schießlärm<br />
11. Asylanten- und Flüchtlingsunterkunft<br />
12. Baulärm<br />
13. Verkehrslärm<br />
14. Gewerbelärm<br />
I. Vorbemerkung<br />
Jeder hat Nachbarn, gleich ob als Mieter, Vermieter, Haus- oder Wohnungseigentümer. Alle Formen<br />
menschlichen Zusammenlebens sind zwingend mit Auswirkungen für andere verbunden. Sie werden<br />
aus der Sicht des Beeinträchtigten als Immissionen bezeichnet.<br />
Der Beitrag stellt die klassische „magna carta“ der gesetzlich geregelten Immissionsarten vor und beschreibt<br />
sie näher mit praxisrelevanter Gewichtung anhand ausgewählter Rechtsprechung.<br />
II. Anspruchsschema<br />
Zentrale Vorschriften sind die §§ 862, 906, 910, 1004 BGB. Bei der Ermittlung und Verfolgung nachbarlicher<br />
Ansprüche sind folgende Fragen zu untersuchen:<br />
1. Selbsthilfemöglichkeiten<br />
Insbesondere des Besitzers wegen verbotener Eigenmacht (§ 859 BGB) und des Eigentümers wegen<br />
eindringender Wurzeln und überhängender Zweige (§ 910 BGB), allgemeines Selbsthilferecht gem.<br />
§ 229 BGB.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 847
Fach 7, Seite 520<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
2. Beseitigungsansprüche, Unterlassungsansprüche<br />
• Beeinträchtigung des Eigentums (§ 1004 BGB) oder Störung des Besitzes (§ 862 BGB)?<br />
• Anspruchsberechtigter?<br />
• Anspruchsverpflichteter?<br />
• Sind die Beeinträchtigungen nach § 906 Abs. 1 BGB oder nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden?<br />
• Duldungspflicht wegen nur unwesentlicher Beeinträchtigung (§ 906 Abs. 1 S. 1 BGB).<br />
• Duldungspflicht bei wesentlichen Beeinträchtigungen in Fällen ortsüblicher Benutzung des anderen<br />
Grundstücks (§ 906 Abs. 2 S. 1 BGB).<br />
• Sonstige gesetzliche Duldungspflichten, z.B. Betreten des Nachbargrundstücks, Gemeingebrauch,<br />
Notwehr, Notstand, Luftraum, Bergbau, Notweg, Notleitungsrechte, sonstige gesetzliche Leitungsrechte,<br />
Überbau, Widmung, nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis.<br />
• Anspruchsbeschränkung oder Anspruchsausschluss durch behördliche Genehmigung, insbesondere<br />
wegen genehmigter Anlagen, immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen, Planfeststellungsverfahren,<br />
Baugenehmigungen, Nachbarunterschrift, sonstiger behördlicher Genehmigungen.<br />
• Anspruchsbeschränkung, weil die öffentliche Hand in Ausübung hoheitlicher Gewalt als Störer<br />
handelt?<br />
• Geht die Beeinträchtigung auf einen lebenswichtigen oder gemeinnützigen Betrieb zurück?<br />
3. Sekundäransprüche<br />
Falls keine Selbsthilferechte oder Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassen einer Beeinträchtigung<br />
bestehen, ist nach Ansprüchen anderer Art zu fragen. In Betracht kommen:<br />
a) Aufwendungsersatzansprüche aus<br />
• Verzug gem. § 286 BGB,<br />
• Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 683 S. 1, 677 BGB bei Handeln im mutmaßlichen Willen des<br />
Geschäftsherrn oder bei dessen entgegenstehendem Willen gem. §§ 683 S. 1, 678, 679 BGB oder<br />
schließlich bei Eigengeschäftsführung aus § 687 Abs. 2 BGB,<br />
• ungerechtfertigter Bereicherung gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 2 BGB,<br />
• Schadensersatz gem. § 823 Abs. 1 u. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz.<br />
b) Entschädigungsansprüche<br />
• Schadensersatz insbesondere aus § 823 Abs. 1 u. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz,<br />
• Entschädigungspflicht wegen hinzunehmender Beeinträchtigungen aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB,<br />
• Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gem. § 906 BGB analog,<br />
• Bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch,<br />
• Öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff (öffentlich-rechtlicher<br />
Folgenbeseitigungsanspruch).<br />
4. Korrektur durch die Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses?<br />
Nur ganz ausnahmsweise können sich aus der Rechtsfigur des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses<br />
als einer Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 BGB Rechte unter den<br />
Nachbarn ergeben. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben, dass sich<br />
die gegenseitigen Rechte und Pflichten benachbarter Grundeigentümer grundsätzlich aus den gesetzlichen<br />
Bestimmungen des Nachbarrechts ergeben. Dies gelte insbesondere, wenn sie eine ins<br />
Einzelne gehende Sonderregelung erfahren haben. Daher müsse sich die Anwendung der Rechtsfigur<br />
des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf Ausnahmefälle beschränken, deren Besonderheit<br />
einen über die gesetzliche Regelung hinausgehenden billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen<br />
zwingend gebiete. Es gehe nicht an, die gesetzlichen Regelungen des Privatrechts mithilfe des nach-<br />
848 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 521<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
barlichen Gemeinschaftsverhältnisses in ihr Gegenteil zu verkehren (vgl. zuletzt: BGH, Urt. v. 26.10.2018<br />
– V ZR 143/17, juris; BGH NJW 1984, 729, 731; BGHZ 38, 61, 64 f. = NJW 1962, 2341).<br />
5. Verjährung der Ansprüche?<br />
Wie alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche unterliegen auch nachbarrechtliche Ansprüche der Verjährung,<br />
soweit nicht besondere Bestimmungen bestehen (§ 194 Abs. 1 BGB). Ausnahmevorschrift hierzu<br />
ist § 924 BGB. Danach sind die nachbarrechtlichen Ansprüche aus den §§ 907 bis 909, 915, 917 Abs. 1,<br />
918 Abs. 2, 919, 920, 923 Abs. 2 BGB unverjährbar.<br />
Das Selbsthilferecht nach § 910 BGB verjährt nicht, da es sich begrifflich nicht um einen Anspruch i.S.d.<br />
§ 194 BGB handelt, nach dem von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen verlangt werden kann.<br />
Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB verjähren nach §§ 195, 199 BGB in drei Jahren (BGH, Urt. v.<br />
22.2.<strong>2019</strong> – V ZR 136/18, juris).<br />
§ 906 BGB nennt insbesondere folgende Beeinträchtigungen, auf die näher einzugehen ist:<br />
III.<br />
Gase und Dämpfe<br />
1. Das OLG Köln (Urt. v. 3.5.1995 – 2 U 135/94 [n.v.]) verpflichtete einen Eigentümer, die Einfriedung<br />
seines Grundstücks mit imprägnierten Bahnschwellen zu beseitigen. Anspruchsgrundlage war<br />
§ 1004 i.V.m. § 906 BGB. Von den Bahnschwellen gingen Ausdünstungen aus, die krankheitserregende<br />
und krebserzeugende Schadstoffe enthielten. Die Beeinträchtigung war aufgrund der<br />
davon ausgehenden Gesundheitsgefahr wesentlich i.S.v. § 906 BGB. Ob sie dennoch wegen ortsüblicher<br />
Nutzung des Grundstücks gem. § 906 Abs. 2 BGB hinzunehmen war, blieb offen. In jedem<br />
Fall war es wirtschaftlich zumutbar, die Bahnschwellen durch eine andere, gesundheitsunschädliche<br />
Einzäunung des Grundstücks zu ersetzen (Kostenaufwand ca. 12.000 DM).<br />
2. Dagegen wurde der Einsatz von Herbiziden in einem verwilderten Hausgarten für zulässig gehalten<br />
(OLG Köln NuR 1994, 413). Der Einsatz von Unkrautvertilgungsmitteln verstoße in dem erfolgten<br />
Umfang nicht gegen Bestimmungen des Landschaftsschutzrechts. Offen blieb die Prüfung eines<br />
Verstoßes gegen wasserrechtliche Bestimmungen.<br />
3. Entstehen Gase und Dämpfe durch gewerbliche Nutzungen des Nachbargrundstücks, insbesondere<br />
durch Fabrikationsanlagen, so können sich neben immissionsschutzrechtlichen Abwehransprüchen<br />
auch Abwehransprüche aus § 906 BGB i.V.m § 1004 BGB ergeben (vgl. dazu MICHALSKI DB 1991,<br />
1365 ff.).<br />
IV.<br />
Gerüche, Rauch<br />
1. Tierhaltung<br />
Beeinträchtigt der bei der Haltung mehrerer Katzen auf dem Nachbargrundstück entstehende Geruch<br />
saison- und witterungsbedingt das Nachbargrundstück so stark, dass Terrassen und Swimmingpool<br />
nicht mehr benutzt werden können, so ist von einer wesentlichen Geruchsbelästigung auszugehen. Das<br />
OLG München (MDR 1990, 1117) gestand dem beeinträchtigten Nachbarn einen Anspruch auf anderweitige<br />
Unterbringung der Katzen sowie die Unterlassung weiterer Katzenhaltung zu, soweit er nach<br />
§ 906 Abs. 2 BGB nicht zur Duldung verpflichtet war. Eine solche Duldungspflicht bestand allerdings für<br />
die Haltung von zwei Katzen, da eine solche Katzenhaltung ortsüblich war (vgl. allg. zu Problemen bei<br />
der Katzenhaltung im Nachbarrecht BORRMANN/GRECK ZMR 1993, 51 ff.). Anhaltspunkte für die ortsübliche<br />
Nutzung bietet das Bauplanungsrecht. Anlagen für die Kleintierhaltung sind in reinen Wohngebieten<br />
zulässig, soweit sie der Eigenart des Baugebiets nicht widersprechen.<br />
2. Düngung<br />
In ländlicher Gegend ist es zulässig, jahreszeitlich bedingt zur Düngung bestimmten Pferdemist an der<br />
Grenze zum Nachbargrundstück auch dann für einige Tage abzulagern, wenn davon ein übler und<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 849
Fach 7, Seite 522<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
widerwärtiger Gestank ausgeht. Das erkennende AG Neuss (DWW 1990, 310) ging aufgrund der<br />
vorübergehenden und jahreszeitlich beschränkten Ablagerung des Pferdemists nur von einer unwesentlichen<br />
Beeinträchtigung aus (§§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 BGB). Ebenso wurde die Düngung eines<br />
Grundstücks mit Gülle in Regionen, die durch einen hohen Anteil von Unterglaskulturen geprägt sind,<br />
für zulässig gehalten. Das OLG Düsseldorf (NJW-RR 1995, 1482) machte lediglich die Auflage, zur<br />
Vermeidung an Schäden an den Rosenkulturen des Nachbarn die Gülle alsbald in den Boden einzuarbeiten.<br />
Wird allerdings über die reine Düngung hinaus Rindergülle in erheblicher Menge in das Erdreich eingelassen,<br />
so ist der Tatbestand der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung verwirklicht (BayObLG NJW<br />
1989, 1290; einschränkend OLG Celle NJW 1986, 2326).<br />
3. Kompostierung<br />
Grundsätzlich dürfen Komposthaufen angelegt werden. Treten Geruchsbelästigungen auf, so ist zu<br />
prüfen, ob es sich um wesentliche Beeinträchtigungen i.S.d. § 906 BGB handelt. Dies wird gem. § 906<br />
Abs. 1 S. 3 BGB nach der TA-Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) beurteilt. Handelt es<br />
sich danach um eine wesentliche Beeinträchtigung, ist die Ortsüblichkeit i.S.v. § 906 Abs. 2 S. 1 BGB in<br />
einem zweiten Schritt zu prüfen. In ländlichen Bereichen sind landwirtschaftlich-tierische Gerüche<br />
ortsüblich. Danach entfallen Abwehransprüche zumindest dann, wenn bei der Standortwahl des Komposthaufens<br />
so verfahren wurde, dass auf die berechtigten Belange des Nachbarn Rücksicht genommen<br />
wurde. Ob dies möglich ist, kann allerdings bei Grundstücken mit Ziergärten, insbesondere bei sehr<br />
kleinen Reihenhausgrundstücken, fraglich sein. Reicht die Fläche zur Aufnahme des Komposts nicht<br />
aus, so kann es sich bei kompostierfähigen Stoffen um bewegliche Sachen handeln, deren geordnete<br />
Verwertung und Entsorgung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist.<br />
Damit ist der Abfallbegriff erfüllt, für den der Anschluss- und Benutzungszwang zu den Abfallentsorgungseinrichtungen<br />
eröffnet ist (vgl. aber OVG NRW BBauBl. 1996, 885 [kein Anschluss- und<br />
Benutzungszwang für die Biotonne bei ordnungsgemäßer Kompostierung]). Dann greift § 3 Abs. 7<br />
Nr. 1 KrWG (Kreislaufwirtschaftsgesetz v. 24.2.2012, BGBl I, S. 212 i.d.F. v. 20.7.2017, BGBl I 2808) in<br />
Verbindung mit den Landesgesetzen sowie den Verordnungen der Landesregierungen über die<br />
Beseitigung pflanzlicher Abfälle außerhalb von Abfallbeseitigungsanlagen ein. Als Bioabfälle bezeichnet<br />
erfasst die Norm vor allem Garten- und Parkabfälle. § 11 Abs. 1 KrWG verpflichtet zur Überlassung auch<br />
dieser Abfälle (Anschluss- und Benutzungszwang), es sei denn, kompostierbare Abfälle können fachgerecht<br />
auf dem eigenen Grundstück verwertet, sprich kompostiert werden (§ 17 Abs. 1 S. 1 KrWG). In<br />
diesem Fall ist dennoch ein Befreiungsantrag vom Anschluss- und Benutzungszwang zu stellen und<br />
positiv zu bescheiden, bevor durch Kompostierung auf dem eigenen Grundstück eigenverwertet werden<br />
darf.<br />
Kompostierbar sind Küchen- und Gartenabfälle. Dies hat das OVG NRW (Urt. v. 13.12.1995 – 22 A 1446/95<br />
[n.v.]) nach dem früher geltenden Abfallrecht für Rasenschnitt, Laub, Gehölz, Obst- und Gemüsereste<br />
und sogar für Speise- und Fleischreste bestätigt.<br />
4. Verbrennen von Gartenabfällen<br />
§ 28 Abs. 1 KrWG verweist den Abfallbesitzer auf die ordnungsgemäße Beseitigung und Verwertung<br />
nach dem Grundmodell des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Dazu zählt das Verbrennen pflanzlicher Abfälle<br />
nicht. § 28 Abs. 3 S. 1 und 2 KrWG gibt allerdings den Ländern die Möglichkeit, durch Rechtsverordnung<br />
Ausnahmen zuzulassen, „soweit hierfür ein Bedürfnis besteht und eine Beeinträchtigung des Wohls<br />
der Allgemeinheit nicht zu besorgen ist. Sie können in diesem Fall auch die Voraussetzungen und die Art und Weise<br />
der Beseitigung durch Rechtsverordnung bestimmen.“ Es kommt also grds. auf gesetzte Ausnahmen nach<br />
Landesrecht an (dazu: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.9.2018 – 2 Rb 5 Ss 625/18, juris). Grundsätzlich aber<br />
bleibt mangels landesrechtlicher Sonderregelungen das Verbrennen von Gartenabfällen verboten.<br />
850 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 523<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Auch liegt ein Verstoß gegen §§ 11 Abs. 1, 15 KrWG vor. Ferner kann der Straftatbestand der umweltgefährdenden<br />
Abfallbeseitigungen (§ 326 StGB) auch beim Verbrennen von Hausmüll, der nicht zum<br />
Sondermüll gehört, verwirklicht sein. Allerdings muss durch das Verbrennen die Umwelt nachhaltig<br />
verunreinigt werden. Die bloße Belästigung von Anwohnern durch das Verbrennen von Holz und<br />
Papierabfällen oder Plastikbestandteilen erfüllt den Tatbestand nicht (OLG Zweibrücken NJW 1988,<br />
3029 f.).<br />
Die ehemals für Pflanzenabfälle geltenden Pflanzen-Abfallverordnungen der Länder, die das Verbrennen<br />
grds. gestatteten, sind nahezu flächendeckend aufgehoben worden (vgl. z.B. die am 31.3.2014 außer Kraft<br />
getretene „BrennVO“ für Niedersachsen vom 2.1.2004). Soweit sie noch in einzelnen Bundesländern<br />
gelten, dürfen brennbare Zusätze, wie Mineralöle, Mineralölprodukte oder Verpackungsrückstände,<br />
nicht zugesetzt werden. Ausnahmen können bestehen, wenn die Ortssatzung für das Entsorgen von<br />
pflanzlichen Abfällen einen Anschluss- und Benutzungszwang an Entsorgungseinrichtungen der<br />
Gemeinde vorsieht (vgl. hierzu aber OVG NRW BBauBl. 1996, 885 [s. 3.b]). Ansonsten gestatten die<br />
Pflanzen-Abfallverordnungen, soweit sie noch gelten, das Verbrennen von Kleingartenabfällen<br />
(pflanzliche Abfälle in geringen Mengen, die im Haus und Kleingarten anfallen) an Werktagen einmal<br />
täglich höchstens zwei Stunden lang. Zuwiderhandlungen sind bußgeldbewehrt (OLG Düsseldorf NuR<br />
1994, 151). In diesem Bereich ist auch die Prüfung von Abwehr- und Beseitigungsansprüchen nach<br />
§§ 906, 1004 BGB eröffnet.<br />
5. Grillen<br />
Grundsätzlich ist auch der beim Grillen im Garten entstehende Rauch nach den genannten Vorschriften<br />
abwehrbar (s. 4), wenn der entstehende Qualm in die Wohnräume unbeteiligter Nachbarn eindringt<br />
und sich eine erhebliche Belästigung durch verbotenes Verbrennen von Gegenständen im Sinne des<br />
Landesimmissionsschutzrechtes ergibt (vgl. dazu OLG Düsseldorf ZMR 1995, 415 = NVwZ 1995, 1034 [zu<br />
§ 7 Abs. 1 ImSchG NW]).<br />
Die Rechtsprechung hat unterschiedliche Voraussetzungen für erlaubtes Grillen im Freien entwickelt. So<br />
darf in der Zeit von April bis September einmal monatlich auf Balkonen und Terrassen gegrillt werden,<br />
wenn die Nachbarn, deren Belästigung durch Rauchgase unvermeidlich ist, 48 Stunden vorher darüber<br />
informiert werden (AG Bonn WuM 1997, 325 f.). Das LG Stuttgart (ZMR 1996, 624 f.) schränkte die<br />
„erlaubte Grillfrequenz“ auf drei Termine pro Jahr ein (vgl. auch OLG Oldenburg Oldenburg, Urt. v.<br />
29.7.2002 – 13 U 53/02, juris: Grillen bis zu viermal im Jahr erlaubt).<br />
Schließlich das OLG Düsseldorf: Dringt der beim Grillen im Freien entstandene Qualm in die Wohn- und<br />
Schlafräume unbeteiligter Nachbarn in konzentrierter Weise ein, so stellt dies eine erhebliche Belästigung<br />
der Nachbarn durch verbotenes Verbrennen von Gegenständen i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 LImSchG<br />
NW dar (DWW 1995, 255 f.). Verfährt so ein Mieter auch nach Abmahnung durch den Vermieter weiter,<br />
darf ihm fristlos gekündigt werden (LG Essen, Urt. v. 7.2.2002 – 10 S 438/01, ZMR 2002, 597).<br />
6. Betrieb offener Kamine<br />
Gemäß § 24 BImSchG i.V.m. § 4 Abs. 3 S. 1 der 1. BImSchV (v. 26.1.2010, BGBl I, S. 38 i.d.F. v. 13.6.<strong>2019</strong>,<br />
BGBl I, S. 804) dürfen offene Kamine nur „gelegentlich“ betrieben werden. Das OVG Koblenz (NVwZ 1992,<br />
280 f.) präzisiert dies dahin, dass ein offener Kamin bei Beeinträchtigungen des Nachbarn durch Gerüche<br />
und durch Rauch behördlich auf acht Tage pro Monat für jeweils fünf Stunden beschränkt werden<br />
könne. Dabei zähle als offener Kamin auch ein Kamin, der mit geschlossenem Feuerraum betrieben<br />
werden könne.<br />
V. Geräusche, Lärm<br />
1. Rasenmähen<br />
Die Verordnung zur Einführung der Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung vom 29.8.2002,<br />
BGBl I 2002, S. 3478 ff. bestimmt – bußgeldbewehrt – Obergrenzen für das Maß der Lärmeinwirkung<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 851
Fach 7, Seite 524<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
und legt die Arbeitszeiten fest. Gemäß § 906 Abs. 1 S. 2 BGB sind die dort niedergelegten Werte<br />
Richtschnur dafür, wann von einer unwesentlichen oder einer wesentlichen Beeinträchtigung auszugehen<br />
ist. Denn die Verordnung legt fest, welcher Rasenmäherlärm in welchen Arbeitszeiten noch<br />
zulässig ist und wann eine Ordnungswidrigkeit vorliegt. Neben allen motorbetriebenen Gartengeräten<br />
wie z.B. Rasenmäher, Rasentrimmer, Freischneider, Heckenscheren, Kettensägen und Hochdruckreinigern<br />
gilt die Verordnung auch für Baumaschinen wie Betonmischer, Bohrmaschinen oder Kreissägen.<br />
Insgesamt sind 57 verschiedene Geräte und Maschinentypen erfasst. Danach gilt: Die genannten<br />
Geräte und Maschinen dürfen zwischen 7.00 und 20.00 Uhr betrieben werden. Seit dem Jahre 2006<br />
dürfen Rasenmäher je nach Nutzleistung einen Lärmgrenzwert zwischen 94 und 103 Dezibel (A) nicht<br />
mehr überschreiten. Nicht erlaubt ist die Benutzung ganztägig an Sonn- und Feiertagen (zur Verwendung<br />
von „Rasen-Robotern“ im Dauerbetrieb nur außerhalb der Ruhezeiten vgl. AG Siegburg, Urt. v.<br />
19.2.2015 – 118 C 97/13, IMR 20<strong>16</strong>, S. 24 = NZM 20<strong>16</strong>, 526). Für Laubbläser, Laubsammler und eine Reihe<br />
weiterer Geräte gibt es außerdem zusätzliche Ausschlusszeiten. Sie dürfen nur zwischen 9.00 und<br />
12.00 Uhr sowie zwischen 14.00 und 17.00 Uhr benutzt werden. Dies bezieht sich allerdings nur auf<br />
ausgewiesene Wohngebiete.<br />
Für Handrasenmäher und alle anderen nicht motorbetriebenen Gartengeräte gilt diese Verordnung<br />
nicht:<br />
Handrasenmäher können sowohl an Sonn- und Feiertagen sowie werktags in der Zeit von 7 bis 20 Uhr<br />
benutzt werden. Andere Gesetze und Verordnungen sowie kommunale Satzungen können die Geräteund<br />
MaschinenlärmVO überlagern. So finden sich häufig Regelungen über die Mittagsruhe. Regelungen<br />
über die Einhaltung der Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr finden sich in Hamburg (Verordnung zur<br />
Bekämpfung gesundheitsgefährdenden Lärms [LärmVO] v. 6.1.1981, HmbgVBl. S. 4, § 3 Abs. 2 speziell<br />
für Motorrasenmäher), Hessen (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung<br />
[HSOG] i.d.F. v. 14.1.2005, gültig ab dem 8.1.2007 bis zum 31.12.2009; früher Gefahrenabwehrverordnung<br />
gegen Lärm [LärmVO] v. <strong>16</strong>.6.1993, Hessisches GVBl. I, S. 257, § 3 Abs. 2, S. 1.) und für<br />
Rheinland-Pfalz auf landesgesetzlicher Ebene. Auch kommunale Satzungen können die Anordnung<br />
von Mittagsruhe enthalten. Schließlich sind für Mietverhältnisse die Hausordnungen als Bestandteil<br />
der Mietverträge zu nennen sowie für Wohnungseigentumsverhältnisse ebenfalls die Haus- und Gemeinschaftsordnungen<br />
oder entsprechende Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft. Eine<br />
Erkundigung beim zuständigen Ordnungsamt gibt darüber Aufschluss. Im Zweifel sollte daher über<br />
den reinen Wortlaut der Geräte- und MaschinenlärmVO hinaus auch die Mittagszeit zwischen 13 und<br />
15 Uhr als Ruhezeit beachtet werden.<br />
Die Verletzung der Vorschriften ist eine Ordnungswidrigkeit und rechtfertigt das Einschalten der Polizei.<br />
Verstöße können als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (Geldbußen bis zu 50.000 €).<br />
2. Partylärm<br />
Der Inhaber der Wohnung ist dafür verantwortlich, dass von einer dort veranstalteten Geburtstagsfeier<br />
kein Lärm ausgeht, der die Nachtruhe zu stören geeignet ist. Das Grundrecht auf freie Entfaltung der<br />
Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) gibt dem Wohnungsinhaber nicht das Recht, „einmal im Monat durch<br />
lautstarkes Feiern die Nachtruhe zu stören“ (OLG Düsseldorf NJW 1990, <strong>16</strong>76).<br />
Für Gartenpartys gilt das Gebot der Rücksichtnahme. Dies trifft insbesondere auf alte und kranke<br />
Menschen zu, kann sich aber auch aufgrund einer engen Bebauung ergeben.<br />
Eine Störung der Nachtruhe durch Lärm bei Gartenpartys ist auch nicht „ausnahmsweise“ zu gelegentlichen<br />
persönlichen, beruflichen oder familiären Feiern zulässig. Die Lärmbelästigung kann mit jedem<br />
Beweismittel, insbesondere auch durch die Vernehmung der betroffenen Nachbarn, bewiesen werden.<br />
Es ist nicht erforderlich, dass eine technisch bezifferte Maßgabe vorgelegt wird. Der Veranstalter einer<br />
Gartenparty ist für jeden Lärm verantwortlich, der dabei entsteht, auch wenn nicht er selbst, sondern die<br />
Gäste Verursacher sind (OLG Düsseldorf ZMR 1995, 415 = NVwZ 1995, 1034).<br />
852 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 525<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
3. Wohngebrauch<br />
a) Radiogeräusche<br />
Radiogeräusche von der Nachbarterrasse in einer Reihenhausanlage sind bereits dann unzulässige<br />
Immissionen i.S.v. §§ 906, 1004 BGB, wenn sie ihrer Art nach deutlich wahrnehmbar sind. Auf<br />
bestimmte technische Messwerte kommt es nicht an (OLG München MDR 1991, 1064 = NJW-RR 1991,<br />
1492). Erst recht unzulässig ist die gezielte Terrorisierung des Nachbarn durch ein eingemauertes Radio<br />
in der Grenzwand. Diesen Sachverhalt wertete das AG Ratingen (DWW 1989, 394) zusätzlich als<br />
vorsätzliche Körperverletzung.<br />
Fernseher, Radio, Tonbandgeräte, CD-Spieler und sonstige in der Lautstärke regelbare Musikinstrumente<br />
dürfen nur mit Zimmerlautstärke (zum Begriff vgl. LG Dortmund, Urt. v. 11.7.2017 – 1 S 282/<strong>16</strong>,<br />
IMR 2018, 42) betrieben werden, damit die übrigen Hausbewohner nicht gestört werden. Auch dies<br />
entspricht dem Gebot der Rücksichtnahme im Nachbarrecht. Verletzungen führen zu Unterlassungsansprüchen<br />
gem. § 1004 BGB (AG Rheinberg DWW 1990, 152; LG Dortmund, Urt. v. 11.7.2017, a.a.O.)<br />
und zu Bußgeldpflichten. Dabei kann auch zulässiger Lärm (Musikhören in der Wohnung) ordnungswidrig<br />
sein, wenn er ein nach den Umständen vermeidbares Ausmaß annimmt (Beschallung der<br />
ganzen Straße bei weit geöffneten Fenstern; AG Zweibrücken, Urt. v. 29.10.2018 – 1 OWi 4235 Js 7742/<br />
18, IMR <strong>2019</strong>, 77).<br />
b) Musikausübung<br />
Spielen eigener Instrumente oder das Abspielen von Tonträgern unterliegt ebenfalls dem Gebot der<br />
Rücksichtnahme. Daraus kann sich ergeben, dass zeitliche Beschränkungen in Bezug auf die Dauer und<br />
die Tageszeit der Musikausübung entstehen (z.B. LG Nürnberg-Fürth DWW 1992, 18 [für das Schlagzeugspiel]).<br />
Die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zieht Abwehransprüche gem. §§ 1004,<br />
906 BGB nach sich und kann im Extremfall sogar zu Schmerzensgeldansprüchen führen (AG Dortmund,<br />
Urt. v. 6.9.1993 – 122 C 6541/93 [n.v.]; zu Lärmbeeinträchtigungen durch Profimusiker, dem die Erlaubnis<br />
zum Musizieren im Mehrfamilienhaus erteilt wurde: LG Saarbrücken, Urt. v. 17.7.2015 – 10 S 203/14, NZM<br />
2015, 694; zum Trompetenspiel im benachbarten Reihenhaus durch einen Profimusiker: BGH, Urt. v.<br />
26.10.2018 – V ZR 143/17, IMR <strong>2019</strong>, 34 = NJW <strong>2019</strong>, 773 – zulässig bei zeitlicher Begrenzung und räumlich<br />
schonender Ausübung).<br />
c) Sanitäre Einrichtungen<br />
Auch die Benutzung von Wasserinstallationen und sanitären Einrichtungen in einem Stadtreihenhaus<br />
mit gemeinsamer Grenzmauer kann für den Nachbarn eine unzumutbare beeinträchtigende Lärmeinwirkung<br />
darstellen (OLG Karlsruhe DWW 1991, 218 = NJW-RR 1991, 1491). Dies gilt z.B. für ausgiebiges<br />
mitternächtliches Baden und Duschen, wenn es einschließlich des Ein- und Ablaufens des Wassers<br />
länger als 30 Minuten dauert (OLG Düsseldorf NJW 1991, <strong>16</strong>25).<br />
d) Garagentor<br />
Durch geräuschvolles Öffnen der Garagentore darf die Nachtruhe (22 bis 6 Uhr) nicht gestört werden.<br />
Dies gilt auch, wenn die Verursachung des Lärms konstruktionsbedingt durch das Garagentor erfolgt. In<br />
diesen Fällen darf die Garage nicht benutzt werden (OLG Düsseldorf ZMR 1991, 348).<br />
e) Fahrzeugmotor<br />
Ebenso dürfen Fahrzeugmotoren nicht unnötig laufengelassen werden (§ 30 StVO). Betriebsbedingtes<br />
Laufen im Stand von etwa einer Minute verletzt die Vorschrift nicht, auch nicht das Laufenlassen des<br />
Dieselmotors eines Taxis für einige Minuten, um das Fahrzeug zu beheizen. Dagegen wird das nächtliche<br />
Laufenlassen eines Lkw-Dieselmotors regelmäßig nicht zulässig sein. Ebenso muss beim Verlassen<br />
eines Lkw durch den Fahrer von mehr als einer Minute der Motor abgestellt werden. Das Laufenlassen<br />
des Motors bei winterlichem Klima zur Erwärmung oder zur Enteisung der Scheiben ist nicht betriebsbedingt<br />
und damit verboten.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 853
Fach 7, Seite 526<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
f) Alarmsirenen<br />
Außenwand-Alarmsirenen sind bei erheblichen Störungen Dritter grds. unzulässig (OLG Schleswig ZMR<br />
1980, 146 f.). Dies gilt nicht für Feuerwehrsirenen, solange dadurch nicht der Einbau von Schallschutzfenstern<br />
für den Nachbarn notwendig wird. Davon ist aber auszugehen, wenn der Lärm außen 97 dB (A)<br />
und in den Räumen 73 dB (A) erreicht (BayVGH BayVBl. 1986, 690, 691; BVerwG NJW 1988, 2396).<br />
4. Altglascontainer<br />
Altglascontainer sind im Wohngebiet grds. zulässig, ihre Aufstellung und die mit ihrer ordnungsgemäßen<br />
Benutzung verbundenen, durch baulich technische Maßnahmen nicht weiter vermeidbaren<br />
Geräuschimmissionen sind also nicht erhebliche Belästigungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG und<br />
als unwesentliche Beeinträchtigung i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB anzusehen, damit also von den Bewohnern<br />
eines allgemeinen oder reinen Wohngebiets grundsätzlich hinzunehmen.<br />
Nicht dulden müssen die Anwohner solche Geräuschimmissionen, die sich aus einer Benutzung der<br />
Container unter Verstoß gegen die zum Schutz der Wohn- und Nachtruhe der Nachbarschaft festgelegten<br />
Benutzungszeiten ergeben. Diese Störungen sind der jeweiligen Gemeinde zuzurechnen, da<br />
diese durch die Aufstellung der Container die adäquat-kausale Ursache für deren missbräuchliche Benutzung<br />
gesetzt hat. Hieraus erwächst eine Pflicht zur Überwachung und zum Einschreiten, um die<br />
verbotswidrige Benutzung der Container mit den verfügbaren und zumutbaren Mitteln zu unterbinden<br />
(VG Köln DWW 1994, 214 = NVwZ 1993, 401).<br />
5. Glockenspiel und Geläut<br />
Der Grundstücksnachbar einer in einem Baugebiet allgemein zulässigen kirchlichen Anlage hat die mit<br />
deren Benutzung üblicherweise verbundenen (Lärm-)Beeinträchtigungen grds. hinzunehmen (BVerwG<br />
BauR 1992, 491). So kann von der Kirchengemeinde nicht verlangt werden, dass das seit Jahrzehnten<br />
übliche Zeitschlagen der Kirchenglocken während der Nachtzeit unterbleibt (OVG Hamburg BauR 1992,<br />
356 = MDR 1992, 485; a.A. BVerwG BauR 1993, 328 = DVBl. 1992, 1234, wonach das Zeitschlagen von<br />
Kirchturmuhren während der Nachtzeit [22 bis 6 Uhr] grds. den allgemein geltenden Anforderungen des<br />
Immissionsschutzrechtes unterliegt; vgl. auch BVerwG DÖV 1994, 1011 = DVBl. 1994, 742 = NJW 1994, 956<br />
[zur Frage, welcher Rechtsweg für eine Nachbarklage gegen das Zeitschlagen von Kirchenglocken<br />
geben ist]). Der VGH München (BauR 1995, 77) hat festgestellt, dass das nichtliturgische Mittag- und<br />
Abendläuten von einer Kapelle im Außenbereich gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen kann (vgl.<br />
zur Zulässigkeit eines jeweils kurzfristigen privaten Glockenspiels: AG Solingen, Urt. v. <strong>16</strong>.4.2014 – 13 C<br />
278/13 oder Glockengeläuts vom Rathausturm: OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.8.2018 – 4 U 17/18, IMR 2018,472,<br />
jeweils zulässig).<br />
6. Tierlärm<br />
Auch der Tierlärm spielt im Nachbarrecht eine große Rolle. Das Krähen von Hähnen wurde als<br />
wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks i.S.v. §§ 906, 1004 BGB gewertet (LG Ingolstadt<br />
NJW-RR 1991, 654; vertiefend GAISBAUER DWW 1993, 192 f.). Dies gilt im Grundsatz auch für Kuhglocken<br />
(AG Landau NJW-RR 1992, 277; einschränkend VGH Mannheim ZMR 1996, 401; vertiefend GAISBAUER ZMR<br />
1997, 561 f.). Auch Jaulen, Winseln oder das Gebell von Hunden kann eine wesentliche Beeinträchtigung<br />
darstellen (OLG Brandenburg, Urt. v. 8.6.2017 – 5 U 115/15, NZM 2018, 238). Der Hundehalter muss in<br />
diesen Fällen sicherstellen, dass vor 7 Uhr morgens, zwischen 13 und 15 Uhr mittags und nach 22 Uhr<br />
keine Geräuschimmissionen durch Hundegebell auf das Nachbargrundstück einwirken (OLG Köln MDR<br />
1993, 1083; LG Mainz DWW 1996, 50 [für ländliche Gegenden]). Dem tritt das OLG Düsseldorf (NJW-RR<br />
1995, 542) mit dem Hinweis entgegen, der Nachbar habe keinen Anspruch, dass zu bestimmter Zeit<br />
jegliches Gebell eines Hundes unterbunden werde (a.A. und im Sinne der erstgenannten Auffassung OLG<br />
Hamm NJW-RR 1990, 335). Auch das schrille, über Stunden andauernde Pfeifen eines Graupapageis<br />
übersteigt ortsübliche Lärmbelästigungen durch Tiere erheblich und muss nicht hingenommen werden<br />
(OLG Düsseldorf NJW 1990, <strong>16</strong>77); ggf. hat der Tierhalter dafür zu sorgen, dass Ruhezeiten eingehalten<br />
werden. So entschied das LG Nürnberg-Fürth (Urt. v. 13.6.1995 – 13 S 9530/94 [n.v.]), dass das Pfeifen<br />
eines Rosenköpfchens (papageiähnlicher Vogel) in der Zeit von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis <strong>16</strong> Uhr zu<br />
854 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 527<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
dulden, wohingegen in den Abend- und Morgenstunden sowie zur Mittagszeit der Anspruch des<br />
Nachbarn auf Ruhe vorrangig sei.<br />
Aber nicht nur das Nachbarrecht ist einschlägig, sondern auch das Bauplanungsrecht, wenn die Tierhaltung<br />
den Gebietscharakter verletzt. So sieht das OVG Münster (Urt. v. 8.1.2014 – 2 B 1196/13, in NJWaktuell<br />
Heft 19/2014, S. 10) in der Haltung von neun Kakadus, übrigens von ihrer Gestalt her der Gattung<br />
der Kleintiere zuzuordnen, in einem reinen Wohngebiet eine unübliche Nutzung.<br />
Zur Lärmeinwirkung durch Frösche im benachbarten Gartenteich äußerte sich die Rechtsprechung<br />
mehrfach (BGH MDR 1993, 868 f. = GE 1993, 254 ff.; OLG München DWW 1991, 107 = MDR 1991, 971). Die<br />
Fälle weisen die Besonderheit auf, dass öffentlich-rechtlicher Naturschutz und nachbarrechtliche<br />
Abwehransprüche zusammentreffen und zu gegenteiligen Wertungen führen können. Jedenfalls massive<br />
Störungen der Nachtruhe durch Froschlärm sind nicht zumutbar. Auch wenn das Froschgequake<br />
aufgrund öffentlichen Rechts – vordringlich des Naturschutzes – zu dulden ist, sind dadurch nachbarrechtliche<br />
Ausgleichsansprüche gem. §§ 906, 1004 BGB nicht ausgeschlossen. Derartige Abwehransprüche<br />
sind bei dem Gequake eines einzelnen Froschs nicht gegeben.<br />
7. Kinderlärm<br />
Der BGH (NJW 1993, <strong>16</strong>56 = MDR 1993, 541) fordert auch in reinen Wohngebieten von den Nachbarn<br />
eine erhöhte Toleranz gegenüber Lärm als Begleiterscheinung kindlichen und jugendlichen Freizeitverhaltens,<br />
als sie generell in reinen Wohngebieten üblich ist.<br />
Auf dieser Linie liegt auch eine Entscheidung des BayVGH (Urt. v. 21.12.1994 – 22 B 93.2343 = Lärmbekämpfung<br />
1995, 145). Danach ist Kinderlärm, der in einem allgemeinen Wohngebiet von einem<br />
Kinderspielplatz ausgeht, dem Nachbarn unabhängig davon zumutbar, ob der den Nachbarn „wesentlich“<br />
i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB beeinträchtigt oder die Richtwerte für Wohngebiete nach der TA-Lärm<br />
(vom <strong>16</strong>.7.1968 – Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 137 vom 26.7.1968) erheblich übersteigt. Daher ist der<br />
Betreiber eines Spielplatzes nicht verpflichtet, Maßnahmen zur Schallminderung zu ergreifen, auch<br />
wenn dies ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Abweichendes gilt nur, wenn der Betreiber den<br />
Spielplatz rücksichtslos in einer Weise gestaltet, dass die Interessen der Nachbarn willkürlich missachtet<br />
werden. Dies liegt nach Auffassung des Gerichts nur vor, wenn der Betreiber für die konkrete Gestaltung<br />
überhaupt keine Begründung anführen kann. Immerhin noch auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte stellt<br />
das OVG Berlin ab (GE 1994, 860). Sofern dies dem Nachbarn noch zumutbar sei, könne der Eigentümer<br />
grds. einen Spielplatz dort anlegen, wo es ihm angemessen erscheine.<br />
§ 22 Abs. 1a BImSchG nimmt Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätze und ähnliche Einrichtungen<br />
wie beispielsweise Ballspielplätze von dieser Wertung aus: Lärm, der dort durch Kinder hervorgerufen<br />
wird, ist im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen<br />
dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden. Diese Wertung kann<br />
auch bauplanungsrechtlich über den Gebietserhaltungsanspruch nicht umgangen werden. Denn<br />
Kindertagesstätten sind auch im reinen Wohngebiet zulässig (VGH Hessen, Beschl. v. 25.2.2017 – 3B<br />
107/17, NZM 2018, 255 = DWW 2017, 231).<br />
Besonders einzugehen ist auf Kinderlärm innerhalb eines Mehrfamilienhauses. Wenn auch hier durchgängig<br />
ein erhöhtes Maß an Toleranz von den Nachbarn/Mitmietern gefordert wird, so beschränkt sich<br />
doch das Maß auf Kinderlärm in sozial adäquater Form. Das betrifft die Ruhezeiten genauso wie die Art<br />
des produzierten Lärms. So müssen Nachbarn den von einer Familie mit kleinen Kindern ausgehenden<br />
Lärm nicht grenzenlos hinnehmen, wenn Frequenz, Lautstärke und die Zeiten der Lärmentfaltung nicht<br />
mehr im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnnutzung oder einer hinzunehmenden lebhaften<br />
Lebensäußerung von Kindern stehen (AG München, Urt. v. 4.5.2017 – 281 C 17481/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 456; BGH,<br />
Beschl. v. 22.8.2017 – VIII ZR 226/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 19; BGH, Urt. v. 29.4.2015 – VIII ZR 197/14, juris; zu den<br />
Grenzen der Toleranz ggü. Kinderlärm im Mehrfamilienhaus: NIERHAUVE, ZMR 2018, 298).<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 855
Fach 7, Seite 528<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
8. Sportanlagen, Gaststätten, Vereinsheime, Volksfeste<br />
Aus Platzgründen muss eine detaillierte Abhandlung dieser Bereiche entfallen. Die angegebenen Quellenhinweise<br />
dienen zur Vertiefung:<br />
• Zum Lärm von Sportanlagen: BGH, Urt. v. 29.4.2015 – VIII ZR 197/14 „Bolzplatzentscheidung“ zur<br />
Mietminderung; OLG Naumburg, Urt. v. 23.11.2015 – 12 U 184/14 zum Aufschlag von Bällen auf das<br />
eigene Grundstück; BVerwG ZfBR 1989, 127; BVerwG JZ 1990, 347 = NVwZ 1990, 858; OLG Koblenz<br />
NVwZ 1993, 301; VGH München NVwZ 1993, 1006 = ZMR 1993, 298; OLG Köln MDR 1991, 1065 = VersR<br />
1991, 1294; OVG Berlin BauR 1994, 346 = DWW 1993, 300; VG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 5.8.2011 –<br />
3 K 1170/11, juris zur Schließung einer Minigolfanlage wegen überschrittener Immissionswerte nach<br />
der Richtlinie für Freizeitlärm; VGH Bayern, Urt. v. 6.2.2015 – 22 B 12.269; VGH Bayern, Urt. v.<br />
31.3.2006 – 22 B 05.<strong>16</strong>83 zum Abwehranspruch im Falle nicht bestimmungsgemäßer Nutzung.<br />
• Zum Gaststättenlärm: OLG Karlsruhe MDR 1992, 483; VGH München NVwZ 1996, 1031.<br />
• Zum Lärm aus Vereinsheimen: LG Hamburg, Urt. v. 13.12.2017 – 321 S 65/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 391.<br />
• Zu Volksfesten: OLG Zweibrücken DWW 1991, 305; OLG Köln DWW 1991, 187; BGH DÖV 1990, 698 =<br />
MDR 1990, 706 = ZMR 1990, 262; für Karnevalsveranstaltungen: AG Köln DWW 1997, 157; zum<br />
angenommenen öffentlichen Bedürfnis für ein Abweichen vom gesetzlichen Schutz der Nachtruhe<br />
bei historisch oder kulturell motivierten Gemeindeveranstaltungen: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v.<br />
9.8.2017 – 11 A 1.<strong>16</strong>, IMR 2018, 128.<br />
Hinweis:<br />
Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Sportanlagen-Lärmschutzverordnung (v. 18.7.1991, BGBl I, S. 1588,<br />
ber. S. 1790 i.d.F. v. 1.6.2017, BGBl I, S. 1468), die über § 906 Abs. 1 S. 2 BGB zur Beurteilung einer Beeinträchtigung<br />
als wesentlich heranzuziehen ist (vgl. hierzu DAHMEN <strong>ZAP</strong> F. 19 S. 851; SPINDLER-SPINDLER NVwZ<br />
1993, 225). Ebenso sind einschlägig das Gaststättengesetz des Bundes in Verbindung mit den Gaststättenverordnungen<br />
der Länder, schließlich die Freizeitlärm-Richtlinie – Stand 6.3.2015 (abrufbar unter<br />
https://www.lai-immissionsschutz.de/documents/freizeitlaermrichtline_1503575715.pdf insbesondere Nr. 4.4 als<br />
Orientierungshilfe).<br />
9. Fluglärm<br />
Einschlägig für die Bewertung des Fluglärms sind zunächst §§ 29b f. LuftVG (BGBl I 2007, S. 698) und das<br />
Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluLärmG, BGBl I 2007, S. 2550). Konkrete Immissionen müssen<br />
zusätzlich auch anhand der tatsächlichen und örtlichen Verhältnisse geprüft werden (BVerwGE 128, 358;<br />
BVerwG, Beschl. v. 7.12.1998 – 11 B 46.98).<br />
Der BGH (NJW 1993, 1700 und Beschl. v. 20.9.2001 – III ZR 210/00, juris) gibt einen öffentlich-rechtlichen<br />
Entschädigungsanspruch wegen Fluglärms, wenn die hoheitliche Beeinträchtigung nicht untersagt<br />
werden kann, sie sich als ein unmittelbarer Eingriff in benachbartes Eigentum darstellt und die Grenze<br />
dessen überschreitet, was ein Eigentümer aufgrund der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 BGB<br />
noch entschädigungslos hinnehmen muss. Dabei ist die Zumutbarkeitsschwelle im enteigungsrechtlichen<br />
Sinne für Verkehrslärm in Wohngebieten bei 70 bis 75 dB am Tag und bei 60 bis 65 dB in der Nacht<br />
anzusetzen.<br />
10. Schießlärm<br />
Ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch in Verbindung mit einer Bewertung aus dem<br />
Grundgedanken in § 906 BGB wird auch bei unzumutbarem Schießlärm eines benachbarten Truppenübungsplatzes<br />
anerkannt (BVerwG NVwZ 1991, 886). Dies gilt für Erweiterungen des Schießplatzes<br />
mit einhergehender Lärmbeeinträchtigung über das bisherige Maß hinaus. Der Eigentümer kann allerdings<br />
nicht verlangen, dass der Betrieb des Schießplatzes generell auf ein ihn nicht mehr wesentlich<br />
beeinträchtigendes Maß zurückgeführt wird, wenn er bereits in Kenntnis des benachbarten Schießplatzes<br />
das Grundstück gekauft oder bebaut hat.<br />
856 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 529<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
11. Asylanten- und Flüchtlingsunterkunft<br />
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht ist zunächst auf §§ 13, 13 a Abs. 1, 33, 246 Abs. 10 S. 1 BauGB sowie auf<br />
das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen<br />
vom 20.11.2014 (BGBl I S.1748) hinzuweisen. Genauso wie Gebetshäuser oder Moscheen sind diese<br />
Unterkünfte in allgemeinen Wohngebieten ebenso zulässig wie in einem Mischgebiet (VG Koblenz, Urt.<br />
v. 26.2.2015 – 1 K 137/14. KO).<br />
Anwohnerklagen wegen Lärmbelästigungen im näheren Bereich der Unterkünfte drängen zu Fragen<br />
des Nachbarschutzes (dazu OVG Hamburg, Beschl. v. 30.9.20<strong>16</strong> – 2 BS 110/<strong>16</strong>). Ein Verstoß gegen den<br />
Gebietserhaltungsanspruch liegt weder in der Umnutzung vorhandener Gebäude (z.B. Hotels) als<br />
Asylantenunterkunft noch in deren Neubau (OVG Sachsen, Beschl. v. 28.12.20<strong>16</strong> – 1 B 250/<strong>16</strong>; VG Stuttgart,<br />
Beschl. v. 2.11.20<strong>16</strong> – 2 K 5230/<strong>16</strong>; zum Nachbarschutzes einer Asylantenunterkunft vor Gewerbelärm:<br />
VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.6.2017 – 8 S 2507/<strong>16</strong>).<br />
12. Baulärm<br />
Zur Beurteilung des Baulärms als „schädlich“ ist auf die Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm<br />
– Geräuschimmissionen – zurückzugreifen. Sie enthält je nach bauplanungsrechtlicher Lage des betroffenen<br />
Gebiets Emissionsrichtwerte zwischen 45 und 45 dB (A) während des Tags und zwischen 35<br />
und 50 dB (A) für die Nacht zwischen 20 Uhr und 7 Uhr. Enthalten ist auch ein Maßnahmenkonzept zur<br />
Minderung des Baulärms, im Extremfall das Gebot einer Stilllegung von Baumaschinen.<br />
Hier geht es um den Baulärm vom Nachbargrundstück, aus der Quartiersumgebung und um Lärm,<br />
verursacht durch handwerkliche Arbeiten innerhalb von Mehrfamilienhäusern.<br />
Bauarbeiten durch Bauunternehmer dürfen in Mehrfamilienhäusern von montags bis freitags ausgeführt<br />
werden. Handwerker können auf Mittagsruhezeiten von 13 bis 15 Uhr nicht verwiesen werden.<br />
Gesetzliche Vorschriften für derartige Ruhezeiten gibt es nicht. Ihre Grundlage findet sich allenfalls in<br />
Hausordnungen. Diese gelten für Bauhandwerker nicht, da sie nicht Mietvertragspartei sind (OLG<br />
München WuM 1991, 481). Dagegen müssen Mieter, die als Heimwerker selbst Bauarbeiten ausführen,<br />
die gesetzlich und vertraglich vorgegebenen Ruhezeiten beachten.<br />
Ähnlich verhält es sich bei Renovierungsarbeiten oder kleineren handwerklichen Betätigungen durch die<br />
Wohnungsnutzer selbst, wenn sie zu den üblichen Tageszeiten ausgeführt werden. Das gilt auch für<br />
insgesamt länger dauernde Tätigkeiten (hier: zweimonatige Wohnungsrenovierung). Das AG Einbeck<br />
(Urt. v. 3.1.2009 – 2 C 248/08 [n.v.]) entschied, dass die Arbeiten, die regelmäßig werktags zwischen<br />
7.15 Uhr und 17.00 Uhr durchgeführt wurden, den üblichen Gepflogenheiten entsprechen und hinzunehmen<br />
sind. Soweit Arbeiten auch einmal an einem Sonntag durchgeführt wurden, ist dies zwar nicht<br />
akzeptabel, rechtfertigt aber noch keine Mietminderung durch den im Schichtbetrieb arbeitenden<br />
Mieter, zumal die Arbeiten nach entsprechenden Interventionen des Mieters gegenüber den<br />
Handwerkern auch eingestellt wurden.<br />
Der sich gestört fühlende Mieter kann wegen der Bauarbeiten die Miete nicht mindern, wenn der<br />
Baulärm in der Nachbarschaft auf einem anderen Grundstück entsteht, und der Vermieter keine Möglichkeit<br />
hat, diesen Baulärm für den Mieter abzuwenden. Mietminderungen kommen nur dann in<br />
Betracht, wenn auch der Vermieter selbst von seinem Nachbarn für eine wesentliche, aber ortsübliche<br />
Störung einen Ausgleich verlangen kann (BGH, Urt. v. 29.4.2015 – VIII ZR 197/14, NZM 2015, 481). Deshalb<br />
kann sich der Vermieter bei Lärm von einer benachbarten Großbaustelle im Falle fehlender eigener<br />
Abwehrmöglichkeiten auf einen Ausschluss des Minderungsrechts des Mieters berufen (LG München I,<br />
Urt. v. 14.1.20<strong>16</strong> – 31 S 20.691/14, ZMR 20<strong>16</strong>, 290; LG Berlin, Urt. v. 9.2.20<strong>16</strong> – 63 S 177/15, Grundeigentum<br />
Berlin 20<strong>16</strong>, 329; a.A. noch: BayObLG, DWW 1987, 1950 f.; LG Berlin, Beschl. v. <strong>16</strong>.6.20<strong>16</strong> – 67 S 76/<strong>16</strong>, WuM<br />
20<strong>16</strong>, 486; ebenso für erschütterungsbedingte Immissionen aus der Nachbarschaft: OLG Düsseldorf,<br />
NJWE-MietR 1997, 271 f.). Dass ihm keine Abwehrmöglichkeiten zugebilligt werden, muss der Vermieter<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 857
Fach 7, Seite 530<br />
Nachbarliche Immissionen<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
allerdings darlegen und beweisen (LG München I, Urt. v. 27.10.20<strong>16</strong> – 31 S 58/<strong>16</strong>, ZMR 20<strong>16</strong>, <strong>16</strong>5; LG Berlin,<br />
Urt. v. 7.6.2017 – 18 S 211/<strong>16</strong>, ZMR 2018, 223).<br />
13. Verkehrslärm<br />
Planbedingte Zunahmen des Straßenverkehrs stellen lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung des<br />
Straßenanliegers dar (VGH Hessen, Urt. v. 17.8.2017 – 4 C 2760/<strong>16</strong>.N, DWW 2017, 386).<br />
Für Mietverhältnisse gilt nichts anderes. Liegt das Grundstück an einer stark befahrenen Straße, so sind<br />
die Umstände bei Vertragsabschluss ersichtlich, vom Mieter bei dem geplanten Verwendungszweck<br />
berücksichtigt und haben Einfluss in die Mietpreisbildung gefunden. Eine vorhersehbare Zunahme des<br />
Straßenlärms durch steigendes Verkehrsaufkommen wird dann nicht als Fehler gewertet (LG Kleve NJW<br />
1970, 1975). Entscheidend ist auch hier, ob mit dem steigenden Verkehrsaufkommen gerechnet werden<br />
musste (LG Lüneburg WuM 1991, 683).<br />
14. Gewerbelärm<br />
Lärm aus Gewerbe- und Industriebetrieben in der Nachbarschaft ist ebenfalls Basis nachbarlicher<br />
Auseinandersetzungen. Die Zulässigkeit des Gewerbelärms richtet sich dabei nach dem BImSchG und<br />
einer ausführenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift – großtechnische Anleitung zum Schutz gegen<br />
Lärm (TA-Lärm i.d.F. v. 1.6.2017, BAnz AT 8.6.2017 B5). Um mehr Wohnungen auch in unmittelbarer<br />
Umgebung ansässiger Gewerbe- und Industrieanlagen bauen zu können, soll die Lärmmessung jetzt<br />
verändert werden. Gemessen werden soll nicht mehr vor dem geöffneten Fenster draußen, sondern<br />
hinter dem geschlossenen Fenster innen, um festzustellen, ob die Lerneinwirkung aus der Nachbarschaft<br />
noch hinnehmbar ist oder nicht. Damit wird der Gebäudeeigentümer zu höherem Schallschutz<br />
gedrängt. Die Wohnverhältnisse werden verschlechtert, was die störungsfreie Nutzung von<br />
Balkonen, Terrassen und Außenflächen angeht (zur Zulässigkeit eines Betriebs einer Autowaschanlage<br />
auf dem Nachbargrundstück bei bereits bestehender Vorbelastung: OLG Hamm, Urt. v. 28.8.2014 – 24 U<br />
71/13, MDR 2015, 155 – erhöhte Duldungspflichten bei Vorbelastung).<br />
Hinweis:<br />
Vgl. dazu den Beitrag „Negative und ideelle Einwirkungen durch Zustand und Beschaffenheit des<br />
Nachbargrundstücks“ des Autors, demnächst in <strong>ZAP</strong> 22/<strong>2019</strong>.<br />
858 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1367<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Individualarbeitsrecht<br />
Fehlerquellen, Strategie und Taktik im Kündigungsschutzprozess<br />
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. JOACHIM HOLTHAUSEN, Köln<br />
Inhalt<br />
I. Fehler, Strategie und Taktik<br />
II. Risiken der Kündigung und Streitpotenzial<br />
III. § 4 KSchG, Drei-Wochen-Klagefrist<br />
IV. Richtiger Klagegegner<br />
V. Überschreitung des Schwellenwerts nach<br />
§ 23 KSchG<br />
VI. Klageanträge<br />
1. Streitgegenstand<br />
2. Falsche Antragstellung im Kündigungsschutzprozess,<br />
Antragsänderung<br />
3. Parteiwille als Auslegungsmaßstab<br />
VII. Schleppnetzantrag<br />
VIII. Vertretungsberechtigung, Bestreiten der<br />
Vollmacht (§ 180 Abs. 1 BGB)<br />
IX. Zurückweisung der Kündigung nach<br />
§ 174 BGB<br />
1. Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts,<br />
Heilung oder Genehmigung nicht möglich<br />
2. Sinn und Zweck von § 174 BGB<br />
3. Vollmachtsurkunde (original) oder In-<br />
Kenntnis-Setzen<br />
4. Unverzügliche Zurückweisung nach<br />
§ 174 BGB<br />
X. Schriftform der Kündigung, § 623 BGB<br />
XI. Inhalt des Kündigungsschreibens, Wille zur<br />
Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
XII. Probleme beim Zugang der Kündigung<br />
1. Verfügungsgewalt und Möglichkeit<br />
Kenntnis zu nehmen<br />
2. Zugangsvereitelung<br />
3. Darlegungs- und Beweislast für Zugang<br />
XIII. § 626 Abs. 2 BGB, Zwei-Wochen-Frist<br />
XIV. Wechselspiel der Stolperfallen im Materiell-<br />
Rechtlichen<br />
XV. Wiedereinstellungsanspruch<br />
XVI. Diskriminierung, AGG<br />
1. Unwirksamkeit einer diskriminierenden<br />
Kündigung<br />
2. Beweis- und Darlegungslast<br />
XVII. § 54 ArbGG<br />
XVIII. Vergleichsschluss<br />
XIX. Fazit<br />
I. Fehler, Strategie und Taktik<br />
Der Begriff des Fehlers bezeichnet eine irrtümliche Entscheidung oder Maßnahme. Als Strategie wird<br />
ein genauer Plan des eigenen Vorgehens bezeichnet, der dazu dient, ein Ziel zu erreichen, und in dem<br />
man alle Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren<br />
versucht. Unter Taktik versteht der Sprachgebrauch ein aufgrund von Überlegungen im Hinblick auf<br />
Zweckmäßigkeit und Erfolg festgelegtes Vorgehen (vgl. Duden).<br />
Das Erkennen und Vermeiden von Fehlerquellen sowie die richtige Strategie und eine gute Taktik<br />
entscheiden sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers maßgeblich über Erfolg<br />
oder Misserfolg im Kündigungsschutzprozess. Der nachfolgende Beitrag will unter Berücksichtigung<br />
der aktuellen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Denkansätze und Hinweise sowohl zu häufig<br />
auftretenden Fehlerquellen als auch zur Strategie und Taktik im Kündigungsschutzprozess geben.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 859
Fach 17, Seite 1368<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
II. Risiken der Kündigung und Streitpotenzial<br />
Jede Kündigung – sowohl in der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) als auch im Kleinbetrieb (§ 23 KSchG) –<br />
stellt ein Risiko dar und birgt erhebliches arbeitsrechtliches Streitpotenzial.<br />
Nicht nur Formvorschriften, auch Probleme der Vertretung und Bevollmächtigung, Kündigungsfristen<br />
und Sonderkündigungsschutz (vgl. etwa KLEIN, NJW 2017, 852 „Zum Kündigungsschutz schwerbehinderter<br />
Arbeitnehmer nach dem Bundesteilhabegesetz“ sowie BAYREUTHER, NZA 2017, 1145 „Das neue Mutterschutzrecht<br />
im Überblick“), beschäftigen den Arbeitgeber immer wieder aufs Neue. Die Realisierung und der sichere<br />
Nachweis des Zugangs lassen ihn vielfach in der arbeitsrechtlichen Praxis scheitern und der<br />
ordnungsgemäßen, fehlerfreien Anhörung des Betriebsrats wird von ihm oft auch nicht die nötige<br />
Sorgfalt geschenkt. Hinzutreten komplexe Rechtsszenarien, wie etwa bei der außerordentlichen<br />
Verdachtskündigung, die Arbeitgeber trotz der klaren Vorgaben des BAG (vgl. vertiefend zuletzt<br />
ASZMONS, SPA <strong>2019</strong>, 45) schnell an die Grenzen des in der Unternehmenswirklichkeit Machbaren führen.<br />
Die Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erweist sich in Kombination mit der erforderlichen<br />
Anhörung des Arbeitnehmers ebenso wie die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) und das Verfahren der<br />
Massenentlassung (§§ 17, 18 KSchG) als ernst zu nehmender Stolperstein.<br />
Auf Seiten des Arbeitnehmers hingegen wollen die prozessualen/formellen und materiell-rechtlichen<br />
Fehler des Arbeitgebers erkannt und taktisch bestmöglich im eigenen Interesse genutzt werden. Eine<br />
Zurückweisung der Kündigung nach § 174 Abs. 1 BGB hat unverzüglich zu erfolgen und die Klagefrist<br />
von drei Wochen gilt seit dem 1.1.2004 nicht nur für alle Kündigungsschutzklagen. Auch alle anderen,<br />
außerhalb des KSchG geregelten Unwirksamkeitsgründe, wie etwa die Nichtanhörung des Betriebsrats<br />
nach § 102 BetrVG oder die Sittenwidrigkeit einer Kündigung, müssen seit dem 1.1.2004 innerhalb von<br />
drei Wochen seit Zugang der Kündigung gerichtlich geltend gemacht werden. Weitere Themen für den<br />
Arbeitnehmer sind u.a. der Umgang mit einer (unberechtigten) Freistellung, seine (temporäre)<br />
Weiterbeschäftigung im Kündigungsschutzprozess (vgl. hierzu MAAß, Juris AnwZert ArbR 13/2018,<br />
Anm. 1 und dies., Juris AnwZert ArbR 12/2018, Anm. 2) und die (taktische) Geltendmachung und<br />
Durchsetzung von Annahmeverzugsansprüchen, insbesondere im Bereich der variablen Vergütung<br />
(vgl. MEYER, Kündigung im Arbeitsrecht, 2. Aufl., Vorwort).<br />
III. § 4 KSchG, Drei-Wochen-Klagefrist<br />
Im Kündigungsschutzmandat ist sorgsame Eile geboten. Will ein Arbeitnehmer erfolgreich geltend<br />
machen, eine schriftliche Kündigung (§ 623 BGB) sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen<br />
rechtsunwirksam, muss er gem. § 4 S. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der<br />
Kündigung Klage auf die Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht<br />
aufgelöst worden ist (vgl. weiterführend HOLTHAUSEN, AnwBl 2006, 688 [690]). Wegen § 13 Abs. 1 S. 2<br />
KSchG gilt diese Frist auch für die Klage gegen eine außerordentliche Kündigung (BAG, Urt. v. 18.12.2014<br />
– 2 AZR <strong>16</strong>3/14, NZA 2015, 635; BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443; BAG, Urt. v.<br />
26.3.2009 – 2 AZR 403/07, NZA 2009, 1146). Wird die Unwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig<br />
geltend gemacht, gilt sie gem. § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene<br />
Kündigungsschutzklage muss als unbegründet abgewiesen werden (BAG, Urt. v. 18.12.2014 – 2 AZR <strong>16</strong>3/<br />
14, a.a.O.; BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, a.a.O.).<br />
Praxistipps:<br />
Die gebotene Eile bei der Erhebung der Kündigungsschutzklage entbindet den Anwalt mit Blick auf seine<br />
Haftung nicht von einer sorgfältigen Prüfung von Angaben des Mandanten bzgl. sog. Rechtstatsachen.<br />
Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Anwaltshaftung (vgl. BGH 14.2.<strong>2019</strong> – IX ZR 181/17, NJW<br />
<strong>2019</strong>, 1151) darf der Rechtsanwalt Angaben seines Mandanten, die den Zugang einer Kündigung betreffen,<br />
nicht kritiklos seinem weiteren Vorgehen zugrunde legen. Vielmehr muss er sich selbst unter<br />
Heranziehung der maßgeblichen rechtlichen Grundsätze Klarheit darüber verschaffen, wann etwa das<br />
Kündigungsschreiben als zugegangen anzusehen ist. Ein belastbares Fristenmanagement und eine<br />
umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie deren aussagekräftige Dokumentation in den Akten sind<br />
damit unverzichtbare Grundvoraussetzung jeder anwaltlichen Tätigkeit.<br />
860 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1369<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Vorsicht und sorgfältige Prüfung sind auch in vermeintlichen „Befristungsmandaten“ geboten. Die<br />
Klagefrist des § 4 KSchG ist auch einzuhalten, wenn die ordentliche Kündigung gegen das Kündigungsverbot<br />
des § 15 Abs. 3 TzBfG verstößt, weil ein befristeter Vertrag weder die Möglichkeit vorsieht, das<br />
Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen noch die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages vereinbart ist, der<br />
ein solches Kündigungsrecht enthält (vgl. BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 480/09, NZA 2010, 1142).<br />
IV. Richtiger Klagegegner<br />
Bereits bei der Annahme des Kündigungsschutzmandats sollte sorgfältig darauf geachtet werden, die<br />
Parteien mit zutreffender Bezeichnung und korrekter, vollständiger Firmierung zu erfassen. Auch die<br />
zustellungsfähige Anschrift und die Vertretungsverhältnisse des Klagegegners sind richtig zu benennen<br />
(TILLMANNS, NZA-Beil. 2015, 117 [120]). Insbesondere gilt es aus Arbeitnehmersicht den Arbeitgeber<br />
korrekt zu identifizieren und zu benennen. Ausgangspunkt bildet dabei das Kündigungsschreiben, das<br />
aus Gründen größtmöglicher anwaltlicher Vorsicht stets der Kündigungsschutzklage als Kopie und per<br />
Telefax vorab beigefügt sein sollte. Wird die falsche Partei verklagt, kann das zur Abweisung der Klage<br />
aufgrund versäumter Klagefrist (§ 4 KSchG) und damit zu einem Schaden- bzw. Regressfall auf Seiten<br />
des Anwalts führen (zu weiteren problem- und risikobehafteten Fallgestaltungen [gemeinsamer<br />
Betrieb, § 613a BGB, u.a.] vgl. HOLTHAUSEN, AnwBl 2006, 688 f.).<br />
V. Überschreitung des Schwellenwerts nach § 23 KSchG<br />
Auch scheinbar gut bekannte und vorschnell als leicht beherrschbar wahrgenommene Rechtsthemen<br />
bieten immer wieder aufs Neue Fehler- und Haftungspotenzial. Gerade der (ggf. abgestuften) Darlegungs-<br />
und Beweislast (vgl. BAG, Urt. v. <strong>16</strong>.7.2015 – 2 AZR 85/15, Rn 40, NZA 20<strong>16</strong>, <strong>16</strong>1; BAG 24.1.2013 –<br />
2 AZR 140/12, Rn 27, NZA 2013, 726; BAG, Urt. v. 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, RzK I 6a Nr. 82) muss im<br />
Kündigungsschutzprozess zu jedem Zeitpunkt Aufmerksamkeit geschenkt werden und der eigene<br />
Sachvortrag nebst Beweismitteln hieran angepasst werden. Sonst droht das Unterliegen im Rechtsstreit.<br />
Für das Überschreiten des Schwellenwertes gem. § 23 Abs. 1 S. 2 bzw. S. 3 KSchG trägt der Arbeitnehmer<br />
die Darlegungs- und Beweislast. Einer größeren Sachnähe des Arbeitgebers und etwaigen Beweisschwierigkeiten<br />
des Arbeitnehmers ist durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu<br />
tragen. Die einen Betrieb i.S.d. § 23 KSchG konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass<br />
der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten<br />
Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig<br />
über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise<br />
Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden. Entsprechend der Unterscheidung<br />
zwischen „Betrieb“ und „Unternehmen“ in § 1 Abs. 1 KSchG ist der Betriebsbegriff auch in § 23 Abs. 1<br />
KSchG nicht mit dem Unternehmen gleichzusetzen. Der Betriebsbezug des § 23 Abs. 1 KSchG ist<br />
verfassungsrechtlich unbedenklich, solange dadurch nicht angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen<br />
konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung von Kleinbetrieben bei<br />
verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher<br />
Definition zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führt. Die<br />
Durchbrechung des Betriebsbezugs des Schwellenwerts ist demnach nicht schon immer dann geboten,<br />
wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbstständigte Einheiten<br />
gliedert, insgesamt aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (BAG, Urt. v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/<strong>16</strong>,<br />
NZA 2017, 859). Arbeitnehmer zählen für die Bestimmung der Betriebsgröße i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG<br />
nur mit, wenn sie in die betriebliche Struktur eingebunden sind. Dafür ist erforderlich, dass sie ihre<br />
Tätigkeit für diesen Betrieb erbringen und die Weisungen zu ihrer Durchführung im Wesentlichen von<br />
dort erhalten. Gelegentliche Besuche eines Betriebs in einem Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten<br />
im Rahmen von Meetings und Präsentationen reichen für eine Einbindung in den Betrieb nicht<br />
aus (BAG, Urt. v. 19.7.20<strong>16</strong> – 2 AZR 468/15, NZA 20<strong>16</strong>, 1196). Bei der Bestimmung der Betriebsgröße i.S.v.<br />
§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG sind im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 861
Fach 17, Seite 1370<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht. Da § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG auf die „in<br />
der Regel“ im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abstellt, kommt es für die Betriebsgröße nicht auf die<br />
zufällige tatsächliche Anzahl der Beschäftigten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs an. Maßgebend ist<br />
die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Zur Feststellung der<br />
regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es deshalb eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke<br />
des Betriebs und einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung. Zeiten außergewöhnlich hohen<br />
oder niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen (BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12,<br />
NZA 2013, 726).<br />
Praxistipp:<br />
Regress droht für den Anwalt, wenn er den Mandanten nicht ordnungsgemäß über den Kleinbetriebseinwand<br />
des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG belehrt. Der Anwalt, der seinen Mandanten nicht nachvollziehbar<br />
darüber aufgeklärt hat, welche Beschäftigten bei der Prüfung, ob ein Kleinbetrieb nach dem KSchG vorliegt,<br />
zu berücksichtigen sind, darf von seinem Mandanten keine zuverlässige Antwort über die Anzahl der<br />
Beschäftigten erwarten (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1999 – IX ZR 420/97, NJW 2000, 730; BRODSKI, DB <strong>2019</strong>, 834<br />
[835]).<br />
VI.<br />
Klageanträge<br />
1. Streitgegenstand<br />
Der Gegenstand eines arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens wird durch den gestellten Antrag und dem<br />
ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Der<br />
Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die ausgehend vom Standpunkt der Parteien bei einer natürlichen,<br />
den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zu entscheidenden<br />
Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger dem Gericht unterbreitet hat (BAG, Urt. v. 21.11.2017 – 1 AZR<br />
131/17, NZA 2018, 384). Die Streitgegenstandslehre ist keine zu vernachlässigende Rechtstheorie, sondern<br />
die grundlegende prozessuale Leitlinie (vgl. WEIßENFELS, NZA <strong>2019</strong>, 810 und NIEMANN, NZA <strong>2019</strong>, 65),<br />
um das Rechtsschutzverlangen konkret zu erfassen und damit eine richtige Antragstellung im Klageverfahren<br />
sicherzustellen. Der Zweite Senat führt hierzu aus (BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12,<br />
Rn 18 m.w.N.):<br />
„Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach<br />
dem Streitgegenstand. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG ist die<br />
Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen<br />
Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung<br />
eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit<br />
der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb regelmäßig fest, dass jedenfalls bei Zugang<br />
der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat, das nicht schon zuvor durch andere<br />
Ereignisse aufgelöst worden ist.“<br />
2. Falsche Antragstellung im Kündigungsschutzprozess, Antragsänderung<br />
Verdeutlichen lässt sich das Vorstehende an der Änderungskündigung und dem nach § 4 S. 2 KSchG im<br />
Vergleich zur Beendigungskündigung abweichenden Klageantrag im Änderungskündigungsschutzverfahren<br />
(vgl. NIEMANN, NZA <strong>2019</strong>, 65). Während der gegen die Beendigungskündigung gerichtete Antrag<br />
nach § 4 S. 1 KSchG lautet: „Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des<br />
Arbeitgebers/der Beklagten mit Schreiben vom (Datum) nicht aufgelöst worden ist.“, ist der Antrag im Fall der<br />
Änderungskündigung und Vorbehaltsannahme durch den Arbeitnehmer nach § 2 KSchG gem. § 4 S. 2<br />
KSchG auf die Feststellung zu richten, „dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder<br />
aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist“.<br />
862 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1371<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
„Im Eifer des Gefechts“ geht in der Praxis hier oft Einiges durcheinander, wie die einschlägige Rechtsprechung<br />
des Bundesarbeitsgerichts belegt. Schnell ist beim „Diktat nach Muster“ oder der Vorbereitung<br />
einer „Standardkündigungsschutzklage“ ein Beendigungsschutzantrag gestellt, obwohl<br />
tatsächlich abweichend nach erklärter Vorbehaltsannahme ohne Bestandsschutzrisiko (§ 2 KSchG),<br />
ein Vertragsinhaltsschutz auf Seiten des Arbeitnehmers verfolgt wird (vgl. BAG, Urt. v. 21.5.<strong>2019</strong> – 2 AZR<br />
26/19, vorgehend LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2018 – 12 Sa 402/18). Sowohl das BAG als auch das LAG<br />
Düsseldorf vertreten die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung<br />
erster Instanz noch zu einem Änderungsschutzantrag übergehen kann, wenn er bei einer<br />
unter Vorbehalt angenommenen Änderungskündigung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der<br />
Änderungskündigung nur einen Beendigungsschutzantrag erhebt. Und auch im umgekehrten Fall<br />
wahrt ein Änderungsschutzantrag nach § 4 S. 2 KSchG die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG für eine<br />
nachfolgende Beendigungskündigung, die vor dem oder zeitgleich mit dem „Änderungstermin“ der<br />
ersten Kündigung wirksam werden soll, jedenfalls dann, wenn der Kläger die Unwirksamkeit der<br />
Folgekündigung noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit einem Antrag nach<br />
§ 4 S. 1 KSchG geltend macht (vgl. BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 67/18, NZA 2018, 1127). Dieses Ergebnis<br />
ist jedoch in erster Linie der Nähe der prozessualen Streitgegenstände sowie den §§ 6 (analog) und 7<br />
KSchG geschuldet. Der sorgfältig arbeitende anwaltliche Berater sollte sich erst gar nicht der Diskussion<br />
und dem Risiko aussetzen, ob eine Antragsänderung mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls möglich<br />
ist und rechtzeitig erfolgte. Er sollte im Interesse des Mandanten und im wohlverstandenen Eigeninteresse<br />
(Reputation und Haftung) nach umfassender, wohlüberlegter Prüfung direkt den richtigen<br />
Antrag stellen.<br />
3. Parteiwille als Auslegungsmaßstab<br />
Im Rahmen der Beurteilung der ordnungsgemäßen Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist der<br />
geäußerte Parteiwille, wie er aus der Klageschrift und den sonstigen Umständen erkennbar wird,<br />
entscheidend. Dabei ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein großzügiger Maßstab anzulegen, was von<br />
den Arbeitsgerichten erfahrungsgemäß auch so praktiziert wird. Die Darlegung aller klagebegründenden<br />
Tatsachen, wie die Erfüllung der kündigungsschutzrechtlichen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1<br />
KSchG und § 23 Abs. 1 KSchG, gehört nicht zur Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage, sondern zur<br />
Schlüssigkeit des Sachvortrags. Ihr Fehlen führt demnach nicht zur Unzulässigkeit der Kündigungsschutzklage,<br />
sondern zu deren Unbegründetheit (BAG, Urt. v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, NZA 2014, 109).<br />
Praxistipp:<br />
Auch wenn die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung eines Klageantrags einen großzügigen Maßstab anlegen<br />
sowie gem. § 139 Abs. 1 ZPO Hinweise geben und auf eine sachdienliche Antragstellung hinwirken<br />
können (vgl. § 61a ArbGG), entbindet dies den Anwalt nicht von einer sorgfältigen Bearbeitung. Es gilt der<br />
Grundsatz des „sichersten Wegs“ zur Erreichung des angestrebten Rechtsschutzziels.<br />
VII. Schleppnetzantrag<br />
Aufklärungs- und Informationspflichten gegenüber seinem Mandanten treffen den beratenden Anwalt<br />
immer dann, wenn ihm seine berufliche Erfahrung nahelegt, dass sein Mandant in bekannten Fallkonstellation<br />
in Un- oder Fehlkenntnis möglicherweise Fehler mit für ihn nachteiligen Rechtsfolgen<br />
begeht oder gebotene, insbesondere fristgebundene Handlungen unterlässt. Mit Blick auf die Klagefrist<br />
des § 4 KSchG und den punktuellen Streitgegenstandsbegriff muss der in Kündigungssachverhalten<br />
beratende Anwalt dabei immer den Ausspruch von Mehrfach- oder Folgekündigungen durch den<br />
Arbeitgeber bzw. seine Vertreter (auch dessen Anwalt) im Blick behalten sowie seinen Mandanten<br />
gezielt im Hinblick auf solche weiteren Kündigungen befragen und über die richtige, Rechtsverluste<br />
ausschließende Vorgehensweise gegen diese Kündigungen unterrichten.<br />
Der Schleppnetzantrag als allgemeiner Feststellungsantrag ist eine klägerseitige Reaktion und anwaltliche<br />
Vorsichtsmaßnahme auf das prozesstaktische Arbeitgeberverhalten in Form der Mehrfach-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 863
Fach 17, Seite 1372<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
kündigung. Da aufgrund des punktuellen Streitgegenstands nach § 4 KSchG die Kündigungsschutzklage<br />
immer nur die konkret benannte Kündigung angreift, vermag sie auch nur bezüglich dieser<br />
Kündigung die Drei-Wochen-Klagefrist zu wahren. Daher muss im Regelfall jede erneut ausgesprochene<br />
Kündigung gesondert mit einer Kündigungsschutzklage, die im Wege der Klageerweiterung nach<br />
§ 263 ZPO rechtshängig gemacht werden kann, angegriffen werden. Eine Ausnahme gilt nur für den sog.<br />
Schleppnetzantrag, der der Sache nach ein allgemeiner Feststellungsantrag nach § 256 ZPO mit dem<br />
Inhalt ist, festzustellen, „dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Kündigungstatbestände beendet<br />
worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht“. Dieser Klageantrag bedarf einer besonderen Begründung<br />
hinsichtlich seiner Zulässigkeit (vgl. BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, NZA 2014, 443, Rn 31 ff.). Fehlt<br />
das Rechtsschutzinteresse, über den punktuellen Streitgegenstand hinaus das Fortbestehen des<br />
Arbeitsverhältnisses feststellen zu lassen, ist der allgemeine Feststellungsantrag zwar unzulässig. Im<br />
Falle weiterer ausgesprochener Kündigungen erfasst er diese gleichwohl aber und wahrt auf diese Art<br />
und Weise die Klagefrist, insbesondere bei solchen Kündigungen, die anzugreifen zunächst übersehen<br />
worden ist (vgl. TILLMANNS, NZA-Beil. 2015, 117 (119); FELDMANN/SCHUHMANN, JuS 2017, 214). Entsprechend stellt<br />
der Zweite Senat (BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, a.a.O.) fest:<br />
„Erhebt der Arbeitnehmer binnen dreier Wochen nach Zugang einer Kündigung eine allgemeine Feststellungsklage<br />
i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO, mit der er den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend macht und die<br />
Wirksamkeit jeglichen potentiellen Auflösungstatbestands in Abrede stellt, hat er die Frist des § 4 S. 1 KSchG<br />
jedenfalls dann gewahrt, wenn er die fragliche Kündigung noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung<br />
erster Instanz – nunmehr konkret bezeichnet – in den Prozess einführt und auf sie bezogen einen punktuellen<br />
Kündigungsschutzantrag stellt.“<br />
Nach der Rechtsprechung ist der Arbeitnehmer nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung also<br />
gehalten, diese Kündigung konkret in den Prozess einzuführen und unter Einschränkung des allgemeinen<br />
Feststellungantrags i.S.v. § 264 Nr. 2 ZPO einen dem Wortlaut des § 4 KSchG entsprechenden<br />
Klageantrag zu stellen. Dabei ist es zur Wahrung der Frist des § 4 KSchG ausreichend, wenn sich der<br />
Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit der weiteren Kündigung noch vor Schluss der mündlichen<br />
Verhandlung in erster Instanz beruft.<br />
Praxistipp:<br />
Um auf der „sicheren Seite“ zu sein und um Störfallkonstellationen mit Blick auf die Klagefrist nach<br />
§ 4 KSchG bestmöglich abzufedern, sollte der Schleppnetzantrag in Form des beschriebenen Feststellungsantrags<br />
zum Standardrepertoire bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage zählen. Bis zum<br />
Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz muss man aber auf Klägerseite in eine abschließende<br />
Bestandsaufnahme der anzugreifenden Kündigungen eingetreten sein und die Klageanträge entsprechend<br />
dem Vorstehenden konkretisiert haben. Sonst vermag einen auch der Schleppnetzantrag im<br />
Kündigungsschutzprozess nicht zu retten.<br />
VIII. Vertretungsberechtigung, Bestreiten der Vollmacht (§ 180 Abs. 1 BGB)<br />
Im Kündigungsrecht gilt der Grundsatz, dass „nur der Richtige“ wirksam kündigen kann. Diese wenig<br />
überraschende Erkenntnis sorgt gleichwohl auf Arbeitgeberseite oft für rechtliche Probleme. Die<br />
Rechtsform des Arbeitgebers (Personengesellschaft, AG, GmbH, Behörde/öffentliche Verwaltung) und<br />
die internen Vorgaben (Satzung u.a.) wollen diesbezüglich ebenso wie die Vertretungsberechtigung<br />
bei Ausspruch der Kündigung geprüft werden, um ein tragfähiges rechtliches Ergebnis zu erzielen.<br />
Bei einer Kündigung als einseitigem Rechtsgeschäft ist nach § 180 S. 1 BGB eine Vertretung ohne<br />
Vertretungsmacht unzulässig (BAG, Urt. v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, NZA 2014, 1197; BAG, Urt. v.<br />
<strong>16</strong>.12.2010 – 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571). Hat aber derjenige, welchem gegenüber ein solches<br />
Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme<br />
des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet, finden gem. § 180 S. 2 BGB die Vorschriften über<br />
864 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1373<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Verträge entsprechende Anwendung. Das bedeutet u.a., dass das Rechtsgeschäft nach § 177 Abs. 1 BGB<br />
genehmigt werden kann (BAG, Urt. v. 10.4.2014 – 2 AZR 684/13, a.a.O.). Im Fall des (formwirksamen)<br />
Ausspruchs einer Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht beginnt die Klagefrist des<br />
§ 4 KSchG erst mit dem Zugang der Genehmigung des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer (BAG, Urt. v.<br />
6.9.2012 – 2 AZR 858/11, NZA 2013, 524).<br />
In der Praxis stellt sich oft das Erfordernis einer Gesamtvertretung bei Erklärung und Abgabe einer<br />
Kündigung (Stichwort: „zwei lesbare bzw. identifizierbare Unterschriften“). Die Sicherstellung einer<br />
korrekten Vertretung ist eine unverzichtbare Grundvoraussetzung, um möglichen Angriffen und Rügen<br />
des Arbeitnehmers diesbezüglich im Ansatz die Grundlage zu nehmen. Im Kündigungsschutzprozess<br />
spielen insoweit immer die §§ 174 und 180 BGB zusammen, wobei nicht immer sauber zwischen beiden<br />
Vorschriften und ihrem rechtlichen Anwendungsbereich abgegrenzt wird, wie beispielhaft die Leitsätze<br />
des BAG in seiner Entscheidung vom 18.12.1980 (2 AZR 980/78, NJW 1981, 2374) anschaulich verdeutlichen.<br />
Der Zweite Senat stellt in der vorbenannten Entscheidung fest:<br />
„1. Zwei Geschäftsführer, die nur zusammen zur Vertretung einer GmbH berechtigt sind, können ihre Gesamtvertretung<br />
in der Weise ausüben, dass ein Gesamtvertreter den anderen intern formlos zur Abgabe einer<br />
Willenserklärung ermächtigt und der zweite Gesamtvertreter allein die Willenserklärung abgibt.<br />
2. Die Ermächtigung i.S.v. Nr. 1 ist eine Erweiterung der gesetzlichen Vertretungsmacht, auf die die Vorschriften<br />
über die rechtsgeschäftliche Stellvertretung entsprechend anzuwenden sind. Das gilt auch für die §§ 174, 180<br />
BGB, so dass ein Arbeitnehmer, dem einer von mehreren Gesamtvertretern einer GmbH kündigt, die Kündigung<br />
unverzüglich mit der Begründung zurückweisen kann, eine Ermächtigungsurkunde sei nicht vorgelegt worden.<br />
3. Die Zurückweisung der Kündigung aus diesem Grunde braucht zwar nicht ausdrücklich zu erfolgen. Sie muss<br />
sich aber aus der Begründung oder aus anderen Umständen eindeutig und für den Kündigenden zweifelsfrei<br />
erkennbar ergeben.“<br />
Konzern-Zeichnungsrichtlinien und im Intranet hinterlegte Kündigungsberechtigungen bieten ebenso<br />
wie unzutreffend bzw. bedeutungsfalsch verwandte Zusätze („i.A.“ statt „i.V.“) formelle Angriffsmöglichkeiten<br />
gegen die von einem Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung. Ein „beliebter Streitpunkt“<br />
in diesem Kontext ist, ob der Erklärungsempfänger (Arbeitnehmer) davon in Kenntnis gesetzt wurde,<br />
dass der Erklärende (kündigender Vertreter) die zur Kündigung berechtigende Stellung tatsächlich<br />
innehatte (vgl. nachstehend).<br />
Praxistipp:<br />
Beanstandet der Arbeitnehmer die fehlende Kündigungsberechtigung mit einem Einschreiben gegen<br />
Rückschein oder einem anderen gerichtsverwertbaren Zugangsnachweis unmittelbar nach Erhalt/Zugang<br />
der Kündigung, ist eine Genehmigung durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich. Die Kündigung muss<br />
dann vom Berechtigten, sofern noch möglich, wiederholt werden.<br />
IX.<br />
Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB<br />
1. Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, Heilung oder Genehmigung nicht möglich<br />
Nach § 174 S. 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber<br />
vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und<br />
der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Folge der Zurückweisung<br />
i.S.d. § 174 S. 1 BGB ist – unabhängig vom Bestehen einer Vollmacht – die Unwirksamkeit des<br />
Rechtsgeschäfts. Eine Heilung oder Genehmigung nach § 177 BGB scheidet aus (BAG, Urt. v. 19.4.2007<br />
– 2 AZR 180/06, Rn 37, AP Nr. 20 zu § 174 BGB; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, Rn 33, NZA 2007,<br />
377 = BAGE 119, 311).<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 865
Fach 17, Seite 1374<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
2. Sinn und Zweck von § 174 BGB<br />
§ 174 BGB dient dazu, bei einseitigen Rechtsgeschäften klare Verhältnisse zu schaffen. Der Erklärungsempfänger<br />
ist zur Zurückweisung der Kündigung berechtigt, wenn er keine Gewissheit darüber hat, dass<br />
der Erklärende tatsächlich bevollmächtigt ist und sich der Arbeitgeber dessen Erklärung deshalb<br />
zurechnen lassen muss (BAG, Urt. v. 25.9.2014- 2 AZR 567/13, Rn 19, NZA 2015, 159; BAG, Urt. v. 14.4.2011 –<br />
6 AZR 727/09, Rn 23, BAGE 137, 347; BAG, Urt. v. 29.10.1992 – 2 AZR 460/92, NZA 1993, 307). Der<br />
Empfänger einer einseitigen Willenserklärung soll nicht nachforschen müssen, welche Stellung der<br />
Erklärende hat und ob damit das Recht zur Kündigung verbunden ist oder üblicherweise verbunden zu<br />
sein pflegt. Er soll vor der Ungewissheit geschützt werden, ob eine bestimmte Person bevollmächtigt ist,<br />
das Rechtsgeschäft vorzunehmen (BAG, Urt. v. 25.9.2014- 2 AZR 567/13, a.a.O.; BAG, Urt. v. 14.4.2011 –<br />
6 AZR 727/09, a.a.O.; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 82/06, Rn 46, 52, a.a.O.).<br />
3. Vollmachtsurkunde (original) oder In-Kenntnis-Setzen<br />
Gewissheit können eine Vollmachtsurkunde oder ein In-Kenntnis-Setzen schaffen. Das In-Kenntnis-<br />
Setzen nach § 174 S. 2 BGB muss ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage einer Vollmachtsurkunde<br />
sein (BAG, Urt. v. 25.9.2014- 2 AZR 567/13, a.a.O.; BAG, Urt. v. 14.4.2011 – 6 AZR 727/09, a.a.O.; BAG; Urt. v.<br />
20.8.1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343). Gemäß § 174 S. 2 BGB liegt ein In-Kenntnis-Setzen auch dann<br />
vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter – z.B. durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten<br />
oder Leiter der Personalabteilung – in eine Stelle berufen hat, mit der üblicherweise<br />
ein Kündigungsrecht verbunden ist. Dabei reicht die interne Übertragung einer solchen<br />
Funktion nicht aus. Erforderlich ist, dass sie auch nach außen im Betrieb ersichtlich ist oder eine<br />
sonstige Bekanntmachung erfolgt. Der Erklärungsempfänger muss davon in Kenntnis gesetzt werden,<br />
dass der Erklärende die Stellung tatsächlich innehat. Eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 S. 2<br />
BGB scheidet auch dann aus, wenn der kündigende Personalleiter zugleich (Gesamt-)Prokurist ist und<br />
die im Handelsregister publizierte Prokura sein – alleiniges – Handeln nicht deckt. Es genügt, dass der<br />
Kündigungsempfänger aufgrund der – ihm bekannten – Stellung des Kündigenden als Personalleiter<br />
von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung zum alleinigen Ausspruch von Kündigungen ausgehen<br />
muss. Ob der Personalleiter zugleich eine ausreichende Vertretungsmacht als (Gesamt-)Prokurist besitzt,<br />
ist grds. ohne Belang. Aus dem Umstand, dass ein Personalleiter das Kündigungsschreiben mit dem<br />
Zusatz „ppa“ unterzeichnete, folgt nichts anderes. Nach § 51 HGB hat ein Prokurist in der Weise zu<br />
zeichnen, dass er der Firma seinen Namen mit einem die Prokura andeutenden Zusatz beifügt. Der<br />
Zusatz soll klarstellen, dass der Erklärende als Prokurist für den Inhaber handelt. Der Gesamtprokurist<br />
zeichnet selbst dann mit dem gewöhnlichen Prokurazusatz, wenn er allein mit interner Zustimmung des<br />
anderen Gesamtprokuristen handelt. Der Personalleiter kann deshalb auch bei einem Handeln als<br />
Gesamtprokurist eine alleinige Vertretungsbefugnis zum Ausspruch von Kündigungen aufgrund<br />
interner Bevollmächtigung in Anspruch nehmen (BAG, Urt. v. 25.9.2014 – 2 AZR 567/13, a.a.O.).<br />
4. Unverzügliche Zurückweisung nach § 174 BGB<br />
Die Zurückweisung eines einseitigen Rechtsgeschäfts nach mehr als einer Woche ist auch, wenn man<br />
dem Zurückweisenden einer angemessene Überlegungsfrist und die Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen,<br />
zubilligt, nach herrschender Ansicht nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 174 BGB, wenn nicht<br />
besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen (vgl.BAG, Urt. v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10, Rn 33 m.w.N.,<br />
NZA 2012, 495; OLG Hamm, Urt. v. 26.10.1990 – 20 U 71/90, NJW 1991, 1185; LG Köln, Urt. v. 30.10.2015 –<br />
7 O 112/15). Das OLG Hamm hat in seinem vorbenannten Urteil bereits einen Zeitraum von sechs Tagen<br />
nicht mehr als unverzüglich angesehen. Außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls, die einen<br />
längeren Zeitraum noch als unverzüglich erscheinen lassen könnten, müssen substantiiert unter<br />
Beweisantritt vorgetragen werden.<br />
Praxistipp:<br />
Zu beachten ist, dass die Rüge des § 174 BGB keinerlei Nachforschungen oder schwierige Abwägungsprozesse<br />
und auch keine nennenswerte juristische Prüfung erfordert, da sie rein formal und routinemäßig<br />
allein an das Fehlen einer Original-Vollmachtsurkunde anknüpft (vgl. BAG, Urt. v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10,<br />
866 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1375<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
a.a.O.; LG Köln, Urt. v. 30.10.2015 – 7 O 112/15). Entsprechend sollte diese „einfache“ tatsächliche und<br />
rechtliche Prüfung einschließlich ihres nachweisbaren Zugangs beim Erklärungsempfänger (Arbeitgeber)<br />
aus Gründen größtmöglicher Vorsicht nicht mehr als drei Werktage in Anspruch nehmen.<br />
X. Schriftform der Kündigung, § 623 BGB<br />
An der Einhaltung der Schriftform (§ 623 BGB) sollte eine Kündigung nicht scheitern. Gleichwohl zeigt<br />
sich, dass der Fehlerteufel auch hier zuschlägt. Die Unterschrift muss zwar nicht lesbar, aber als solche<br />
zu erkennen sein. Initialen, Paraphen oder Abkürzungen sind nicht genug. Eine eigenhändige Unterschrift<br />
i.S.d. § 126 Abs. 1 BGB liegt nicht vor, wenn das „Gebilde“ überhaupt keinen Bezug zu einem<br />
Namen hat (vgl. Hessisches LAG, Urt. v. 22.3.2011 – 13 Sa 1593/10). Mit Blick auf diese Vorgaben mag eine<br />
unleserliche Unterschrift zwar Ausdruck einer starken Persönlichkeit des Unterzeichners sein. Mit Blick<br />
auf das Einhalten der Schriftform nach den §§ 623, 126 BGB ist eine solche Unterschrift aber wenig<br />
empfehlenswert.<br />
XI. Inhalt des Kündigungsschreibens, Wille zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
Ein Kündigungsschreiben ist nicht der geeignete Ort für freundliche Umschreibungen. Irritationen,<br />
Fehlverständnisse, Rechtsfehler und daran anknüpfende unerwünschte Rechtsfolgen sind durch verständliche<br />
und präzise Erklärungen zu vermeiden. Wer mit beschönigenden, nicht trennscharfen<br />
Begriffen wie etwa „Abschied“ oder „Ende des Arbeitsverhältnisses“ hantiert, riskiert in hohem Maße, dass<br />
seine Kündigung vor dem Arbeitsgericht einer rechtlichen Prüfung nicht standhält. Es darf kein Zweifel<br />
daran bestehen, dass es sich bei der einseitig empfangsbedürftigen Willenserklärung des Arbeitgebers<br />
um eine Kündigung handelt. Empfehlenswert ist deshalb auch ein deutlicher Betreff wie etwa<br />
„Ordentliche betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses“ und eine Formulierung im Fließtext des<br />
Kündigungsschreibens wie „hiermit kündigen wir … “.<br />
Praxistipp:<br />
Tunlichst auf Arbeitgeberseite zu vermeiden sind auch schriftliche Erklärungen des Inhalts, man akzeptiere<br />
eine zuvor vom Arbeitnehmer ausgesprochene mündliche Kündigung, da es insoweit an einer eigenständigen,<br />
schriftlichen Arbeitgeberkündigung fehlt. Es gilt der leicht modifizierte Grundsatz „Wer selber<br />
schreibt, der bleibt.“<br />
Auch sollte der Arbeitgeber auf Zusatzerklärungen im Kündigungsschreiben verzichten. Kündigt der der<br />
Arbeitgeber schriftlich aus betriebsbedingten Gründen und erklärt er zugleich, dass die Kündigung<br />
gegenstandslos wird, wenn er einen Folgeauftrag erhält, ist die Kündigung unwirksam, weil sie nicht<br />
hinreichend klar und bestimmt ist (BAG, Urt. v. 15.3.2001 – 2 AZR 705/99, NZA 2001, 1070).<br />
XII. Probleme beim Zugang der Kündigung<br />
Steter Quell arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzungen sind Fragen des ordnungsgemäßen Zugangs<br />
der Kündigungserklärung. Dies gilt insbesondere bei der außerordentlichen Kündigung aufgrund der<br />
Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB (vgl. BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 72/18, NZA 2018, 1335).<br />
1. Verfügungsgewalt und Möglichkeit Kenntnis zu nehmen<br />
Nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt<br />
wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen,<br />
sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist<br />
und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis<br />
zu nehmen (BAG, Urt. v. 24.5.2018 – 2 AZR 72/18; BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, Rn 37, NZA 2015,<br />
1183; BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 224/11, Rn 20 f., AP Nr. 19 zu § 5 KSchG 1969). Für den Zugang ist es<br />
unerheblich, ob und wann der Erklärungsempfänger die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen<br />
hat und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige<br />
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Fach 17, Seite 1376<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
Zeit gehindert war. Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben<br />
kann diesem deshalb selbst dann zugehen, wenn der Arbeitgeber von einer urlaubsbedingten<br />
Ortsabwesenheit weiß (BAG, Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 224/11, a.a.O.).<br />
Eine Klage ist nicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer, der sich<br />
nicht nur vorübergehend im Ausland aufhält, nicht sicherstellt, dass er zeitnah von einem Kündigungsschreiben<br />
Kenntnis erlangt, das in einen von ihm vorgehaltenen Briefkasten im Inland eingeworfen wird.<br />
Ein treuwidriges Berufen auf den Zugang einer Willenserklärung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen<br />
in Betracht, da der Begriff des Zugangs im Rechtssinne bereits das Ergebnis einer im Interesse des<br />
rechtssicheren Rechtsverkehrs vorgenommenen Abwägung zwischen dem Transportrisiko auf Seiten<br />
des Erklärenden und dem Kenntnisnahmerisiko auf Seiten des Empfängers darstellt. Der Arbeitgeber ist<br />
nicht aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB gehalten, den Arbeitnehmer<br />
selbst fernmündlich oder zumindest seinen Prozessbevollmächtigten über den Zugang der Kündigung<br />
zu informieren. Zwar kann der Arbeitgeber aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflichten gehalten sein,<br />
zur Vermeidung von Rechtsnachteilen von sich aus geeignete Hinweise zu geben. Grundsätzlich hat<br />
allerdings innerhalb vertraglicher Beziehungen jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst<br />
zu sorgen. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls<br />
und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung (vgl. BAG, Urt. v. 25.4.2018 – 2 AZR 493/<br />
17, NZA 2018, 1157).<br />
2. Zugangsvereitelung<br />
Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist auch dann bewirkt, wenn das<br />
Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und,<br />
falls er die Entgegennahme ablehnt, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, dass er es ohne<br />
Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Verhindert der Empfänger<br />
durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei<br />
ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und<br />
Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für<br />
die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende<br />
Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme (vgl. § 241 S. 2 BGB) darstellen. Lehnt der<br />
Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls<br />
dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen<br />
vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen<br />
musste. Ein Arbeitnehmer muss regelmäßig damit rechnen, dass ihm anlässlich einer im Betrieb stattfindenden<br />
Besprechung mit dem Arbeitgeber rechtserhebliche Erklärungen betreffend sein Arbeitsverhältnis<br />
übermittelt werden. Der Betrieb ist typischerweise der Ort, an dem das Arbeitsverhältnis<br />
berührende Fragen besprochen und geregelt werden. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm<br />
vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme<br />
bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen.<br />
So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der<br />
nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers<br />
abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten.<br />
Anders als dann, wenn ein Brief ohne Wissen des Adressaten erst nach den üblichen Postzustellzeiten in<br />
dessen Hausbriefkasten eingeworfen wird, ist mit der Kenntnisnahme eines Schreibens, von dem der<br />
Adressat weiß oder annehmen muss, dass es gegen 17 Uhr eingeworfen wurde, unter gewöhnlichen<br />
Verhältnissen noch am selben Tag zu rechnen (vgl. BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183).<br />
3. Darlegungs- und Beweislast für Zugang<br />
Dem Arbeitgeber obliegt die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang der Kündigung und den<br />
Zeitpunkt ihres Zugangs. Daher sollten dem Nachweis und der gerichtsverwertbaren Dokumentation<br />
des Zugangs auf seiner Seite besondere Sorgfalt gewidmet werden. Scheitert der Zugang, wirkt sich dies<br />
im besten Fall für den Arbeitgeber bei einer möglichen Wiederholungskündigung nur auf die einzuhaltende<br />
längere Kündigungsfrist aus. Im Fall der fristgebundenen außerordentlichen Kündigung (§ 626<br />
868 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1377<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
BGB) kann der nicht nachweisbare rechtzeitige Zugang im Fall des Bestreitens durch den Arbeitnehmer<br />
dagegen zum Verlust des Kündigungsrechts infolge Verfristung führen.<br />
a) Versand mit einfachem Brief<br />
Ungeeignet ist der Versand der Kündigung mit einfachem Brief und einer Zustellung durch die Post.<br />
Bestreitet der Arbeitnehmer den Zugang des Kündigungsschreibens, ist dem Arbeitgeber der Beweis des<br />
Gegenteils bei dieser Zustellvariante nicht möglich.<br />
b) Versand mit Einschreiben<br />
Kündigungen sollten weder per Einwurf-Einschreiben, noch per Übergabe-Einschreiben oder Einschreiben<br />
mit Rückschein zugestellt werden, da sich alle drei Zustellungsformen als mehr oder minder<br />
rechtsunsicher und störanfällig erweisen. Das Einwurf-Einschreiben wird zwar unter genauer Datumsund<br />
Zeitangabe durch den Postzusteller in die vorgesehene Empfangseinrichtung gelegt. Dies stellt aber,<br />
wenn überhaupt, nur einen Anscheinsbeweis der Zustellung (Indizwirkung) dar und die schlüssige und<br />
detailreiche Aussage des Postzustellers dürfte aufgrund Zeitablaufs in der Praxis die absolute Ausnahme<br />
bilden (vgl. LAG Köln, Urt. v. 14.8.2009 – 10 Sa 84/09, zur umstrittenen Beweisqualität von gefertigten<br />
Einlieferungs- und Auslieferungsbelegen vgl. LG Potsdam, Urt. v. 27.7.2000 – 11 S 233/99, NJW 2000,<br />
3722). Beim Übergabe-Einschreiben wird das Schreiben gegen Unterschrift zwar an den Empfänger<br />
übergeben. Ist dieser aber nicht anzutreffen, wird ein Benachrichtigungsschein hinterlegt. In diesem<br />
Fall erfolgt der Zugang erst bei Abholung bei der Post. Sowohl bei Einwurf-Einschreiben als auch beim<br />
Übergabe-Einschreiben kann somit der Zugang und die Kenntnisnahme vom Inhalt des Schreibens nicht<br />
rechtssicher garantiert werden. Auch das Einschreiben mit Rückschein ist störanfällig. Trifft der<br />
Postbote den Arbeitnehmer nicht an, kann er die Kündigung nicht zustellen. Da der Arbeitnehmer<br />
nicht verpflichtet ist, seine Sendungen bei der Post abzuholen, wird der gut beratene Arbeitnehmer die<br />
Zustellung der Kündigung durch eine Nichtabholung und das Bestreiten des Zugangs torpedieren.<br />
c) Übergabe und Zustellung durch Boten<br />
Die Einschaltung eines Boten bei der Zustellung der Kündigung ist möglich. Dieses Verfahren setzt<br />
allerdings eine sorgsame Vorbereitung, intensive Instruktion des Boten und verantwortungsvolle<br />
Durchführung des Zustellvorgangs bzw. der Übergabe durch ihn voraus. Gleichfalls ist sicherzustellen,<br />
dass der Bote nachvollziehbar, glaubhaft bezeugen kann, dass sich in dem von ihm übermittelten<br />
Umschlag eine unterschriebene Originalkündigung ggf. mit Nachweis der Bevollmächtigung befand.<br />
Auch hat der Bote die von ihm vorgenommene Zustellung im Idealfall durch ein unterschriebenes<br />
Memo, das Auskunft über Art, Ort, Zeit und Ergebnis der Zustellung gibt, sowie ggf. durch begleitende<br />
Handyfotos der Zustellung zu dokumentieren. Bei der Einschaltung eines Boten muss sich der<br />
Arbeitgeber dabei auf die unterschiedlichsten Störszenarien einstellen. Dies fängt bei unzugänglich im<br />
Haus liegenden Briefkästen an, geht weiter über die Nichterreichbarkeit des Adressaten, bis hin zu<br />
verschlossenen oder nicht auffindbaren Briefkästen. Auch der Bote selbst ist oft schnell mit der Situation<br />
überfordert und wird oftmals selbst zur eigenen Störquelle, wenn er etwa die Kündigung versehentlich<br />
in den falschen Briefkasten einwirft oder die Kündigung vor die Eingangstür des Arbeitnehmers ablegt,<br />
was für eine Zustellung bzw. einen ordnungsgemäßen Zugang ersichtlich unzureichend ist.<br />
d) Persönliche Übergabe gegen Empfangsquittung<br />
Vorzugswürdig und dem Arbeitgeber deshalb zu empfehlen, ist die persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens<br />
(im Original) unter Zeugen gegen Empfangsquittung am besten direkt auf einer<br />
Kopie des Kündigungsschreibens.<br />
XIII. § 626 Abs. 2 BGB, Zwei-Wochen-Frist<br />
Außerordentliche Kündigungen scheitern in der Praxis oft an der Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-<br />
Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB. Auch Dax-30-Konzerne sind trotz großer HR-Abteilungen vielfach nicht in<br />
der Lage, die kurz bemessenen Fristen richtig zu steuern und zu wahren. Das gilt erst Recht im Fall der<br />
außerordentlichen Verdachtskündigung mit Blick auf die dort erforderliche zeitnahe Anhörung des<br />
Arbeitnehmers. Durch Verzögerungsstrategien ist es für anwaltlich gut beratene Arbeitnehmer sehr<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 869
Fach 17, Seite 1378<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
leicht möglich, die Verfahrensabläufe so zu stören, dass eine außerordentliche Kündigung in Ansehung<br />
von § 626 Abs. 2 BGB verfristet.<br />
Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen<br />
Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB = wichtiger Grund) berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem<br />
Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist<br />
des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne (vgl. BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, NZA 2015, 621; BAG,<br />
Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, NZA 2014, 1015; BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515).<br />
Dabei kommt es nicht darauf an, ob er ggf. eine Kündigung wegen erwiesener Tat oder wegen eines<br />
zumindest erdrückenden Verdachts zu erklären beabsichtigt. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus<br />
verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und<br />
zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/<br />
13, a.a.O..; BAG, Urt. v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409). Soll der Kündigungsgegner angehört<br />
werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf i.d.R. nicht mehr als eine Woche<br />
betragen (BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, a.a.O..; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, a.a.O..;<br />
BAG, Urt. v. 27.1.2011 – 2 AZR 825/09, NZA 2011, 798). Bei Vorliegen besonderer Umstände kann sie<br />
überschritten werden (BAG, Urt. v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211). Unerheblich ist, ob die<br />
Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht<br />
(BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, a.a.O.; BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, a.a.O.). Gibt der<br />
Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des<br />
Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer<br />
innerhalb angemessener Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme<br />
rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG, Urt. v. 27.1.1972 – 2 AZR 157/71, NJW<br />
1972, 1486). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub<br />
i.S.v. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen<br />
der Frist zur Stellungnahme zum Anlass nimmt, nunmehr auf die Anhörung des Arbeitnehmers zu<br />
verzichten (BAG, Urt. v. 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, a.a.O.; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, a.a.O.).<br />
XIV. Wechselspiel der Stolperfallen im Materiell-Rechtlichen<br />
Die Fehleranfälligkeit des Kündigungsvorgangs spielt aber nicht nur im Prozessualen und Tatsächlichen.<br />
Materiell-rechtlich treten viele Rechtsprobleme hinzu, die hier aus Platzgründen mit Verweis<br />
auf die einschlägige Literatur nur stichwortartig und beispielhaft ohne Anspruch auf Vollständigkeit<br />
benannt werden sollen. Neben der unterbliebenen oder fehlerhaften Betriebsratsanhörung kommen<br />
die Vorschriften zur Massenentlassung nach §§ 17, 18 KSchG mit der dahinterstehenden Rechtsprechung<br />
des EuGH in den Blick. Bei der betriebsbedingten Kündigung stellen die freie unternehmerische<br />
Entscheidung und ihre Umsetzung, die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen, die<br />
vorzunehmende soziale Auswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) und der Vorrang der Änderungskündigung<br />
aufgrund des Ultima Ratio-Prinzips hohe Hürden dar, die viele Arbeitgeber verzweifeln lassen. Hinzutretende<br />
Sonderkündigungstatbestände komplettieren das Kündigungsszenario. Und während im Fall<br />
der verhaltensbedingten Kündigung die Sach- und Rechtslage durch eine schwer überschaubare<br />
Kasuistik und Einzelfallrechtsprechung geprägt ist und immer einen schwer prognostizierbaren Bewertungsspielraum<br />
aufweist, wird die personenbedingte Kündigung in ihrem Hauptanwendungsgebiet<br />
der krankheitsbedingten Kündigung durch strenge Prüfvorgaben des BAG (Stichworte:<br />
negative Gesundheitsprognose, Prognosezeiträume, Unzumutbarkeit, wirtschaftliche Belastung, Interessenabwägung)<br />
und zusätzlich durch die gesetzlichen Vorgaben zum BEM (§ <strong>16</strong>7 SGB IX) und die sie<br />
ausfüllende Rechtsprechung des BAG zum Exoten, was ihre Wirksamkeit betrifft.<br />
XV. Wiedereinstellungsanspruch<br />
Komplettiert wird das enge Schutzgeflecht im Bereich der betriebsbedingten Kündigung durch die<br />
Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch. Auch nach einer wirksamen betriebsbedingten<br />
Kündigung kann sich der Arbeitgeber – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – nicht immer in<br />
Sicherheit wiegen. Nach ständiger Rechtsprechung kann einem wirksam betriebsbedingt gekündigten<br />
Arbeitnehmer ein – ggf. auch rückwirkender – Anspruch auf Wiedereinstellung zustehen (BAG, Urt. v.<br />
870 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong>
Arbeitsrecht Fach 17, Seite 1379<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
27.2.1997 – 2 AZR <strong>16</strong>0/96, NZA 1997, 757; BAG, Urt. v. 26.1.2017 – 2 AZR 61/<strong>16</strong>, NZA 2017, 1199; BAG, Urt. v.<br />
15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179). Der Anspruch setzt voraus, dass zwischen dem Zugang einer<br />
betriebsbedingten Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist entweder wider Erwarten der<br />
bisherige Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers doch erhalten bleibt (vgl. BAG, Urt. v. <strong>16</strong>.5.2007<br />
– 7 AZR 621/06; BAG, Urt. v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097) oder unvorhergesehen eine<br />
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz i.S.<br />
v. § 1 Abs. 2 KSchG entsteht (vgl. BAG, Urt. v. 26.1.2017 – 2 AZR 61/<strong>16</strong>, a.a.O.; BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR<br />
197/11, a.a.O.; BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469). Da der Wiedereinstellungsanspruch<br />
aus der auf § 242 BGB beruhenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht folgt (vgl. Schaub<br />
ArbR-HdB/LINCK, 17. Aufl., § 146 Rn 1; zur dogmatischen Herleitung aus § 242 BGB bzw. § 611 BGB i.V.m.<br />
§ 242 BGB vgl. BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357 m.w.N. bzw. BAG, Urt. v.<br />
15.12.2011 – 8 AZR 197/11, a.a.O.), kommt er grds. nur in Betracht, wenn sich die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />
noch im bestehenden Arbeitsverhältnis, mithin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />
ergibt (vgl. BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, a.a.O.). Entsteht die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />
erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, kann der gekündigte Arbeitnehmer dagegen grds. nicht seine<br />
Wiedereinstellung verlangen (vgl. BAG, Urt. v. 20.10.2015 – 9 AZR 743/14, NZA 20<strong>16</strong>, 299; BAG, Urt. v.<br />
<strong>16</strong>.5.2007 – 7 AZR 621/06, a.a.O.; BAG, Urt. v. <strong>16</strong>.9.2004 – 2 AZR 447/03, AP Nr. 44 zu § 611 BGB<br />
Kirchendienst; BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 436). Die in der Rechtsprechung des<br />
Bundesarbeitsgerichts zum Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung<br />
entwickelten Grundsätze sind in Kleinbetrieben i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 bis 4 KSchG nicht anwendbar<br />
(BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, a.a.O.).<br />
XVI. Diskriminierung, AGG<br />
Bei der Bearbeitung von Kündigungsschutzmandaten sollte der Blick des Anwalts auch immer für<br />
etwaige diskriminierungsrelevante Sachverhalte geschärft sein. Neben der Unwirksamkeit der Kündigung<br />
bieten geeignete Lebenssachverhalte auch Raum für eine Entschädigung und einen Schadensersatz<br />
des Arbeitnehmers nach § 15 AGG.<br />
1. Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung<br />
Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine<br />
Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB i.V.m.<br />
§§ 7 Abs. 1, 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR<br />
190/12, NZA 2014, 372). Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um eine Kündigung während der<br />
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG oder einen Kleinbetrieb handelt. Eine altersdiskriminierende Kündigung<br />
ist im Kleinbetrieb nach § 134 BGB i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 1, 3 AGG unwirksam (BAG, Urt. v. 23.7.2015 –<br />
6 AZR 457/14, NZA 2015, 1380).<br />
2. Beweis- und Darlegungslast<br />
§ 22 AGG trifft hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen Nachteil und durch § 1 AGG<br />
verbotenem Anknüpfungsmerkmal eine Beweislastregelung, die sich zugleich auf die Darlegungslast<br />
auswirkt. Nach § 22 Halbs. 1 AGG genügt eine Person, die sich wegen eines der in § 1 AGG genannten<br />
Gründe für benachteiligt hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt und ggf. beweist, die diese<br />
Benachteiligung vermuten lassen (BAG, Urt. v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, AP Nr. 10 zu § 22 AGG; BAG v.<br />
26.9.2013 – 8 AZR 650/12, NZA 2014, 258). Dies gilt auch bei einer möglichen Benachteiligung durch eine<br />
ordentliche Kündigung, die nicht den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes genügen muss (vgl.<br />
BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372; ErfK/SCHLACHTER, 15. Aufl., § 2 AGG, Rn 17; GÜNTHER/<br />
FREY, NZA 2014, 584, 585). Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs sind alle Umstände des Rechtsstreits<br />
im Sinne einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl.<br />
BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, AP Nr. 10 zu § 22 AGG; BAG 21.6.2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345).<br />
Für die Vermutungswirkung des § 22 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund<br />
„Bestandteil eines Motivbündels“ ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Eine bloße Mitursächlichkeit<br />
genügt (BAG, Urt. v. 18.9.2014 – 8 AZR 753/13, AP Nr. 10 zu § 3 AGG; BAG, Urt. v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13,<br />
a.a.O.; BAG, Urt. v. 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, a.a.O.). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 871
Fach 17, Seite 1380<br />
Kündigungsschutzprozess: Fehlerquellen<br />
Arbeitsrecht<br />
Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 364/11, a.a.O.; BAG, Urt. v.<br />
23.7.2015 – 6 AZR 457/14, a.a.O.). Gerade die vorstehenden Ausführungen des BAG zur Vermutungswirkung<br />
machen AGG- Klagen aus Arbeitnehmersicht attraktiv und erfolgversprechend.<br />
XVII. § 54 ArbGG<br />
§ 54 Abs. 5 ArbGG ist eine Norm, die sich der Arbeitsrechtler und jeder im Arbeitsrecht tätige Anwalt<br />
tunlichst merken sollte. Die Sprengkraft im Kündigungsschutzverfahren besteht in der Verweisung in<br />
§ 54 Abs. 5 S. 4 ArbGG auf die Regelungen in § 269 Abs. 3 – Abs. 5 ZPO. Denn nach Ablauf der Frist von<br />
sechs Monaten gilt die Klage als zurückgenommen, wodurch die Fiktion der Wirksamkeit der<br />
Kündigung gem. § 7 KSchG eintritt. In diesem Fall gilt: „Außer Spesen nichts gewesen!“ und die gegen den<br />
Arbeitgeber gerichtete Kündigungsschutzklage wandelt sich in ein Regress- und Haftungsverfahren<br />
des Arbeitnehmers gegen seinen Anwalt.<br />
XVIII. Vergleichsschluss<br />
Kristallisieren sich die Risiken und Chancen im fortgeschrittenen Kündigungsschutzprozess zunehmend<br />
heraus, stellt sich sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite die Frage, welches Ziel<br />
die Mandanten verfolgen. Ermattet durch das Verfahren und seine Widrigkeiten geraten zumeist die<br />
Vor- und Nachteile einer vorzugswürdigen umfassenden vergleichsweisen Regelung in den Blick der<br />
Parteien. Inhalte und Tragweite eines Vergleichs, insbesondere seine sozialversicherungs- und<br />
steuerrechtlichen Konsequenzen wollen wohl bedacht sein. Auf Arbeitnehmerseite gilt es insbesondere<br />
alle vergleichsrelevanten Vergütungsbestandteile, insbesondere im variablen Bereich, zu erfassen und<br />
betragsmäßig zu bestimmen. Auch die Prüfung der Verfallbarkeit von Anwartschaften in der betrieblichen<br />
Altersversorgung will gut durchdacht sein. Auf Arbeitgeberseite hingegen sollte dem Urlaub und<br />
seiner Abgeltung durch einen Tatsachenvergleich wie auch bestehenden nachvertraglichen Wettbewerbsverboten<br />
auch mit Blick auf die zu zahlende Karenzentschädigung die nötige Aufmerksamkeit<br />
geschenkt werden. Auch Rückgabe-, Verschwiegenheits- und Geheimhaltungsverpflichtungen (vgl.<br />
erweiterte bzw. neue Anforderungen durch das GeschGehG) wollen bedacht und belastbar geregelt<br />
werden. Und nachdem alle wechselseitigen Positionen eingepreist, verhandelt und abgestimmt sind,<br />
zieht eine umfassende Erledigungsklausel einen Schlussstrich unter die Rechtsbeziehung der Vertragsparteien.<br />
Wichtig ist aus Sicht des beratenden Anwalts auch hier, dass die Mandanten nach<br />
umfassender Aufklärung und Information eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidung treffen,<br />
die ihre Zielvorstellungen und Interessen rechtssicher abbildet sowie dauerhaften Rechtsfrieden<br />
schafft.<br />
XIX. Fazit<br />
Auch wenn über die Begrifflichkeit und Abgrenzung von Strategie und Taktik viele Beiträge und Meinungen<br />
im Internet kursieren, kann man für den arbeitsrechtlichen Bereich festhalten, dass sowohl<br />
Taktik als auch Strategie die bewusste, planvolle, zielgerichtete und steuernde Beherrschung des<br />
Kündigungsszenarios mit Blick auf Chancen und Risiken entsprechend der jeweiligen Interessenlage<br />
von Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschreiben. Wie die vorstehenden beispielhaften Ausführungen<br />
zeigen, ist die Anzahl an Fehlerquellen in tatsächlicher, prozessualer und materiell-rechtlicher Hinsicht<br />
im Kündigungsschutzprozess beträchtlich. Die Komplexität steigt zusätzlich noch an, wenn man<br />
berücksichtigt, dass alle drei vorgenannten Bereiche ineinander spielen und es sich beim Arbeitsrecht<br />
per se um ein politisches, höchst dynamisches, sich stetig fortentwickelndes Rechtsgebiet handelt. Es<br />
gilt mithin insbesondere im Kündigungsschutzprozess als Kernmaterie, immer auf der Höhe der Zeit zu<br />
sein. Wer glaubt, einen Kündigungsschutzprozess einfach so, das heißt ohne Strategie und Taktik führen<br />
zu können, wird schnell eines Besseren belehrt und lernt in diesen Fällen die dritte eingangs benannte<br />
Kategorie, den arbeitsrechtlichen Fehler, und seine nachteiligen, oft teuren Folgen kennen. Darum gilt,<br />
wer gut beraten und vorbereitet ist, hat i.d.R. einen Vorteil. Oder mit den Worten von WINSTON CHURCHILL:<br />
„Lache nie über die Dummheit anderer – sie ist deine Chance.“<br />
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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>1<br />
Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Anwaltsbüro<br />
Virtuelle Kanzlei, Webinare, Video-Beratung & Co. –<br />
Der Anwaltsberuf im Umbruch<br />
Von Rechtsanwalt MICHAEL ROHRLICH, Würselen<br />
Inhalt<br />
I. Einleitung<br />
II. Klassisches Anwaltsbild ade?<br />
III. Digitalisierung im Anwaltsbüro<br />
1. Elektronische Handakte & elektronischer<br />
Rechtsverkehr<br />
2. Die perfekte Anwaltssoftware<br />
3. Ortsunabhängiges Arbeiten – virtuelles<br />
Sekretariat<br />
4. IT-Sicherheit nicht vergessen!<br />
IV. Rechtsberatung – und was sonst noch?<br />
V. Moderne Akquise – Social Media & Co.<br />
I. Einleitung<br />
Ein großzügiges Gebäude, ein imposantes Büro, ein wuchtiger Schreibtisch aus massivem Holz vor einer<br />
Regalwand mit Kommentaren, Lehrbüchern und gebundenen Zeitschriften sowie ein seriös gekleideter<br />
Anwalt im gesetzten Alter mit grauen Schläfen oder wahlweise eine Anwältin im Business-Outfit – so<br />
oder zumindest so ähnlich sah lange Zeit das Bild eines Vertreters des Rechtsanwaltsberufs aus. Und<br />
sicherlich gibt es das nach wie vor, allerdings existieren heutzutage daneben auch noch diverse andere<br />
„Erscheinungsformen“. Und nur, weil ein Anwalt oder eine Anwältin der vorgenannten Vorstellung nicht<br />
entspricht, bedeutet das nicht, dass er oder sie keine gute Arbeit leistet. Im Gegenteil: Es gibt zahlreiche<br />
Beispiele von hoch-spezialisierten Kolleginnen und Kollegen, die in ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten<br />
tätig sind und gerade deshalb so erfolgreich sind, weil sie aufgrund ihrer Tätigkeit bzw. ihres<br />
Auftretens eben nicht dem „klassischen“ Anwaltsbild entsprechen. Das reicht vom zum Kanzleifahrzeug<br />
umfunktionierten alten Polizei-Gruppenkraftwagen der Kanzlei HOENIG in Berlin (www.kanzleihoenig.de)<br />
über die „Autobahnkanzlei“ von Rechtsanwalt PETER MÖLLER (www.autobahnkanzlei.de) bis hin<br />
zur auf Musikrecht spezialisierten Kanzlei KLEYMANN, KARPENSTEIN & Partner mbB Rechtsanwälte (www.<br />
metal-anwalt.de) sowie Rechtsanwalt MARKO DÖRRE, der sich selbst als „Pornoanwalt“ bezeichnet (www.<br />
pornoanwalt.de). Ganz zu schweigen von Exoten, wie der Kanzlei für Luftrecht des Kollegen FRANK DÖRNER<br />
(www.air-law.de) oder den auf Luft- und Weltraumrecht spezialisierten Rechtsanwälten BAUMANN,<br />
HEINRICH, ORTNER (www.bho-legal.com). Und natürlich versucht die Juristerei auch mit dem technischen<br />
Fortschrift mitzuhalten, so dass es in den Bereichen Start-ups, Legal Tech, Blockchain, 3D-Druck,<br />
Augmented Reality, Kryptowährungen oder auch künstliche Intelligenz (KI) mittlerweile einige Experten<br />
gibt, die hier sämtlich aufzuzählen den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.<br />
Um den Kreis zum eingangs skizzierten Anwaltsbild zu schließen: Die Vorstellungen darüber, wie<br />
Anwälte und Anwältinnen bzw. ihre Kanzleien oder auch ihre Arbeitsweise auszusehen haben, mögen<br />
sich mitunter stark unterscheiden. Das eine muss das andere auch nicht unbedingt ausschließen. Will<br />
sagen: Ein Spezialist im Bereich „KI“ kann im Maßanzug daherkommen, auch wenn man ihm vielleicht<br />
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Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>2<br />
Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
eher einen „Schlabberlook“ mit zerrissenen Jeans, Sneakers und Hoodie zutrauen würde. Oder anders<br />
formuliert: Nur weil ein Kollege oder eine Kollegin nicht Anzug und Krawatte bzw. Rock und Bluse als<br />
seine/ihre bevorzugte Arbeitskleidung wählt, muss er oder sie nicht deshalb schlechte Arbeit abliefern.<br />
Der Rechtsanwaltsberuf hat sich verändert, die Mandanten und ihre Erwartungen ebenso. Ob das daran<br />
liegt, dass wir nun einmal im 21. Jahrhundert leben und insb. die technologische Entwicklung rasend<br />
schnell voranschreitet, oder an TV-Serien, wie „Liebling Kreuzberg“, „Danni Lowinski“ oder „Suits“ –der<br />
Rechtsanwaltstypus von vor 20 oder 30 Jahren war schlichtweg ein anderer als heutzutage. Damit soll<br />
weder das eine noch das andere in irgendeiner Art und Weise bewertet werden. Es ist lediglich festzustellen,<br />
dass auch die Rechtsberatungsbranche nicht in einer „Luftblasse“ schwebt, sondern sich<br />
genauso ändert wie andere Branchen und Berufsgruppen auch. Das zu ignorieren, hilft garantiert nicht<br />
weiter. Folglich tut man auch als Angehöriger einer vergleichsweise konservativen Berufsgruppe gut<br />
daran, sich an neue Arbeitsweisen, Werbekanäle und Mandantenerwartungen zu gewöhnen und sich<br />
darauf einzustellen. Das bedeutet natürlich nicht, dass jetzt jeder Anwalt bzw. jede Anwältin gleich alles<br />
über den Haufen werfen muss. Aber es schadet auch nichts, ab und zu mal ein wenig über den gewohnten<br />
Tellerrand hinauszublicken. Denn es gilt das alte Sprichwort: „Wer nicht mit der Zeit geht, muss<br />
mit der Zeit gehen“.<br />
II. Klassisches Anwaltsbild ade?<br />
Ein Anwalt ist vormittags bei Gericht und nachmittags in Besprechungen – das bekommt man zumindest<br />
regelmäßig zu hören, wenn man versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Neben dieser<br />
branchenüblichen Arbeitsweise gibt es inzwischen aber natürlich auch noch einige andere Variationen.<br />
So treten bspw. Anwältinnen und Anwälte, die hauptsächlich beratend tätig sind, nur sehr selten vor<br />
Gericht auf. Eine andere Möglichkeit ist die temporäre bzw. projektbezogene Mitarbeit in Unternehmen,<br />
also die Bereitstellung von Serviceleistungen einer „externen Rechtsabteilung“. In diesem Zusammenhang<br />
ist zu beobachten, dass die Tätigkeit als sog. „Of-Counsel“ immer beliebter zu werden<br />
scheint. Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Of_counsel, 30.7.<strong>2019</strong>) definiert diese Funktion wie folgt:<br />
Of counsel (engl. in beratender Funktion), oft kurz Counsel, ist die Bezeichnung für einen Berufsträger in einer<br />
Rechtsanwaltskanzlei oder einem ähnlichen Unternehmen, der außerhalb der unternehmensinternen Organisation<br />
nur zu bestimmten speziellen Aufgaben als Experte hinzugezogen wird. Eine als of counsel tätige<br />
Person ist zumeist eine erfahrene, namhafte und auf ein bestimmtes Rechts- oder Fachgebiet spezialisierte<br />
Persönlichkeit und betreibt die Tätigkeit nicht selten neben ihrem Hauptberuf. In einer großen Anwaltskanzlei<br />
wird der Begriff für Rechtsanwälte eingesetzt, die außerhalb der Hierarchie von Partnern/Sozien und angestellten<br />
Anwälten („Associates“) bei bestimmten Mandaten herangezogen werden – oft handelt es sich um<br />
Politiker oder Hochschullehrer, insbesondere solche im Ruhestand.<br />
Dies kann also für beide Seiten vorteilhaft sein, sowohl für die Kanzlei als auch für den Counsel.<br />
„Aus der Not eine Tugend zu machen“ kann gerade bei Einzelanwälten so aussehen, dass sie eine „mobile<br />
Kanzlei“ anbieten, ihren Mandaten also Zeit und Aufwand ersparen, indem sie bspw. zur Mandantschaft<br />
fahren und die Besprechung vor Ort stattfinden kann.<br />
Die Kooperation von Rechtsanwälten kann ebenfalls in unterschiedlichster Art und Weise gestaltet<br />
werden, auch in dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahren Einiges getan. Ohne an dieser Stelle auf<br />
das weite Feld der gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten eingehen zu wollen, kann doch festgestellt<br />
werden, dass Sozietäten heutzutage anders aussehen als noch vor einigen Jahren. Das hat mit einem<br />
anderen Verständnis anwaltlicher Arbeitsweise und auch mit veränderten (berufs-)rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
zu tun. So sind etwa bereits seit Anfang 2008 sog. Sternsozietäten erlaubt. Eine<br />
solche liegt vor, wenn Sozien einer weiteren Sozietät bzw. Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten,<br />
Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern angehören (vgl. § 59a Abs. 1 BRAO).<br />
Allerdings besteht nach wie vor eine Kanzleipflicht. Nach Maßgabe von § 5 BORA ist ein Anwalt dazu<br />
verpflichtet, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen<br />
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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>3<br />
Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Voraussetzungen vorzuhalten. Die überwiegende Rechtsprechung geht noch immer davon aus, dass zu<br />
den Mindestanforderungen einer Kanzlei i.S.v. § 5 BORA folgende Kriterien gehören:<br />
• ein Büroraum,<br />
• ein Kanzleischild,<br />
• ein betrieblicher Telefonanschluss sowie<br />
• ein Briefkasten für Zustellungen.<br />
Wie der BGH in seinem Beschl. v. 2.12.2004 (AnwZ (B) 72/02) festgestellt hat, muss ein Anwalt „zu<br />
angemessenen Zeiten dem rechtsuchenden Publikum in den Praxisräumen für anwaltliche Dienste zur Verfügung<br />
stehen“. Es ist also gerade einmal gut 15 Jahre her, dass die Zulassung eines Rechtsanwalts, der gegen<br />
die Kanzleipflicht verstieß, durch den BGH widerrufen wurde. Zwar hatte die Verfassungsbeschwerde<br />
gegen diese Maßnahme letztlich Erfolg (vgl. BVerfG, Urt. v. 11.2.2005 – 1 BVR 276/05), aber die Kanzleipflicht<br />
mit den o.g. Merkmalen besteht dem Grunde nach noch immer. Das Gesetz sieht in §§ 29<br />
Abs. 1 S. 1, 29a Abs. 2 BRAO die Möglichkeit zur Befreiung von der Kanzleipflicht vor, dies ist aber<br />
natürlich an gewisse Voraussetzungen geknüpft. Dabei geht es jedoch primär um bestimmte Härtefälle,<br />
wie etwa Krankheit, Elternzeit, Auslandsfortbildung bzw. -tätigkeit o.Ä. Allerdings stehen die<br />
Möglichkeiten moderner Rechtsberatung bzw. Mandatsbearbeitung den normierten Zielen nicht<br />
entgegen, zumal auch die Mandanten verstärkt z.B. auf digitale Kommunikation bestehen – ein<br />
Rechtsanwalt ohne E-Mail-Zugang oder Smartphone gilt wohl als „Dinosaurier“. Trotz aller berufsoder<br />
datenschutzrechtlichen Bedenken wollen nicht wenige Mandanten „ihren“ Anwalt via E-Mail,<br />
WhatsApp, Facetime oder Skype erreichen. Diese Entwicklung geht natürlich nicht spurlos an der<br />
Anwaltschaft vorbei. Die 6. Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat am<br />
6.5.<strong>2019</strong> eine Änderung von § 2 BORA beschlossen. Der neue Einschub in Abs. 2 soll wie folgt lauten<br />
(vgl. AnwBl. 6/<strong>2019</strong>, S. 330):<br />
Zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist die Nutzung eines elektronischen oder sonstigen Kommunikationsweges,<br />
der mit Risiken für die Vertraulichkeit dieser Kommunikation verbunden ist, jedenfalls dann erlaubt, wenn<br />
der Mandant ihr zustimmt. Von einer Zustimmung ist auszugehen, wenn der Mandant diesen Kommunikationsweg<br />
vorschlägt oder beginnt und ihn, nachdem der Rechtsanwalt zumindest pauschal und ohne technische<br />
Details auf die Risiken hingewiesen hat, fortsetzt.<br />
Diese Änderung von § 2 BORA wird frühestens zum 1.11.<strong>2019</strong> in Kraft treten. Und doch ist sie so<br />
wichtig, denn sie entspricht schon jetzt der täglichen Anwaltspraxis. War es vor einigen Jahren noch<br />
„in Stein gemeißelt“, dass Mandanten zur Besprechung in die Kanzlei kommen oder das Anliegen<br />
bisweilen auch telefonisch vortragen konnten, so ist die Erwartungshaltung inzwischen eine andere.<br />
Die Erreichbarkeit des Anwalts per E-Mail ist ein absolutes Muss – und das nicht nur bei technikaffinen<br />
23-Jährigen. Gerade unternehmerisch tätige Mandanten sind heilfroh, wenn sie nicht für jede<br />
kurze Frage anrufen oder gar die Fahrt zur Kanzlei antreten müssen. Anwälte müssen ihren Mandanten<br />
aber zumindest anbieten, dass die Kommunikation per E-Mail verschlüsselt erfolgen kann –<br />
auch wenn die Praxiserfahrung zeigt, dass nur ganz wenige Mandanten davon Gebrauch machen<br />
können oder wollen. Irgendwo scheint es in diesem Bereich noch immer gewisse „Blockaden“ zu<br />
geben, obwohl die technische Realisierung der Verschlüsselung von Mail-Inhalten kein „Hexenwerk“<br />
mehr ist; die Verschlüsselung der Übertragungswege von E-Mails wird jedenfalls bei der überwiegenden<br />
Anzahl der E-Mail-Provider schon seit geraumer Zeit gewährleistet. Um Mail-Inhalte zu<br />
verschlüsseln, kann etwa das sog. S/MIME-Verfahren genutzt werden, bei dem ein Zertifikat in Form<br />
einer kleinen Datei zum Einsatz kommt. Dieses muss bei einem entsprechenden Anbieter beantragt<br />
werden, wobei es kostenpflichtige und auch kostenfreie Varianten gibt. Absender und Empfänger<br />
tauschen ihre Zertifikatsdateien dann aus, richten die jeweils andere auf ihrem Endgerät ein und<br />
verifizieren den Gegenpart dadurch. Anschließend können über das ganz normale E-Mail-Programm,<br />
wie Outlook oder Thunderbird, inhaltlich verschlüsselte E-Mails ausgetauscht werden. Eine andere<br />
Möglichkeit besteht in der Nutzung der PGP-Verschlüsselung, wobei hier keine Zertifikate, sondern<br />
Schlüssel ausgetauscht werden, was letztlich aber ganz ähnlich funktioniert. Bei dieser Methode<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 28.8.<strong>2019</strong> 875
Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>4<br />
Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
müssen jedoch in aller Regel Zusatz-Tools eingerichtet werden, weil die handelsüblichen E-Mail-<br />
Programme diese Funktionalität – im Gegensatz zu S/MIME – nicht integriert haben. Wer den<br />
technischen Aufwand scheut, kann auch auf alternative E-Mail-Anbieter ausweichen, wie etwa<br />
Tutanota (www.tutanota.com), die bereits standardmäßig eine Inhalts-Verschlüsselung enthalten.<br />
Dazu müssen Anwalt und Mandant sich hier jeweils einen Account zulegen, der oftmals in der<br />
Grundversion kostenfrei ist.<br />
Auch in puncto Messenger-Dienst muss nicht zwingend auf den Branchenprimus WhatsApp zurückgegriffen<br />
werden. Das mag zwar bequem und weit verbreitet sein, verbietet sich aber aus Gründen<br />
des Datenschutzes, da hier von der App ein Zugriff auf alle Kontakte erfolgt und diese auf US-Server des<br />
Anbieters (Facebook) hochgeladen werden. Dadurch besteht für Berufsgeheimnisträger die Gefahr, sich<br />
wegen Geheimnisverrats nach § 203 StGB strafbar zu machen. Zwar wurde das „Legal Outsourcing“<br />
Anfang November 2017 durch die Einführung von § 43e BRAO etwas erleichtert, die Gesamt-Gemengelage<br />
ist jedoch alles andere als abschließend geklärt. Gute Alternativen sind daher sicherere<br />
Messenger, wie bspw. Threema (www.threema.ch) oder Signal (www.signal.org). Beide Apps sind kostenfrei,<br />
Ende-zu-Ende-verschlüsselt und ohne die datenschutzrechtlichen Bedenken, wie sie insb. gegenüber<br />
WhatsApp bestehen.<br />
Und auch wenn man sich als Anwalt von der modernen Technik nicht „einfangen“ lässt und sich zumindest<br />
gegen eine ständige, „Rund-um-die-Uhr“-Erreichbarkeit wehrt, bringt die elektronische<br />
Kommunikation dennoch für Anwälte und Anwältinnen viele Vorteile mit sich. Denn: Einem Telefonat<br />
muss man sich sofort widmen, eine E-Mail kann man dann beantworten, wenn es zeitlich passt.<br />
Selbstverständlich eignen sich nicht alle Dinge für die Regelung per E-Mail, manchmal ist das persönliche<br />
Gespräch einfach unerlässlich. Aber es sei erwähnt, dass eine jahrelange, gute, vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit zwischen Anwalt und Mandant möglich ist, auch wenn man sich nur vom Telefon oder<br />
aus E-Mails kennt. Es führen eben viele (Kommunikations-)Wege nach Rom.<br />
Bei Lichte betrachtet kann aber auch in Zeiten „digitaler Nomaden“ und flexibler, digitaler Arbeitsmöglichkeiten<br />
noch nicht von der Kanzleipflicht abgerückt werden. Solange der elektronische Rechtsverkehr<br />
hierzulande noch in den Kinderschuhen steckt und die Kommunikation zwischen Anwälten,<br />
Behörden, Gerichten und Mandanten im Wesentlichen noch per Brief erfolgt, müssen Anwälte natürlich<br />
auch eine zustellungsfähige Anschrift vorweisen und diese u.a. auf ihrem Briefkopf angeben. Die §§ 5, 10<br />
BORA fordern dies nicht zu Unrecht.<br />
III.<br />
Digitalisierung im Anwaltsbüro<br />
1. Elektronische Handakte & elektronischer Rechtsverkehr<br />
Im Zeitalter der Digitalisierung gehört die Rechtsanwaltschaft zu einem der letzten Berufsstände, die<br />
noch eine so antiquierte Technik wie Faxgeräte einsetzen. Wirft man allerdings einmal einen Blick auf<br />
die Pannen, die es bei der Einführung bzw. beim Betrieb des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs,<br />
des allseits beliebten beA, gab und noch immer gibt, kann man diejenigen Kolleginnen und Kollegen<br />
sehr gut verstehen, die an der bewährten Faxtechnik bis zuletzt festhalten wollen.<br />
Gleichwohl ist der Schritt hin zum elektronischen Rechtsverkehr – sofern er dann in Zukunft einmal<br />
weitgehend reibungslos funktionieren wird – absolut richtig und notwendig. Das bringt es aber<br />
zwangsweise mit sich, dass alle Beteiligten ihre Arbeitsabläufe umstellen. Einige Kollegen haben wohl<br />
schon weitgehend das papierlose Büro realisiert, wobei dieser Begriff irreführend ist –„papierarm“ wäre<br />
wohl angebrachter. Denn nach wie vor gibt es natürlich Urteile, Vollstreckungsbescheide und andere<br />
Titel, die im Original vorliegen müssen und auch für die Dauer ihrer Vollstreckbarkeit aufzubewahren<br />
sind. Die Aktenarchive werden daher so schnell nicht verschwinden, sie werden sich aber vermutlich<br />
immer langsamer mit neuen Inhalten füllen, bis dann irgendwann auch vollstreckbare Urkunden in<br />
digitaler Form möglich sein werden.<br />
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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>5<br />
Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Bereits jetzt fordert die passive beA-Empfangsbereitschaft eine gewisse Anpassung der internen<br />
Kanzleiabläufe. So verlangt § 31a Abs. 6 BRAO Folgendes:<br />
Der Inhaber des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ist verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen<br />
technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das<br />
beA zur Kenntnis zu nehmen.<br />
Wer öfter Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheide beantragt oder Schriftsätze mit umfangreichen Anlagen<br />
verschickt, der lernt schnell die Vorzüge digitaler Bearbeitung und Übermittlung per beA zu schätzen –<br />
auch wenn dessen Optik, Benutzerführung und Handhabung in den 1990er Jahren steckengeblieben zu<br />
sein scheinen. Wenn es funktioniert, sind die Vorteile in puncto Geschwindigkeit, Kosten und Effizienz<br />
jedoch unbestreitbar. Das Arbeiten mit einer digitalen Akte beherrscht jede auf dem Markt angebotene<br />
Anwaltssoftware, die meisten beherrschen inzwischen auch den Umgang mit dem beA ganz gut. Der<br />
Workflow zu Erstellung und Weiterverarbeitung eigener Schriftsätze ist daher kein Problem. Vom<br />
digitalen Diktat direkt in die Textverarbeitung über die Bearbeitung durch das Sekretariat bis hin zum<br />
Versand via beA – nichts muss heute mehr unbedingt ausgedruckt werden.<br />
Anders sieht es natürlich in Bezug auf die Korrespondenz aus, die täglich von Behörden, Gerichten,<br />
Anwälten oder Mandanten im Briefkasten der Kanzlei landet. Die muss nun nicht nur gesichtet, gestempelt,<br />
sortiert und an den Sachbearbeiter weitergeleitet, sondern auch in die digitale Form überführt<br />
werden. Ein Dokumentenscanner ist in Kanzleien mithin nahezu unumgänglich. Den Mut, die Original-<br />
Unterlagen anschließend zu entsorgen, bringen aktuell wohl die wenigsten Anwälte auf. In den meisten<br />
Fällen wird zweigleisig gefahren und die bewährte Papier-Handakte parallel zum digitalen Pendant<br />
geführt. Das ist zwar nicht so effektiv, dafür aber unter Sicherheitsgesichtspunkten gar nicht so abwegig.<br />
Denn so dient die Handakte als „analoge Sicherheitskopie“ bzw. die eingescannten Unterlagen als<br />
digitale Kopie der Handakte. Letztlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er schon bereit ist für die<br />
rein digitale Aktenführung, ob er (noch) beide Akten parallel führt oder ob er nach wie vor an der<br />
klassischen Papier-Handakte festhalten will.<br />
Spätestens dann, wenn die aktive beA-Nutzungspflicht kommt, wird sich jeder mit einem digitalen<br />
Workflow beschäftigen müssen. Und je eher man diesen in der Kanzlei eingeführt und auch eingeübt<br />
hat, desto besser. Zudem muss ja auch die notwendige Hardware angeschafft, eingerichtet und deren<br />
Handhabung „trainiert“ werden. So gut und simpel heutzutage Scanner, Multifunktionsgeräte, Tablets<br />
und Smartphones auch sein mögen, nicht alles klappt auf Anhieb. Aufgrund des breiten Angebots reicht<br />
es nicht, irgendein Gerät zu kaufen und darauf zu hoffen, dass es funktioniert, man muss sich mit der<br />
Materie schon eingehend befassen. Gerade am wichtigsten Teil der Digital-Workflow-Kette sollte<br />
nicht gespart werden – dem Dokumentenscanner. Unabhängig von Hersteller, Marke oder Geräteserie<br />
sollte er mit den verschiedenen Arten von Papierdokumenten zurechtkommen, die einem als Anwalt so<br />
geschickt werden. Das geht von mal einseitig, mal beidseitig bedruckten Schriftsätzen über zusammen<br />
getackerte vollstreckbare Ausfertigungen oder notarielle Urkunden bis hin zum behörden-typischen<br />
Umweltpapier oder auch kleinformatigen Quittungen. Unterschiedliche Größen und Papierstärken muss<br />
das Gerät bewältigen können. Der Scanner sollte also die Flut der täglichen Post bewältigen, beidseitig<br />
bedruckte Unterlagen in einem Arbeitsschritt verarbeiten (Duplex-Funktion) und sowohl durchsuchbare<br />
PDF-Dateien als auch langzeitarchivierbare Dokumente (z.B. im PDF-A-Format) erzeugen können.<br />
Natürlich gibt es auch verschiedene Apps für Smartphone und/oder Tablet, die diese Funktionen bieten<br />
und noch einiges mehr (z.B. Speichern der Dokumente in der Cloud). Allerdings gestaltet sich die Arbeit<br />
mit diesen Endgeräten als Scanner doch eher holprig, so dass dies eher eine Übergangslösung oder eine<br />
Variante für einen Einzelanwalt mit einem überschaubaren Posteingang sein kann.<br />
2. Die perfekte Anwaltssoftware<br />
Zentrales Werkzeug in einer Anwaltskanzlei ist natürlich die Anwaltssoftware. Hier gibt es ein recht<br />
großes Angebot, für jede Kanzleigröße und für jeden Geldbeutel. Neben den „Platzhirschen“, wie RA-<br />
Micro, Advoware, AnNoText, Advolux oder ReNoStar, gibt es auch noch etwas kleinere bzw. weniger<br />
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Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
bekannte Angebote, wie Winmacs, winra, Kanzlei-Manager oder LawFirm. Zu den klassischen, lokal<br />
installierten bzw. server-basierten Systemen gesellen sich nun auch die ersten Cloud-Produkte, bspw.<br />
Kleos aus dem Hause Wolters Kluwer (www.kleos.wolterskluwer.com/de), Legalvisio (www.legalvisio.de)<br />
oder Actaport (www.actaport.de). Einen guten, vergleichenden Überblick über das aktuelle Marktangebot<br />
bietet ILONA COSACK für den ffi Verlag unter www.anwaltskanzleisoftware.de. Die Software, die in der Cloud<br />
läuft, hat den entscheidenden Vorteil, dass man jederzeit von überall auf der Welt darauf zugreifen und<br />
an den Akten arbeiten kann. Einzige Voraussetzung ist ein Endgerät mit Internetzugang. Nachteil ist<br />
dabei, dass die Kanzlei- bzw. Mandantendaten dann nicht auf einem Server in den Kanzleiräumlichkeiten<br />
gespeichert werden, sondern auf einem externen Gerät bei einem Dienstleister. Im Idealfall hat<br />
der Anbieter seine Server in Deutschland oder – auch noch akzeptabel – innerhalb der Europäischen<br />
Union stehen, im schlechtesten Fall werden die Daten aber in verschiedenen Staaten über den Erdball<br />
verteilt gespeichert. Dass sich hier die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und die (zumindest potenzielle)<br />
Zugriffsmöglichkeit fremder Staaten in die Quere kommen, dürfte klar sein. Insbesondere die USA<br />
haben seit Inkrafttreten des sog. CLOUD Acts (Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act) Ende März<br />
2018 die Möglichkeit geschaffen, dass die US-Regierung auf Daten von Internet-Firmen und IT-Dienstleistern<br />
zugreifen kann, auch wenn diese nicht in den USA gespeichert werden.<br />
Ein immer größer werdendes Thema ist Legal Tech, also im weitesten Sinne technologie-gestützte<br />
Mandatsbearbeitung. Auch hier gibt es bereits eine ganze Menge mal mehr, mal weniger interessanter<br />
Angebote, u.a. (halb-)automatisierte Dokumentenerstellung bzw. -analyse, Recruiting, Spezialanwendungen,<br />
Chat-Bots oder intelligente juristische Datenbanken. Auch hierzu existiert online ein ganz<br />
guter Überblick unter www.legal-tech.de.<br />
3. Ortsunabhängiges Arbeiten – virtuelles Sekretariat<br />
Die typische „9–17 Uhr“-Arbeitsweise ist schon lange nicht mehr aktuell, in vielen Branchen setzen die<br />
Unternehmen auf flexible Arbeitszeitmodelle. Gleitzeit und Home-Office sind inzwischen die Mittel der<br />
Wahl, selbstverständlich auch in Anwaltskanzleien. Das funktioniert nicht zuletzt deswegen, weil die<br />
Erwartungshaltung der Mandanten eine andere ist als noch vor einigen Jahren. Heutzutage muss ein<br />
Anwalt eben nicht mehr in seinem Büro sitzen und einen Mandanten nach dem anderen empfangen.<br />
Das gibt es zwar noch, wird aber eben nicht mehr als „gottgegeben“ vorausgesetzt. Häufig sind gerade<br />
Unternehmer nicht unglücklich darüber, wenn ihr Anwalt etwas flexibler erreichbar ist und sie nicht für<br />
jede Frage zu ihm in die Kanzlei kommen müssen. Am Beispiel der kostenfrei von Microsoft erhältlichen<br />
Video-Konferenz-Software Skype zeigt sich deutlich, dass es dank der modernen Technik interessante<br />
Alternativen gibt. Diese Software lässt sich, wie andere Video-Chat-Tools auch, mit den Mitteln nutzen,<br />
die oftmals ohnehin vorhanden sind. Am PC müssen eine Kamera und ein Headset oder jedenfalls ein<br />
Mikrofon und Lautsprecher angeschlossen sein. Halbwegs gut ausgestattete Laptops bringen das alles<br />
bereits eingebaut mit, das Gleiche gilt für Tablets und Smartphones. Ohne großen (Kosten-)Aufwand<br />
können also Anwalt und Mandant miteinander sprechen, sogar von Angesicht zu Angesicht. Voraussetzung<br />
ist lediglich, dass beide die gleiche Software einsetzen, wie eben z.B. Skype oder auch Apple<br />
Facetime. Für mehrere Gesprächsteilnehmer gibt es etwas umfangreichere Lösungen, wie z.B.<br />
GoToMeeting, bei deren Nutzung jedoch in aller Regel Kosten anfallen. Aber auch hierbei müssen die<br />
Teilnehmer der Besprechung nicht irgendwo am Schreibtisch vor einem Computer sitzen, sondern<br />
können sich auch z.B. per Smartphone einwählen. Anders formuliert: Eine Video-Konferenz ist selbst<br />
dann möglich, wenn alle Teilnehmer in unterschiedlichen Ländern am Strand oder sonst wo sitzen – es<br />
muss nur ein ausreichend schneller Onlinezugang vorhanden sein.<br />
Dass aber natürlich auch „mal eben kurz“ beantwortete Fragen am Telefon, per E-Mail, über Video-<br />
Konferenz oder via Messenger nicht unentgeltlich erfolgen, sollte so früh wie möglich mit den Mandanten<br />
besprochen werden.<br />
Das mobile Arbeiten mit Laptop, Tablet oder Smartphone ist in den letzten Jahren immer komfortabler<br />
geworden. So besteht die Möglichkeit, sich über einen sicheren, weil verschlüsselten Tunnel durch das<br />
„normale“ Internet mittels sog. VPN-Verbindung auf dem Kanzlei-Server einzuwählen und Akten auch<br />
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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1<strong>16</strong>7<br />
Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
unterwegs zu bearbeiten; bei „Anwaltssoftware aus der Cloud“ bedarf es sogar nur eines Standard-<br />
Browsers. Zusätzlich wird das Angebot an speziellen juristischen Apps immer größer. Die Spannbreite<br />
reicht hier von simplen Berechnungstools für RVG-Gebühren (z.B. Deutscher Anwaltverlag: https://<br />
anwaltsgebuehren.online/), Blutalkoholgehalt oder Kindesunterhalt über Gesetzestextsammlungen bis hin<br />
zu Spezial-Anwendungen, wie Lösungen für Modell-Release-Verträge.<br />
Darüber hinaus haben sich mittlerweile verschiedene Dienstleister etabliert, die den Anwalt bei seiner<br />
flexiblen Arbeitsweise unterstützen. Als Hauptzielgruppe sind hier natürlich „Einzelkämpfer“ zu nennen,<br />
aber auch kleinere bis mittlere Kanzleien können von einigen Angeboten durchaus profitieren. So gibt es<br />
bspw. schon länger virtuelle Sekretariatsdienste (z.B. von der eBuero AG: www.anwaltssekretariat.de), die<br />
etwa die telefonische Erreichbarkeit des Anwalts auch dann gewährleisten, wenn dieser bei Gericht, in<br />
Besprechungen oder im Urlaub ist. Auch sind solche Dienste u.U. eine gute, temporäre Lösung für Zeiten<br />
der Spitzenbelastung, wie sie bei einigen Kollegen bspw. im ersten Halbjahr 2018 zur Hochphase der<br />
„DSGVO-Panik“ gegeben war. Neben den Telefondiensten bieten solche Unternehmen regelmäßig auch<br />
repräsentative Büroadressen, Büro- bzw. Besprechungsräume oder auch einen Schreibservice an.<br />
Einen Schritt weiter gehen Angebote von freiberuflich tätigen Rechtsanwalts-Fachangestellten, wie<br />
z.B. ReFa24 (www.refa24.de). Hier können grds. alle Leistungen in Anspruch genommen werden, die<br />
Fachangestellte typischerweise ausüben, also u.a. Finanzbuchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnung,<br />
Zwangsvollstreckung, Aktenführung oder Administration der Anwaltssoftware. Der Unterschied zu<br />
festangestellten Fachangestellten besteht darin, dass hier eine Dienstleistung angeboten wird, so dass<br />
eben u.a. keine Sozialabgaben fällig werden. Außerdem können die Leistungen zwar auch vor Ort in<br />
der Kanzlei erbracht werden, dies muss aber nicht zwingend so sein. Denn die meisten Tätigkeiten<br />
sind auch möglich, wenn der/die Fachangestellte sich per Fernwartungssoftware (z.B. Teamviewer)<br />
auf den Computer des Anwalts aufschaltet, per E-Mail Fragen geklärt oder Gespräche per Video-Chat<br />
geführt werden. Es versteht sich von selbst, dass bei einer solchen Vorgehensweise ein gewisses<br />
Vertrauensverhältnis unerlässlich ist. Darüber hinaus muss eine Verschwiegenheitsverpflichtungserklärung<br />
unterzeichnet werden, die zumindest in Textform vorliegen muss und deren Inhalt sich an<br />
den Vorgaben von § 43e Abs. 3 BRAO zu orientieren hat. Dann kann der/die externe Fachangestellte<br />
als „berufsmäßig tätiger Gehilfe“ i.S.v. § 203 Abs. 3 StGB gelten, so dass keine Verletzung der anwaltlichen<br />
Schweigepflicht zu befürchten ist. Zu beachten ist außerdem, dass Anwälte nach Maßgabe<br />
von § 43e Abs. 2 S. 1 BRAO dazu verpflichtet sind, den ReFa-Dienstleister sorgfältig auszuwählen.<br />
4. IT-Sicherheit nicht vergessen!<br />
Bei aller Flexibilität, die moderne Arbeitsmittel ermöglichen, darf ein wichtiger Aspekt keinesfalls zu kurz<br />
kommen – die Rede ist hier von der IT-Sicherheit. Denn alle Daten, die sich nicht in den ohnehin<br />
ebenfalls gut zu sichernden Kanzleiräumlichkeiten befinden, sondern auf externen Endgeräten bzw.<br />
Datenträgern oder in einer Cloud, stellen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar. Daher verlangen –<br />
neben dem gesunden Menschenverstand – gleich mehrere Vorschriften eine entsprechende Absicherung.<br />
Am deutlichsten formuliert es das Datenschutzrecht, denn schon das alte BDSG sprach von<br />
geeigneten technischen und organisatorischen Maßnahmen, oder kurz: TOMs. Das hat sich auch mit<br />
dem Inkrafttreten der DSGVO und der neuen Fassung des BDSG nicht geändert. Das am 26.4.<strong>2019</strong> in<br />
Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) erwähnt ebenfalls TOMs,<br />
wenn auch nicht in Bezug auf personenbezogene Daten, sondern auf Geschäftsgeheimnisse. Allerdings ist<br />
die Zielrichtung in beiden Fällen die gleiche: Die im Unternehmen bzw. in der Anwaltskanzlei existierenden<br />
Daten müssen u.a. vor dem Verlust, vor ungewollter Veränderung oder vor dem Zugriff durch unbefugte<br />
Dritte geschützt werden.<br />
Die DSGVO spricht in diesem Kontext acht konkrete Punkte an:<br />
1. Gewährleistung der Vertraulichkeit (Zutrittskontrolle, Zugangskontrolle, Zugriffskontrolle, Trennungsgebot,<br />
Auftragskontrolle);<br />
2. Gewährleistung der Integrität von Daten (Eingabekontrolle, Weitergabekontrolle);<br />
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Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
3. Gewährleistung der Verfügbarkeit von Daten,<br />
4. Gewährleistung der Belastbarkeit der Daten-Systeme;<br />
5. Wiederherstellung der Verfügbarkeit der Daten,<br />
6. Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der TOM;<br />
7. Daten-Verschlüsselung;<br />
8. Pseudonymisierung von Daten.<br />
In Bezug auf die Vertraulichkeit (1.) ist etwa an die folgenden Punkte zu denken:<br />
• Alarmanlage,<br />
• mechanische Fenstersicherungen,<br />
• Schließsystem mit Sicherheitsschlössern,<br />
• Videoüberwachung,<br />
• Bewegungsmelder,<br />
• Schlüsselregelung für Beschäftigte,<br />
• Personenkontrolle am Empfang,<br />
• Verschließen der Türen bei Abwesenheit,<br />
• Erstellen von Benutzerprofilen mit unterschiedlichen Berechtigungen,<br />
• Pflicht zur Passwortnutzung,<br />
• Einsatz von VPN-Technologie bei Zugriff von außen auf die internen Systeme,<br />
• Sperren von externen Schnittstellen (USB, CD-Rom usw.),<br />
• Einsatz von Intrusion-Detection-Systemen,<br />
• Nutzer-Berechtigungskonzept,<br />
• Verwenden einer Passwortrichtlinie,<br />
• Protokollierung von Zugriffen auf Anwendungen,<br />
• ordnungsgemäße Vernichtung von Datenträgern und Papierakten oder Inanspruchnahme von Dienstleistern<br />
zur Aktenvernichtung (z.B. Reißwolf),<br />
• Aufbewahrung von Datenträgern und Akten in abschließbaren Schränken,<br />
• logische Mandantentrennung<br />
• Datensätze mit Zweckattributen/Datenfeldern,<br />
• Trennung von Produktiv- und Testsystem,<br />
• sorgfältige Auswahl von Dienstleistern und schriftliche Vereinbarung (Verschwiegenheitsverpflichtung),<br />
• vertraglich festgelegte Kontrollrechte gegenüber dem Auftragnehmer und<br />
• vertraglich festgelegte Vertragsstrafen bei Verstößen.<br />
Die Integrität (2.) von Daten erfordert bspw. Maßnahmen wie:<br />
• Protokollierung der Eingabe, Änderung und Löschung von Daten im System,<br />
• individuelle Benutzernamen für Nutzer,<br />
• Weitergabe von Daten in anonymisierter oder pseudonymisierter Form (wenn möglich),<br />
• Verschlüsselung der E-Mail-Übertragung und -Inhalte (falls möglich),<br />
• Festlegung von Löschfristen und<br />
• Nutzung von mobilen Datenträgern mit Verschlüsselungsfunktion.<br />
Um die Verfügbarkeit (3.) von Daten zu gewährleisten, kommt u.a. das Folgende in Betracht:<br />
• Server mit unterbrechungsfreier Stromversorgung (USV),<br />
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Virtuelle Kanzlei – Digitalisierung<br />
• Alarmanlage im Serverraum,<br />
• Klimaanlage im Serverraum,<br />
• Überwachung von Temperatur und Feuchtigkeit im Serverraum,<br />
• Schutzsteckdosenleisten für EDV-Geräte,<br />
• Feuer- bzw. Rauchmeldeanlagen,<br />
• Feuerlöschgeräte,<br />
• Datensicherungskonzept und regelmäßiges Testen der Funktionsweise der Datensicherung,<br />
• Notfallkonzept,<br />
• Aufbewahrung von Datensicherung an sicherem, ausgelagertem Ort,<br />
• Serverräume nicht unterhalb von sanitären Anlagen gelegen,<br />
• keine Wasserleitungen in Serverräumen bzw. über den Server-Rechnern sowie<br />
• Serverräume nicht in Hochwasser-gefährdeten Kellerräumen.<br />
Der Aspekt der Belastbarkeit (4.) der Systeme erfordert z.B. folgende Maßnahmen:<br />
• Antiviren-Software,<br />
• Hardware- und/oder Software-Firewall,<br />
• sorgfältige Auswahl des externen IT-Dienstleisters sowie<br />
• Einspielen von Updates/Upgrades für Betriebssystem und Anwendungssoftware.<br />
Bei der Wiederherstellung der Verfügbarkeit (5.) geht es etwa um:<br />
• einen sorgfältig ausgewählten IT-Dienstleister,<br />
• einen sorgfältig ausgewählten internen System-Administrator und<br />
• die Vorhaltung von Ersatz-Hardware (Server und Arbeitsplätze).<br />
Um auf dem aktuellen Stand der Technik zu sein und auch zu bleiben, bedarf es eines Systems zur<br />
regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der eigenen TOMs (6.). Da<br />
hilft schon mal ein entsprechender Eintrag im Kalender weiter, der einen mindestens zwei bis drei Mal<br />
pro Jahr daran erinnert, sich und seine Sicherungsmaßnahmen selbst zu überprüfen und ggf. nachzubessern.<br />
In größeren Kanzleien ist sicherlich ein eigenes Informations-Sicherheits-Management-<br />
System (ISMS) sinnvoll.<br />
Die Verschlüsselung von Daten (7.) ist immer eine gute Idee. Wer Windows 10 in der Pro-Version als<br />
Betriebssystem einsetzt, kann die integrierte Bitlocker-Funktion aktivieren. So mancher externe Datenträger<br />
(USB-Stick, tragbare Festplatte) verfügt über eine eingebaute Verschlüsselungsfunktion.<br />
Außerdem gibt es gute, z.T. sogar kostenfrei nutzbare Tools (z.B. Veracrypt), mit denen Dateien, Ordner<br />
oder ganze Festplatten verschlüsselt werden können. Die eigene Website sollte mit einem sog. SSL-/<br />
TLS-Zertifikat ausgestattet sein, so dass die Daten von Besuchern, etwa beim Einsatz eines Kontaktformulars,<br />
verschlüsselt übertragen werden.<br />
Der Punkt Pseudonymisierung (8.) von Daten ist dagegen weniger praxisrelevant, da dies im anwaltlichen<br />
Alltag mehr hinderlich als nützlich wäre.<br />
Natürlich sind nicht immer alle der genannten Maßnahmen möglich oder sinnvoll, denn als Anwalt kann<br />
man eben etwa mit anonymen oder pseudonymen Daten nur wenig anfangen. Jeder ist aber dazu<br />
verpflichtet, den eigenen Schutzbedarf zu ermitteln und ein dem Risiko angemessenes Sicherheitsniveau<br />
zu gewährleisten. Anwälte sind ohnehin zur Verschwiegenheit verpflichtet (vgl. § 43a Abs. 2 S. 1<br />
BRAO, § 2 Abs. 1 S. 1 BORA), daher müssen sie alle Maßnahmen ergreifen, um die Daten bezüglich ihrer<br />
Mandanten bzw. Mandate entsprechend zu sichern.<br />
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Fach 23, Seite 1170<br />
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Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
IV. Rechtsberatung – und was sonst noch?<br />
Gerade Einzelanwälte und kleinere Kanzleien haben bisweilen damit zu kämpfen, dass nicht ständig<br />
neue Mandate eintrudeln. Sie müssen in aller Regel mit gewissen Schwankungen leben, denn es gibt<br />
Zeiten, da kommt überdurchschnittlich viel, und es gibt Zeiten, in denen ist es etwas ruhiger. So manch<br />
einer hat um Weihnachten bzw. den Jahreswechsel etwas weniger zu tun, andere wiederum können in<br />
der Sommer-/Ferienzeit durchatmen. Und es gibt natürlich auch Kanzleien, da ist durchgängig ausreichend<br />
Betrieb, aber im Großen und Ganzen hat wohl jeder Anwalt schon die eine oder andere<br />
„Dürreperiode“ durchzustehen gehabt. Da stellt sich die Frage: Was dann? Genießt man die freie Zeit?<br />
Etwa auch dann, wenn sie länger dauert als gedacht?<br />
Um eine mandanten-ärmere Phase zu überbrücken, kann man auch als Anwalt Tätigkeiten übernehmen,<br />
die vielleicht nicht unbedingt zur „klassischen“ Arbeit eines Organs der Rechtspflege gehören.<br />
Hier denken einige wohl direkt an das Halten von Vorträgen oder Seminaren oder an das Verfassen von<br />
Fachaufsätzen für Zeitschriften, Blogs oder die eigene Website. Aber warum nicht mal ein Buch in<br />
Angriff nehmen? Findet sich kein Verlag, kann der schreib-affine Anwalt auch in Eigenregie veröffentlichen.<br />
Anbieter von entsprechenden Dienstleistungen (z.B. amazon) übernehmen gegen ein<br />
gewisses Entgelt Aufgaben, wie Satz, Lektorat, Druck oder auch Vertrieb. Bei der Veröffentlichung eines<br />
E-Books ist der zeitliche und finanzielle Aufwand sogar noch etwas geringer als bei einem Printwerk.<br />
Wer sein Wissen an andere weitergeben möchte, muss heutzutage nicht zwingend Räumlichkeiten<br />
vorhalten oder anmieten, Werbe-Flyer verschicken, vor Ort Getränke organisieren, Teilnehmerunterlagen<br />
drucken usw. Das Zauberwort heißt: Webinar. Wer solch ein Online-Seminar veranstalten<br />
möchte, kann sich einen entsprechenden Partner suchen (z.B. einen juristischen Verlag) oder sich selbst<br />
um die Technik, Werbung, Durchführung etc. kümmern. Mit Tools, wie bspw. GoToWebinar (www.<br />
gomeeting.com) oder Zoom (www.zoom.us), ist das gar nicht mehr so kompliziert und vergleichsweise<br />
preisgünstig. Zudem bieten derartige Tools über die Durchführung des eigentlichen Webinars hinaus<br />
oftmals auch noch zusätzliche Hilfe z.B. bei Bewerbung oder Abrechnung der Veranstaltung.<br />
Noch schneller gelingt der Einstieg mit einem eigenen YouTube-Kanal, denn hierfür benötigt man im<br />
Grunde lediglich ein Smartphone und eine gute Idee für die Inhalte. Kollegen wie Rechtsanwalt CHRISTIAN<br />
SOLMECKE (www.youtube.com/kanzleiwbs) machen vor, wie diese Plattform für Akquise- bzw. Marketing-<br />
Zwecke erfolgreich genutzt werden kann.<br />
V. Moderne Akquise – Social Media & Co.<br />
Die gute alte Visitenkarte ist zwar noch nicht ganz ausgerottet, sie wird in Zeiten von Social Media aber<br />
immer unwichtiger. Digitale Visitenkarten oder eine Vernetzung über LinkedIn oder Xing sind wesentlicher<br />
schneller, einfacher und praktischer. Denn die sozialen Medien können nicht nur zum Netzwerken,<br />
sondern zugleich auch für Werbezwecke genutzt werden. „Wer schreibt, der bleibt“, dieses alte Sprichwort<br />
gilt auch heute noch. Nicht nur die Anwälte, die schwerpunktmäßig in den Bereichen IT- bzw.<br />
Online-Recht tätig sind, können und sollten die Möglichkeiten des World Wide Web ausschöpfen.<br />
Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass ein verwaister Social-Media-Account eher eine Anti-<br />
Werbung darstellt. Daher gilt: Wer einmal den Schritt gewagt hat und sich bei Facebook, Twitter,<br />
LinkedIn, Instagram & Co. angemeldet hat, ist gut beraten, hier auch regelmäßig Inhalte bereitzustellen.<br />
Und das bedeutet eher einmal am Tag als einmal im Monat. Das Gute an den sozialen Medien ist aber,<br />
dass es sich nicht immer um einen seitenlangen Aufsatz handeln muss, sondern auch die Weiterleitung<br />
oder Kommentierung eines anderen Beitrags möglich ist. Manchmal reicht schon ein Klick auf den<br />
„Gefällt mir“- oder den „ReTweet“-Button, um wieder im Spiel zu sein.<br />
Dagegen kann die eigene Website ruhig als „virtuelle Visitenkarte“ gestaltet sein, sie muss also nicht<br />
zwingend regelmäßig mit neuen Inhalten gefüttert werden. Allerdings bringt ein ggf. separat betriebener<br />
Blog oder YouTube-Kanal deutlich mehr Aufmerksamkeit und damit auch potenziell mehr<br />
neue Mandaten.<br />
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