Berliner Kurier 13.09.2019
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14 BERLIN BERLINER KURIER, Freitag, 13. September 2019<br />
Der Linedance,<br />
der unter<br />
der Anleitung von<br />
Katharina Mayr-Welschlau<br />
(2.v.r.) einstudiert<br />
wird, soll als Flashmob im<br />
nächsten Jahr überall<br />
getanzt werden.<br />
Wo Tanzen<br />
wirklich Therapie ist<br />
Am Sana-Klinikum sollen Krebspatienten Lebensfreude beim Training auf dem Parkett zurückgewinnen<br />
Von<br />
FLORIAN THALMANN<br />
Lichtenberg – Tanzen macht<br />
Freude –das weiß man nicht<br />
nur in Berlins Diskotheken,<br />
sondern inzwischen auch in<br />
der Medizin. In Lichtenberg<br />
werden Foxtrott, Cha Cha<br />
Cha und Discofox deshalb in<br />
der Therapie eingesetzt: Am<br />
Sana-Klinikum treffen sich<br />
einmal pro Woche Patienten,<br />
die gegen den Krebs<br />
kämpfen – und legen gemeinsam<br />
eine flotte Sohle<br />
aufs Parkett!<br />
„Denkt immer daran: Es gibt<br />
keine Fehler, es gibt nur Variationen“,<br />
ruft Lehrerin Katharina<br />
Mayr-Welschlau –und der<br />
ganze Tanzsaal lacht. Für einen<br />
Moment scheint alles vergessen:<br />
Alle Sorgen verschwinden<br />
hinter der Musik,<br />
hinter den flotten Tanzschritten,<br />
hinter der gemeinsamen<br />
Fröhlichkeit. Die meisten der<br />
Menschen, die im Physiotherapie-Raum<br />
des Lichtenberger<br />
Sana-Klinikums gerade einen<br />
Fotos: Sabine Gudath<br />
Immer im Kreis: Die Tanzübungen geben Selbstvertrauen, schweißen<br />
die Teilnehmer zusammen –und verdrängen die Sorgen.<br />
Foxtrott einstudieren, verbindet<br />
ein Schicksal. Sie leiden an<br />
einer Krankheit: Krebs.<br />
Manche kommen allein, andere<br />
bringen ihre Partner mit –<br />
und nun tanzen sie gemeinsam,<br />
als eine Form der Therapie.<br />
„Wir haben viele Patienten,<br />
die fragen, was sie selbst<br />
tun können, um den Behandlungserfolg<br />
zu unterstützen“,<br />
sagt Beatrix Rumpel vom Viszeralonkologischen<br />
Zentrum<br />
der Klinik. „Früher war man<br />
der Meinung, dass Erkrankte<br />
lieber ruhig liegen sollten, um<br />
sich nicht anzustrengen. Aber<br />
heute weiß man, dass Bewegung<br />
gut ist.“ Anderswo habe<br />
es bereits Tanzkurse für Menschen<br />
mit Krebs gegeben, immer<br />
wieder hätten Patienten<br />
danach gefragt. Deshalb entschied<br />
man sich, auch am Sana-Klinikum<br />
einen solchen<br />
Kurs zu starten.<br />
Jeden Dienstag trifft sich die<br />
Gruppe in der Klinik, um gemeinsam<br />
mit Mayr-Welschlau<br />
(36) zu tanzen. Mit dabei: Dagmar<br />
Leuenberg (66). Warum<br />
sie mitmacht? „Deshalb“, sagt<br />
sie –und hebt ihre Perücke ein<br />
Stück an. Im vergangenen Jahr<br />
wurde bei ihr Gebärmutter-<br />
Krebs diagnostiziert, zwei<br />
Operationen und mehrere<br />
Chemotherapien hat sie bereits<br />
hinter sich. „Laut Ärzten<br />
ist der Krebs erst einmal weg“,<br />
sagt sie. Schon immer habe sie<br />
gern getanzt – und deshalb<br />
entschieden, zum Kurs zu<br />
kommen. „Wenn ich hier bin,<br />
vergesse ich meine Sorgen.<br />
Und man ist unter Gleichgesinnten.<br />
Die Therapien, die<br />
ganze Chemie, all das, was<br />
man ertragen muss: Hier verstehen<br />
alle, was man durchmacht.“<br />
Ihrem Job als Reiseleiterin<br />
kann sie nicht mehr<br />
nachgehen. „Das macht mich<br />
traurig. Aber im Tanzkurs habe<br />
ich soziale Kontakte –und<br />
die Bewegung hält fit.“<br />
Auch Birgit A. (59) tanzt mit.<br />
Bei ihr wurde im Oktober 2015<br />
eine Tumorerkrankung des<br />
Knochenmarks festgestellt,<br />
ein Multiples Myelom. „Es ist<br />
nicht heil-, aber behandelbar“,<br />
sagt sie. Zwischen Chemo- und<br />
Stammzelltherapien habe sie<br />
immer wieder Dämpfer bekommen,<br />
schlechte Nachrichten<br />
von den Ärzten. „Gesellschaft,<br />
Bewegung und Musik<br />
helfen, für den Moment positiv<br />
zu denken. Man geht danach<br />
beschwingt aus der Klinik.“<br />
Der psychische Aspekt sei<br />
der wichtigste, erklärt auch<br />
Beatrix Rumpel. „Die Patienten<br />
bekommen dadurch<br />
Selbstvertrauen, wieder etwas<br />
mehr Energie. Und vor allem<br />
für Paare kann ein solcher<br />
Kurs hilfreich sein“, sagt sie.<br />
„Wenn ein Partner erkrankt<br />
ist, ist in der Beziehung immer<br />
einer der Schwächere, der andere<br />
der Stärkere. Beim Tanzen<br />
kann man sich wieder auf<br />
Augenhöhe begegnen.“<br />
Interessierte können sich<br />
noch anmelden, zu den Kursen<br />
kommen. Derzeit wird im Kurs<br />
außerdem ein Tanz einstudiert,<br />
den ähnliche Tanzgruppen<br />
in ganz Deutschland lernen.<br />
Am 17. Juni 2020 wollen<br />
Patienten-Gruppen deutschlandweit<br />
jenen Tanz auf der<br />
Straße tanzen –ein Flashmob,<br />
der Schicksale verbindet.