Berliner Kurier 13.09.2019
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*<br />
REPORT<br />
Im Mauermuseum<br />
ist auch die<br />
Nähmaschine, auf<br />
der aus etwa1200<br />
Quadratmetern<br />
Seidenstoffdie<br />
Ballon-Hülle<br />
genäht wurde.<br />
September 1979:<br />
Wenige Tage nach<br />
der Flucht wird<br />
dieses Foto mit<br />
der Familie<br />
Strelzyk am<br />
Ballon gemacht.<br />
Unsere<br />
Freiheit<br />
ist ein Geschenk<br />
des Himmels<br />
Der KURIER traf die berühmtesten Ballon-Flüchtlinge der DDR<br />
Von<br />
NORBERT KOCH-KLAUCKE<br />
Sie scheinen ganz normale<br />
Besucher zu sein. Doris<br />
Strelzyk (72) aus Thüringen<br />
und ihre Söhne Frank (56)<br />
und Andreas (51), die gestern<br />
Vormittag neben Schulklassen<br />
und Berlin-Touristen das Mauermuseum<br />
am Checkpoint<br />
Charlie betreten. In Gedanken<br />
versunken stehen sie in der<br />
Ausstellung vor einer selbstgebastelten<br />
Ballon-Gondel mit<br />
vier Gasflaschen, über der ein<br />
Stofffetzen der einstigen Ballonhülle<br />
hängt. Mit diesem Gerät<br />
gelang am 16. September<br />
1979 eine der spektakulärsten<br />
Fluchten aus der DDR in den<br />
Westen. Vier Erwachsene und<br />
vier Kinder saßen in der Gondel.<br />
Plötzlich bricht Doris Strelzyk<br />
ihr Schweigen. „Es war dieser<br />
Ballon, der uns vor 40 Jahren<br />
in die Freiheit brachte.“<br />
Die Frau beginnt zu erzählen.<br />
Von ihrem Mann Peter, der vor<br />
zwei Jahren im Alter von 74<br />
Jahren starb, und der damals<br />
die Idee zu der Ballonflucht<br />
hatte. „Es gab viele Gründe, die<br />
DDR zu verlassen“, sagt Doris<br />
Fotos: Wächter,dpa, Studiocanal<br />
Die Ballonflucht,sowie sie im Film<br />
„Ballon“ (2018) zu sehen ist.<br />
Strelzyk. „Etwa, was mit meinem<br />
Bruder passiert war. Die<br />
DDR hatte ihn wegen versuchter<br />
Republikflucht mit 16 Jahren<br />
für 18 Monate in einen Jugendknast<br />
gesteckt.“ Doch der<br />
Hauptgrund für die geplante,<br />
waghalsige Flucht galt ihren<br />
Kindern. „Unsere Söhne sollen<br />
in Freiheit aufwachsen, hatte<br />
mein Mann damals gesagt.“<br />
Die Strelzyks lebten in der<br />
DDR in der thüringischen Stadt<br />
Pößneck. Ihre Flucht planen sie<br />
ab Mitte 1977 nicht nur für sich.<br />
Das befreundete<br />
Ehepaar Günter<br />
und Petra Wetzel<br />
und deren zwei<br />
Söhne wollen ebenfalls<br />
die DDR verlassen<br />
und sich den Strelzyks<br />
anschließen. Eine<br />
Flucht von insgesamt<br />
acht Personen: „Mit einem<br />
Boot über die Ostsee<br />
zu fliehen, oder zu<br />
Fuß die Grenze auf<br />
dem Landweg zu<br />
überwinden, wäre<br />
nicht gegangen“, sagt<br />
Doris Strelzyk. „Für<br />
uns stand fest: Es bleibt<br />
nur der Luftweg ins nahe<br />
Bayern, wenn wir alle<br />
zusammen sicher im Westen<br />
ankommen wollen. Und das mit<br />
einem Ballon.“<br />
Diesen bauen Peter Strelzyk<br />
und Günter Wetzel nach Plänen<br />
aus Luftfahrt-Magazinen,<br />
die Verwandte aus dem Westen<br />
mitbringen. Denn Unterlagen<br />
zum Ballon-Bau gab es natürlich<br />
in der DDR nicht. „Ich wurde<br />
früh in die Pläne eingeweiht“,<br />
sagt Strelzyk-Sohn<br />
Frank, der nach seiner Heirat<br />
nun Riedmann heißt. „Ich war<br />
sogar bei den heimlichen Bal-<br />
Doris Strelzyk (72)<br />
steht mit ihren<br />
Söhnen Frank (56,<br />
links) und Andreas<br />
(51)vor der Gondel<br />
im Mauermuseum.