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hinnerk Oktober/November 2019

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Neu ist nicht die Form der Verabreichung<br />

durch ein Implantat. Das wird schon lange<br />

zum Beispiel in der Empfängnisverhütung<br />

eingesetzt. Man bekommt ein etwa<br />

streichholzgroßes Polymer-Stäbchen in<br />

den Oberarm gesetzt, das dann über ein<br />

Jahr die Wirkstoffe abgibt. Gilead arbeitet<br />

aktuell zum Beispiel daran, Tenofovir (in<br />

Kombination mit Emtricitabin als Truvada<br />

bekannt, Anm. d. Red.) als Implantat zu<br />

entwickeln. Das von MSD vorgestellte<br />

Medikament Islatravir dagegen beruht auf<br />

einem völlig neuen Wirkstoff. Interessanterweise<br />

wurde er zuerst in Sojasoße entdeckt.<br />

Was nicht bedeutet, dass Sojasoße vor HIV<br />

schützt! (lacht)<br />

„Eine ganz neue<br />

Wirkstoffklasse“<br />

Ich sehe schon die „BILD“-<br />

Schlagzeile …<br />

Ein großer Vorteil dieses Wirkstoffs ist,<br />

dass er in unglaublich kleinen Dosierungen<br />

ausreichend wirkt. Um das zu veranschaulichen:<br />

Bisher reichen die Tagesdosierungen<br />

von ungefähr 25 Milligramm bis zu<br />

einigen 100 Milligramm. Die notwendige<br />

Tagesdosis von Islatravir wird wahrscheinlich<br />

nur ein halbes Milligramm betragen.<br />

Das ist für eine Depot-Therapie natürlich<br />

sehr vorteilhaft. Die Daten, die auf der<br />

IAS vorgestellt wurden, lassen hoffen,<br />

dass mit dem Implantat tatsächlich eine<br />

Wirkdauer von einem Jahr erreicht werden<br />

kann. Das Medikament ist aber nicht nur<br />

ein neuer Wirkstoff, sondern gehört zu<br />

einer ganz neuen Wirkstoffklasse, den<br />

Nukleosidischen Reverse-Transkriptase-<br />

Translocations-Inhibitoren. Für diese haben<br />

wir noch keine Langzeiterfahrungen,<br />

wie es mit der Verträglichkeit aussieht,<br />

und müssen weitere Studien abwarten.<br />

Es gibt aber ja weitere Depot-Therapieansätze.<br />

Wie ist da der Stand?<br />

Es wird auch mit den bekannten Wirkstoffklassen<br />

an neuen Therapieformen<br />

gearbeitet. Das hat den Vorteil, dass die<br />

Langzeitverträglichkeit der verwendeten<br />

Substanzen gut erforscht ist. Im kommenden<br />

Jahr werden die ersten Depotspritzen<br />

zur Behandlung zugelassen werden. Wir<br />

wissen es noch nicht ganz genau, aber<br />

zunächst werden es wohl monatliche,<br />

eventuell zweimonatliche Spritzen sein.<br />

ViiV Healthcare hat sie mit dem seit Jahren<br />

angewendeten Rilpivirin und dem neuen<br />

Medikament Cabotegravir, einer Schwestersubstanz<br />

des ebenfalls lange verwendeten<br />

Dolutegravir, entwickelt. Cabotegravir wird<br />

übrigens gleichzeitig für die PrEP erforscht,<br />

hier wäre eine dreimonatige Depotgabe<br />

denkbar.<br />

„Da ist noch<br />

Spiel drin!“<br />

Was ist der Vorteil dieser Depot-<br />

Therapien?<br />

Sie bieten einerseits die Möglichkeit,<br />

Patienten zu behandeln, die Schwierigkeiten<br />

mit der Adhärenz haben. Wichtiger<br />

ist aber noch, dass sie hervorragend für<br />

jegliche Umfelder geeignet sind, in denen<br />

die HIV-Infektion nicht bekannt werden<br />

soll. Wo Tabletten nicht auffallen sollen.<br />

Das kann in Gefängnissen sein, in Familien,<br />

wo vielleicht das Kind die Infektion der<br />

Mutter oder des Vaters nicht bemerken<br />

soll. Bei Migranten, die ihre Familie in<br />

religiös besonders strenggläubigen Ländern<br />

besuchen. Bei Flugbegleitern oder anderen,<br />

die beruflich in diese Länder müssen oder<br />

dort ihren Urlaub verbringen wollen.<br />

Wie kommt es, dass wir hier jeweils<br />

nur noch über zwei Wirkstoffe<br />

sprechen? Ist die Dreierkombi ein<br />

Auslaufmodell?<br />

Die Dreierkombi ist einfach historisch gewachsen.<br />

Bei Retrovir in den 1990ern haben<br />

wir gesehen, dass das Virus maximal sechs<br />

Monate brauchte, um sich anzupassen. Mit<br />

zwei Wirkstoffen hat es dann ca. drei Jahre<br />

gedauert, bis das Virus resistent war. Erst mit<br />

der Einführung der Proteasehemmer 1996<br />

gelang es, das Virus dauerhaft unter die<br />

Nachweisgrenze zu bringen, also seine Vermehrung<br />

und damit Anpassungsmöglichkeit<br />

nachhaltig zu unterbinden. Inzwischen sind<br />

wir in der Situation, dass die Medikamente<br />

viel, viel wirksamer sind und wir sehen, dass<br />

drei keine magische Zahl ist. Studien zeigen<br />

sogar, dass die modernsten Protease- und<br />

Integrasehemmer so wirksam sind, dass sie<br />

theoretisch einzeln wirken würden. Das ist<br />

aber nur Theorie und niemand möchte sich<br />

eine Resistenz gegen diese hochwirksamen<br />

Wirkstoffe einhandeln. Für viele Patienten<br />

reichen aber in Zukunft zwei Wirkstoffe aus,<br />

wie bei den eben genannten erwarteten<br />

neuen Therapien. In Deutschland ist mit<br />

Dolutegravir/Lamivudin (Dovato, Anm. d. Red.)<br />

in diesem Jahr schon die zweite Zweierkombination<br />

zugelassen worden, Juluca ist schon<br />

etwas länger auf dem Markt.<br />

Sie haben im Vorfeld auch eine<br />

Infusion angesprochen …<br />

Mit Ibalizumab von Theratechnologies steht<br />

das erste Medikament zur Behandlung<br />

durch eine alle zwei Wochen zu gebende<br />

Infusion kurz vor der europäischen<br />

Zulassung. Es ist speziell für Patienten<br />

entwickelt worden, die wegen Resistenzen<br />

oder Unverträglichkeiten nur wenige<br />

Therapieoptionen haben. Infusionen sind<br />

im Vergleich zur Depotspritze aufwendig,<br />

man kommt an den Tropf, muss warten,<br />

aber: Es wird in Zukunft vermutlich weitere<br />

Medikamente wie dieses geben, deren<br />

Wirkung nicht mehr auf chemischen kleinen<br />

Molekülen beruhen, sondern mit menschlichen<br />

Antikörpern arbeiten. Das ist zurzeit<br />

noch extrem teuer. Die angesprochene<br />

Therapie wird rund 130.000 Euro im Jahr<br />

kosten, allerdings ist sie für betroffene Menschen<br />

(in den USA schätzungsweise 25.000,<br />

Anm. d. Red.) ein lebensrettender Segen.<br />

Bei anderen Erkrankungen hat man die<br />

Verweildauer der Antikörper im Organismus<br />

bereits durch Tricks so weit verlängert, dass<br />

eine halbjährliche Infusion möglich ist. Da ist<br />

noch Spiel drin.<br />

*Interview: Christian Knuth<br />

Auf www.blu.fm/topics/hiv spricht<br />

Siegfried Schwarze im zweiten<br />

Teil dieses Interviews über weitere<br />

spannende Ansätze, wie die eventuell<br />

einmal mögliche Heilung durch eine<br />

Gentherapie und den Stand der Erforschung<br />

eines Impfstoffes.<br />

Siegfried Schwarze ist Vorstandsmitglied<br />

bei Projekt Information e.<br />

V., einem Verein, der HIV-infizierte<br />

Menschen, ihre Freunde, Angehörigen<br />

und Ärzte über Forschung,<br />

Entwicklung und Anwendung von<br />

schulmedizinischen, unterstützenden<br />

und holistischen Behandlungsmethoden<br />

informiert. Im ständigen<br />

interdisziplinären Informationsaustausch<br />

mit Medizinern, Naturheilkundlern,<br />

Psychologen, Therapeuten<br />

und Pflegern entsteht so alle zwei<br />

Monate eine Vereinszeitschrift,<br />

die diese Informationen sammelt.<br />

Zudem schafft Projekt Information<br />

mit POSITIVER RAUM Möglichkeiten<br />

des Austausches und der Vernetzung<br />

HIV-Positiver in ländlichen Gebieten.<br />

www.projektinfo.de<br />

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