hinnerk Oktober/November 2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
MUSIK<br />
NACHGEFRAGT<br />
CHARLI<br />
S<br />
XCX:<br />
laut und leise<br />
„Was daran jetzt sexy sein<br />
soll, kann ich nicht nachvollziehen“,<br />
motzt Charlotte Emma<br />
Aitchison aus Cambridge, die sich<br />
beruflich Charli XCX nennt und seit<br />
dem Welterfolg des von ihr verfassten<br />
Icona-Pop-Knallers „I Love It“ zu<br />
Beginn der Zehnerjahre ein Popstar<br />
ist, wenn man sie auf die erotische<br />
Komponente des Covers ihres<br />
dritten, schlicht „Charli“ betitelten<br />
Albums anspricht.<br />
Sieht man sie dort doch oberhalb der Taille<br />
nackt, bekleidet lediglich von einem langen<br />
bunten Wurm, der vielleicht auch eine<br />
dünne Schlange sein könnte. Allerdings, da<br />
muss man der 27-Jährigen beipflichten,<br />
blickt sie nicht besonders lasziv auf dem<br />
Bild, sondern eher etwas weggetreten<br />
oder so, als meditiere sie. „Du und ihr alle<br />
haltet das für erotisch, weil der weibliche<br />
Körper durch die Medien total sexualisiert<br />
wurde“, setzt die erklärte Feministin<br />
(„Immer mehr Macht in der Musikindustrie<br />
liegt in den Händen von Frauen“) ihre Tirade<br />
nun fort. „Ich habe einen Körper, du hast<br />
einen Körper, meine Mutter hat auch einen<br />
Körper.“ Ja, und? „Ich bin doch einfach<br />
nur unbekleidet. Wäre ich alt, ein Mann<br />
oder hätte mein Körper eine andere Form,<br />
würdest du doch auch nicht sagen, dass<br />
das sexy aussieht.“ Da mag sie recht haben,<br />
aber Kunst ist halt nun einmal frei interpretierbar.<br />
Jedenfalls, so Charli, sich selbst<br />
wieder einigermaßen im Zaum habend,<br />
wollte sie sich auf dem Foto so zeigen, wie<br />
sie eben ist: unverstellt und echt. „Mir geht<br />
es um Ehrlichkeit und um Wahrheit. Dieses<br />
Ziel, aufrichtig zu sein, verfolge ich auch<br />
mit meinen neuen Liedern“, beteuert sie.<br />
Und besser, man fragt an dieser Stelle jetzt<br />
nicht auch noch, warum „Señorita“, der<br />
Sommerhit von Camila Cabello und Shawn<br />
Mendes, der Handanlegung<br />
acht verschiedener<br />
Songwriter/-innen<br />
bedurfte (von denen sie<br />
eine war), wo doch ein<br />
Kompositionspraktikant<br />
locker genügt hätte.<br />
Aber Widersprüche<br />
müssen ja nicht<br />
schlecht sein, und<br />
deshalb zelebriert die<br />
mittlerweile in Los Angeles<br />
lebende Charli die<br />
ihrigen. „Früher habe ich<br />
mich leicht geschämt, Popmusik zu lieben“,<br />
sagt sie, „aber da war ich 16 und wollte cool<br />
sein. Heute ist mir klar, dass es kaum etwas<br />
Cooleres gibt als guten Pop.“ Von dem<br />
„Charli“ glücklicherweise voll ist. Vier Jahre<br />
sind ins Land gezogen, seit Charlis vorheriger<br />
Platte „Sucker“ (mit den Hits „Boom<br />
Clap“ und „Break The Rules“), „in dieser<br />
Zeit habe ich unglaublich viele Erfahrungen<br />
gesammelt und bin gereift.“ Einerseits.<br />
„Andererseits wollte ich auch Partysongs<br />
auf dem Album haben, die zeigen, wie<br />
viel Spaß mir das Leben macht.“ Und so<br />
ist „Charli“ ein überzeugender Electro-<br />
Synthie-Pop-Spagat aus Abgehnummern<br />
wie „Click“ oder „Shake It“, ein bisschen<br />
Pop-Nostalgie wie auf „1999“, einem Duett<br />
mit Troye Sivan sowie persönlichen Songs<br />
wie „Gone“, einer Zusammenarbeit mit<br />
Christine and the Queens, die Unsicherheiten,<br />
Ängste und Zweifel aufgreift. „In<br />
dem Song geht es um<br />
das Gefühl, wertlos und<br />
einsam im Zimmer zu<br />
sitzen. Ich bin recht<br />
impulsiv und gehe gerne<br />
feiern, das heißt jedoch<br />
nicht, dass ich solche<br />
Phasen nicht kenne.<br />
Und bei Christine ist<br />
es ähnlich. Ich liebe sie<br />
einfach als Menschen<br />
und als Künstlerin, sie<br />
inspiriert mich extrem.“<br />
Besonders persönlich<br />
wird Charli XCX meist dann, wenn sie den<br />
Gang rausnimmt, so wie in „White Mercedes“,<br />
der das Hin- und Hergerissen-Sein<br />
in einer fünfjährigen On-Off-Beziehung<br />
zum Inhalt hat. „Inzwischen sind wir fest<br />
zusammen, also war die wacklige Phase<br />
nicht umsonst“, so Charli, lächelnd und<br />
mit dem Gespräch offenbar versöhnt.<br />
*Interview: Steffen Rüth