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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 222 · D ienstag, 24. September 2019 5 *<br />
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Politik<br />
Strafpredigt für die Mächtigen der Welt<br />
Thunberg zürnte, Merkel lavierte, und Trump schaute immerhin kurz mal rein: Wiedie UN ihre Generalversammlung mit einem eintägigen Klimagipfel begannen<br />
VonKarlDoemens, New York<br />
Die Mächtigen sprächen nur vom immerwährenden Wachstum statt zu handeln, empörte sich Greta Thunberg.Hier ist sie im freundlichen Gespräch mit der Kanzlerin. BUNDESREGIERUNG<br />
Als die Frau im blauen Blazer<br />
ans Rednerpult des<br />
großen Saals tritt, richtet<br />
sich ein Mann in der zwölften<br />
Reihe kerzengerade auf. Den<br />
Anfang des Klimagipfels mit einer<br />
Wutrede der Klimaaktivistin Greta<br />
Thunberg hat Donald Trump<br />
verpasst. Erst wenige Minuten vor<br />
dem Auftritt vonKanzlerin Merkel ist<br />
der US-Präsident gemeinsam mit<br />
seinem Stellvertreter Mike Pence in<br />
den UN-Versammlungssaal gekommen.<br />
Ausder Entfernung der Pressetribüne<br />
kann man nur seitlich den eindrucksvollen<br />
Oberkörper und die<br />
blonde Haartracht des mächtigsten<br />
Mannes der Welt sehen. Aber das genügt,<br />
um einen Eindruck von seiner<br />
Begeisterung zu bekommen. Die<br />
hält sich spürbar in Grenzen. Angestrengt<br />
faltet Trump während Merkels<br />
Rede die Hände. Einmal schüttelt<br />
er den Kopf. Ein anderes Mal –<br />
die Kanzlerin hat gerade über Gebäudesanierung<br />
gesprochen –flüsterterseinem<br />
Stellvertreter etwas zu.<br />
Nach der vorangegangenen Rede<br />
des indischen Premierministers Narendra<br />
Modi hat Trump geklatscht.<br />
Als Merkel nach drei Minuten endet,<br />
rührt der Präsident keine Hand. Er<br />
wartet kurzden Beifall ab.Dann verlässt<br />
er die Sitzung.<br />
Die Szene ist symptomatisch für<br />
den Klimagipfel, den UN-Generalsekretär<br />
António Guterres der diesjährigen<br />
Generalversammlung der Weltengemeinschaft<br />
vorgeschaltet hat.<br />
Auf der einen Seite sind die Erwartungen<br />
gewaltig, auf der anderen<br />
Seite das Interesse bei maßgeblichen<br />
Akteuren demonstrativ gering. Der<br />
chinesische Präsident Xi Jinping ist<br />
erst gar nicht angereist, und der US-<br />
Präsident, der aus dem Pariser Klimaschutzabkommen<br />
ausgetreten<br />
ist, eilt mitten in den Beratungen zu<br />
einer von ihm veranstalteten Konkurrenzveranstaltung:<br />
einem Gipfel<br />
zur Religionsfreiheit. Auch die Pressetribüne<br />
im Versammlungssaal ist<br />
nicht ganz gefüllt.<br />
Dabei ist die Veranstaltung eindrucksvoll<br />
inszeniert. Auf die goldenen<br />
Wände der Halle werden Videos<br />
von Bäumen, Bergen und Seen<br />
projiziert. Während der Eröffnungsrede<br />
vonGuterres fühlt man sich bei<br />
abgedunkeltem Licht wie in einem<br />
riesigen Glashaus im Urwald. „Die<br />
Natur ist aufgebracht, und wir können<br />
sie nicht betrügen“, sagt der<br />
UN-Generalsekretär. Der Portugiese<br />
schildert die Zerstörung des Klimawandels<br />
und endet mit einem persönlichen<br />
Appell: „Ich will nicht zusehen<br />
müssen, wenn die Zukunft<br />
meiner Enkel zerstörtwird!“<br />
Möglicherweise hat er da an<br />
Greta Thunberg gedacht. Seit ihrer<br />
Ankunft in NewYork vor knapp vier<br />
Wochen ist die Klimaaktivistin in<br />
den USA vielfach aufgetreten, und<br />
sie hat Ex-Präsident Barack Obama<br />
getroffen.<br />
Wütend ergreift sie das Wort für<br />
eine hochemotionale Anklagerede,<br />
und es wirkt, als müsse sie zeitweise<br />
ihreTränen zurückhalten.<br />
„Wie könnt Ihr eswagen, meine<br />
Träume und meine Kindheit zu stehlen<br />
mit euren leeren Worten?“, greift<br />
die 16-Jährige die Regierungschefs<br />
offen an: „Wir stehen am Anfang eines<br />
Massenaussterbens und alles,<br />
worüber ihr reden könnt, ist Geld<br />
und das Märchen vom immerwährenden<br />
Wachstum.“<br />
Es ist nicht leicht, nach einer so<br />
radikalen Philippika eine realpolitische<br />
Rede zu halten. Insofern hat<br />
Merkel Glück, dass vor ihr die Kollegen<br />
aus Neuseeland und Indien<br />
sprechen. Trotzdem kann man nicht<br />
sagen, dass die Kanzlerin, deren Klimapaket<br />
daheim von vielen Seiten<br />
kritisiert wird, einen befreiten Auftritt<br />
hinlegt. Emotionslos liest sie ihrenVortrag<br />
und die Pläne zur Verringerung<br />
der CO 2 -Emissionen ab. Sie<br />
sagt aber auch, dass die Politik „bei<br />
einem derarttiefgreifenden Wandel“<br />
alle Bürger mitnehmen müsse.<br />
Gerne würde man wissen, ob<br />
Thunberg mit Merkels Rede zufriedener<br />
ist als Trump. Doch das Treffen<br />
zwischen der Kanzlerin und der Klimaaktivistin<br />
findet ohne Presse statt.<br />
Regierungssprecher Steffen Seibert<br />
twittert ein Foto, das beide Frauen<br />
im Foyer des UN-Gebäudes zeigt.<br />
Wortesind nicht überliefert.<br />
KarlDoemens<br />
war überrascht vonTrumps<br />
unangekündigtem Auftritt.<br />
Habeck patzt bei der<br />
Pendlerpauschale<br />
Grünen-Chef übt Kritik –kennt sich aber offenbar nicht aus<br />
VonTim Szent-Ivanyi<br />
Als 1994 der damalige Bundeskanzler<br />
Helmut Kohl (CDU) in<br />
einer Fernsehsendung gefragt<br />
wurde, entgegnete er, der Straßenbau<br />
sei Ländersache. Eine ähnlich<br />
peinliche Vorstellung lieferte am<br />
Sonntag Grünen-Chef Robert Habeck.<br />
Im Interview mit der ARD zum<br />
Klimapaket der großen Koalition redete<br />
er sich beim Thema Pendlerpauschale<br />
um Kopf und Kragen und<br />
bewies gleich mit mehreren Behauptungen,<br />
dass er von dieser Steuerermäßigung<br />
kaum Ahnung hat.<br />
In dem Interview ging es um das<br />
Vorhaben der Koalition, die Treibstoffpreise<br />
durch eine Belastung der<br />
CO 2 -Emission teurer zu machen, im<br />
Gegenzug aber für Fernpendler die<br />
Entfernungspauschale ab dem 21.<br />
„Natürlich ärger<br />
ich mich tierisch,<br />
dass mir das unterlaufen<br />
ist.“<br />
RobertHabeck am Montag über seine<br />
Äußerungen. Er habe die genauen Regeln<br />
„nicht auf dem Zettel“ gehabt.<br />
Kilometer um 5auf 30 Cent anzuheben.<br />
Daraufhin kritisierte Habeck:<br />
„Wenn man den Benzinpreis um 3<br />
Cent erhöht, die Pendlerpauschale<br />
aber um 5Cent erhöht, dann lohnt es<br />
sich eher mit dem Auto zu fahren als<br />
mit der Bahn.“<br />
Erster Fehler: Die Pendlerpauschale<br />
gilt für die Fahrten zwischen<br />
Wohnung- und Arbeitsstätte, egal<br />
welches Verkehrsmittel benutzt<br />
wird. Die von Union und SPD geplante<br />
Erhöhung der Pauschale<br />
bringt dem Bahn- und Autofahrer<br />
somit eine völlig identische Entlastung.<br />
Maßgeblich für die Höhe der<br />
Pauschale ist die kürzeste Straßen-<br />
entfernung zur Arbeit. Wer für die<br />
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel<br />
Fahrpreise zahlen muss, die die<br />
Pendlerpauschale übersteigen, kann<br />
die höheren Kosten geltend machen.<br />
Zieht man die Entwicklung der<br />
tatsächlichen Fahrpreise in Betracht,<br />
könnten sich bei einer Erhöhung der<br />
Pendlerpauschale unterm Strich<br />
wahrscheinlich sogar die Bahnfahrer<br />
besser stellen. Denn durch die CO 2 -<br />
Bepreisung steigt der Spritpreis an<br />
der Tankstelle. Die Preise für die<br />
Bahn und den öffentlichen Nahverkehr<br />
sollen dagegen stabil bleiben,<br />
wenn nicht gar sinken. Unter diesen<br />
Bedingungen wird der umweltbewusste<br />
Pendler durch die Erhöhung<br />
der Pendlerpauschale weit stärker<br />
entlastet als der Autofahrer.<br />
Zweiter Fehler: Habeck suggeriert,<br />
die Pendler bekämen durch die<br />
Erhöhung der Pauschale tatsächlich<br />
5Cent mehr –sie würden also angesichts<br />
einer Benzinpreiserhöhung<br />
um lediglich drei Cent untermStrich<br />
ein Plus machen. Auch das stimmt<br />
nicht. Bei der Pauschale handelt es<br />
sich nicht um eine Zahlung des Finanzamts,<br />
sondern umden Betrag,<br />
den der Steuerpflichtige vomBruttoeinkommen<br />
abziehen kann. Anders<br />
ausgedrückt: Für diesen Betrag muss<br />
er keine Steuernzahlen. Weretwa an<br />
220 Arbeitstagen 30 Kilometer ins<br />
Büro fährt, kann sein zu versteuerndes<br />
Einkommen im Jahr um 1980<br />
Euro mindern. Durch die geplante<br />
Erhöhung der Pauschale wären es<br />
110 Euro mehr,also 2090 Euro.<br />
Wie stark sich die erhöhte Pauschale<br />
auswirkt, hängt vomGesamteinkommen<br />
ab,weil sich danach der<br />
individuelle Steuersatz bemisst. Die<br />
maximale Steuerentlastung hat ein<br />
Spitzenverdiener, der die Reichensteuer<br />
von 45Prozent zahlt. Bei einem<br />
Bruttoeinkommen von 4 000<br />
Euro und einem Steuersatz von ungefähr<br />
25 Prozent beträgt die Entlastung<br />
im Jahr nur 27 Euro.Das gleicht<br />
bei einem Benziner mit einem Verbrauch<br />
vonsieben Liternje100 Kilometer<br />
in etwa die Benzinpreiserhöhung<br />
vondreiCent/Liter aus.<br />
Fossilfreileben<br />
innerhalb einer<br />
Generation.<br />
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