5-19_DER Mittelstand_web
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114 KULTUR<br />
<strong>DER</strong> MITTELSTAND. 5 | 20<strong>19</strong><br />
Kultur<br />
Van Gogh –<br />
an der Schwelle<br />
zur Ewigkeit<br />
Der Künstler zwischen Genie und Wahn: Kaum ein Klischee<br />
wird häufiger bemüht. Nun hat Julian Schnabel einen Film<br />
über Vincent van Gogh gedreht – und aus Kitsch wird<br />
existenzieller Ernst.<br />
Rund 40 Mal wurde das tragische Leben<br />
Vincent van Goghs verfilmt. Nun hat<br />
sich einer, der sich auskennen muss,<br />
der Materie angenommen. Julian Schnabel<br />
führt Regie bei dieser elegischen Impression<br />
über die letzten Lebensjahre des<br />
mit sich und der Welt hadernden Künstlers.<br />
Das macht Sinn, hat Schnabel doch in jungen<br />
Jahren als Maler reüssiert. Erst <strong>19</strong>96 tauschte<br />
er die Leinwände: „Basquiat“ erzählte das<br />
kurze Leben des Graffiti-Künstlers Jean-Michel<br />
Basquiat. Nun also ein Schwergewicht<br />
der Kunstgeschichte: Vincent van Gogh.<br />
Wirrer Künstler, fiebrige Kamera<br />
Schnabel wäre nicht der originelle Regisseur,<br />
hätte er die sattsam bekannten Fakten dieser<br />
Künstlerbiographie (Armut, Sonnenblumen,<br />
abgeschnittenes Ohr) lieblos heruntererzählt.<br />
Schnabel ist Maler, dem es als Regisseur<br />
um die Innenschau, die möglichst ungefilterte<br />
Wahrnehmung van Goghs (Willem<br />
Dafoe) selber geht. So sehen wir den Künstler<br />
in den ersten Einstellungen durch leuchtende<br />
südfranzösische Landschaften wandern,<br />
laufen, irren. Eine hastige, fiebrige Kamera<br />
(Benoît Delhomme) folgt ihm, oft nimmt sie<br />
seine Sicht auf Landschaft, Dinge und Menschen<br />
ein. Die Farben sind intensiv, geradezu<br />
plastisch wie auf van Goghs Gemälden; die<br />
Menschen indes häufig grau und unscharf:<br />
So muss man sich wohl des Künstlers Weltbild<br />
und Wahrnehmung vorstellen.<br />
Sehen, was der Künstler sieht<br />
Nach dem Misserfolg seiner letzten Ausstellung<br />
in einem Gasthaus („Keiner will<br />
das sehen“, sagt der Wirt und hängt die Bilder<br />
wütend ab) flieht van Gogh ins sonnige<br />
Südfrankreich, nach Arles. Hier nun wandert<br />
er samt Strohhut und Staffelei, und<br />
Julian Schnabel öffnet unsere Augen, indem<br />
er uns mit van Goghs Augen sehen lässt.<br />
Es ist die Kluft zwischen Kunst- und Bildverständnis<br />
der Menschen jener Zeit und<br />
des Künstlers eigener Vision von Natur und<br />
Mensch, die das Medium Film zu schließen<br />
vermag. So ist das Gelb der Sonnenblumen,<br />
das Gelb frisch gestrichener Zimmerwände<br />
jenes Gelb, das auch ungeübte Museumsgänger<br />
eindeutig dem von van Gogh zuordnen<br />
können. Aus halbgarem Kulturwissen<br />
wird intensives Erleben. „Van Gogh“ zeigt<br />
anrührende Momente des künstlerischen<br />
Schaffensprozesses: Wenn Schauspieler<br />
malen, Klavier spielen oder Skulpturen kneten,<br />
hat das häufig etwas rührend Hilfloses,<br />
mitunter muss ein Profi übernehmen und<br />
nur der Schnitt rettet die Illusion. Hier malt<br />
Defoe selber, Schnabel hat es ihm beigebracht<br />
– Pinselhaltung, Strichführung, Licht