Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
«Wenn man das Abenteuer<br />
herausfordert, dann passiert<br />
was in einem. Für mich ist<br />
das die Lust an der Challenge<br />
mir selbst gegenüber.»<br />
Sven Schelker, <strong>The</strong>ater- und<br />
Filmschauspieler, geboren in<br />
Basel, aufgewachsen in Reinach<br />
und wohnhaft in Hamburg,<br />
hat mit 29 so viel erreicht wie<br />
andere mit 59 nicht. Das liegt daran, dass<br />
er nichts von gesichertem Grund hält:<br />
Schelker erkämpft sich einen Ausbildungsplatz<br />
an der Münchner Otto Falckenberg<br />
Schule (was nur knapp zwei Prozent der<br />
Bewerber schaffen). Wird noch während<br />
der Ausbildung zum Schauspieler vom<br />
renommierten Thalia <strong>The</strong>ater in Hamburg<br />
engagiert. Erhält nach dem Abschluss<br />
eine Fixanstellung. Wird gefeiert für die<br />
Hauptrolle in Brechts «Dreigroschenoper»,<br />
mit 26 als Jüngster im Team.<br />
Wer dahinter Strategie vermutet, liegt<br />
falsch. Schelker folgt einfach konsequent<br />
der grössten sich bietenden Herausforderung.<br />
Stellt sich ihr. Meistert sie. Er hat<br />
erst wenig Kameraerfahrung, als er für<br />
«Der Kreis» vorgeschlagen wird und die<br />
Rolle erhält. 2015 wird er beim Schweizer<br />
Filmpreis als bester Hauptdarsteller und<br />
bei der Berlinale mit einem European<br />
Shooting Stars Award ausgezeichnet.<br />
Kurz darauf ist er der erste Schweizer in<br />
der mit Emmys und Golden Globes überhäuften<br />
US-Serie «Homeland». 2017 folgt<br />
mit «Goliath» der zweite Kinofilm.<br />
Für «Bruno Manser – Die Stimme des<br />
Regenwaldes», seinen dritten Kinofilm,<br />
hebt Schelker das Prinzip Abenteuer auf<br />
ein neues Level: Um ganz und gar in seine<br />
Figur Bruno Manser schlüpfen zu können,<br />
begibt er sich mehrere Wochen lang zu<br />
Ureinwohnern in den Dschungel – und<br />
damit in Lebensgefahr.<br />
the red bulletin: Sven Schelker, ich<br />
kann schwer glauben, dass es nötig<br />
ist, für eine Filmrolle wochenlang im<br />
Dschungel zu leben.<br />
sven schelker: Natürlich war das eine<br />
extreme, nur schwer abschätzbare Challenge.<br />
Aber es war die einzige Chance,<br />
Bruno Manser wirklich zu verstehen. Wie<br />
man als Schweizer Teil des Regenwalds<br />
wird, was mit einem passiert, wenn man<br />
auf die Penan (indigene Volksgruppe der<br />
Insel Borneo; Anm.) trifft. Das alles hatte<br />
einen so grossen Impact auf ihn, dass<br />
er sechs Jahre dort blieb. Dass er sein<br />
Leben dem Regenwald und seinen Ureinwohnern<br />
widmete. Klar, ich hätte mich<br />
vorbereiten können, aufs Set, mein Programm<br />
abspulen. Aber das reichte weder<br />
mir noch dem Regisseur. Ich wollte ein<br />
Gefühl dafür bekommen, was es heisst,<br />
Teil des Dschungels zu werden. Ich wollte<br />
es leben.<br />
Es hätte doch genügt, es zu spielen,<br />
Sven. Du kannst das, du bist schliesslich<br />
Schauspieler, und noch dazu ein<br />
sehr talentierter. Du hättest dir alles<br />
nötige Wissen von deiner Hamburger<br />
Couch aus aneignen können. Es gibt<br />
Massen an erstklassigem Material<br />
über Manser, seine Tagebücher, Dokus,<br />
Zeitungsberichte …<br />
Du redest hier von den Grundvorbereitungen.<br />
Das ist eher Oberfläche. Als<br />
Schauspieler wollte ich Bruno Manser<br />
und seinem Umfeld jedoch so nah wie<br />
möglich kommen. Ich musste da mit<br />
voller Wucht rein, ich musste das Abenteuer<br />
annehmen.<br />
Abenteuer klingt ja toll. Aber in diesem<br />
Fall sprechen wir von extremer Luftfeuchtigkeit<br />
und Hitze, Moskitos,<br />
Typhus, Cholera, Malaria, Tollwut und<br />
mieser medizinischer Versorgung …<br />
Spielt das alles keine Rolle?<br />
Dengue-Fieber hast du vergessen. Und<br />
Jaguare, giftige Spinnen und Schlangen,<br />
die dich innert fünf Minuten kaltmachen.<br />
Aber wovon die grösste Gefahr ausgeht,<br />
da kommst du nie drauf.<br />
Also bitte …?<br />
Holz! Die meisten Unfälle, die meisten<br />
Verletzten und Toten im Dschungel passieren<br />
durch Fallholz. Jeder Baum, jeder<br />
Ast stirbt irgendwann ab, wird morsch –<br />
und zack. Als wir das Penandorf filmten,<br />
waren da über hundert Menschen. Auf<br />
einmal stürzte ein 30 Meter hoher Baum<br />
aufs Set, ohne Vorwarnung, und machte<br />
zwei Hütten platt. Zum Glück nur Hütten.<br />
Wäre da jemand drin gewesen, hätte der<br />
keine Chance gehabt. Da wurde mir ein<br />
weiteres Mal bewusst, wie ausgeliefert<br />
man in dieser gewaltigen, fremdartigen,<br />
aber auch wunderschönen Natur ist.<br />
Der Schritt in diese fremdartige Natur<br />
machte Manser damals zu Malaysias<br />
Staatsfeind Nr. 1. Es wurde ein Kopfgeld<br />
von 50.000 Dollar auf ihn ausgesetzt,<br />
weil er auf das Schicksal der<br />
Urvölker und die Tropenholzrodung<br />
aufmerksam machte. Wenn eine europäische<br />
Crew einen Film über Manser<br />
dreht, wie wird man da empfangen?<br />
Nicht gerade mit offenen Armen, was<br />
aber streng genommen ein absoluter<br />
52 THE RED BULLETIN