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The Red Bulletin November 2019 (DE)

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«Wenn man das Abenteuer<br />

herausfordert, dann passiert<br />

was in einem. Für mich ist<br />

das die Lust an der Challenge<br />

mir selbst gegenüber.»<br />

Sven Schelker, <strong>The</strong>ater- und<br />

Filmschauspieler, geboren in<br />

Basel, aufgewachsen in Reinach<br />

und wohnhaft in Hamburg,<br />

hat mit 29 so viel erreicht wie<br />

andere mit 59 nicht. Das liegt daran, dass<br />

er nichts von gesichertem Grund hält:<br />

Schelker erkämpft sich einen Ausbildungsplatz<br />

an der Münchner Otto Falckenberg<br />

Schule (was nur knapp zwei Prozent der<br />

Bewerber schaffen). Wird noch während<br />

der Ausbildung zum Schauspieler vom<br />

renommierten Thalia <strong>The</strong>ater in Hamburg<br />

engagiert. Erhält nach dem Abschluss<br />

eine Fixanstellung. Wird gefeiert für die<br />

Hauptrolle in Brechts «Dreigroschenoper»,<br />

mit 26 als Jüngster im Team.<br />

Wer dahinter Strategie vermutet, liegt<br />

falsch. Schelker folgt einfach konsequent<br />

der grössten sich bietenden Herausforderung.<br />

Stellt sich ihr. Meistert sie. Er hat<br />

erst wenig Kameraerfahrung, als er für<br />

«Der Kreis» vorgeschlagen wird und die<br />

Rolle erhält. 2015 wird er beim Schweizer<br />

Filmpreis als bester Hauptdarsteller und<br />

bei der Berlinale mit einem European<br />

Shooting Stars Award ausgezeichnet.<br />

Kurz darauf ist er der erste Schweizer in<br />

der mit Emmys und Golden Globes überhäuften<br />

US-Serie «Homeland». 2017 folgt<br />

mit «Goliath» der zweite Kinofilm.<br />

Für «Bruno Manser – Die Stimme des<br />

Regenwaldes», seinen dritten Kinofilm,<br />

hebt Schelker das Prinzip Abenteuer auf<br />

ein neues Level: Um ganz und gar in seine<br />

Figur Bruno Manser schlüpfen zu können,<br />

begibt er sich mehrere Wochen lang zu<br />

Ureinwohnern in den Dschungel – und<br />

damit in Lebensgefahr.<br />

the red bulletin: Sven Schelker, ich<br />

kann schwer glauben, dass es nötig<br />

ist, für eine Filmrolle wochenlang im<br />

Dschungel zu leben.<br />

sven schelker: Natürlich war das eine<br />

extreme, nur schwer abschätzbare Challenge.<br />

Aber es war die einzige Chance,<br />

Bruno Manser wirklich zu verstehen. Wie<br />

man als Schweizer Teil des Regenwalds<br />

wird, was mit einem passiert, wenn man<br />

auf die Penan (indigene Volksgruppe der<br />

Insel Borneo; Anm.) trifft. Das alles hatte<br />

einen so grossen Impact auf ihn, dass<br />

er sechs Jahre dort blieb. Dass er sein<br />

Leben dem Regenwald und seinen Ureinwohnern<br />

widmete. Klar, ich hätte mich<br />

vorbereiten können, aufs Set, mein Programm<br />

abspulen. Aber das reichte weder<br />

mir noch dem Regisseur. Ich wollte ein<br />

Gefühl dafür bekommen, was es heisst,<br />

Teil des Dschungels zu werden. Ich wollte<br />

es leben.<br />

Es hätte doch genügt, es zu spielen,<br />

Sven. Du kannst das, du bist schliesslich<br />

Schauspieler, und noch dazu ein<br />

sehr talentierter. Du hättest dir alles<br />

nötige Wissen von deiner Hamburger<br />

Couch aus aneignen können. Es gibt<br />

Massen an erstklassigem Material<br />

über Manser, seine Tagebücher, Dokus,<br />

Zeitungsberichte …<br />

Du redest hier von den Grundvorbereitungen.<br />

Das ist eher Oberfläche. Als<br />

Schauspieler wollte ich Bruno Manser<br />

und seinem Umfeld jedoch so nah wie<br />

möglich kommen. Ich musste da mit<br />

voller Wucht rein, ich musste das Abenteuer<br />

annehmen.<br />

Abenteuer klingt ja toll. Aber in diesem<br />

Fall sprechen wir von extremer Luftfeuchtigkeit<br />

und Hitze, Moskitos,<br />

Typhus, Cholera, Malaria, Tollwut und<br />

mieser medizinischer Versorgung …<br />

Spielt das alles keine Rolle?<br />

Dengue-Fieber hast du vergessen. Und<br />

Jaguare, giftige Spinnen und Schlangen,<br />

die dich innert fünf Minuten kaltmachen.<br />

Aber wovon die grösste Gefahr ausgeht,<br />

da kommst du nie drauf.<br />

Also bitte …?<br />

Holz! Die meisten Unfälle, die meisten<br />

Verletzten und Toten im Dschungel passieren<br />

durch Fallholz. Jeder Baum, jeder<br />

Ast stirbt irgendwann ab, wird morsch –<br />

und zack. Als wir das Penandorf filmten,<br />

waren da über hundert Menschen. Auf<br />

einmal stürzte ein 30 Meter hoher Baum<br />

aufs Set, ohne Vorwarnung, und machte<br />

zwei Hütten platt. Zum Glück nur Hütten.<br />

Wäre da jemand drin gewesen, hätte der<br />

keine Chance gehabt. Da wurde mir ein<br />

weiteres Mal bewusst, wie ausgeliefert<br />

man in dieser gewaltigen, fremdartigen,<br />

aber auch wunderschönen Natur ist.<br />

Der Schritt in diese fremdartige Natur<br />

machte Manser damals zu Malaysias<br />

Staatsfeind Nr. 1. Es wurde ein Kopfgeld<br />

von 50.000 Dollar auf ihn ausgesetzt,<br />

weil er auf das Schicksal der<br />

Urvölker und die Tropenholzrodung<br />

aufmerksam machte. Wenn eine europäische<br />

Crew einen Film über Manser<br />

dreht, wie wird man da empfangen?<br />

Nicht gerade mit offenen Armen, was<br />

aber streng genommen ein absoluter<br />

52 THE RED BULLETIN

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