Anja Matzker.DEKALOG HEUTE
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DAS ZEHNTE GEBOT<br />
KERSTIN HENSEL<br />
9 DU SOLLST SAUBER UND ANSTÄNDIG LEBEN UND DEINE FAMILIE ACHTEN.<br />
10 DU SOLLST SOLIDARITÄT MIT DEN UM NATIONALE BEFREIUNG KÄMPFENDEN<br />
UND DEN IHRE NATIONALE UNABHÄNGIGKEIT VERTEIDIGENDEN VÖLKERN ÜBEN.<br />
Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in der DDR eiligst von<br />
oben herabgelassener Rettungsanker, der auf keinen festen Grund<br />
traf.<br />
Gehorsam, geistiger und materieller Bescheidenheit, Ihr-Kinderlein-kommet-Stubenchor,<br />
Ein-Kind-Ehe, Sauberkeits- und Ordnungswut,<br />
Lustig- und Lustfeindlichkeit. Flankierend: Lehrer,<br />
Erzieher, Ausbilder, von denen die meisten die Idee des Neuen<br />
Menschen im Sozialismus ihren Anbefohlenen in Floskeln repetierten:<br />
Das Pionierversprechen als sozialistisches Glaubensbekenntnis,<br />
und dies als kindliche DDR-Katechese:<br />
Ausflugtag. Die Gifte des Moores. Bizarre ölig glänzende Schlieren.<br />
Salzkrusten. Blubberndes Wahrsagen aus den Tiefen. Direkt<br />
vom Klo h weg übers Sinnbild latschen. Donnerlittchen, nun sag<br />
doch mal was Schlaues! Über das HEILIGE! Über das heilige zehnte<br />
Verbot!!!<br />
Mein Herr und Verbieter!<br />
Alttestamentler Crüsemann: »Indem das Begehren verboten wird,<br />
wird jeder denkbare Griff nach der Lebensgrundlage des Nächsten<br />
abgeschnitten, auch der rechtlich mögliche und gesellschaftlich legitimierte<br />
Weg.«<br />
BEGEHREN. Verbotenes Phänomen, das mich anspringt. Die Versuchung,<br />
den Begriff aus dem Kontext des Ding-Begehrens zu lösen.<br />
In Rück-Sicht auf mich, meine Herkunft, mein Vor-Leben, in dem<br />
es Begehren nicht zu geben hatte. Ein Blick in die eingefasste Quelle<br />
Erinnerung:<br />
Meine Geburt in der sächsischen Industriestadt. Fünfzehn Jahre<br />
nach einem Weltkrieg, vor dessen Hintergrund aus Millionen<br />
Verführten, Belogenen, Missbrauchten und Ermordeten die zehn<br />
Gebote wie eine Auflistung lächerlich gewordener Forderungsrelikte<br />
wirkten. Aufgewachsen bin ich in einer Moralmelange aus<br />
zärtlicher Elternliebe, nazistischem Mitläufer- und sozialistischem<br />
Anpassertum, proletarischer Einfalt, Prüderie, verbrämtem Ahnenprotestantismus,<br />
Kitschseligkeit, Arbeitseifer, mürrischem<br />
DIE GEBOTE DER JUNGPIONIERE 2<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
lieben unsere Deutsche Demokratische Republik.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
lieben unsere Eltern.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
lieben den Frieden.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
halten Freundschaft mit den Kindern<br />
der Sowjetunion und allen Ländern.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
lernen fleißig, sind ordentlich<br />
und diszipliniert.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
achten alle arbeitenden Menschen<br />
und helfen überall tüchtig mit.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
sind gute Freunde und helfen einander.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
singen und tanzen, spielen und basteln gern.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
treiben Sport und halten unsere Körper<br />
sauber und gesund.<br />
WIR JUNGPIONIERE<br />
tragen mit Stolz unser blaues Halstuch.<br />
Wir bereiten uns darauf vor, gute Thälmannpioniere<br />
zu werden.<br />
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