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Anja Matzker.DEKALOG HEUTE

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SIBYLLE LEWITSCHAROFF<br />

der Beziehung zwischen Mensch und Gott, sind gleichsam ein<br />

von Feiertag zu Feiertag sich aufladendes Zeichen, das stets aufs<br />

neue aufgepflanzt wird, um auf die Unverbrüchlichkeit dieser<br />

einzigartigen Beziehung hinzuweisen. Die Rituale, die dabei zur<br />

Anwendung kommen, sollen dies innige Verhältnis bekräftigen<br />

und erneuern. Auch wenn die Rituale im Lauf der Jahrhunderte<br />

einige Verwandlungen erfahren haben und die Änderungssucht in<br />

neuerer Zeit problematisch ist, so klingt gerade im Rituellen die<br />

Verbundenheit mit den Generationen vor uns an, die diesen besonderen<br />

Tag auch schon gefeiert und damit Gott ihre Ehre erwiesen<br />

haben. Nichts Alberneres als eine Gottesanbetung, die auf eigener<br />

Erfindelei beruht. Und um noch einmal auf die Gemeindebindung<br />

zurückzukommen: gerade sie ist wichtig. Sie kann von der zu sehr<br />

ins Private driftenden Gottesanbetung befreien, kann als Korrektur<br />

dienen vor der allzu krausen Selbstauslegung, die eine Religion<br />

nach eigenem Wohnzimmermaß ausstaffiert. Und im tätigen<br />

Gemeindeleben, das über den Sonntag hinausgeht, läßt sich auch<br />

etwas von der Fürsorge, die man seinen Nächsten angedeihen lassen<br />

soll, praktizieren. Natürlich bedürfte es der Sonntage nicht eigens,<br />

wenn die Gläubigen es fertigbrächten, Tag für Tag Gott die<br />

Ehre zu erweisen und das Bündnis mit Ihm in geistiger und ritueller<br />

Form zu festigen. Aber das ist für die meisten Menschen, die<br />

weder ein Priesteramt versehen noch in Klöstern hausen, schlicht<br />

zuviel verlangt. Martin Luther stimmte die Bedeutung des Sonntags<br />

ein wenig herab, denn Gottes Wort zu vernehmen und heilig<br />

zu halten, diese Aufgabe sei dem Christen Tag für Tag anheimgestellt.<br />

Doch, wie gesagt, dies dürfte nur sehr wenigen Menschen<br />

möglich und leichterdings gegeben sein.<br />

Ein jüdischer Kommentar zum Sabbat empfiehlt, der Mensch<br />

solle an diesem Tag Ruhe halten, als wäre alle Arbeit schon getan.<br />

Das von Verpflichtungen und Sorgen bewimmelte Hirn soll hier<br />

zu sich kommen und das Herz einen inneren Freudenaufschluß<br />

erfahren, der es Gott ein wenig entgegenhebt. Nicht Leistung<br />

und emsiger Schaffensdrang zählen an dem Tag, im Gegenteil:<br />

ein Fünkchen Paradiesahnung glimmt auf und trachtet nach<br />

Befreiung der menschlichen Seele aus dem Kerker der tagtäglichen<br />

Verwicklungen. Den Juden verschafft ihr geheiligter Tag deshalb<br />

auch einen winzigen Ausguck auf die messianische Zeit, die<br />

einst anbrechen wird.<br />

Der Sonntag ist eine menschliche Parallelaktion zum göttlichen<br />

Ruhetag, denn auch Gott ließ am siebten Tag von Seiner Schöpfungstätigkeit<br />

ab und hat an dem Tag damit gewissermaßen selbst<br />

Ruhe gehalten. Es ist ein Tag der Erholung vom anstrengenden<br />

Leben mit seiner Vielzahl an Verpflichtungen, für viele Menschen<br />

bedeutet er auch Erholung von der Mühsal ihrer Arbeit. Unser ruheloser<br />

Umgang mit der Zeit erhält hier eine Zäsur, die nicht nur der<br />

Entspannung, sondern auch der Besinnung auf das Wesentliche<br />

dienen soll. Ein Tag, an dem wir uns nicht der eigenen Werke<br />

wegen rühmen können, er ist vielmehr der Besinnung auf Gott<br />

und des möglicherweise durch Ihn zu erlangenden Trostes, der<br />

Seelenberuhigung und Einkehr dienlich. Dieser herausgehobene<br />

Tag segelt gleichsam als erquickender Vorbildtag für die geistliche<br />

Ruhe über den anderen Wochentagen dahin.<br />

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Abschweifung. Hin und<br />

wieder ist mir bei schönem Wetter ein jähes, sonntägliches Himmelsglück<br />

widerfahren. Es hat kurioserweise mit den Spatzen zu<br />

tun. Spatzen, die herumhupfen und tschilpen wie nicht gescheit,<br />

die den Busch, in dem sie hocken, förmlich zum Schwatzen bringen,<br />

erheitern mich zutiefst. Und flugs gleitet der Blick von den<br />

kleinen plustrigen Körperchen weg nach oben, eine Blickauffahrt<br />

gen Himmel hat statt, und eine solche freiheitliche Lustigkeit<br />

durchströmt mein Herz, daß alle Sorgen auf der Stelle verfliegen<br />

und ich gar nicht anders kann, als Gott innig zu danken für das<br />

Leben, das Er mir geschenkt hat. In kindlicher Form bitte ich<br />

darum, meine Sünden mögen kleiner und die schon begangenen<br />

verziehen werden. Es sind kurioserweise diese graubraunen, witzig<br />

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