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Anja Matzker.DEKALOG HEUTE

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SIBYLLE LEWITSCHAROFF<br />

Gebot zunächst das Töten aus rein privaten Motiven – Raublust,<br />

Eifersucht, Neid, Sadismus, eine hoch aggressive Sexualität kommen<br />

hier am ehesten in Frage. Im übrigen wurde die Todesstrafe in<br />

der Zeit, als die Zehn Gebote fixiert wurden, durchaus für gerecht<br />

erachtet, für schwere Vergehen gegen die Gemeinschaft, die von<br />

der Obrigkeit geahndet werden mußten. Kurzum: das Verbot des<br />

Tötens richtet sich hier zuvörderst gegen das Töten aus mordlustigen<br />

Privatmotiven.<br />

Nun, aus unserer geschichtlichen Erfahrungen heraus befällt<br />

uns da ein Zögern. Daß es der Obrigkeit erlaubt sein soll, zu töten,<br />

dem Privatmann aber nicht, das nehmen wir nicht mehr so unbefragt<br />

hin. Die nationalsozialistische Obrigkeit, die sich ja unablässig<br />

damit brüstete, zum Wohle des eigenen Volkes zu handeln, tötete<br />

bekanntlich Millionen von Menschen aus schwindelerregender Mordgier.<br />

Und eine bewährte Taktik, einen Krieg anzufangen, in dem getötet<br />

wird, war immer schon, den Nachbarn zu unterstellen, sie würden<br />

ihrerseits einen Überfall vorbereiten, dem man zuvorkommen müsse.<br />

Wer 1914, in der allgemein ausbrechenden Kriegshysterie den<br />

Wehrdienst verweigerte, weil er es ablehnte zu töten, der war äußerst<br />

mutig und nahm bittere Konsequenzen in Kauf. Wir verneigen<br />

uns vor einem solchen Menschen mit Respekt und sollten<br />

das Andenken an ihn in Ehren halten. Hätten aber die von Hitler<br />

überfallenen Polen kein Recht dazu gehabt, sich im Untergrund zu<br />

sammeln und deutsche Besatzer zu töten? Wohl kaum. Auch deren<br />

tapferes – wiewohl kriegerisches – Andenken kann man sehr<br />

wohl zu Recht ehren.<br />

Als nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes die Siegermächte<br />

in Nürnberg Gericht hielten über die Vertreter des Regimes,<br />

denen Verbrechen vorgehalten wurden, die alles übertrafen, was man<br />

bisher an Greueln in der Geschichte der Menschheit kannte, hat<br />

das Gericht in etlichen Fällen Todesurteile ausgesprochen. Ich<br />

kann dies verstehen und gutheißen. Welche Strafe für den zutiefst<br />

verlogenen Opportunisten Albert Speer angemessen gewesen<br />

wäre, dessen höchst erfolgreiches Erinnerungsskript über seine<br />

Zeit mit Adolf Hitler radikal lektoriert wurde, um es demokratietauglich<br />

zu stimmen, ist im nachhinein schwer zu beurteilen.<br />

Albert Speer war nach dem Verbüßen seiner Haft in den bürgerlichen<br />

Salons wieder ein willkommener Gast und hätte bei nüchterner<br />

Betrachtung der Dokumente, die teilweise erst später ans<br />

Tageslicht kamen und ihn schwer belasteten, wohl kein allzu<br />

mildes Urteil verdient gehabt. Es sei denn, man hätte indirekt<br />

seine Schlauheit belohnen wollen. Schlauer als seine Spießgesellen,<br />

das war der wortgewandte, durchaus sympathisch aussehende<br />

Mann allerdings schon. Unfaßlich, daß man ausgerechnet Marcel<br />

Reich-Ranicki dazu nötigte, Albert Speer bei einer Abendgesellschaft<br />

zu begegnen und noch dazu erwartete, daß er als Jude ihm<br />

die Hand reichen und womöglich eine kleine höfliche Salonplauderei<br />

mit dem Mann beginnen würde.<br />

Du sollst nicht ehebrechen. Das Verbot dürfte uns heute die<br />

meisten Schwierigkeiten bereiten. In einer Zeit, in der die Lebensspanne<br />

der Menschen kurz war und die gesamte Energie einer<br />

Familie auf den eigenen Erhalt und das Überleben der Kinder<br />

gerichtet werden mußte, kann man die Notwendigkeit gut verstehen,<br />

den familialen Nukleus mit Macht zu schützen vor einem allzu<br />

raschen Auseinanderbrechen der ehelichen Verbindung durch<br />

die Verwirrungen und Nöte, die Eros stiften kann. Das Leben in<br />

den reichen modernen Gesellschaften sieht anders aus. Oft sind<br />

bei Paaren beide Hälften berufstätig, womöglich arbeitet einer der<br />

beiden zumindest vorübergehend in einer anderen Stadt. Da ist<br />

das Auseinanderdriften zu Gunsten neuer Beziehungen fast schon<br />

programmiert.<br />

Es kommt hinzu, daß die Menschen heute meist erheblich<br />

länger leben, als es früheren Generationen vergönnt war. Über<br />

Jahrhunderte hinweg kam es häufig vor, daß Frauen im Kindbett<br />

starben. Dieses traurige Schicksal gehört inzwischen gottlob der<br />

Vergangenheit an. Heute hält das Leben andere Wirrnisse bereit.<br />

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