Anja Matzker.DEKALOG HEUTE
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DAS ZWEITE GEBOT<br />
UWE KOLBE<br />
wartete, war namenlos, geschichtslos, gesichtslos. Von dem gab es<br />
kein Bildnis außer in jedem Menschen, der ihm begegnet war.<br />
Etwas an dem raschen Sprung vom Bilderverbot zum Bildersturm,<br />
zur Zerstörung von Bildern, zur gewaltsamen Demontage<br />
dessen, was in unserer Zeit Identität, kulturelle Rückbindung<br />
ausmacht, ob nun im lebendigen Ritus oder auf museale Weise –<br />
etwas ist falsch daran. Der eifernde Gottherr oder eifrige Gott,<br />
der mit Strafe bedroht all jene und ihre Kinder und Kindeskinder,<br />
die es wagen, Bildwerke zu errichten, auch wenn sie ihm,<br />
Gott, gelten – er bleibt im Dunkeln. Mose selbst trat er das erste<br />
Mal im brennenden Dornbusch gegenüber, später als Wolke, als<br />
Gewitter, horribile dictu nicht unähnlich überlieferten Heidengöttern.<br />
Doch waren das nicht Kinkerlitzchen in dem Moment,<br />
wo sie aufgeschrieben wurden, Märchen? War nicht das Größere<br />
in Moses Herz und vor allem Hirn, und ist es nicht das, was<br />
ihn zum Führer seiner Leute machte, seine Überzeugung von<br />
der Anwesenheit Gottes, die er denen, die ihm folgten, plausibel<br />
machte? Galt die Schrift – und da sind wir am Ende der Sache<br />
im Rahmen dieser Meditation – nicht dem Mann und der Frau<br />
aus dem Volke, damit sie auswendig lernten, was auf den Tafeln<br />
stand und alles andere den Priestern, den Rabbinen, den Vorbetern<br />
und Auslegern überließen? Max Weber sieht in Jahwe »bei<br />
aller Leidenschaft seines Grimmes, dennoch« einen »im letzten<br />
Grunde rational und planmäßig handelnden Gott der Intellektuellen«.<br />
Hört, hört!<br />
Dieser Gott ist, wenn er einem begegnet oder wenn man ihn,<br />
in platonischer Tradition wie die frühen christlichen Denker,<br />
gleichsetzt mit dem höchsten Prinzip, größer, doch vor allem anders<br />
als das Menschliche, größer auch als jegliche Naturvorgänge,<br />
wie detailliert wir sie auch untersuchen, wie sehr wir in die Weiten<br />
des Kosmos hinaus starren. Die Kategorien dieses Höchsten gelten<br />
nach Parmenides gar nicht für den Menschen, wie auch die des<br />
Menschen nicht auf ihn anwendbar sind. Die Kategorien Gottes<br />
gelten nur für ihn selbst, weil sie abstrakt sind und übrigens schon<br />
deshalb nicht abgebildet werden können außer als Leerstelle, um<br />
die herum das jeweils kürzere Denken in menschlichen Kategorien,<br />
Anschauungen, Gesetzen, Geboten, Handlungsanweisungen<br />
nur ein Abgesunkenes, ein Schatten, ein Ornament ist, nirgends<br />
identisch, nur angestoßen, hergeleitet als Ahnung eines Oben und<br />
des Oben darüber. Unser Denken als ein sich Vorstellen des Unvorstellbaren.<br />
Seine Verwandtschaft mit dem Tao des Laozi, der<br />
hundert Jahre vor Platon seine Gedanken niederschrieb, ist unübersehbar:<br />
»das auge sieht es nicht – ihr nennt es unsichtbar /<br />
das ohr hört es nicht – ihr nennt es unhörbar / die hand fasst es<br />
nicht – ihr nennt es unfassbar / … es dehnt sich hin unendlich, namenlos<br />
/ und strömt zurück in das nichtdingliche«. Moses konnte<br />
von dem ungegenständlichen, unsichtbaren, unfasslichen und unbekannten<br />
Gott gerufen werden. Er wusste, wann und wo er nahe<br />
war. Das ist viel, aber beinahe nichts gegen den wirklichen Namen.<br />
Von Jakob wissen wir, er hat mit einem Mann gerungen, über den<br />
er hinterher sagte, er habe Gott »von Angesicht schauen« können<br />
ohne zu sterben. Da es Nacht war, als sie rangen, verstehen wir das<br />
Angesicht metaphorisch.<br />
Das Verbot der Herstellung von Bildern ist ein Wiedergänger,<br />
ein sinnenfeindlicher Partner des selbstverständlichen Gebots,<br />
Gottes Namen nicht zu nennen. Leicht zu befolgen, weil ihn niemand<br />
kennt. Die Unaussprechlichkeit seines Namens ist somit<br />
Denkanlass ersten Ranges, ein Ur-Anstoß wie die Erschaffung des<br />
Menschen selbst. Ihn zu missbrauchen, ihn müßig im Munde zu<br />
führen, auch das verbietet, was Mose zweimal in die Tafeln schlug.<br />
Doch das Unbekannte ist dasjenige, das den Geist bestimmt, das<br />
Unaussprechliche dasjenige, das uns herausfordert, den langen<br />
und längeren Gedanken zu finden und ihm zu folgen, den der<br />
Leserin und des Lesers, der Freundinnen und Freunde richtig<br />
langer sogenannter Gedankengänge in regelrechten Gedankenlabyrinthen.<br />
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